Disclaimer: Artemis Entreri ist eine Romanfigur von R. A. Salvatore und gehört zu den Büchern von Forgotten Realms. So wie einige weitere Romanfiguren oder Orte, die in dieser Geschichte auftauchen oder auftauchen werden.
Als ich jünger war, kannte ich die Antworten auf alle Fragen. Ich lebte in einer Welt der Sicherheiten und Gewissheiten. Jetzt, da ich älter bin, jetzt, da ich vier Jahrzehnte an mir habe vorüberziehen sehen, ist das Einzige, was ich mit Gewissheit weiß, dass ich nichts mit Gewissheit weiß.
Als jungen Mann von zwanzig erschien es mir so viel einfacher, durch die Welt zu gehen und das Leben auf ein Ziel auszurichten, das ...
Das wohl Hass war, nehme ich an, und zugleich das Verlangen, der Beste innerhalb meiner düsteren Zunft zu sein. Das war mein Ziel: der größte Krieger der ganzen Welt zu werden, mein Namen in die Geschichte von Faerûn einzubrennen. So viele Leute glaubten, ich würde dies aus simplen Stolz anstreben, dass ich aus reiner Eitelkeit wollte, dass man bei der bloßen Erwähnung meines Namens erschauert.
Der Weg, der vor mir liegt, ist lang und voller Gefahren, aber ich habe mein Ziel vor Augen. Wenn ich es erreiche, kann mich nichts mehr wirklich verletzen.
Artemis Entreri (Auszug aus "Der schwarze Zauber")
THE PAST
1. Kapitel
Familienglück
Ein lauter Schrei ließ Beron aufschrecken. Der Mann drehte seinen Kopf und sah zurück in die spärlich beleuchtete Hütte, aus der soeben der Schmerzensschrei seiner Frau zu hören war. Er wollte zurück und ihr helfen, aber die Hebamme hatte ihn soeben des Zimmers verwiesen. Adala, seine Ehefrau war schwanger und vor einigen Stunden hatten sich die ersten Wehen angekündigt. Für dieses große Ereignis gelang es sogar Beron in den letzten sieben Monaten von seinem kläglichen Lohn einige Münzen zur Seite zu legen, um die Geburt seines ersten Kindes unter fachmännischer Aufsicht über die Bühne gehen zu lassen. Doch die ganze Situation schien den Mann mit dem kurzen schwarzen Haar und den grauen Augen zu überfordern. Er hatte sich so sehr auf das erste Kind gefreut, aber es ließ ihm einfach keine Ruhe, solang er seine Frau in ihrem Zimmer schreien hörte. Nervös lief er auf und ab, aber immer in der Nähe des Eingangs zur der Hütte. Und über eine halbe Stunde musste er warten, bis er die erlösenden Worte vernahm.
"Das Kind ist da", rief die Hebamme nach draußen, in die sternenklare Nacht.
Sofort stand Beron in der Tür und sah Adala in ihrem Bett liegen mit einem Säugling auf dem Arm. Auf seinem Gesicht erschien ein strahlendes Lächeln und er lief zu seiner Frau hinüber. Beide schauten sich an.
"Es ist ein Junge", flüsterte Adala erschöpft. „Wir haben einen Jungen, freust du dich Beron?"
"Und wie ich mich freue, endlich sind wir unsere eigene kleine Familie. Und ich werde diesen Jungen Artemis nennen", antwortete Beron.
"Artemis Entreri, der erste Sohn von Beron und Adala", sprach Adala und küsste sanft das Kind auf seine Stirn.
"Falls sie Hilfe benötigen meine Dame, dann lassen sie einfach nach mir rufen. Meine Arbeit ist getan und ich gratuliere ihnen zu ihrem Sohn", sagte die Hebamme.
Der Mann schaute zu der älteren Frau auf und nickte ihr höflich entgegen. Seine Frau Adala ließ ein freundliches Lächeln auf ihrem Gesicht erscheinen und nickte ebenfalls. Beron sprang vom Bett auf und lief hinüber zu einer kleinen Tonvase und griff mit seiner Hand hinein. Heraus zog er zwei Silbermünzen und überreichte sie der Hebamme.
"Ich danke euch für eure Hilfe. Hier habt ihr euren Lohn".
Die ältere Frau nahm die Silberstücke in ihre eigene Hand und ließ sie in einer Tasche ihrer Schürze verschwinden. Dann lächelte sie sanft und verließ gleich darauf das Zimmer, um die Familie in ihrem Glück alleine zu lassen.
