Korrekturen
1
Ein Mann erwacht in einem Krankenhausbett. Er öffnet langsam die Augen, sieht sich um. Um ihn herum reges Treiben, so kommt es ihm vor. Er liegt in einem Einzelzimmer und Leute schauen herein, sprechen ihn an, reden mit ihm, er versteht nicht. Er hört nur Rauschen.
Später hört er Worte heraus, dann Sätze. Er sieht nicht mehr so verschwommen, kann sich etwas besser und länger konzentrieren. Er spricht nicht. Er wüßte nicht was.
Er hat Schmerzen und weiß, etwas ist mit ihm. Er kann sein linkes Bein nicht bewegen, seine Schulter schmerzt, sein Abdomen. Seine linke Hand trägt einen Verband, ein Finger ist geschient; er hat nicht die Kraft, nach weiteren Verletzungen zu suchen.
Etwas Schlimmes muß ihm passiert sein.
Vor seinem Fenster wird es Tag und wieder Nacht, immer wieder.
Man fragt ihn nach seinem Namen.
Er kann nicht antworten.
Er sagt kein Wort, stöhnt nur manchmal vor Schmerz, wenn es wieder schlimm ist. Immer wieder fragt ihn das Krankenhauspersonal nach seinem Namen oder ob er sich an etwas anderes erinnern könne. Angehörige.
Sein Leben.
Er schüttelt nicht mal den Kopf.
Nachts quälen ihn Träume, Feuersbrünste und Zerstörung oder einfach nur das Empfinden, nicht atmen zu können. Er erwacht schreiend oder in Schweiß gebadet und bleibt lange zitternd in der Dunkelheit liegen. Manchmal kommt die Nachtschwester hinein gestürzt und versucht, ihn zu beruhigen.
Manchmal träumt er auch angenehme Dinge oder zumindest welche, die ihn nicht ängstigen. Die Menschen aus seinen Träumen gehen vertraut mit ihm um, aber sie sind ihm völlig unbekannt.
Es schneit.
Er sieht durch das Fenster nach draußen und beobachtet das hypnotische Treiben der Schneeflocken. Er schließt die Augen.
Beinahe wäre er eingenickt, dann hört er einen Stuhl, der an sein Bett herangezogen wird. Er dreht uninteressiert den Kopf.
Ein Mann sitzt dort. Ein großer Mann von kräftiger Statur, gutaussehend, etwa Mitte, Ende Dreißig, schwer zu schätzen. Der Mann lächelt, aber sein Blick ist besorgt.
„Die Schwestern sagen, du ißt nichts."
Der Mann schüttelt den Kopf.
„Wie willst du so wieder auf die Beine kommen?"
Er starrt ihn an. Er kennt ihn nicht.
Eine Falte bildet sich zwischen den Augen des großen Mannes. Sein Lächeln verschwindet.
„Erkennst du mich nicht?"
Er dreht den Kopf wieder zum Fenster; er hat das Interesse an dem neuen Besucher bereits verloren.
„Owen!"
Irgendetwas klingt vertraut. Owen. Das ist... er. Sein Name.
Er atmet ein paar Mal ein und aus. Dann sieht er seinen Besucher wieder an. Erstaunt, verstört. Seine Gedanken rasen, aber er kann sich nicht... erinnern. An nichts. Er stöhnt verzweifelt auf.
Der Besucher lehnt sich in seinem Stuhl vor.
„Hab keine Angst," sagt er. „Alles wird wieder gut."
Er beginnt zu weinen, einfach so. All die Anspannung bricht sich Bahn, er verliert die Kontrolle. Er senkt den Kopf, als ob er vor seinem Besucher noch etwas verbergen könne. Der seufzt auf, erhebt sich aus seinem Stuhl, setzt sich auf die Bettkante und zieht ihn vorsichtig in eine Umarmung. Es ist beruhigend und tröstlich, die erste angenehme Empfindung seit – was? Wochen?
Der Besucher reibt beruhigend seinen Rücken und lacht leise auf.
„Einen Moment lang hast du mir wirklich Angst gemacht," sagt er ruhig. „Aber jetzt wird alles gut."
Er braucht lange, um sich zu beruhigen.
TBC
