Titel: This Will Make Us Love Again
Autor:
Vesper
Genre:
Drama, Angst, Suspense, Hurt/Comfort, Friendship, Romance
Spoiler:
Kurze Erwähnung von Irene Adler, ohne zu wissen, was zwischen ihr und Sherlock in „A Scandal in Belgravia" vorfallen wird.
Characktere:
Sherlock Holmes, Watson, James Moriarty, Inspector Lestrade, Verena Elisabeth Gatiss (OFC), Mrs Hudson, DI Dimmock, evtl Rose January Tennant (OFC), K-9
Pairing:
John/Verena (angedeutet), Sherlock/Verena, Slash Sherlock/John
Rating:
MA
Anmerkung:
Ich bin ein verdammter Freak und ein verrücktes Fan-Girl. Und ich stehe dazu! Die ersten 5 Kapitel stehen, habe aber nicht den blassesten Schimmer, wohin die Geschichte mich bzw. die Charaktere noch führen wird. Und ja, bitte weist mich in eine Anstalt ein, weil ich der weiblichen Hauptfigur meinen Vornamen geliehen habe.
Inhalt:
Sherlock trifft nach langer Zeit auf seine einstige Liebe. Und James Moriarty.
Disclaimer:
Sherlock Holmes, John Watson, James Moriarty, Inspector Lestrade und Mrs Hudson sind Charaketere, die von Arthur Conan Doyle einst erschaffen wurden. Meine Charaktere basieren auf der Neuinterpreation für die BBC Serie „Sherlock" von den Schreibgöttern Steven Moffat und Mark Gatiss. Good Night, Vienna.
Worte:

~1~

The Return of Pain & Love

"Lestrade ist im Anmarsch."

Sherlock sah von seiner Zeitung auf und schaute durch das Fenster am Tisch im Wohnzimmer hinaus auf die Straße.

"Und er ist nicht allein," bemerkte John.

Sherlock verschwendete keinen zweiten Blick nach draußen, ging er doch in der Annahme, dass John damit Sally Donovan meinte.

Die Frau aber, die Lestrade im Schlepptau hatte, war nicht Sally Donovan. So viel stand fest. John kannte die Frau nicht und hatte sie auch nie bei Scotland Yard gesehen. Viel zu neugierig jetzt um weiter lesen zu können, legte John auch seine Zeitung zur Seite und stand auf, um Lestrade und der Frau die Tür zu öffnen.

Sherlock verschwand derweil in sein Schlafzimmer um sich in Windeseile aus seinem Schlafanzug und Morgenrock zu schälen um endlich an diesem bereits fortgeschrittenen Tag in eine schwarze Stoffhose und ein violettes Seidenhemd zu schlüpfen. Als er zurück ins Wohnzimmer kehrte, hatte John DI Lestrade und die ihnen bisher unbekannte Frau bereits in Empfang genommen.

Sherlock knöpfte sich im Gehen noch die letzten Knöpfe seines Hemdes zu, und als er schließlich aufblickte, um Lestrade zu begrüßen, konnte John an ihm eine für ihn untypische Reaktion beobachten; Sherlock blieb abrupt stehen und hielt einige Sekunden lang perplex inne. John rechnete jeden Augenblick damit, Sherlocks Mund offen fallen zu sehen.

Lestrade räusperte sich leise. „Mr Holmes, Mr Watson," sagte er an die beiden Herren gerichtet. „Darf ich Ihnen DI Verena Gatiss vorstellen?" Sie ersetzt ab sofort Sally Donovans Posten in meiner Abteilung."

„Wann wird Donovan denn Andersons Kind werfen?" warf Sherlock ungeniert dazwischen, ohne Verena aus den Augen zu lassen, die wie Diamanten funkelten.

„Sherlock!" entfuhr es John entsetzt. „Reiß dich zusammen!"

„Wie um alles Willen haben Sie das schon wieder heraus gefunden?" fragte Lestrade. „Nicht einmal Anderson weiß davon."

Verena, die nicht wusste, wie ihr geschah, räusperte sich kurz. Sie hatte keine Zeit und Lust dem demütigenden Gespräch über ihre Vorgängerin zuhören zu müssen.

„Bitte entschuldigen Sie, Gatiss." Lestrade machte einen kleinen Schritt zur Seite, so dass Verena jetzt gänzlich in Erscheinung trat.