Am nächsten Tag hatte das Haus Entreri Besuch von Beron's Bruder Nitos. Er war der einzig noch lebende Verwandte der kleinen Familie, nachdem vor vielen Jahren ihr Vater und Mutter an Altersschwäche gestorben waren. Beide Brüder hatten es seit dem nicht leicht. Sie besaßen einst ein eigenes Haus, doch es wurde nach dem Tod der Eltern durch einen Brand dem Erdboden gleichgemacht. Nur einige Zeit später fanden sich beide in dieser schäbigen Hütte mit einem Zimmer im Hafenviertel wieder, die am Rand der Stadt Memnon lag und die ihnen anfangs ein Dach über dem Kopf bot. Doch die Zeiten änderten sich und nachdem die Eltern nicht mehr waren, zog es Nitos hinaus. Er schloss sich einer Bruderschaft des Glaubens an und lebte seitdem am anderen Ende der Stadt. Nur Beron blieb hier zurück und heiratete Adala, doch das war schon mehr als fünf Jahre her. Er verdiente sein Geld als Tagelöhner während seine Frau als Schneiderin tätig war. Das Glück schien für beide geradezu perfekt und es wurde in der letzten Nacht durch die Geburt von Artemis noch bereichert. Auch wenn sie arm waren, störte es sie nicht.
Nitos betrat soeben das spärlich eingerichtete Zimmer seines Bruders und wurde von einer lächelnden Adala empfangen.
"Ich freue mich, dass du uns besuchen kommst. So kannst gleich deinen Neffen kennen lernen", begrüßte ihn die immer noch erschöpfte Frau.
"Ich freue mich ebenfalls euch zwei einmal wieder zu treffen. Zeig mir mal den kleinen Racker. Hat er schon eine Namen?", lächelte Nitos Adala an und ging zielstrebig auf den Säugling zu, der in einer behelfsmäßigen Wiege neben dem Bett ruhig schlief.
"Er heißt Artemis", flüsterte Adala, um ihren Sohn nicht zu wecken.
Im gleichen Moment trat nun auch Beron zu den zweien in die schäbige Hütte. In einem Sack, der über seine Schulter geworfen war, hatte er einige lebensnotwenige Lebensmittel wie Mehl, Eier und einige Früchte verstaut. Er ging hinüber zu dem einzigen Tisch im Raum und leerte den Inhalt darauf hinaus.
"Wenn es so weiter geht, dann knöpfen mir die Händler wirklich noch mein letztes Hemd ab", schimpfte er ärgerlich und murmelnd vor sich hin.
"Aber, aber Bruder … wer wird denn gleich seinen Kopf in den Sand stecken. Du hast jetzt Familienzuwachs, das könnte dich schon fröhlicher stimmen".
"Du hast ja Recht Nitos", sagte Beron und stand plötzlich neben dem hageren Mann mit einer weiten braunen Robe und beide Männer umarmten sie herzlich.
Zwei weitere Stunden unterhielt sich der frischgebackene Vater mit seinem Bruder, wobei Adala versuchte, ein einfaches Essen auf den Tisch zu zaubern. Sie war zwar noch sehr schwach, aber sie war eine starke Frau die immer ihrer Arbeit nachkam, so schwer und krank sie auch war. Sie selbst stammte aus ärmlichen Verhältnissen und war von Kindesbeinen an harte Arbeit gewöhnt. Und als vor fünf Jahren Beron um ihre Hand angehalten hatte, fühlte sie sich wie im siebten Himmel. Sie dachte daran, dass nichts und niemand ihre Liebe zu dem Mann zerstören könnte. Artemis würde die kleine Familie noch mehr zusammen schweißen. Außerdem war sie sich sicher, dass Beron sich durch seine kleine Krise nicht aus der Bahn werfen lassen würde. Er hatte es immer schon geschafft etwas Geld mit nach Hause zu bringen, auch wenn es nie viel war. Diesmal würde es genauso sein, das glaubte sie. Adala's Mann war das Oberhaupt ihrer kleinen Familie und irgendwie ging es immer weiter, so wie die ganzen Jahre zuvor. Außerdem würde sie so schnell wie möglich ihre Arbeit wieder aufnehmen.
Nach der Geburt von Artemis verfinsterte sich jedoch langsam der Horizont über der kleinen Hütte im Hafenviertel und über die Familie von Beron. Nur einige Monate nachdem Beron wieder Arbeit gefunden hatte und er sich als Träger von Kisten und Gepäckstücken das Geld im Hafen verdiente, strafte ihn eine schwere Krankheit. Beron bekam starke Schmerzen und litt unter Rückenproblemen. Denn er hatte bereits über vier Jahrzehnte hinter sich gelassen und seine geschundenen Gelenke versagten langsam ihren Dienst.
