Autor:
ZoeP
Homepage: www.seshaty.de
Rating:
M
Categorie:
Romantik, Drama, Angst
Pairing:
J/W (Jordan/Woody)
Spoiler:
spielt direkt nach "Bombenalarm" ("Bombs away"),
Staffel 2
Short-Cut:
Nachdem Jordan und Woody zusammen gefrühstückt haben,
bringt er sie nach Hause. Am nächsten Tag ist sie einfach
verschwunden und keiner weiß, was passiert sein könnte...
Disclaimer:
Die Charaktere von Crossing Jordan gehören Tailwind Productions
und den NBC Studios, ich borge sie mir lediglich für diese
Fanfic aus. Ich verfolge keinerlei kommerziellen Nutzen mit dem
Verfassen dieser Story, sie wurde lediglich zum Vergnügen
anderer Fans geschrieben.
Anmerkung:
Endlich habe ich wieder die Zeit und Energie gefunden, zu schreiben.
Diese Story schleicht nun schon über 1 Jahr in meinem Kopf rum,
und ist auch schon völlig fertig. Nun muss ich sie nur noch in
Worte fassen... Der erste Absatz ist die letzte Szene aus
"Bombenalarm". Und dann geht es so weiter, wie ich mir das
vorgestellt habe.
Drückende Dunkelheit
Teil 1
Langsam schlenderten sie, dem Institut den Rücken gekehrt, vorbei an den schwarzgekleideten Männern vom Sondereinsatzkommando. Jordan war noch immer etwas mulmig zumute, wenn sie an die letzte Nacht dachte. Ein Irrer mit 'ner Bombe, und das an ihrem Arbeitsplatz. Woody musste ihre Gedanken gelesen haben.
"Interessante Nacht."
Sie lachte kurz auf. "Ah, du bist echt der Meister der Untertreibung."
Er schwieg kurz, schien zu überlegen. Er sah auf das Pflaster, über das sie liefen und seufzte kurz. "Hör mal Jordan, ich hab mich verhalten, wie das letzte Arschloch."
Nicht auch das noch. Sicher, es war in der letzten Zeit nicht besonders einfach zwischen ihnen gewesen und die gereizte Stimmung der letzten Tage hatte ihr schon etwas zu schaffen gemacht... Aber das war doch nicht ausschließlich sein Fehler gewesen. Im Gegenteil. Jordan wollte nicht, dass er sich bei ihr entschuldigte. Es erinnerte sie wieder einmal daran, dass er viel zu gutmütig für sie war.
"Ach was, vergiss es. Ich hab dich da in etwas reingezogen und hab's nicht anders verdient." Sie meinte es ehrlich und legte ihm eine Hand auf die Schulter, wie um das zu bestätigen.
"Nein, ich... ich finde doch, ich muss mich bei dir entschuldigen." Er konnte es einfach nicht lassen. Also musste sie einen anderen Weg einschlagen.
"Eine Entschuldigung will ich aber nicht." Sie grinste.
Woody sah sie verblüfft an. "Was willst du dann?"
Angebissen. Ihr Grinsen wurde breiter. "'N Frühstück?"
Nun musste auch Woody grinsen. Jordan hakte sich bei ihm unter und gemeinsam schlenderten sie weiter, dem Institut den Rücken gekehrt, vorbei an den schwarzgekleideten Männern vom Sondereinsatzkommando. Ihr mulmiges Gefühl wurde schwächer, und als sie an die belebende Wirkung schwarzen Kaffees dachte, schrumpfte es zu einem verschwommenen Nebel in den hintersten Ecken ihres Bewusstseins.
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"Hm..." Mit geschlossenen Augen hielt sich Jordan die heiße Tasse unter die Nase und sog genüsslich den Duft ein.Woody konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er hatte seinen Ellenbogen auf dem Tisch aufgelegt und stützte seinen Kopf ab. Selbst mit ihren Haaren von dem rauen Wetter leicht zerzaust und den von der Überarbeitung hervorgerufenen blassen Ringen unter den Augen fand er sie hübsch. Es tat ihm wirklich Leid, dass er so kalt zu ihr gewesen war. Immerhin war es seine Entscheidung gewesen, ihr nach LA zu folgen. Er hätte sich ja auch einfach raushalten können...