„Freut mich sehr, Ms Gatiss." John wollte Gatiss die Hand reichen, aber die kleine, dunkelhaarige Frau verharrte, ihren Blick starr auf Sherlock gerichtet, vollkommen bewegungslos.

„Kennen Sie sich?" fragte Lestrade, als ihm das ungewöhnliche Verhalten von Sherlock und seiner Mitarbeiterin auffiel.

„Ich bin mir nicht ganz sicher," antwortete Sherlock, ohne den Blick von Gatiss zu nehmen.
„Verena ist ein deutscher Vorname, doch Sie müssen britische Staatsbürgerin sein, damit Sie für New Scotland Yard arbeiten dürfen."

„Sherlock," sagte John beinahe knurrend, der ahnte, worauf das ganze hinaus laufen würde, wenn er Sherlock jetzt nicht stoppen konnte. Und er wollte verhindern, dass Gatiss Opfer seiner rüden Art wurde, die er leider viel zu oft an den Tag legte.

Doch Sherlock ließ sich nicht beirren.

„Da Ihr Ringfinger deutlich den Abdruck eines bis vor kurzem getragenen Ringes aufweist, vermute ich, dass Sie bis vor einigen Wochen noch verheiratet waren. Gatiss ist ein typisch englischer Familienname, also haben Sie entweder den Namen Ihres Ex-Mannes behalten, oder wieder Ihren Mädchennamen angenommen. Bei Ihrem selbstbewussten Auftreten vermute ich Letzteres, was mich wiederum zu der Tatsache führt, dass Ihr Vater Engländer ist und Ihre Mutter Deutsche. Daher der Vorname."

Gatiss hielt Sherlocks bohrenden Blick stand. Ein aufgeregtes Kribbeln breitete sich in ihrem Bauch aus, verbunden mit leichter Übelkeit, die sich nur dadurch erklären ließ, dass Gatiss vollkommen überwältigt war, Sherlock Holmes nach all den Jahren wieder zu sehen. Ein Erlebnis, von dem sie bis soeben noch überzeugt war, dass es in ihrem Leben niemals mehr geschehen würde, so sehr sie sich das manchmal auch gewünscht hatte. Lestrade hatte ihr lediglich mitgeteilt, dass sie einen Consulting Detective aufsuchen würden und dieser Begriff hatte Gatiss unfreiwillig ein lautes Lachen entlockt. Alle Kollegen in der Abteilung sprachen vom sogenannten „Freak"und sie fragte sich, warum man eine fremde Person zur Beratung hinzu zog, wenn man von ihr als Menschen keine hohe Meinung hatte. Aber jetzt stand sie tatsächlich vor dem leibhaftigen Sherlock Holmes und die Frage löste sich wie in Luft auf.

Ein fast unmerkliches Grinsen stahl sich auf Gatiss Gesicht.

„Bis auf zwei Ausnahmen stimmen all ihre Beobachtungen, Mr Holmes."

Sherlock rechter Mundwinkel zuckte leicht. Gatiss hatte das Wort „Beobachtungen" in den Mund genommen, dass Sherlock schon bald nach Beginn seiner Arbeit als Consulting Detective gegen „Deduktion" ausgetauscht hatte. Aber woher sollte sie das wissen?

John und Lestrade, die das Schauspiel stillschweigend beobachteten, blieb die eigenartige Atmosphäre, die innerhalb weniger Sekunden zwischen Gatiss und Sherlock entstanden war, nicht verborgen. Lestrade warf dem Kriegsveteranen einen fragenden Blick zu, doch John zuckte ahnungslos mit den Schultern. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, warum in Himmels Namen, diese Frau plötzlich dermaßen Sherlocks Aufmerksamkeit erregte.

„Helfen Sie mir auf die Sprünge," bat Sherlock.

Johns Kopf flog mit einem Ruck Richtung Sherlock. Hatte er das richtig verstanden? Zuerst lag Sherlock mit einer seiner Beobachtungen falsch, und dann bat er das Objekt seiner Deduktion auch noch um Aufklärung?

„Mein Ex-Mann ist eine Frau," kam Gatiss Sherlocks Bitte ohne Umschweife nach und klärte seinen ersten Irrtum auf.

