Vampire Knight

Salvation

Prolog

Herbst. Die Jahreszeit in der alles Schöne so plötzlich aufhört, all die bunten Blumen vergehen und die Wärme des Sommers der ungnädigen Kälte des Sterbens weicht. So wie die Blätter des beinahe kahlen, großen Baumes auf dessen schwarzen Ästen ein zierliches Mädchen saß, und mit klammen Fingern versuchte, das große alte Anwesen weit unter ihr zu zeichnen. Doch ihren gefühllosen Fingern entglitt der Stift, fiel scheinbar unendlich durch die kalte Herbstluft, landete auf dem Kopf des von ihr zu dieser Zeit so gemochten, ja schon beinahe geliebten Jungen und ein ,,Hey Sayo" ertönte als er aufsah und Sekunden später direkt vor ihr stand. Auf dem dünnen Ende des Astes. Ohne sich irgendwo festzuhalten. ,,Ganz gut", meinte er und lächelte als er ihr das Bild aus der Hand nahm. ,, Also ich finde es perfekt, ganz genau wie du es bist", ertönte die Stimme ihrer Zwillingsschwester, die völlig außer Atem war und sich am Ast festklammerte. ,,Komm ich helfe dir auf den Ast, Mika." Doch Sayo verlor dabei selbst das Gleichgewicht. Fiel, so wie zuvor der kleine Stift, in die Kälte.

Das nächste, was sie sah waren die tiefen Augen ihres Retters, der noch Sekunden zuvor vor ihr im Baum gestanden hatte. ,,Danke Daniel", flüsterte sie.

Gefahr

Ich sitze in meinem Zimmer auf meinem Bett. Lese zum x-ten Mal das alte Buch. Es ist in lateinisch geschrieben. Es gibt kaum einen Satz, den ich verstehe. Plötzlich höre ich unten im Flur Geräusche. Erschrocken springe ich auf. Eines meiner viel zu langen, pinken Haare hat sich im Verschluss eines Kissens verfangen ( sie sind von Geburt an pink! Und sie sind nur so lang, weil meine Tante Rin mich immer anfleht sie so zu lassen. Ich soll für immer wenigstens von außen die kleine, glückliche Sayo bleiben die sie mal kannte). Ich schreie von dem plötzlichen Schmerz laut auf und bereue es gleich im nächsten Moment als ich die Stimme eines Mannes höre, die ich zwar kenne, dessen Besitzer ich aber noch nie sehen durfte. ,, Hast du das auch gehört? Vielleicht stimmen die Gerüchte ja doch! Ob sie das Mädchen, diese Sayo meine ich, die ganze Zeit hier versteckt hatte?" ,,Ach was!" Die Stimme eines anderen Mannes. Auch einer vom Vampirjägerverband. ,,Die hat doch niemals überlebt. Genau wie ihre Tante war sie schwach. Alle Uchihas waren Heuchler, das weißt du doch. Und nun sind sie alle tot! Also ich finde eh, Rin hätte schon viel früher sterben sollen." ,,Du weißt, wir konnten sie nicht für etwas bestrafen, wovon wir nicht nachweisen konnten, dass sie etwas damit zu tun hatte. Ich habe ihr vertraut!"

Er ,,hat" ihr vertraut. Das kann nur eines heißen: Rin kommt doch nicht zurück. Nie mehr. Sie hat es versprochen! Sie sagte mir:,, Keine Angst, die Mission mag gefährlich sein, aber nicht so gefährlich wie ich." Sie hat gelacht und als sie mir zum Abschied winkte rief sie noch:,,Geh nie alleine raus. Bleib einfach in deinem Zimmer. Ich bin bald wieder da, versprochen. Ich liebe dich!"

Pfhh. Niemandem kann man vertrauen. Alle lügen sie einen nur an. Langsam sollte ich wissen, dass man niemals jemandem vertrauen kann. Dass man niemals jemanden in sein Herz schließen sollte. Ich bin so blöd! Und wieso nur fangen meine Lippen an zu beben, meine Augen zu tränen und wieso kommen aus meinem Mund diese dämlichen Schluchzgeräusche? Ich hatte mir doch geschworen, niemals mehr zu weinen. ,,Da, hörst du das? Schon wieder! Da oben ist doch irgendwas. Ich gehe jetzt nachsehen.", höre ich da einen der Männer sagen. Was soll ich jetzt nur tun? Sie dürfen mich auf keinen Fall entdecken! Abhauen? Wo sollte ich hin? Da fällt es mir wieder ein. Was meine Tante mir vor 4 Jahren, direkt nach meinem Einzug hier gegeben hat. Was sie gesagt hat wird mir erst jetzt wieder klar. Zu lange ist es her. Zu benebelt waren damals meine Gedanken. ,,Sayo", hatte sie gesagt, ,,falls mir jemals etwas zustoßen sollte, renne so schnell du kannst von hier weg. Verdecke deine Haare und dein Gesicht und nimm diesen Brief mit. Nimm den ersten Zug nach Icheso, suche nach der privaten Cross Akademie. Sobald du dort den Brief meinem alten Freund Direktor Kayen Cross überreicht hast bist du sicher. Erst dann. Hast du verstanden?" Ich habe nur stumm genickt, ihr den Brief aus der Hand genommen und ihn in der untersten Schreibtischschublade verstaut. Dort wühle ich jetzt hastig zwischen zerbrochenen Stiften und anderem alten Zeichenkram. Ich finde ihn und zum Glück auch eine Schere. Leise flüstere ich:,, Nun, das ist nun schließlich euer Ende, verhasste Haare", nehme sie alle auf einmal und schneide sie etwas unterhalb der Schultern ab. Sobald ich das erledigt habe, öffne ich den Kleiderschrank ( der nicht gerade voll ist bei jemandem, der sich seit 4 Jahren kaum in der Öffentlichkeit zeigt) und schnappe mir meinen schwarzen Kapuzenpulli und meine alte pinke Schultasche. In sie stopfe ich schnell den Brief, etwas Geld, meinen Ipod und meinen einzigen, wertvollsten Schatz: das alte Buch. Dann ziehe ich mir eilig den Pulli über mein pink-schwarzes Punkkleid, verdecke mit der Kapuze Gesicht und Haar, schlüpfe in meine schwarzen Stiefel und öffne das Fenster. Gerade als die Tür sich einen Spalt öffnet, springe ich hinaus. Sicher lande ich auf dem weichen Gras unseres Gartens. Noch einmal drehe ich mich um. Doch ich darf nicht stehen bleiben. Ein Blick aus dem offenen Fenster und der Typ sieht mich! Also renne ich aufs Gartentor zu, renne heraus und durch die Stadt. Halte nicht an. Sehe nicht noch ein einziges Mal zurück. Denn für mich gibt es laut Rin nur eine Chance zu überleben: Nichts wie weg hier und auf zur Cross Akademie!

