1. Am Nachmittag
"Au, au, au…", wimmerte Kurt leise, wiederholte die Silbe immer wieder, während er auf seinen blauen, sanft gepelzten Schwanz blickte. "Warum passiert das immer mir?" Er war sonst ein fröhlicher Bursche, zu allerhand Schabernack bereit, vielleicht war das hier eine Strafe Gottes um ein wenig Gerechtigkeit auf Erden widerfahren zu lassen? Erstaunlich, dass er sich für kleine Mutanten interessierte. Kurt war sich sicher, auch sie waren Geschöpfe des Herrn. Aber wenn das hier Humor war, war er draußen. "Aua", wiederholte er mit Nachdruck und erholte sich nur langsam von dem Schock. Er hatte sich fürchterlich erschreckt, als die Mäusefalle mit einem Knall zugeschnappt war und seinen Schwanz einklemmte. Wieso fiel er nur immer auf diese billigen Tricks rein? Darauf wusste er keine Antwort. "Ich wusste, Scheißtag heute", wiederholte er seine dunkle Ahnung, die ihn den ganzen Tag bereits verfolgte. Trotzdem versuchte er mit großer Vorsicht die Falle zu entfernen, wollte nicht noch mehr Schmerz an dieser empfindlichen Stelle verursachen. "Verdammt!"
"Hey Kurt, hier…", rief Katherine ihm zu, lief heran und stockte als sie den Freund in seiner Bredrouille sah. Dann lachte sie. "Ist das geil." Dieses Bild würde ihr niemand glauben, wenn sie davon erzählte. "Warte, bleib so, ich hol die Kamera."
"Nein, warte! Hilf mir lieber. Kitty!", Kurt versuchte sich noch immer von der Mäusefalle zu befreien, allerdings war er zu zimperlich. Jetzt konnte er Katherine nachblicken. Immerhin war der Witz bei jemandem angekommen, er wartete noch. Schließlich gab er auf, sich selbst herauszuholen. Zwar wusste er, dass ein schnelles Aufklappen gefolgt von einem raschen Wegziehen leicht getan wäre, aber er bekam den Bügel nicht richtig zu fassen und unbedarfte Bewegungen schmerzten. Es war ein bisschen wie bei einem Pflaster: jeder wusste, dass man es besser schnell abriss, nur manchen fehlte die Überwindung dazu. "Ich werde aber nicht mit dem Mist posen", warnte er Katherine, welche wieder zurück kam und eine Kamera in den Händen hielt.
"Ach komm, sei kein Frosch", und sie schoss bereits die ersten Fotos von ihm, Kurt Wagner alias Nightcrawler, mit dem Schwanz in einer Mäusefalle eingeklemmt. Übrigens war sie eher eine Falle für große Ratten. Er schnaubte und brummte ungehalten: "Komm endlich und hilf mir." Hatte sie nicht mittlerweile mehr als genug Beweisfotos für sein Dilemma? Eigentlich profilierte sich Kurt gerne vor einem Publikum oder einer Kamera, war ebenfalls für Peinlichkeiten offen, wenn es andere zum Lachen brachte, nur das hier überschritt eine Grenze, die er gerne unangetastet gelassen hätte. Vielleicht würde er in ein paar Stunden oder Tagen auch darüber lachen können, wahrscheinlich, aber im Moment war ihm eher zum Weinen zu mute und er wünschte sich nur ein Ende für seinen armen, gepeinigten Schwanz.
"Bist ja ganz schön wehleidig", stellte Katherine fest, legte aber die Kamera zur Seite und half ihm. Sie ließ sich von seinem wiederholten "Au, autsch, aua" nicht beirren und wenig später war Kurts Schwanz befreit von der hässlichen Mäusefalle und er pustete über die schmerzhaft pochende und eingedellte Stelle. "Ich bin nicht wehleidig. Klemm du mal deinen Schwanz ein, das ist alles andere als schön"
Sie schmunzelte: "In solchen Momenten bin ich froh keinen zu haben", obwohl sie manchmal ein wenig neidisch war. Eine Art dritte Hand wäre in vielerlei Hinsichten ungeahnt praktisch, aber vermutlich fehlte dann noch immer eine Hand genau dann, wenn man sie brauchte. "Wie bist du überhaupt da reingekommen?" Die Antwort war ein ergebenes Stöhnen begleitet von einem ausgiebigen Augenrollen, aber darauf achtete sie nicht, natürlich interessierte es sie brennend und so grinste sie nur über seine Reaktion. "Na komm, erzähl schon." Ein Kopfschütteln war ihm dafür Antwort genug. "Jetzt tu nicht so. Die Welt ist davon nicht untergegangen und solch ein schreckliches Trauma wirst du auch nicht erlitten haben", beschwerte sie sich. Wie oft sollte sie denn noch fragen? Sie war doch so neugierig.
"Frag einfach nicht", sagte er nur und hielt immer noch seine Schwanzspitze fest, "Ist ein beschissener Tag heute." Wäre er doch nur nicht aufgestanden, bereits sein Wecker hatte ihm überdeutlich mitgeteilt, was für ein unliebsamer Tag auf ihn wartete. Hoffentlich war es bald Zeit ins Bett zu gehen und einem neuen Tag entgegen zuschlafen.