John brach in Gelächter aus, und als er Gatiss' ernsten und vorwurfsvollen Blick begegnete, riss er sich ganz schnell wieder zusammen.

„Entschuldigen Sie bitte, Ms Gatiss," sagte John und musste an Sherlocks Deduktionen im Taxi zu Harry denken, als sie gerade auf dem Weg zu ihrem ersten gemeinsamem Fall waren. Selbst Sherlock konnte sich also nicht von einem gewissen Maß an Schubladendenken freisprechen.

„Ich habe nicht über die Tatsache gelacht, dass Sie lesbisch sind. Meine Schwester ist auch lesbisch. Verstehen Sie mein Gelächter eher als einen Insiderwitz zwischen Sherlock und mir." John hoffte damit die Wogen wieder geglättet zu haben.

„Nun denn, Mr Watson," antwortete Gatiss. „Entschuldigung angenommen. Trotzdem bin ich nicht lesbisch."

„Wie auch immer," unterbrach Sherlock die beiden und Gatiss' letzte Bemerkung ging unter. „Was wäre die zweite Sache, Ms Gatiss?"

„Ich habe meinen Mädchennamen auch während der Ehe getragen," infomierte sie ihn.

Sherlock nickte und reichte ihr schließlich die Hand.

„Anderes habe ich auch nicht erwartet."

Was sollte das nun schon wieder heißen? John schloss sich dem Einruck Lestrades an, denn auch er hatte jetzt das Gefühl, dass Sherlock und Gatiss sich bereits kannten.

„Nun, da Sie beiden sich ja jetzt sehr einseitig vorgestellt haben, können wir uns doch bitte dem eigentlichen Grund unseres Besuches widmen," warf Lestrade ein, bevor das Gespräch wieder einen anderen Weg einschlagen konnte.

„Worum geht es?" fragte John den DI, und sprang ihm somit zur Seite, um das Gespräch auf Kurs zu bringen.

„Ms Gatiss," sagte Lestrade streng, dem nicht entgangen war, dass sie Sherlock immer noch anstarrte.

„Wären Sie so freundlich, Mr Holmes und Dr. Watson in den aktuellen Stand der Ermittlungen einzuweihen?"

Beim Klang ihres Namens zuckte Gatiss kurz zusammen und wirkte kurzzeitig wie aus einem Tagtraum gerissen. In all den Jahren hatte Sherlock sich tatsächlich die Fähigkeit erhalten können, die Menschen mit dem kalten Blick seiner blauen Augen in den Bann zu ziehen. Mit einer ungelenken Bewegung fischte sie aus der Tasche ihrer funktionalen Allwetterjacke einen kleinen Notizblock.

Die flapsige Bewegung entging Sherlock keinesfalls und entlockte ihm ein Grinsen. Er konnte sich gut an die vielen kleinen Unfälle erinnern, die durch Gatiss' große Tollpatschigkeit verursachte worden waren. Ein Grund, warum Sherlock ihr damals den Zutritt zu seinem Chemielabor im Herrenhaus seiner Eltern verboten hatte. Seitdem sie sich das letzte Mal über dieses in ihren Augen überflüssige und alberne Verbot beschwert hatte, waren fast siebzehn Jahre vergangen. Damals war sie einfach aus seinem Leben verschwunden, ohne sich jemals von ihm verabschiedet zu haben.

„Im Battersea Park hat man heute morgen die Leiche einer jungen Frau gefunden," erklärte Gatiss, nachdem sie einen Blick in ihre Notizen geworfen hatte. „Ihre Verletzungen tragen die gleiche Handschrift wie die Verletzungen zweier toter Frauen, deren Leichen bereits vier und acht Wochen zuvor im Regents und im Hyde Park gefunden wurden."

Sherlock, John und Lestrade hörten ihr aufmerksam zu und Gatiss war es plötzlich unangenehm, von gleich drei Männer umgeben zu sein. Sie hatte kein Problem mit dem männlichen Geschlecht und bevorzugte das unkomplizierte Arbeitsklima in DI Lestrades Abteilung, in der sie die einzige weibliche Mitarbeiterin war. Nur selten wünschte sie sich eine weibliche Kollegin, damit sie sich nicht immer einsam und verloren fühlen musste, wenn es auf der Arbeit mal langweilig wurde und sie sich gerne, ähnlich wie ihre männlichen Artgenossen, über ein für sie interessantes Thema unterhalten wollte. Aber manchmal, wirklich nur manchmal, auf zu engen Raum mit ihr zu vielen unbekannten Männern, spielte ihr das Unterbewusstsein einen Streich und Angst ergriff Besitz von ihr, obwohl ihr Gehirn, trainiert auf rationales Denken, es besser wissen müsste. Und genausowenig, wie sich ein Mediziner selbst behandeln sollte, war Verena als Psychologin nicht fähig, sich selbst zu therapieren.