"Träumst du?" Jordan riss ihn aus seinen Gedanken. Beim ruckartigen Zurückziehen seines Ellenbogens hätte er beinahe seine eigene Tasse vom Tisch gefegt. Er konnte sie gerade noch retten, nur eine kleine weiße Pfütze benetzte seine Hand und den Aschenbecher.
Jordan schüttelte grinsend den Kopf. Woody wurde leicht rot. Warum musste er auch immer so tollpatschig sein? Doch Jordan hatte sich gar nicht über sein kleines Missgeschick amüsiert.
"Wie kann man nur Milch mit Honig trinken?"
"Oh..." Woody versuchte, den Schaden mit ein paar Servietten einzugrenzen. Er wusste nicht, ob sie jetzt wirklich eine Antwort erwatete. Offensichtlich nicht, denn während er die Milch vom Tisch aufwischte und die durchtränkten Servietten in den Aschenbecher fallen ließ, redete sie auch schon weiter.
"Ich meine, nicht einmal als kleines Kind habe ich mir das Zeug aufschwatzen lassen." Sie schüttelte sich kurz, als wäre eine eher weniger angenehme Erinnerung durch ihre Gedanken gehuscht.
"Na ja. Gesund ist es ja", murmelte Woody.
Jordan winkte ab. "Ich esse lieber ein paar Käsehäppchen vor dem Schlafengehen. Da kriege ich mein Kalzium auch so."
Woody runzelte die Stirn. "Das klingt aber nicht besonders figurfreundlich. Essen vor dem Schlafengehen."
"Hey, willst du etwa sagen ich wäre dick?" Jordan gab ihm einen Knuff.
"Nein, ich meine doch nur, dass...", setzte er an, zu widersprechen. Doch das Grinsen auf Jordans Gesicht verriet ihm, dass sie es nicht ernst gemeint hatte.
"Wie spät ist es eigentlich?", wechselte sie das Thema.
"Kurz nach fünf." Woody sah sich in dem Diner um. Außer ihnen war nur noch ein älterer Mann hier, der emotionslos ein Rührei aß. Die Bedienung hatte sich hinter den Tresen gesetzt und las Zeitung. Irgendein Klatschblatt.
Woody wandte sich wieder Jordan zu. Sie hatte ihren Kaffee bereits zur Hälfte geleert.
"Also", meinte sie und sah von ihrer Tasse auf. "Was gibt's zum Frühstück?"
Woody zuckte mit den Schultern. "Die haben hier fast alles. Die Rühreier sind ganz okay, die Pancakes können sich echt sehen lassen. Wenn du dir aber" Er beugte sich zu ihr vor und senkte geheimnisvoll die Stimme, "...die volle Dröhnung Zucker reinwerfen willst, dann kann ich die belgische Waffel mit heißen Himbeeren empfehlen."
Jordan verkniff sich ein Grinsen und nickte mit ernster Miene. "Natürlich. Da ich aber nachher noch Schlaf finden möchte, ohne Gefahr zu laufen, auf dem Dach spazieren gehen zu wollen... sollte ich vielleicht doch bei Schinken und Ei bleiben."
Woody wiegte bedächtig den Kopf hin und her. "Ich weiß nicht... Schinken und Ei? Ist das nicht ein bisschen viel nach so einer Nacht?"
"Ach, und du nimmst natürlich den Obstsalat", warf sie sarkastisch ein und hatte nicht mit seinem überraschten Gesicht gerechnet.
"Was ist denn dabei?"
"Du willst also wirklich...? Na gut, von mir aus." Sie hob zum Spaß abwehrend die Hände. "Dann können wir ja bestellen."
Das taten sie auch, nachdem Woody mehrmals nach der Bedienung rufen musste und Jordan schließlich einen lauten Kommentar über ein Beschwerdeschreiben fallen gelassen hatte. Eine Weile saßen sie schweigend über ihre Teller gebeugt und genossen ihr Frühstück.
