Titel:
Der Antiquitätenhändler
Autor:
Noctifer
Genre:
Drama
Hauptpersonen:
Tom
Marvolo Riddle / Thomas Byrne
Rating:
P18
Warnings:
Characterdeath
/ Dark / Fear
Part: 1 (von 3) Das Paradies
Summary: Thomas Byrne erbte den Antiquitätenhandel seines Vater und führte diesen mit gutem Erfolg. Er hatte ein Gespür für wertvolle Gegenstände und das Glück schien auf Thomas' Seite. Bis ein junger Mann 1946 seinen Laden betrat - Tom Marvolo Riddle.
Da
starb ich nicht und konnte auch nicht leben,
Bedenk
für dich, wenn du ein Gran Verstand,
Was
aus mir wurde ohne Tod und Leben.
Io
non mori', e non rimasi vivo:
pensa
oggimai per te, s'hai fior d'ingegno,
qual
io divenni, d'uno e d'altro privo.
(Hölle
XXXIV. Gesang - IX. Höllenkreis. Die Verräter.
Judas.)
London, Piccadilly Street, 07. Juni 1946
Thomas
röchelte, bekam keine Luft und starrte entsetzt auf die
Blutlache, die sich auf dem schneeweißen Marmorboden
ausbreitete.
Seine Hände drückten schmerzhaft auf die
Wunde an seinem Hals, Krämpfe schüttelten ihn, während
das Blut durch seine Finger über sein weißes Hemd, auf
seine Hose und den Boden floß.
Thomas sah verschwommen, dass er sich bewegte.
Er.
Thomas
Kräfte schwanden. Eine kalte Müdigkeit breitete sich in ihm
aus und langsam kippte er zur Seite.
Er spürte etwas Warmes.
Warm und feucht. Sein Blut.
Das Letzte, das Thomas sah, war das kalte, erfreute Lächeln seines Mörders, der mit dunkeln Augen zusah, wie Thomas an seinem eigenen Blut erstickte.
Teil I. Das Paradies
Kehrt
um zum Strand, für den ihr seid geboren,
Und
wagt euch nicht hinaus aufs hohe Meer!
Verliert
ihr mich, seid ihr vielleicht verloren.
Tornate
a riveder li vostri litri:
non
vi mettet in pelago, ché, forse,
perdendo
me, rimarreste smarriti.
(Himmel
II. Gesang - I. Himmel: Die Seelen der Schwachen..)
London, Piccadilly Street, ein Tag vorher
Der Abend dämmerte bereits, als John leise an die Tür zu seinem Arbeitszimmer klopfte.
Thomas zuckte kurz zusammen und fluchte
leise.
"Herein!"
Die schwere Holztür öffnete
mit leisem Knarren.
John, der schon für Thomas Vater
gearbeitet und gute Dienste geleistet hatte, betrat den Raum: "Sir?
Hier ist ein Herr, der gerne mit Ihnen persönlich sprechen
möchte."
"Er soll warten", erwiderte Thomas
konzentriert.
Gerade war er dabei einen wertvollen Dolch,
dessen Fertigung er auf die Zeit zwischen 900 und 1100 nach Christus
schätzte, für eine seiner besten Kundinnen in aufwendiger
Präzisionsarbeit zu restaurieren.
Ein wundervolles
Objekt:
Eine silberne Klinge mit aufwendig eingearbeiteten Runen.
Thomas lächelte über den naiven Glauben an Magie zur der
Zeit, in der dieses wunderbare Stück Handwerkskunst gefertigt
worden war.
Der Haltegriff war aus Leder, hochqualitativ, mit
Stickereien, die dem Endstück das Aussehen eines Schlangenkopfes
gaben.
Grüne Smaragde funkelten in den ledernen Augenhöhlen
- ein wahres Wunder, dass die Originale noch immer in ihren Fassungen
ruhten und darauf warteten, in neuem Glanz zu erstrahlen.
Natürlich
konnte er die Arbeit an dem Objekt kurzzeitig unterbrechen, doch
gerade war er daran die letzten Reste von Dreck, Blut und sonstigen
Ansammlungen vom Schaft der Klinge zu entfernen.
Mit der Spitze
eines Skalpells, das mit einer hauchdünnen Wachsschicht
überzogen war, um das wertvolle Objekt nicht zu verletzen,
kratzte er vorsichtig an dem Schaft.