Zur gleichen Zeit arbeitete Adala wieder als Schneiderin. Aber leider reichte ihr Lohn auch nur gerade so, dass die Familie täglich eine warme Mahlzeit auf ihren Tisch hatte. Doch für ihren Sohn tat Adala alles, selbst wenn es bedeutete, dass sie nur einen halben Teller Eintopf aß, statt einen ganzen zu sich zu nehmen.
Die Monate gingen ins Land und wurden zu Jahren. Das Schicksal der Familie Entreri wurde zu einer Katastrophe. Mittlerweile war Artemis bereits fünf Jahre alt. Er war ein kleiner schlanker Junge mit schulterlangen schwarzen Haaren und grauen Augen und ähnelte jeden Tag äußerlich mehr seinem Vater. Auch wenn Beron immer noch versuchte für den Lebensunterhalt von Adala und seinem Sohn aufzukommen, verlor er schneller als ihm lieb war, eine Arbeit nach der anderen. Der Lohn seiner Frau wurde auch immer knapper und es gab sogar Tage, an denen die Familie kein Essen auf dem Tisch stehen hatte. Was allerdings Adala nicht wusste, Beron hatte begonnen, heimlich das Geld von seiner Arbeit zu versaufen. Er brachte statt drei Kupferstücke meist nur eins nach Hause, während er die anderen zwei in einer Taverne im Hafen gelassen hatte.
Artemis begann auch allmählich seiner Mutter zu helfen, wenn er sie manchmal zum Basar begleitete, wo sie versuchte einige ihrer eigenen Handwerksarbeiten an die Bevölkerung von Memnon zu bringen. Mit seinen jungen Jahren hatte der Junge eine recht schnelle Auffassungsgabe, wie sich Adala eingestehen musste, denn er wusste genau, wie er die Frauen anzuschauen hatte, dass sie zumindest ein besticktes Taschentuch aus der Arbeit seiner Mutter für kaum weniger als eine Messingmünze abkauften.
Einige Wochen nach Artemis sechsten Geburtstag kam der Abend, der alles im Leben von Artemis Entreri veränderte. Auch wenn seine Eltern arm waren, war die kleine Familie immer noch glücklich gewesen.
Artemis lief gerade die lange und staubige Straße entlang. In der Luft roch er die Seeluft, die durch eine leichte Brise aus dem Westen in die Stadt geweht wurde. Über ihm hörte er einige Möwen schreien. Der Junge hatte einen kleinen Stein am Wegrand gefunden, den er vor sich hin laufend einmal mit dem rechten und beim nächsten Schritt mit den linken Fuß vor sich her kickte. Er schaute kaum auf, doch wusste er genau wo er sich befand. Den Weg war er schon zum hundertsten Mal alleine gelaufen, wenn er durch die Straßen seines Viertels lief. Links und Rechts von ihm wurden Kerzen in den Hütten und Zimmern der ärmlicheren Bevölkerung angezündet, während es draußen bereits dämmerte. Ab und zu hörte er Kinder schreien oder laute Streitgespräche von Menschen auf der Straße. Artemis war nur noch einige Meter von seinem eigenen zu Hause entfernt und blickte etwas wehleidig auf den Stein hinab, der ihm soeben noch so schön die Zeit vertrieben hatte. Da hörte er in der Hütte vor ihm, wie sein Vater und seine Mutter sich stritten. Vorsichtig legte er sich auf die Lauer, so dass er unter dem Fenster zur Straße hin saß und gleichzeitig dem Gespräch lauschen konnte.
"Du wirst tun was ich dir sage Frau, sonst wirst du mich kennen lernen", hörte Artemis seinen Vater mit lauter Stimme sagen.
Ein Schluchzen von Adala wurde lauter, während sie dabei versuchte zu sprechen, „Ich … ich möchte … das aber nicht tun. Wir werden … wir zusammen werden eine Lösung finden".
"Rede keinen Unsinn Weib. Du weißt genau wie ich, dass ich keine neue Arbeit finden werde und deine Handarbeit wird uns nicht weiter helfen. Der Junge frisst uns beiden noch die Haare vom Kopf", schrie Beron jetzt lauter.
"So darfst du nicht über Artemis reden. Wir haben uns gemeinsam auf das Kind gefreut und bis jetzt waren wir glücklich, oder nicht?", fragte Artemis Mutter unter einem erneuten schluchzen.
Daraufhin erklang ein lauter Schlag und Artemis war in diesem Moment froh, nicht im Zimmer zu sein. Er verstand das Gespräch zwischen seinen Eltern zwar nicht, aber er konnte sich auch nicht bewegen, auch wenn er gerne seine Mutter in diesem Moment umarmt hätte. Seine Neugier und die laute Stimme seines aufgebrachten Vaters hielten ihn jedoch zurück.
Während Artemis immer noch vor dem Fenster lauschte, hatte Beron soeben seiner Frau eine Ohrfeige gegeben.
