verbrennen, von innen


Disclaimer: Die Charaktere, Magischen Wesen und Magischen Orte des Harry-Potter-Universums gehören J.K. Rowling. Ich leihe sie mir nur aus und verdiene mit dieser Geschichte kein Geld.

Anmerkung: Das hier wird eine kurze Geschichte (ich rechne mit vier Kapiteln) zu einer Idee, die mir seit gefühlten Ewigkeiten im Kopf herumschwirrt. Viel Spaß beim Lesen!


i || schwelen

„Erzähl mir von deinem Land", sagt Mihai.

Charlie dreht sich um und beißt sich auf die Lippe. „Wozu?", fragt er, „Kann man doch alles in den Zeitungen lesen. Der Krieg ist vorbei, der Dunkle Lord besiegt, was brauchst du noch zu wissen?"

Er starrt in die Finsternis der Nacht und versucht, seinen stockenden Atem zu beruhigen.

Mihais Hand landet weich und tröstend auf Charlies Schulter. Er schüttelt sie ab. Charlie will sein Mitleid nicht. Er will niemanden sehen, überhaupt niemanden, und mit niemandem reden. Er ist so lange, wie er musste, in England (zu Hause!) geblieben, hat geantwortet, wenn man ihn etwas gefragt hat, und hat die erstbeste Möglichkeit (zur Flucht) ergriffen, um all die Menschen zurückzulassen und zu seinen Drachen zurückzukehren.

„Ich will nicht wissen, was in der Zeitung steht", erwidert Mihai langsam, „Ich will, dass du mir von deinem Land erzählst. Sind die Hügel dort grün? Welche Farbe hat das Meer? Haben die Menschen freundliche Gesichter oder verhagelt ihnen der ständige Regen das Gemüt?"

„Hör auf", befiehlt Charlie ihm mit schneidender Stimme, „Hör auf zu reden."

Charlie lauscht seinen Schritten, die sich langsam von ihm fortbewegen. Die kühle Nachtluft hat sich wie eine Decke um seinen Körper gelegt, irgendwo über ihm glitzern Sterne und er kann nicht verstehen, dass alles hier so schön, so unversehrt ist, wenn in England (zu Hause!) so vieles zerbrochen ist. Es kommt ihm falsch vor und manchmal, manchmal packt ihn die Wut und dann würde er am liebsten seinen Zauberstab greifen und irgendwas kurz und klein hexen. Bäume, Zelte, ganz egal.

Natürlich tut er es nicht. Er arbeitet hier schon lange genug, um nur zu genau zu wissen, dass es in höchsten Maße unratsam wäre, mit Zaubern um sich zu werfen, wenn mehrere ausgewachsene Drachen in der Nähe sind. Man kann nie sicher sein, wie ein brütendes Langhornweibchen darauf reagieren würde, wenn neben ihr ein Baum explodiert.

Stattdessen holt Charlie aus, tritt nach einem kleinen Stein, der vor ihm auf dem Waldboden liegt, und schaut zu, wie der Stein in hohem Bogen davon fliegt. Es hilft kein Bisschen. Charlie zieht die Schultern hoch, vergräbt die Hände in den Taschen seines Winterumhangs und versucht, seinen Kopf auszuschalten. Früher, früher konnte er das immer ganz leicht und am besten dann, wenn er Quidditch spielte. Er konnte seinen ganzen Frust, jeglichen Lernstress zurücklassen und in Höhen steigen, von denen Andere nur träumten.

Quidditch und Drachen. Die zwei Interessen, die sein Leben bestimmen – mal abgesehen von dem Versuch, halbwegs unbeschadet einen Krieg zu überstehen und seine Familie danach in die Arme zu schließen. Es hat nicht geklappt und während der Rest der Weasleys sich bemüht, die Scherben zu kleben, indem sie enger zusammenrücken als jemals zuvor, hat Charlie genau das Gegenteil getan und das Weite gesucht.

Er fühlt sich schlecht, weil er wieder gegangen ist, weil er seine Mum mit all ihrer Trauer und Verzweiflung zurückgelassen hat, doch Charlie hat noch nie besonders gut mit Traurigkeit umgehen können und er vertraut darauf, dass sein Dad schon das Richtige tun wird (und darauf, dass George irgendwann mal wieder er selbst sein wird, nicht nur ein alptraumhafter Schatten).