Jordan sah von ihrem Teller auf. Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht, als sie sich eine von Woodys Erdbeeren stibitzte.
"Hey, was soll das?" Er versuchte, sein kostbares Stückchen Obst zurück zu ergattern, doch Jordan lehnte sich zurück und schob es sich in den Mund. Dann leckte sie provozierend ihre Finger ab. "Hmm..."
Als sie zu einem erneuten Beutezug ansetzte, hob Woody seinen Teller an und brachte ihn außer Reichweite.
"Du wolltest keine Vitamine", meinte er belehrend.
"Och bitte..." Jordan schenkte ihm ein aufgesetztes Lächeln und faltete die Hände auf dem Tisch.
Woody gab nach. "Aber nur eine einzige."
"Winzig klein", bestätigte Jordan und er setzte seufzend seinen Teller zurück auf den Tisch, den er noch immer in der Luft gehalten hatte.
Jordan begutachtete das Arrangement und fischte eine weitere Erdbeere heraus. Verführerisch ließ sie sie unter Woodys Nase hin und her wandern.
"Ist die auch klein genug?"
Woody folgte ihren Fingern mit den Augen und wurde, synchron zu ihrer Hand, immer langsamer. Als Jordan schließlich innehielt, konnte er das kühle Stück Obst an seinen Lippen fühlen. Er sah ihr in die Augen.
'Sie flirtet mit mir', fuhr es ihm durch den Kopf, und er hatte keine Ahnung, wie dünn das Eis war, auf das er sich hier begab. Zaghaft öffnete er seine Lippen. Jordan schob ihm die Erdbeere in den Mund und ließ ihre Finger auf seinen Lippen ruhen. Sie lächelte und zog dann, ohne dass er es wirklich bemerkte, ihre Hand zurück. Woody schluckte und lächelte zurück.
"Danke."
Wieder wendeten sie sich schweigend ihren Tellern zu. Tausend Gedanken schossen Woody durch den Kopf, die er weder greifen noch verstehen konnte. Er wusste nicht, ob das hier gut war. Und er konnte sich nicht annährend vorstellen, was gerade in Jordan vorging.
Diese wusste es selbst nicht genau. Es war ihr einfach in den Sinn gekommen, hatte sich so ergeben. Spontanität dieser Art war sonst nicht gerade etwas, das sie auszeichnete. Aber sie fühlte sich wohl in Woodys Gegenwart. Zum ersten Mal hatte sie nicht das Gefühl, es einem Mann Recht machen oder sich verstellen zu müssen. Woody erwartete nichts von ihr. Er war mit ihr zufrieden, so, wie sie war. Und ebenso war er mit dem zufrieden, was er von ihr bekam. Und doch fühlte sie sich ein wenig schutzlos.
Als sie fertig waren, bat Woody um die Rechnung und bestand darauf, ihren Anteil mit zu bezahlen. Immerhin war dies so eine Art Entschuldigungs-Frühstück gewesen.
Die ersten grauen Schleier durchzogen den Himmel, als die beiden das Diner verließen. Wie selbstverständlich schlug Woody den Weg in Richtung Jordans Appartement ein und Jordan nahm es widerspruchslos hin. Sie hatte einen schönen Morgen mit ihm gehabt, warum sollte er sie nicht auch nach Hause bringen.
"Du solltest dir einen Tag frei nehmen." Woody sah sie von der Seite an. Ihre Müdigkeit war inzwischen nicht mehr zu übersehen.
"Schon geschehen. Ich muss erst morgen wieder ins Institut. Die halbe Belegschaft macht frei. Es ist ja nicht so, als ob uns die Arbeit von den Seziertischen läuft." Sie sah kurz zu ihm auf, während sie weitergingen. "Und du?"
"Ich laufe bestimmt auch von keinem Seziertisch."
Damit entlockte er Jordan das müde Anzeichen eines Lächelns.
"Ich habe mir auch frei genommen. Allerdings nur den halben Tag. Zu viele Akten." Er seufzte.