"Du wirst tun was ich dir sage Weib", erklang erneut die laute Stimme von Artemis Vater.
Danach hörte der Junge erst Schritte und schon wurde die Tür zur Hütte geöffnet. Sein Vater war hinausgetreten und hatte gleich hinter sich die Tür wieder zugeworfen. Er atmete einmal tief durch, schaute flugs nach links, die Straße entlang, die Artemis soeben hergekommen war, und lief davon.
Der kleine Junge saß ziemlich verängstigt unter dem Fenster, als er seinem Vater nachschaute und nicht verstand, warum er seine Mutter so angeschrieen hatte. Und er verstand nicht, wieso er ihnen die Haare vom Kopf fraß, wo er doch selber tagelang mit seinem Vater und seiner Mutter hungerte. Nach einigen Minuten jedoch betrat Artemis sein zu Hause. Seine Mutter saß weinend auf dem Bett und hielt sich dabei die rechte Wange. Der Junge ging hinüber und umarmte Adala herzlich, so als ob er ihr dadurch den Schmerz vertreiben könnte. Und seine Mutter war froh, dass ihr Sohn bei ihr war und sie erwiderte zärtlich seine Geste. Dabei strich sie ihm mit ihrer linken Hand über seine Haare und küsste ihn letztendlich sanft auf seine Stirn.
"Mutter, geht es dir gut?", fragte Artemis plötzlich Adala, als sie ihm gerade einen Kuss gegeben hatte.
"Natürlich mein Sohn, mach dir keine Sorgen", antwortete sie sanft, wobei sie versuchte ihre Stimme wieder unter Kontrolle zu bringen.
Innerlich ging es ihr ganz anders. Sie war aufgewühlt, ängstlich und wütend auf Beron, der ihr vor kaum einer Stunde offenbarte, dass er lieber das hart verdiente Geld in irgendeiner Taverne im Hafen versäuft, anstatt sich um neue Arbeit zu kümmern. Gleichzeitig hatte ihr Mann ihr mitgeteilt, dass sie ihre Handarbeit aufgeben sollte und stattdessen ihren Körper anderen Männern anbieten sollte. So hatte Adala ihren Mann nicht gekannt. Er war immer der fürsorgliche Ehemann und auch Vater gewesen. Niemals konnte er von ihr so ein Opfer fordern. Sie ahnte schon längere Zeit, dass Beron ihr Geld in irgendeinem Wirtshaus ließ, da er öfters mit einer Alkoholfahne und manchmal sogar schon ziemlich angetrunken, nachts ihr Zimmer betrat. Artemis hatte zum Glück nie etwas mitbekommen und so wollte es jetzt auch Adala weiterhin. Ihr Sohn, ihr einziges Kind sollte von all ihren Problemen nichts mitbekommen. Er sollte soweit es möglich war, unbeschwert auf wachsen und für arme Verhältnisse eine schöne Kindheit verbringen, die in den nächsten Jahren schon bald ein Ende finden würde. Dann müsste Artemis ebenfalls für den Lebensunterhalt der kleinen Familie aufkommen müssen und seinen Vater unterstützen.
"Mutter, wieso hat Vater so geschrieen?", fragte Artemis plötzlich Adala.
Im ersten Moment hielt sie inne und überlegte, was sie antworten sollte. Dann wurde ihr Griff um den kleinen schlanken Körper ihres Sohnes kräftiger und sie antwortete erneut, „Mein Sohn, mach dir keine Sorgen".
Das schien Artemis offensichtlich zu beruhigen. Aber der kleine Junge wollte seiner Mutter nicht zeigen, dass er es einen Moment wirklich mit der Angst zu tun bekam, als sein Vater sie so heftig angeschrieen hatte. So küsste er selbst Adala sanft auf die Wange und drückte seine Mutter nochmals fest. Dann lösten sich beide aus ihrer Umarmung und Artemis ging hinüber zu einer kleinen Strohmatratze und setze sich.
Adala wärmte in der Zwischenzeit den Eintopf des Vortages auf und reichte später ihrem Sohn eine große Portion, während sie ganz auf das Essen verzichtete. Sie konnte keinen Bissen herunter schlucken, nicht solange Beron von ihr verlangte, ihre Arbeit aufzugeben und sie sich als Hure fremden Männern hingeben sollte.
Nach dem Essen legte sich Artemis zum schlafen nieder. Dabei war seine Mutter ganz nahe bei ihm und deckte ihn sogar mit der dünnen Wolldecke zu. Kurz bevor er ins Reich der träume versank, spürte er, wie seine Mutter ihm noch einen zärtlichen Kuss auf die Stirn gab. Dann war er auch schon eingeschlafen.