Charlies Finger spielen mit dem Pergament, das in seiner Umhangtasche stetig zerknitterter wird und das ihn gestern per Eulenpost erreicht hat. Ein Brief von Bill (Bill, coolster aller großen Brüder), mit der Frage, vor der sich Charlie seit Oktober gefürchtet hat. Ob er an Weihnachten nach Hause kommen würde. Charlie schließt die Augen, träumt von Christmas Pudding, heißen Maronen und duftendem Gewürzwein. Aber es hilft nichts: spätestens nach fünf Sekunden tauchen die lachenden Gesichter der Zwillinge aus seiner Erinnerung auf und Charlie reißt die Augen auf und schnappt nach Luft wie ein Ertrinkender.

Um alles noch ein wenig schlimmer zu machen, hat sich Bill mit einer Frage nicht zufrieden gegeben. Charlie bewegt stumm die Lippen, wiederholt die Worte, die auf das Pergament gekritzelt wurden und die er längst auswendig kann. „Warum kommst du für deinen Geburtstag nicht nach Hause? Kannst du nicht ein paar Tage Urlaub nehmen? Du arbeitest sowieso zu viel." Charlie hat sorgfältig darauf geachtet, den Brief einzustecken und nicht herumliegen zu lassen. Das fehlte ihm noch, dass einer seiner Kollegen zufällig einen Blick darauf werfen und ihm sofort freigeben würde.

Er will keinen Urlaub und er will nicht nach England (nach Hause!), er will hier sein und arbeiten, bis sein Körper so müde und erschöpft ist, dass sein Kopf nachgibt und ihn einschlafen lässt, ohne dass er stundenlang wachliegt und über ... nachdenkt.

Charlie setzt sich auf einen der großen Steine, die es hier zu Dutzenden gibt, zieht den Umhang enger um sich und starrt in Richtung des Reservats. Überall stehen kleine, bunte Zelte. Die meisten von ihnen sind bereits dunkel, aber in einigen brennt noch das flackernde Licht altmodischer Nachtwächerlampen, ausgestattet mit magischem Feuer, und lässt die Zelte wirken wie überdimensionale Lampions. Der Anblick ist vertraut und vermittelt Charlie ein Gefühl von Geborgenheit.

Sein Zelt ist, wenn man von der Mitte aus geht, das dritte von rechts, ein kleines, dunkelrotes Zelt, in dem Charlie mehr Nächte verbracht hat als er zählen kann. Hinter dem Dorf aus Zelten liegt der Wald und die Bäume strecken ihre winterkahlen Äste in die Höhe. Dahinter beginnt das eigentliche Reservat mit all seinen Drachen, die tagtäglich auf Charlie warten und ihn immer wieder vor neue Herausforderungen stellen.

Er ist froh, dass er hier ist. Er hat einen Platz in der Gemeinschaft, er kennt seine Kollegen, er hat Arbeit und eine Aufgabe. Das ist mehr, als er in England hätte, glaubt er. Dort wäre er Charlie Weasley, Sohn von und Bruder von und ehemaliger Quidditchspieler. Hier ist er Charlie Weasley, Drachenbändiger, und er muss niemandem erklären, warum er damals nie versucht hat, professionell als Quidditchspieler zu arbeiten. Er ist zufrieden. Er hat, Merlin nochmal, wirklich genug von der Vergangenheit.

Er ist nicht nach Rumänien gekommen, um über England (zu Hause!) zu sprechen, weder damals noch heute. Damals – damals fühlt sich an, als läge es ein ganzes Leben zurück. Charlie hat gekämpft und gewartet, gelitten und gehofft und bei jeder neuen, schrecklichen Nachricht, die ihn erreicht hatte, war er verzweifelter und hilfloser geworden.

Und jetzt, jetzt ist der Krieg vorbei und alles ist anders und Charlie hat noch immer keine Lust, sich darüber zu unterhalten. Manchmal könnte er ausrasten, weil er sich fragt, ob seine Kollegen ernsthaft denken, dass er ihre besorgten Blicke nicht bemerken würde oder ihre vorsichtigen Versuche, ihn zu bemuttern, ihm schwere Aufgaben abzunehmen und ihm die größte Schüssel Suppe zu reichen.