"Papierkram. Die Freuden des Lebens", stellte Jordan zynisch fest. Woody gab ihr leise Recht. Auch er spürte die Müdigkeit in jedem Knochen und sehnte sich nach ein paar Stunden Schlaf.
Vor Jordans Haustür blieben sie stehen. Jordan suchte ihren Schlüssel heraus und schloss auf.
"Also dann...", meinte sie leise.
Woody nickte und trat einen Schritt zurück. "Also dann."
Er zögerte kurz, entschied sich aber dann es dabei zu belassen und einfach nach Hause zu gehen. Er war schon ein paar Schritte gegangen, als er ihre Hand auf seinem Arm spürte. Er drehte sich zu ihr um.
"Woody...", setzte Jordan und stand direkt vor ihm. Er sah sie fragend an.
Sie zog ihm zaghaft zu sich heran und umarmte ihn dann. Nach einem Moment der Überraschung legte Woody seine Arme um sie und erwiderte den Druck sanft.
"Danke." Sie flüsterte fast.
"Wofür?"
Dafür, dass er für sie da war und sie doch nicht drängte. Dafür, dass er wusste, wann er ihr Spielchen mitspielen konnte und wann es besser war, sich zurückzuziehen. Dafür, dass er nicht zu viele Fragen stellte. Sie wusste nicht, was sie für ihn empfand. Sie fühlte sich wohl mit ihm, und das war etwas Seltenes. Vielleicht würde daraus etwas Stärkeres wachsen, aber das brauchte Zeit. Vor allem in Jordans Welt. Sie ließ ihn wieder los und sah ihn an.
"Für alles", meinte sie schlicht. Und sein Blick sagte ihr, dass er verstand.
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Das Wasser rann sanft über ihre angespannte Haut, perlte von ihren Haaren ab und schien sie einzuhüllen. Der Wasserdampf war angenehm. Er hinterließ einen dünnen Film auf ihrem Gesicht und schien ihre trockene Lunge mit Leben auszufüllen. Nur zögernd drehte sie das Wasser ab und wickelte sich in ein Handtuch.
Seufzend goss sie sich ein Glas Wasser ein. Sie würde nie Schlaf finden. Nicht nach allem, was letzte Nacht geschehen war. Die Geschichte mit Lester Marsh hatte sie schon fast völlig verdrängt. Aber Woody spukte noch immer in ihren Gedanken herum.
Es war doch nur ein Frühstück gewesen. Ein Frühstück unter Freunden, so, wie sie sich schon etliche Male zum Mittag getroffen hatten. Oder auf einen Drink in Max Bar. Ein Frühstück war doch nichts, für das man sich zum flirten traf.
Ohne darüber nachzudenken, griff sie nach einem Block und Stift. Lily hatte ihr einmal gesagt, dass es befreiend sein sollte, wenn man seine Gedanken aufschrieb. Eigentlich war sie ja noch nie ein Fan von Tagebüchern gewesen, aber ein Versuch konnte ja nicht schaden. Also schrieb sie auf, was ihr gerade einfiel. Was sie damals dachte, als sie Woody zum ersten Mal getroffen hatte. Wie er sie mit seinen kleinen Scherzen aufheitern konnte und ihr gleichzeitig manchmal mit seiner Naivität, von der sie wusste, dass sie oft nur gespielt war, den letzten Nerv raubte. Wie es sie damals verwirrt hatte, als sie bei ihm vor der Tür stand und Lily bei ihm zu Besuch war. Und wie dankbar sie ihm dafür war, dass er in Bezug auf den Tod ihrer Mutter so verständnisvoll war. Jordan kam zu dem Schluss, dass sie eine ehrliche Freundschaft mit Woody verband, die sie so noch nie gekannt hatte. Und sie hatte Angst, diese Freundschaft zu verlieren, wenn daraus mehr werden könnte - und sie sich dann doch irgendwann zurückzog.
Drei Blätter lagen vor ihr. Jordan rang kurz mit dem Gedanken, sie zu zerknüllen und wegzuwerfen, entschied sich dann jedoch, sie aufzuheben. Vorerst. Sie kam sich vor, wie ein Teenager, als sie den Block zurück in die Schublade legte. Dann leerte sie das Glas. Der Gedanke, endlich in ihr Bett zu kommen, hatte plötzlich etwas sehr Verlockendes an sich.