Thomas fragte sich, wie
viele Leben diese mittlerweile stumpfe Klinge wohl beendet haben
mochte.
Zehn Minuten später öffnete Thomas die Tür zum Vorzimmer und sah in einem der barocken Sessel einen jungen Mann sitzen, der aufstand, als der Antiquitätenhändler das Zimmer betrat.
"Thomas Byrne", stellte er sich vor,
ging auf den Fremden zu und streckte ihm die Hand entgegen.
Kurz
schien es ihm, als würden die dunklen Augen seines Gegenübers,
die Thomas eingehend musterten, zu wütend verengten Schlitzen.
"Tom Marvolo Riddle", stellte sich der Fremde vor und
gab Thomas die Hand. Die Abscheu, die Thomas glaubte in den Augen
gesehen zu haben, war verschwunden und er konnte keine Gefühlsregung
mehr darin erkennen.
"Was kann ich für sie tun, Mister Riddle?", fragte Thomas und bedeutete seinem Gast, ihm in den angrenzenden, großen Raum zu folgen.
Drei große Bilder zierten die Wände des Arbeitszimmers, alle drei Szenen aus Dante Aligheris Göttlicher Komödie.
Der Dolch
lag wieder wohlverwahrt im Tresor hinter einem Bildnis des Paradieses
in den Mauern rechterhand des Schreibtisches.
Die Szene, die der
Künstler hier ausgewählt hatte, war die der Tugendhaften,
die singend und tanzend unter rötlichen, kreuzartigen Blitzen
Christus priesen.
Sein Gast, Mister Riddle, besah sich
aufmerksam die Bilder an den Wänden und setzte sich nach einem
Wink des Hausherren in einen der beiden hochlehnigen Lederstühle
vor den Schreibtisch.
Thomas stellte mit überraschtem
Wohlgefallen fest, dass Mister Riddle ein ausgesprochen höfliches
Verhalten an den Tag legte, in dessen Genuss man - gerade bei der
Jugend - nur noch selten kam.
Mit seinen fünfunddreißig
Jahren zählte Thomas selbst noch zur Jugend, zumindest laut
seinen Kollegen, die alle weit über fünfzig waren, doch den
jungen Mann vor sich schätzte er auf den ersten Blick auf Anfang
zwanzig. Höchstens.
Das gepflegte Aussehen und der teure
Stoff des Mantels verriet Thomas, dass Mister Riddle entweder aus
gutem Hause stammte, oder bereits einen beachtlichen Erfolg in seinem
Berufsleben vorweisen konnte.
Es wäre auch möglich,
dass seine Frau aus gutem Hause stammte, schließlich musste
nicht jeder, wie er selbst, zum Jungesellendasein verdammt sein. Und
Mister Riddle hatte, Thomas Einschätzung nach, gute Chancen beim
anderen Geschlecht.
Kurz beneidete Thomas Riddle um sein gutes,
wenn auch hageres, Aussehen, doch rief er sich sofort in Erinnerung,
dass er an seiner Einsamkeit selbst Schuld war: Sein Leben waren
Antiquitäten, und keine Frau hatte es länger als ein paar
Wochen mit ihm ausgehalten.
Oftmals folgte nach einer Verabredung
keine zweite. Nicht, weil Thomas unhöflich oder aufdringlich
geworden war, er hatte einfach nicht mehr die Zeit gefunden und nach
ein paar Wochen hatten die Frauen an ihm und er an den Frauen das
Interesse verloren.
Thomas räusperte sich verschämt, als er bemerkte, dass er sein Gegenüber während seiner Gedankengänge hatte warten lassen. Riddle sah ihn aufmerksam, mit einem seltsam wissenden Lächeln auf den schmalen Lippen, an. "Wie kann ich Ihnen helfen, Mister Riddle?"
"Ich komme von Borgin & Burkes", antwortete Riddle leise, "Mister Borgin und Mister Burke sind immer auf der Suche nach besonderen Gegenständen und alten Artefakten. Ich komme mit dem Gesuch, einen Blick auf Ihre Schätze werfen zu dürfen und Ihnen ein Angebot zu unterbreiten, sollte ich etwas finden, das Mister Borgin und Mister Burke interessieren könnte."
Der Name
Borgin & Burkes kam Thomas vage bekannt vor und er erinnerte
sich, dass sein Vater in den zwanziger Jahren manchmal Mister Burke
zu Besuch hatte, der oftmals mit leeren Händen ging, doch
manchmal Einzelstücke für angemessene - wenn nicht sogar
ausgesprochen gute - Preise kaufte.