Charlie lässt es nicht zu. Er blockt ab, alles und jeden, und statt sich um die Forschungsarbeit zu kümmern, die er einmal so spannend fand, geht er wieder jeden Tag zu seinen Drachen, so wie früher, zählt Eier, versorgt Verletzungen und zieht sich dabei selbst so manche Brandwunde zu. Es stört ihn nicht. Er hat diesen verdammten Krieg überlebt, da wird der eine oder andere Drache ihm nichts anhaben können.

„Charlie."

Er dreht den Kopf nicht, als er angesprochen wird, sondern starrt weiter auf nachtschwarze Äste über den Zelten. „Was?", entgegnet er unwirsch, obwohl Ileana nichts für seine tristen Gedanken kann, aber er vermutet, dass Mihai sie geschickt hat und Charlie ist eindeutig nicht in der Stimmung für ein tröstendes Gespräch, auch wenn er Mihais Frau sonst noch so gern hat.

Ileana schimpft leise auf Rumänisch und bringt Charlie damit zum Schmunzeln. Er versteht nicht alles, dabei haben sich seine Sprachkenntnisse ziemlich gebessert, aber die Grundaussage von Ileanas kleinem Ausbruch hat er doch mitbekommen. „Schon gut", wiegelt er ab und nimmt den Blick von den Bäumen, um stattdessen Ileana anzuschauen, „Gib her." Sie schlingt ihm einen dicken Wollschal um den Hals und drückt ihm eine Tasse in die Hand, aus der es sachte dampft.

„Vorsicht. Ist heiß", erklärt Ileana und ihre grauen Augen leuchten eigentümlich in der Dunkelheit, sehen Charlie forschend an, bis er sich zu einem Lächeln zwingt. „Danke", nickt er und fühlt sich schlecht, als er Ileana bekümmert seufzen hört, ehe sie sich umdreht und zu ihrem Zelt zurückkehrt. Charlie hebt die Tasse an seine Lippen und nimmt einen tiefen Schluck. Die Milch ist kochend heiß und schmeckt nach Vanille, Zimt und Honig, wie immer, wenn Ileana der Ansicht ist, dass sie Charlie etwas Gutes tun sollte. Ileana, die Kummer nach der Anzahl von getrunkener Tassen voll heißer Milch zählt.

Wenigstens hat sie ihn nicht gefragt, wie es ihm geht. Oder hat ihm gesagt, dass er schlecht aussieht. Oder dass er mal ein bisschen kürzer treten sollte bei der Arbeit. Oder einen anderen dieser Sprüche, die Charlies Kollegen regelrecht unter sich aufgeteilt zu haben scheinen, sodass er täglich mindestens fünf dieser Sätze zu hören bekommt, offenbar in der Hoffnung, dass sie irgendwann etwas bewirken würden.

Charlie schlürft die Milch und fragt sich, ob er jemals zu einer Art Normalität zurückkehren wird können oder ob ihm das auf ewig verwehrt bleiben wird. Die Zeit, die vergangen ist, hat es nicht geschafft, auch nur die Hälfte aller Wunden zu heilen und bei manchen glaubt Charlie, dass sie für ewig und drei Tage bestehen werden. George fehlt nicht nur ein Ohr, sondern -

Dafür ist Bill (Bill, sein Held, Bill, der Große, der Starke) so heil, wie es eben geht, und Vater, ausgerechnet. Ginny ist verliebt und Ron glücklich und Percy ist zurückgekehrt und wirklich, sollte das nicht genug sein, wie kann Charlie denn noch mehr verlangen? Trotzdem schreibt er ihnen kaum. Er vermeidet es, sich regelmäßig zu melden. Manchmal schickt er Bill einen Brief, dann seiner Mum, aber mehr auch nicht.

Charlie will nicht darüber nachdenken, ob es feige und Flucht war, aus England (zu Hause!) wegzugehen und hierher zurückzukommen, nach Rumänien, wo ihn Drachen und Brandmale erwarten, wo die Winter manchmal klirrendkalt sind und die fahle Sonne ihn morgens begrüßt, wenn er aus dem Zelt klettert, nach Rumänien, wo er ein Anderer ist, wo er lebendig sein kann (aber ist man das nicht automatisch umso mehr, wenn man einen Krieg überstanden hat?).