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Gegen Mittag erwachte Jordan mit sengenden Kopfschmerzen. Sie kannte das Gefühl. Zu lange gearbeitet, zu wenig Schlaf, zu wenig Flüssigkeit. Sie sollte sich ein Post-it ins Büro hängen um sich selbst an die Vorteile des Wassertrinkens zu erinnern. Oder tragbare Wasserflaschen dabei haben, wenn sie das Institut verließ.
Vorsichtig setzte sie sich auf. Da half nur viel Schlaf. Und den konnte sie erst bekommen, wenn sie wenigstens zwei Tabletten genommen hatte. Benommen tapste sie zum Bad. Ihr Spiegelbild blickte sie erschlagen und vorwurfsvoll an. Und wurde dann nur noch erschöpfter, als sie die leere Packung Kopfschmerztabletten in der Hand hielt.
"Na toll", murmelte sie und streifte sich wie mechanisch eine Jeans und ein Shirt über. Die nächste Apotheke war nur einen Block entfernt. Das würde sie schon schaffen.
Das war jedoch leichter gesagt, als getan. Die Sonne empfing sie mit einer in den Augen stechenden Brutalität, dass nicht einmal die Hand vor den Augen dagegen half. Müde ging sie den Bürgersteig entlang und erreichte das Geschäft.
Die Verkäuferin schob ihr eine Packung hin. Jordan betrachtete sie skeptisch und verzog das Gesicht.
"Ist das alles?"
"Das ist das stärkste Mittel, dass ich ihnen ohne Verschreibung geben darf, Ma'm." Die junge Frau hob entschuldigend die Schultern.
"Und Sie haben nicht zufällig irgendwas Illegales da?"
Ein verständnisvolles Lächeln begleitete das überflüssige Kopfschütteln der Verkäuferin.
"Vielen Dank", meinte Jordan, zahlte, steckte die Packung ein, und verließ den Laden. Als sie die Straße überquert hatte, wurde das Stechen in ihrer Stirn wieder beißender. Sie blieb stehen und zog die Schmerztabletten aus ihrer Hosentasche. Dabei fiel ihre Dienstmarke zu Boden.
"So ein Mist", fluchte Jordan leise und bückte sich, um sie wieder aufzuheben, leicht verwundert, weshalb sie die überhaupt in ihrer Jeans hatte. Dann brach sie sich zwei Tabletten aus der Packung und schluckte sie mit Mühe herunter. Die Sache mit den tragbaren Wasserflaschen wurde immer verlockender.
Jordan hatte die Packung gerade wieder in die Hosentasche zurückgezwängt, als sie jemand am Arm griff und sich brutal eine Hand auf ihren Mund legte. Für einen Moment glaubte sie, ihr Herz würde stehen bleiben, als sie in eine Seitengasse gezerrt wurde. Sie spürte das Klicken von Metall an ihren Handgelenken. Ihr Kopf dröhnte zu stark, als dass sie einen rationellen Gedanken fassen konnte. Und dann wurde ihr schwarz vor Augen. Warum war sie noch bei Bewusstsein? Es dauerte einen Moment, ehe sie begriff, dass man ihr lediglich die Augen verbunden hatte. Sie versuchte orientierungslos und vergeblich, sich zu wehren. Kalte Angst durchströmte sie und ließ keinen Platz für Vernunft. Was geschah hier?
In ihrem Kopf hämmerte es und sie spürte eine Faust oder einen Ellenbogen in ihren Rippen. Ein weiterer Stoß frontal in die Brust schnürte ihr die Luft ab. Die Hand auf ihrem Mund war verschwitzt und ekelerregend. Das nächste, was sie wahrnahm, waren vier Hände, die sie anhoben und in etwas hineinzwängten. Vielleicht ein Kofferraum. Das dumpfe Geräusch einer sich schließenden Klappe und der Geruch nach Benzin bestätigten ihre Vermutung. Wenige Augenblicke später setzte sich das Auto in Bewegung.