„Alle drei Frauen wurden vergewaltigt und anschließend die Kehlen durchgeschnitten. Der Täter hängte seine Opfer kopfüber an Bäume und die ließ sie qualvoll ausbluten, bevor er ihnen römische Ziffern in den Bauch ritzte."

Gatiss senkte den Blick und hätte beinahe die vielen Silben des Wortes „Vergewaltigung" verschluckt. Aber der deutsche Akzent, den sie nach Belieben mal stärker mal weniger stark an den Tag legen konnte, rettete sie und so erweckte das winzige Stolpern in ihrer Stimme den Eindruck eines noch so eben geretteten Aussprachefehlers.

„Der London Park Schlächter," sagte John und Gatiss nickte. John hatte in der Zeitung von den Morden gelesen, und da Sherlock an diesen Fällen keinerlei Interesse zeigte, war er davon ausgegangen, dass Lestrade und sein Team alleine mit der Aufklärung zurecht kämen.

„Er hinterlässt keine Spuren am Tatort. Weder DNS noch Fingerabdrücke," fuhr Lestrade fort. „Dr. Gatiss hat anhand der wenigen Informationen, die uns zur Verfügung stehen, ein Täterprofil erstellt."

Dr. Gatiss? Sherlock zog überrascht eine Augenbraue hoch. Natürlich wusste er, dass Gatiss studiert hatte, aber dass sie es sogar zu einem Doktortitel gebracht hatte verwunderte ihn, hatte sie doch stets betont, auch ohne einen akademischen Grad leben zu können. Anscheinend war es ihr doch nicht gelungen, die Rebellion gegenüber ihrem konservativen Vater in allen Belangen durchzusetzen. Das ließ ihn an seinen eigenen Vater denken und daran, dass er und Gatiss sich ohne die Freundschaft der beiden Patriarchen ihrer Familien niemals kennen gelernt hätten.

„Unser Täter ist zwischen 25 und 60 Jahre alt. Er ist weder verheiratet, noch hat er eine Familie, denn Familienväter können sich in der Regel dem Risiko nächtlicher Aktivitäten nicht aussetzen, ohne dass es dem Partner irgendwann auffallen würde. Da die Morde alle bei Nacht geschahen, muss unser Täter einer geregelten Arbeit bei Tag nachkommen oder er ist arbeitslos. Bei dem Täter handelt es sich um einen Mann, was die Vergewaltigungen deutlich beweisen. Nicht zu unterschätzen ist die religiöse Komponente dieser Morde. Dass die Frauen an den Beinen an Bäumen aufgehängt und ihnen schließlich die Kehlen aufgeschlitzt wurden, spricht für religiösen Wahn."

„Es ist, als würde der Mörder die Frauen opfern." Lestrade klang angewidert.

„Und das wollen Sie alleine aus der Tatsache schließen, dass den Frauen die Kehlen durchgeschnitten wurden?" fragte Sherlock.
Wie auf ein Stichwort hin zog Lestrade einige Tatortfotos aus einer großen, ledernen Mappe, die er bei sich trug. „Sehen Sie sich das an," forderte er Sherlock auf und drückte ihm die Aufnahmen in die Hand.

John gesellte sich zu seinem Freund und schaute sich ebenfalls die Fotos an.

„Wie Sie sehen können, ähneln die Tatorte Opferaltären, wie man sie aus Afrika von einigen muslimischen Beduinenfamilien kennt," erläuterte Gatiss.

„Nur, dass die Ziegen hier durch Frauen ersetzt werden," bemerkte Lestrade.

„Die Tatsache, dass es sich um einen muslimischen Afrikaner handeln könnte, erschwert die Suche nach unserem Täter erheblich," fuhr Gatiss fort.

„Wie das?" meldete sich John zu Wort.