Er legt seine Finger um die wärmende Tasse, trinkt und beschließt, schlafenzugehen. Mit der Tasse in der Hand steht er auf, lässt seinen steinernen Sitzplatz zurück und läuft in Richtung seines Zelts, das ihn wie einen alten Freund begrüßt. Im Inneren ist es angenehm warm, selbst dann noch, als sich Charlie aus seinem Winterumhang schält und die Arbeitskleidung gegen einen Schlafanzug tauscht.

Seine Träume sind dunkel und gestaltlos und als er aufwacht, ist draußen der Himmel grau.


„Nein."

Charlie sagt es nachdrücklich, energisch, spuckt das Wort aus wie ein Schimpfwort und verschränkt die Arme vor dem Oberkörper. Er verzieht gereizt das Gesicht und schüttelt den Kopf. „Nein", wiederholt er, „Ich will das nicht machen. Vielleicht fragt ihr mich das nächste Mal ja vorher statt mich vor vollendete Tatsachen zu stellen." Mihai hat sich vor ihm aufgebaut und funkelt Charlie wütend an. „Wer soll es denn sonst tun?", fragt er grimmig, „Zufälligerweise haben wir keine Horde Engländer hier und können uns keinen aussuchen. Du verstehst?"

Das Schlimme ist: Charlie versteht. Er möchte nur nicht.

„Was hat das denn damit zu tun?", geht er in die Offensive, „Als neulich die Schweden da waren, um sich unser Reservat anzuschauen, hat sich auch keiner darum geschert, ob sie nun von Rumänen, Franzosen oder Russen herumgeführt wurden." „Das waren Kollegen!", unterbricht ihn Mihai und sein Blick verfinstert sich noch ein wenig, „Die wissen ungefähr, wie es bei uns zugeht, die sind an verrückte Sprachgemische gewöhnt und können damit umgehen. Das hier ist was Anderes."

Und obwohl Mihai sein Chef ist und sein Wunsch somit eigentlich einem Befehl gleichkommt, ist Charlie noch nicht bereit, einfach kleinbeizugeben. „Achja?", macht er und reckt störrisch den Kopf in die Höhe, „Und warum? Ollivander ist auch nicht erst seit gestern im Geschäft. Der weiß, was er für seine Zauberstäbe benötigt und braucht keinen Drachenexperten, der ihn herumführt."

„Er hat allerdings um einen gebeten", erklärt Mihai gelassen, „Außerdem ist er nicht alleine. Er hat einen Lehrling dabei. Und ich glaube nicht, dass der sonderlich bewandert ist, was Drachen angeht. Also wirst du dir jetzt deine Schutzhandschuhe schnappen und dich dann bereithalten. Sie müssten in ungefähr einer halben Stunde hier ankommen."

Charlie stößt einen unterdrückten Fluch aus und duckt sich, um Mihais Hand auszuweichen, die ihn trotzdem noch am Hinterkopf erwischt. „Schutzhandschuhe. Jetzt", sagt Mihai und unter der Wärme in seiner Stimme liegt Stahl und Charlie weiß, dass er verloren hat. „Schon gut", murrt er, „Ich spiele den Fremdenführer für unsere Gäste. Aber wenn sie sich nicht benehmen, ist es nicht meine Schuld, wenn einer der Drachen sie röstet."

Charlie trottet zu seinem Zelt zurück, streift sich dicke Socken über die Füße und schnürt anschließend seine Stiefel, gefertigt aus Drachenleder, wie die meisten anderen seiner Arbeitskleidungsstücke. Er packt seine Tasche, steckt leere Phiolen, diverse Tränke, Heilsalben und Messer ein, für den Fall, dass einer der Drachen sich eine Verletzung zugezogen hat.

Der Himmel draußen ist so grau wie Charlies Laune. Er hat keine Lust, auf einen Landsmann zu treffen, noch dazu auf einen, der ihn, wie entfernt auch immer, kennt und ihm mit Sicherheit lästige Fragen stellen wird. Und trotzdem ist er neugierig darauf, Ollivander wiederzusehen. Der Zauberstabhersteller hat einige Zeit gebraucht, um sich von seiner Gefangenschaft bei den Todessern zu erholen und um seinen Laden in der Winkelgasse wieder aufzubauen. Dass sich die Schränke und Schubladen dort langsam wieder mit Zauberstäben füllen, weiß Charlie von George, der regelmäßig am Schaufenster vorbei läuft.