Die stechenden Kopfschmerzen, der beißende Benzingeruch und die erdrückende Angst raubten Jordan das Bewusstsein. Sie fiel in ein tiefes, kaltes Loch.
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Seufzend trat Woody am späten Nachmittag aus dem Fahrstuhl und begab sich zu seinem Büro. Die Müdigkeit umhüllte ihn noch immer wie ein Schleier und ließ ihn kurz frösteln. Nach einem kurzen Zögern betrat er sein kleines Reich. Die Akten schienen ihm bereits gehässig entgegen zu grinsen, obendrauf die von Lester Marsh. Mit einem leisen Ton der Unzufriedenheit ließ sich Woody in seinen Sessel sinken. Er musste noch ein paar Formulare ausfüllen und seinen Abschlussbericht schreiben.
Die brünette Assistentin vom Empfang klopfte kurz an und betrat dann sein Büro. Woody sah zu ihr auf.
"Die Staatsanwaltschaft lässt fragen, ob Sie frei für einen weiteren Fall sind."
"Das müssten die doch wissen. Die ganze Welt weiß Bescheid, dass Lester Marsch verhaftet wurde."
"Na ja, die Anfrage geht auch nicht direkt an Sie..." Sie zog ihre Stirn in Falten und schien zu überlegen, wie sie sich ausdrücken sollte. Woody kannte diesen Blick. Das letzte Mal hatte er ihn gesehen, bevor man ihm einen Fall aus der Abteilung 'Ladendiebstahl' aufgedrückt hatte. .
"Oh nein, Anna, nein, nein, nein..." Er hob abwehrend die Hände. "Wenn du keinen hübschen Mordfall für mich hast, dann brauchst du gar nicht erst anfangen. Ich spiele nicht schon wieder Aushilfskraft."
Die junge Assistentin machte ein betretenes Gesicht. "Alle anderen Detectives stecken gerade bis zu den Ohren in Arbeit." Sie ignorierte Woodys ausschweifende Geste über seinen Schreibtisch und den dazugehörigen Blick, der ihr erklären sollte, dass es ihm nicht anders ging.
"Es ist zwar kein hübscher Mordfall, könnte aber durchaus einer werden...", meinte sie, in einem letzten verzweifelten Versuch, ihn für den Fall zu interessieren. Und sie hatte Glück.
"Wie meinen Sie das denn?"
Anna lächelte und gab ein freudiges Glucksen von sich. "Ich wusste auf Sie ist Verlass. Eine Entführung. Leitung drei." Und bevor Woody ihr widersprechend hinterher rufen konnte, war sie auch schon wieder verschwunden. Warum war er auch immer so gutmütig? Seufzend nahm er den Telefonhörer in die Hand und wählte sich in Leitung drei ein.
"Detective Woody Hoyt, Morddezernat, was kann ich für Sie tun?" Er hörte sich an wie eine Verkäuferin aus dem Möbelgeschäft.
"Morddezernat? Ich wollte mit Seargeant Simmons sprechen."
"Das tut mir Leid, der ist momentan krank. Sie werden mit mir Vorlieb nehmen müssen."
"Gut. Hören Sie genau zu. Ich habe ihre Kollegin in Gewahrsam."
Bei Woody läuteten die Alarmglocken. Sofort betätigte er die Aufnahmefunktion des Telefons. Der Unbekannte am anderen Ende der Leitung sprach weiter. "Sie hätten etwas vorsichtiger sein müssen, meinen Sie nicht? Wir verlangen zweihunderttausend Dollar in Bar, oder Sie sehen den Detective nicht wieder. Wir melden uns."
"Okay... Ich gebe ihre Forderung an meinen Boss weiter." Woody atmete tief durch und notierte sich die Forderung. "Und wen... wen genau haben Sie... in Gewahrsam?" Vorsichtig, Woody, vorsichtig. Doch zu spät. Der Unbekannte hatte bereits aufgelegt.