„Afrika bedeutet, dass wir nicht sagen können, ob es sich bei dem gesuchten Mann mit heller oder dunkler Hautfarbe handelt." Lestrade hatte beinahe die Worte „schwarzer oder weißer Mann" in den Mund genommen, im letzten Augenblick aber noch die Kurve bekommen. Er scherte sich nicht besonders um Political Correctness. Schon gar nicht in Sherlocks Anwesenheit, doch seitdem Verena Gatiss, eine Halbdeutsche, in seinem Team Mitglied war, verspürte Lestrade den Drang, sich wesentlicher taktvoller und überlegter zu verhalten.

Gatiss strahlte, trotz ihres plumpigen und merkwürdigen Auftretens manchmal, eine Eleganz und Erhabenheit aus, ohne dabei arrogant zu wirken, die Lestrade magisch anziehend fand. Vielleicht lag es an ihren stark ausgeprägten deutschen Eigenschaften, wie Pünktlichkeit, Höflichkeit, Zuverlässigkeit, Verschwiegenheit, Ruhe und Gelassenheit. Jedenfalls hatte sie frischen Wind ins Morddezernat von NYS London gebracht und alle männlichen Kollegen mutierten plötzlich zu regelrechten Gentlemen.

„Und wie kann ich Ihnen dabei behilflich sein?" Sherlock blickte erst fragend Gatiss und dann Lestrade ins Gesicht.

„Sherlock," brach es erneut aus John heraus. In seiner Stimme schwang die Verwunderung mit, die Lestrade nun mit seiner fassungslosen Miene zum Ausdruck brachte. War der große Sherlock Holmes tatsächlich gerade dabei, die Teilnahme an der Aufklärung dieser Morde abzusagen? John ahnte ja gar nicht, dass Sherlock in der Tat dies vor hatte, und seine folgende Erklärung nur vorgeschoben war.

„Dr. Gatiss hat mit ihrem Täterprofil bereits alle wichtigen Deduktionen geleistet. Es liegt jetzt nur noch an New Scotland Yard den Täter zu finden und dingfest zu machen."

„Bei allem Respekt, Mr Holmes," sagte Gatiss energischer, als sie es beabsichtigt hatte. „Aber ich hatte mir eigentlich mehr von Ihrer Konsultation erhofft. Ich glaube nämlich nicht, dass mein Täterprofil uns dabei helfen wird, den Mörder zu finden. Es ist mehr unvollständig, weil..."

„Weil der Mörder und seine Taten sich Ihren intellektuellen Fähigkeiten entziehen?" unterbrach Sherlock sie und erntete für seine unangebrachte Aussage einen Stupser in die Rippen von John.

„Weil ich nicht in der Lage bin, die Morde in einen zeitlichen Kontext zu stellen und somit keine verlässliche Vermutung anstellen kann über den Zeitpunkt des nächsten Mordes."

„Warum denken Sie, dass es noch einen Mord geben wird?" wollte John wissen.

„John," stieß Sherlock frustriert aus. „Die römischen Ziffern, die der Täter in die Unterleibe seiner Opfer geritzt hat, zeigen die Anzahl der Opfer an. Opfer eins und zwei trugen die Nummern fünf und vier. Das Opfer von heute Nacht die Nummer drei. Der Täter zählt rückwärts, also müssen wir uns in den nächsten acht Wochen auf noch mindestens zwei weitere Opfer einstellen."

„Brillant," antwortete John, und Gatiss fragte sich, ob dieser unscheinbare Mann, den sie äußerst attraktiv fand, den Täter meinte oder Sherlocks Schlussfolgerung. Immerhin hatte sie mehr als drei Tage gebraucht, um nach dem zweiten Mord die Bedeutung hinter den römischen Ziffern zu erkennen.

„Wochen stimmt," mischte Lestrade sich wieder in das Gespräch ein. „Zwischen den Morden lagen bisher immer exakt vier Wochen."

„Wenn Sie das wissen, Lestrade, warum postieren Sie dann nicht in vier Wochen in allen größeren Parks in London ihre Männer, damit diese die Gebiete überwachen können?" Sherlock zog diesmal beide Augenbrauen hoch.

„Ich habe nicht das Personal dafür. Und wer garantiert mir, dass unser Täter sich an das vier Wochen Muster halten wird? Ich brauche stichfestere Anhaltspunkte."