Thomas versuchte sich an das
Gesicht von Mister Burke zu erinnern, doch die Erinnerungen waren
verschwommen und kamen ihm seltsam fremd vor.
Er schüttelte
den Kopf, als würde er seine Gedanken zurecht rücken
wollen.
In den fünfzehn Jahren, in denen Thomas das Geschäft
ohne seinen Vater führte, war Mister Burke noch nie an ihn heran
getreten. Dennoch sollte ihn das nicht davon abhalten, zumindest den
ersten Schritt auf eine, vielleicht lukrative, Geschäftsverbindung
einzugehen.
"Sind Sie befugt, mir ein Angebot zu
unterbreiten?", fragte Thomas und hoffte sein Gegenüber
dadurch nicht zu kränken.
Riddle lächelte kalt: "Ich
bin jung, Mister Byrnes, aber meine Urteilsfähigkeit in solchen
Belangen genießt Mister Burkes vollstes Vertrauen."
Thomas
nickte. "Morgen Abend habe ich ein bis zwei Stunden Zeit, um
Ihnen einige Objekte, die für Sie interessant sein könnten,
zu präsentieren."
"Gerne", lächelte
Riddle, "Mister Burke wird erfreut sein, das zu hören."
"Werde
ich mit Mister Burkes Anwesenheit rechnen können?", wollte
Thomas wissen und hoffte mit einem der Geschäftsinhaber
verhandeln zu können.
Zwar zweifelte er nicht an Riddles
Urteilsfähigkeit, trotz seiner Jugend, doch er schien keine
Leidenschaft für Antiquitäten zu haben.
Thomas glaubte,
dass Mister Burke die Geschichte, die mit den verschiedenen
Gegenständen in Verbindung stand, spüren konnte und diese
dementsprechend entlohnen würde.
"Antiquitäten sind meine Leidenschaft", sagte Riddle, als könnte er Gedanken lesen, und lächelte Thomas entwaffnend an.
"Gut", erwiderte Thomas und versuchte ebenfalls zu lächeln - irgendetwas an Riddle irritierte ihn.
Die kalten, dunklen Augen, in deren braunem Irisring Thomas glaubte einen Stich ins rötliche zu sehen...
Riddle stand auf und streckte ihm
lächelnd die Hand entgegen. "Vielen Dank für Ihre
Zeit, Mister Byrne. Ich werde morgen pünktlich um sieben Uhr
Abends bei Ihnen sein, wenn Ihnen das recht ist."
"Sicher",
murmelte Thomas, erhob sich ebenfalls, ergriff kurz die ihm
dargebotene Hand und wollte Riddle hinaus begleiten.
"Machen
Sie sich keine Umstände, Mister Byrne, ich werde den Weg hinaus
alleine finden. Sie haben sicherlich noch viel zu tun."
Thomas
nickte und sah zu, wie der junge Mann sein Arbeitszimmer verließ.
Ihn fröstelte, obwohl der Kamin unter dem Bildnis der
Hölle eine angenehme Wärme ausstrahlte.
Riddles Finger
waren kalt gewesen und die Berührung erinnerte ihn an etwas, von
dem er sich nicht entsinnen konnte, was es war.
Eigentlich
wollte Thomas nicht mit Riddle allein sein, doch John hatte am
folgenden Tag - wie jeden Mittwoch - den Nachmittag frei.
Er
überlegte sich, ob er John bitten sollte, an diesem Abend zu
bleiben, verwarf diesen Gedanken jedoch sofort wieder.
John hatte
Familie, und Thomas forderte bereits mehr als genug Zeit von ihm.
Thomas drehte sich in Richtung des Tresors, um mit seiner
Arbeit fortzufahren - und erstarrte.
Auf dem Schrank unter
dem Bildnis des Pardieses stand ein Objekt aus Afrika, das einer
seiner Kunden ihm als Geschenk von einer seiner Reisen mitgebracht
hatte.
Schlagartig wurde Thomas bewusst, an was ihn die
Berührung mit Riddles Fingern, mit seiner Haut, erinnert hatte.
Genau an dieses Objekt.
Im Schein des Feuers glitzerten ihm die roten Glasaugen der ausgestopften Schlange bösartig entgegen.