Ein wenig verblüfft legte Woody den Hörer auf, nur, um ihn dann wieder abzuheben und eine Nummer zu wählen. Das Freizeichen ertönte zweimal.
"Sarah McGee", meldete sich eine kühle Stimme am anderen Ende.
"Hey McGee, hier ist Hoyt. Ich bräuchte mal eine Auskunft."
"Schieß los."
"Wurde in den letzten Tagen einer der Police Officers oder Detectives als vermisst gemeldet?"
Er hörte, wie sie etwas in den Computer eintippte. "Hm. Sieht nicht so aus."
"Erschien jemand heute nicht zur Arbeit?"
Erneutes tippen. "Ja. Insgesamt siebzehn. Die meisten von denen sind krank gemeldet und die anderen sind beurlaubt. Ich kann die Liste rüberfaxen."
"Danke."
"Keine Ursache."
"Bye." Woody legte auf. Wenige Sekunden später traf das Fax bei ihm ein. Die meisten Officers auf der Liste waren männlich; nur fünf waren Frauen. Der Unbekannte hatte jedoch deutlich etwas von einer Kollegin gesagt. Und erneut griff Woody nach dem Telefon und wählte die erste Nummer auf der Liste.
Nach fünfzehn Minuten hatte er eine Bestätigung auf seine Vermutung. Keine seiner Kolleginnen wurde vermisst. Sie genossen entweder Sonne, Sand und Ablenkung auf irgendwelchen karibischen Inseln oder quälten sich mit einer Grippe im Bett.
'Spinner', dachte Woody und heftete den Notizzettel mit der kleinen Kassette aus seinem Apparat an das Pinboard hinter sich.
Dann wendete er sich genervt seinem Abschlussbericht zu.
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"Hallo Dr. Macy." Lily nickte ihm zu.
"Lily." Macy bedeutete ihr, kurz stehen zu bleiben. "Haben Sie Jordan heute Morgen schon gesehen? Ich hatte ihr gestern frei gegeben, aber heute brauche ich sie dringend."
Lily zuckte mit den Schultern. "Nein, tut mir Leid. Vielleicht ist sie nur einmal wieder spät dran."
"Ja... Das wird's sein. Wenn Sie hier auftauchen sollte, schicken Sie sie bitte in Autopsie zwei. Danke."
Lily nickte. "Gut."
Doch Jordan tauchte nicht auf. Lily war den ganzen Tag so beschäftigt, dass sie es erst mitbekam, als Garret nach Feierabend bei ihr reinschaute. "Hat sie wenigstens angerufen?"
"Wer?"
"Jordan."
Lily schüttelte den Kopf. "War Sie den ganzen Tag nicht hier? Ich hatte zu viel um die Ohren, ich habe gar nichts mitbekommen."
"Schon gut. Ich schau einfach mal bei Max vorbei."
"Machen Sie das." Lily nickte kurz und seufzte dann.
"Was ist los?", wollte Garret wissen.
"Ich hätte gestern nicht frei machen sollen. Heute morgen hat sich die Arbeit auf meinem Tisch gestapelt."
"Das tut mir Leid", meinte Garret ehrlich. "Machen Sie aber deshalb nicht die halbe Nacht durch. Die Akten sind morgen auch noch da."
"Ja. Das befürchte ich auch."
"Ich mache jetzt Schluss. Wir sehen uns morgen früh." Er lächelte kurz.
"Bis dann", meinte Lily, schon wieder über eine neue Akte gebeugt.
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Das Pogue war nicht besonders stark besucht, als Dr. Macy es betrat. Er ließ seinen Blick über die wenigen Gäste schweifen und entdeckte Detective Hoyt and der Bar. Garret klopfte ihm kurz auf die Schulter. Dann setzte er sich neben ihn und wartete darauf, das Max ihn bemerkte.
"Das Übliche?", meinte dieser, während er ihm bereits eingoss.
"Seh' ich so schlecht aus?" Er leerte das Glas in einem Zug.
"Nur müde und überarbeitet. Jetzt weiß ich auch, wo Jordan sich das immer abschaut", scherzte Max. Dann tauschte er die leere Bierflasche vor Woody gegen eine volle aus.