„Der Mörder wird sich an die vier Wochen halten," sagte Sherlock. „Das verspreche ich Ihnen."

„Woher wollen Sie das so genau wissen?" Gatiss war ganz Ohr, welche Erklärung Sherlock für seine Überzeugtheit zu bieten hatte.

„Weil die Morde immer in der Vollmondnacht geschahen."

Natürlich! Warum war sie nicht von alleine darauf gekommen? Gatiss verspürte den Wunsch, sich selbst eine schallende Ohrfeige zu verpassen.

Sherlock fuhr unbeirrt fort. „Opferrituale finden immer bei Vollmond statt." Und ich bin enttäuscht, dass dir dieses Detail entgangen ist, fügte er in Gedanken an Gatiss gerichtet hinzu. Er vermied es, diesen Gedanken laut zu äußern, da er sich und Gatiss nicht verraten wollte.

Sherlock überreichte Lestrade wieder die Tatortfotos. „Jetzt dürften Sie alle nötigen Informationen beisammen haben, um den Täter fassen zu können," sagte Sherlock und machte Anstalten, sich in die Küche zurück zu ziehen. Doch Gatiss machte ihm einen Strich durch die Rechnung, in dem sie ihren Hand auf Augenhöhe an den Türrahmen legte und somit Sherlock den Weg versperrte.

„Was ist mit dem Tatort," fragte sie ihn. „An welchem Ort wird er als nächstes morden?"

Ihr Atem strich über sein Gesicht und für ein paar Sekunden musste Sherlock die Augen schließen, froh darüber, dass er mit dem Rücken zu John und Lestrade stand, und sie seine ungewöhnliche Reaktion nicht beobachten konnten. Gatiss war ihm so nah. So unglaublich nah. Ihre Gesichter trennten nur Zentimeter. Sherlock musste schwer schlucken, um seine Fassung in Schach zu halten. Es war zu einfach, zu verlockend, Gatiss entweder in die Arme zu schließen, um ihr zu zeigen, wie glücklich er darüber war, sie nach der ganzen Zeit wieder zu sehen, oder ihr verbal all die Wut und Verachtung an den Kopf zu werfen, die sich seit ihrem Verschwinden in ihm angestaut hatte.

„Sherlock, wir wären Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie uns noch etwas zum nächsten Tatort zu sagen hätten." Lestrade Stimme riss Sherlock wieder aus seinen Gedanken. Er öffnete seine Augen wieder und drehte sich zu dem DI um.

„St. James Park oder Victoria Park;" antwortete er simpel und Lestrade nickte.

„Danke. Gatiss, los. Wir müssen jetzt die Vorbereitungen für die Observation beider Parks treffen."

Ohne Sherlock eines abschließenden Blickes zu würdigen, schlug Gatiss den Weg Richtung Hausflur ein. Im Vorbeigehen schenkte sie John ein Lächeln, welches er gerne erwiderte. Als Lestrade und Gatiss schließlich die Baker Street 221 B wieder verlassen hatten, wandte sich John an Sherlock, der inzwischen Platz am Küchentisch genommen hatte.

„Was war das denn?"

„Ich weiß nicht, was du meinst," antwortete Sherlock und verfluchte sich im gleichen Augenblick für diese taktisch ungeschickte Antwort.

„Sherlock, ich bitte dich!" John ließ sich gegenüber Sherlock ebenfalls am Küchentisch nieder.

„Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock, dass du und Gatiss bereits miteinander bekannt seid."

„Und wenn schon."

„Und wenn schon?" fragte John ungläubig, dem die Wortwahl seines Freundes sichtlich amüsierte. Sherlock klang wie ein beleidigtes, kleines Kind.

„Sherlock, was ist das zwischen dir und DI Gatiss?"

Sherlock senkte seinen Kopf und starrte die Teetasse vor sich an. Es würde keinen Sinn machen, John die Wahrheit zu verschweigen. Mit der Zeit würde er seine ganz eigenen Schlüsse ziehen, und jetzt, da Gatiss für Lestrade arbeitete, würden sich ihm dafür viele Möglichkeiten bieten.

„Verena war die einzige Freundin, die ich jemals hatte." Es war das erste Mal in siebszehn Jahren, dass Sherlock wieder ihren Vornamen in den Mund genommen hatte.