Charlie hat immer gedacht, dass Ollivander, ähnlich wie Dumbledore, unsterblich sei und auf ewig seinen Laden führen würde. Aber natürlich ist es logisch, dass er sein Wissen weitergibt; Charlie hat nur damit gerechnet, dass ein weiterer Ollivander den Laden übernehmen würde und es keine Veranlassung gäbe, einen Lehrling auszubilden.

Er ist schneller fertig mit Packen als ihm lieb ist. Charlie zieht die Handschuhe über, streift sich Schal und Winterumhang über und hängt die Tasche über die Schulter. Als er aus seinem Zelt tritt, ist Ileana gerade damit beschäftigt, zwei Männer anzustrahlen und wild in seine Richtung zu gestikulieren. Charlie seufzt lautlos, strafft die Schultern und stapft los. Der Boden unter seinen Füßen ist hart vor Frost und es verspricht, ein kalter Tag zu bleiben.

„Mr Ollivander", grüßt Charlie höflich, nickt dem älteren Mann zu und betrachtet dann den zweiten Gast, von dem er davon ausgeht, dass er Ollivanders Lehrling ist. Er scheint jung zu sein, höchstens zwanzig, mit dunklen Haaren und dunklen Augen in einem blassen Gesicht. „Charlie Weasley", lächelt Ollivander, „Ich erinnere mich genau-" und Charlie schneidet ihm das Wort ab, ehe ihr Gast erzählen kann, wie Charlie damals zu ihm in den Laden kam. Charlie will es nicht hören. Und der Zauberstab, den er jetzt trägt, ist sowieso ein anderer als der, den er damals gekauft hat. Er hat gewechselt, von Einhornhaar zu Drachenherzfaser.

Ileanas Blick verrät, wie unhöflich sie Charlies Verhalten findet, aber er ignoriert es und sagt „Danke, Ileana, wir kommen jetzt alleine zurecht", woraufhin sie die Achseln zuckt, sich die Mütze tiefer ins Gesicht zieht und zu ihrem Zelt läuft. Charlie wendet sich unbeeindruckt davon an Ollivander und hebt fragend die Augenbrauen. „Können wir?", erkundigt er sich, „Ich gehe mal davon aus, dass Sie die Drachen sehen wollen."

„Heute nicht", entgegnet Ollivander zu Charlies Überraschung, „Wir sind auf der Suche nach Drachenherzfasern und da sind lebende Drachen eher weniger geeignet." Charlie zwingt sich zu einem Lächeln. Er hat nichts gegen Zauberstabherstellung, er besitzt ja selbst einen Stab mit Drachenherzfaser als Kern, aber dennoch sind ihm seine Drachen lieber, wenn sie noch am Leben sind und nicht als tote Riesen auf der Erde liegen und aufgeschnitten und zerteilt werden.

„Tut mir Leid", sagt Charlie hart, „Da kann ich Ihnen nicht helfen."

Er dreht sich um und marschiert zwischen den Zelten hindurch, so schnell, dass seine prall gefüllte Tasche immer wieder gegen seine Oberschenkel stößt, aber er beschleunigt seine Schritte nur noch mehr, bis er schließlich das Dorf aus Zelten hinter sich gelassen hat und sich gegen einen kühlen, schwarzen Baumstamm lehnen kann. Charlie schließt die Augen und atmet kontrolliert ein und aus. Irgendwo vor ihm faucht ein wütendes Drachenweibchen und Charlie lächelt.


Im Gegensatz zu Charlie scheint Mihai von ihren Gästen begeistert zu sein. Als Charlie nach einem Tag im Reservat zurückkehrt, sitzen Ollivander und sein Lehrling neben Charlies Chef am Lagerfeuer, halten dampfende Schüsseln in den Händen und lauschen einer Geschichte, die Mihai zum Besten gibt. Charlie verzieht das Gesicht und stapft zu seinem Zelt, um seine Tasche abzustellen. Zum Duschen und Umziehen kommt er nicht, weil Ileana ihn abfängt, am Ärmel packt und ihm erklärt, er solle sich mit ans Feuer setzen.