"Danke." Auch Woody nahm einen großen Schluck.
Garret nickte. "Ja. Heute hätte ich sie gut brauchen können. Wissen Sie zufällig, was mit ihr los war?"
Max machte ein überraschtes Gesicht und auch Woody sah auf. "War sie denn nicht auf Arbeit?"
Garret schüttelte den Kopf. "Nein. Ich habe versucht, sie zu Hause zu erreichen, jedoch ging nur der Anrufbeantworter ran. Sie hatte sich gestern frei genommen, nachdem..." Er warf einen Seitenblick auf Woody und wollte die Geschichte eigentlich nicht wieder aufwärmen.
Max nickte. "Hab' schon davon gehört. Bei mir hat sie sich jedenfalls nicht gemeldet. Aber das kommt ja ab und zu mal vor."
"Seltsam." Garret griff nach der Flasche und schenkte sich selbst nach.
Max schüttelte amüsiert den Kopf. "Da hatten wohl zwei Beamte einen harten Tag."
"Das können Sie laut sagen", murmelte Woody und seufzte.
"Machen Sie sich wegen Jordan mal nicht zu viele Sorgen. Das kennen wir doch von ihr." Max warf ihnen ein Grinsen zu. "Einfach so zu verschwinden, meine ich."
Garret nickte schmunzelnd. Ja, da hatte Max Recht. "Vielleicht ist ihr die Sache mit Lester Marsh doch näher gegangen, als wir dachten und sie gönnt sich mal wieder eine unangekündigte Auszeit."
Oder sie lief mal wieder vor ihren Gefühlen davon, bevor sie überhaupt entstehen konnten, dachte Woody. Vielleicht war das Frühstück am Tag zuvor doch keine so gute Idee gewesen.
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Keiner der drei konnte ahnen, wie es Jordan wirklich ging.
Als sie das erste Mal aufgewacht war, hatte sie weder Zeitgefühl noch Orientierungssinn. Es war dunkel. Zuerst glaubte sie, das läge noch immer an der Augenbinde, doch sie fühlte nichts in ihrem Gesicht. Vorsichtig versuchte sie, ihre Lage einzuschätzen. Ihre Hände waren noch immer gefesselt. Sie fühlten sich so taub und kalt an, dass sie nicht sagen konnte, ob es Handschellen waren oder ein Seil. Ihre Füße? Langsam und von Schmerzwellen durchflutet versuchte sie, sich zu bewegen. Es funktionierte nicht. Man hatte auch ihre Beine gefesselt.
Sie lag auf der Seite und der Boden unter ihr war hart und kalt. Es roch leicht vermodert. Nach einigen Minuten hatten sich ihre Augen noch immer nicht an die Dunkelheit gewöhnt. Vielleicht gab es hier tatsächlich keine einzige Lichtquelle, nicht mal einen Spalt unter der Tür. Ein Keller vielleicht...? Aber die hatten normalerweise Lüftungsfenster.
Die Kopfschmerzen saßen noch immer in ihrer Stirn und hatten sich jetzt auch in ihrem Hinterkopf breit gemacht. Ihre Rippen schmerzten, ob vom Liegen oder den Schlägen, das wusste sie nicht. Jordan hatte einen leichten Schweißfilm auf der Haut. Ihr hautenges Shirt klebte an ihr und die Jeans war unangenehm klamm.
Ganz vorsichtig setzte sie sich auf und tastete um sich. Direkt hinter ihr war eine Wand. Der Putz war ebenso rau wie der Boden und bröckelte an einigen Stellen ab. Langsam rutschte sie an der Wand entlang bis sie nach einem halben Meter an eine weiter stieß. Obwohl der Stein kalt war, schwitzte sie und hatte das Gefühl, in dem Raum zu ersticken. Die Luft war stickig und faulig und verursachte ein starkes Übelkeitsgefühl. Als das Stechen in ihrem Kopf erneut stärker wurde, schloss sie die brennenden Augen und fiel erneut in einen tiefen, dunklen Schlaf.
Ende Teil 1