Disclaimer: Alle bekannten Personen, Namen, Orte etc. gehören nicht mir, sondern Tolkien!
Prolog: Ein Sprung mit Folgen
„Cat, steh endlich auf!"Ungeduldig zog Angelia ihrer Zwillingsschwester die Bettdecke weg.
„Wie kann man so einen schönen Tag nur verschlafen?"
Grummelnd streckte sich Catreena; versuchte, den Zipfel ihrer Bettdecke noch zu erhaschen, bevor Angelia sie ganz wegziehen konnte. Mit einem lauten Rumpeln fiel dabei ein Buch aus dem Bett. Angelia hob es auf und betrachtete das Cover.
„Natürlich, du hast wieder die halbe Nacht ‚Herr der Ringe' gelesen. Das wievielte Mal nun schon?"
Catreena rieb sich müde über die Augen: „Das achte Mal!"
„Wieso liest du es achtmal? Hast du es beim ersten Mal nicht kapiert?", neckte Angelia sie, bevor sie grinsend ans Fenster trat und die Vorhänge aufzog. Helle Sonnenstrahlen fielen ins Zimmer, ließen Lichtpunkte über die Wände tanzen.
Mit verklärtem Blick sah Catreena den Lichtpunkten hinterher, dann blickte sie ihre Schwester an: „Vielleicht solltest du es auch 'mal lesen, Angel, dann könntest du meine Sehnsucht vielleicht verstehen!"
„Welche Sehnsucht?"Noch immer hielt Angelia Catreenas Bettdecke fest und sah sie dabei fragend an.
Catreena musste einsehen, dass bei einer so gnadenlosen Schwester wohl keine Aussicht auf Schlaf mehr bestand, also quälte sie sich schließlich aus dem Bett und verschwand im Bad. Aber ihre Schwester blieb hartnäckig und folgte ihr auch dorthin. „Welche Sehnsucht?", hakte sie noch einmal nach.
„Die Sehnsucht nach Mittelerde! Wie gerne würde ich ein einziges Mal dorthin reisen! Wie schön wäre es, wenn das möglich wäre!"
Catreenas Blick traf auf den Spiegel, und doch sah sie darin nicht sich selbst. Vor ihren Augen entstand eine weite grüne Fläche, von sanften Hügeln durchsetzt, von einem Fluss durchschnitten...
Angelia verdrehte die Augen.
„Du spinnst ja. Jetzt komm, Blitz und Donner warten bereits auf uns!"
Eine halbe Stunde später verließen die Zwillinge, in Reitsachen gekleidet und ohne Frühstück – dafür hatte die Zeit nicht mehr gereicht – das Haus und liefen eilig über den Innenhof zu den Ställen.
Die Beiden gehörten zu den glücklichen Bewohnern des Internats „Pferdeglück", einer alten Ritterburg, die heute 50 Mädchen und Jungs als Internat und ebenso vielen Pferden als Heimat diente. Die Burg lag auf einer Anhöhe, umgeben von weitläufigen Wiesen, Feldern und Wäldern. Soweit sie blicken konnten, gab es nur Grün. ‚Ein bisschen wie Mittelerde', dachte sich Catreena jedesmal, aber eben nur ein bisschen, es ist nicht wirklich Mittelerde!'
Angelia schob die Stalltür auf und trat ein, Catreena folgte ihr. Kaum, dass sie den Gang zwischen den Boxen betreten hatten, schnaubten ihre beiden Pferde Blitz und Donner freudig. Im Nu hatten die Mädchen die Pferde gesattelt, aus dem Stall geführt und trabten dann langsam vom Burghof und den Weg die Anhöhe hinunter. Sobald sie den Fuß des Hügels erreicht hatten, galoppierten sie los.
Die Pferde flogen über die Wiesen, und die Mädchen genossen den Galopp. In einem stillschweigend verabredeten Wettkampf lag mal die eine, dann wieder die andere vorne. Der Wind fegte über sie hinweg und ließ ihre langen schwarzen Locken wehen.
Sie sahen sich so ähnlich, wie sich Zwillinge nur gleichen können, und doch waren sie grundverschieden. Angelia, die zwei Minuten ältere Schwester, war ein Rationalist durch und durch. Für sie zählte nur, was greifbar oder logisch erklärbar war. Die Schule war für sie ein notwendiges Übel, nicht sehr gemocht, aber nützlich. Am liebsten ritt sie mit ihrem Pferd Blitz stundenlang über die Wiesen, ließ sich den Wind ins Gesicht wehen und genoss das Gefühl der absoluten Freiheit.
Catreena dagegen, obwohl auch sie gerne und lange ausritt, konnte sich ebenso gut stundenlang ins Bett verkriechen und lesen. Sie war ein Träumer, oftmals entrückt, als wäre sie in einer anderen Welt. Sie glaubte an die alten Legenden und Mythen und kannte alle Sagen, die Ritterburg betreffend, auswendig. Und wenn Angelia wieder einmal den Kopf über ihre entrückte Schwester schüttelte, dann lächelte Catreena nur geheimnisvoll – wie eine weise Frau, die schon viel gesehen hatte.
Durch ein leises Wort seiner Reiterin angetrieben, preschte Donner voran, an Blitz vorbei. Catreena wandte den Kopf und sah Angelia an, lächelte ihr auffordernd zu, dann hielt sie auf einen schmalen Fluss zu, der sich vor ihnen entlang schlängelte und die Wiese vom Wald trennte.
„Cat, laß das, das klappt nicht!"rief Angelia ihr hinterher.
„Komm schon, Angel, sei nicht so feige!"war Catreenas prompte Antwort. Sie bedeutete Angelia, ihr zu folgen. Angelia zögerte noch einen Moment, dann spornte sie Blitz an, den Beiden zu folgen.
Catreena sah das silbrige Band des Flusses immer näher kommen. Als sich Donner vom Boden abstieß, duckte sie sich dicht an seinen Hals und genoss das Gefühl zu fliegen. Doch dann geschah etwas Unerwartetes.
Farbige Lichtblitze umzuckten sie, so grell, dass sie die Augen schließen musste. Sie fühlte sich, als würde sie durch eine eisige Kälte fliegen, dann durch glühende Hitze. Angst ergriff sie. So lange konnte der Sprung über den Fluss doch nicht dauern. Bilder zuckten durch ihren Geist, so schnell, dass sie es nicht begreifen konnte. Sie ließ die Zügel los, spürte, wie sie aus dem Sattel glitt, die Nähe zum Pferd verlor. Dann schlug sie auf dem Boden auf und rollte noch ein paar Meter weiter, bevor sie regungslos liegen blieb und in die Dunkelheit sank.