Charlie brummt sein „Na gut, für eine halbe Stunde" und gleitet auf die Holzbank neben Barbu, der ihm zulächelt und sich dann weiter damit beschäftigt, Brot in dicke Suppe zu tauchen und zu verspeisen. Ileana drückt Charlie ebenfalls eine Schüssel in die Hand und er müht sich nicht weiter mit Besteck ab, sondern hebt die Schüssel an, nimmt einen Schluck und verbrennt sich die Zunge.

Mihai erzählt vom letzten Drachenbaby, das geschlüpft ist, und von der Mutter, die ihren Zögling bei weitem aggressiver verteidigt hat als das sonst der Fall ist. Charlie schweigt und weiß genau, dass die Narbe an seinem linken Handgelenk von eben jener Mutter stammt, entstanden bei dem Versuch, das Baby erstmals zu untersuchen und sicherzustellen, dass gesundheitlich alles in Ordnung war.

Ollivander berichtet von Großbritannien und Charlie versucht, wegzuhören. Am liebsten würde er sich die Ohren zuhalten, aber weil das nicht geht, beginnt er stattdessen ein Gespräch mit Barbu und lässt sich von Ileana Suppe nachfüllen. Trotzdem gleitet sein Blick immer wieder zu den Gästen zurück und er bemerkt, wie mager, weißhaarig und alt Ollivander geworden ist. Sein Begleiter wirkt ein bisschen verloren, wie er da neben Ollivander sitzt und mit dunklen Augen starr ins prasselnde Feuer blickt.

Er kommt Charlie nicht bekannt vor, was bedeutet, dass er vermutlich so viel jünger ist, dass er erst nach Hogwarts kam, als Charlie bereits seinen Abschluss hatte. Er sieht müde aus und so, als wäre ihm kalt. Charlie verkneift sich ein Grinsen, weil er sich nur allzu gut daran erinnert, wie sehr er damals in seinem ersten Winter mit den frostigen Nächten zu kämpfen hatte.

Der Junge scheint Charlies Blick zu spüren. Er hebt den Kopf und sieht Charlie unverwandt an, sein Gesicht wird von den flackernden Flammen erhellt und Charlie sitzt einfach nur da und schaut zurück. Zauberstabhersteller, denkt er unwillig, sie haben nur dann mit Tieren zu tun, wenn sie tot sind und ihre Eingeweide für Zauberstäbe verwendet werden können.

„Charlie Weasley", sagt Ollivander plötzlich und reißt Charlie aus seinen Grübeleien, fixiert ihn mit diesem seltsam hellen Blick, den Charlie als Elfjähriger bereits gruselig fand, „Spielst du noch immer Quidditch, mein Junge?" Charlie schluckt mühsam beherrscht die Antwort herunter, die ihm bereits auf der Zunge liegt, und erwidert stattdessen ein knappes „Nein". Er will dieses Thema nicht vertiefen und er hofft, dass er das deutlich genug gemacht hat.

„Schade", seufzt Ollivander, „Ich hatte gehofft, du könntest mit Theodore ein wenig die Gegend erkunden, auf Besen, von oben auf Drachen herabblicken und-" „Theodore?", unterbricht ihn Charlie, verengt die Augen und schaut zu dem dunkelhaarigen Jungen. Sein Gesicht ist blass, aber entschlossen und in seinem Blick kann Charlie lesen, dass er das, was gleich kommen wird, erwartet hat.

„Theodore", wiederholt Ollivander und deutet auf seinen Lehrling, „Theodore Nott."

Charlie steht so hastig auf, dass ihm die Schüssel von den Knien fällt, wo er sie abgestellt hatte. Die heiße Suppe spritzt zischend in die gierig leckenden Flammen und Charlies Gesicht brennt, ob vom Feuer oder von der Wut, weiß er nicht. „Entschuldigt mich", sagt er kalt, „Ich bleibe nicht gerne in der Gesellschaft von Todessern."

Er hört Ileanas entsetztes Keuchen und Mihais scharfes, vorwurfsvolles „Charlie!" und Barbus verwirrte Frage auf Rumänisch, aber Charlie ignoriert sie alle.


tbc.