2. Kapitel

Erste Begegnung

Als ich in den Zug nach Icheso steige, ziehe ich mir die Kapuze noch tiefer ins Gesicht. Die Leute um mich herum denken, ich sehe aus wie ein Gruftie. Manche denken, ich sei eine Obdachlose, ein paar überlegen, ob sie mir vielleicht ihren Platz anbieten sollen, weil ich so müde und blass aussehe. Seit dem Tag vor 4 Jahren, an dem sich alles, sogar mein Wesen änderte, höre ich stets die Gedanken von Menschen, sobald sie weniger als ein paar Meter von mir entfernt sind. Und es bereitet mir Kopfweh. Schon alleine Rins Gedanken haben mich total fertig gemacht, auch wenn ich ihr nie von dieser Gabe erzählt habe. Ich habe mir dann einfach meinen Ipod geschnappt und die Musik laut aufgedreht, sodass ich nichts mehr hören konnte. Sie dachte immer, ich würde das machen, weil ich sie nicht leiden konnte. Das tut mir jetzt fast ein bisschen Leid. Schnell vertreibe ich diesen Gedanken aus meinem von all den Gedanken anderer Leute inzwischen völlig verwirrten, stark pochenden Kopf , krame im Rucksack nach dem Ipod und stecke mir die Hörer in die Ohren. Doch bald merke ich, dass die Musik, auch wenn sie so laut ist, dass ich Angst bekomme, dass mein Trommelfell bald platzt, die Stimmen nicht vertreibt. Stattdessen ist mein Kopfweh jetzt so unbeschreiblich stark, dass ich am ganzen Körper anfange zu zittern und mich an einer Stange halten muss, um nicht umzukippen.

Als mir schwarz vor Augen wird, glaube ich, dass mein Ende nun endlich gekommen ist. Das ist eigentlich auch gut so. Dieses Leben ist nun schon seit 4 Jahren verdammt scheiße und ich weiß nicht mehr, wieso ich mich innerlich immer an diese unerfüllbare Hoffnung, es könnte irgendwie wieder besser werden, geklammert habe. Also gebe ich nach. Ein so schmerz- und qualloser Tod scheint mir das Beste, was mir noch passieren kann, zumindest besser als das, was diese Typen mit mir anstellen werden, wenn sie mich, und ich bin mir sicher, das werden sie, finden.

Als ich wieder zu Bewusstsein komme, spüre ich unter mir zwei starke Arme, die mich stützen. Spüre warmen Atem auf meinem Gesicht. Was ich höre? – nichts, rein gar nichts. Keine wirren Gedanken. Nur das Rauschen des Zuges und ein paar Leute, die um mich herum etwas Unverständliches flüstern. Erschrocken reiße ich die Augen auf, sehe direkt in die besorgten (wunderschönen) lila Augen eines jungen Mannes mit seltsam weißen-grauem Haar, der mich mit seiner tiefen Stimme fragt: ,, Wie geht es ihnen? Sie sind mir gerade direkt in die Arme gefallen."

Ich brauche eine Weile bis ich antworte:,, Ähm, Geht schon. Sie können mich jetzt ruhig loslassen." Doch das hätte ich wohl besser nicht gesagt, denn sobald ich ihn nicht mehr berühre, schlagen die Gedanken all der anderen sofort wie eine Welle über mir zusammen und ich gerate erneut ins Schwanken. Wieder fängt der junge Mann mich auf, wieder verstummen die Gedanken. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun oder sagen soll. Ich weiß nur, dass ich ihn, so komisch dass klingt, auf keinen Fall mehr loslassen will. Ihn, der irgendwie so was wie der Off-Schalter für die Geräusche in meinem Kopf ist. Da fällt mir auf, dass er unter seinem braunen Mantel eine schwarze Schuluniform trägt und da ich seine Gedanken nicht lesen kann frage ich:,, Sagen sie, sind sie Schüler an der Cross Akademie?" Etwas verdutzt meint er:,, Ja, aber was geht das sie an? Warum wollen sie das wissen?" Der Zug stoppt. Eine Stimme aus einem Lautsprecher verkündet: ,,Endstation: Icheso. Bitte alles aussteigen." Die Türen öffnen sich. Die anderen Fahrgäste verschwinden. ,,Weil ich dort hin muss, unbedingt, es geht so zu sagen um Leben oder Tod und ich habe keine Ahnung, wo das ist.",

behaupte ich und kein Wort davon ist gelogen oder übertrieben.

Da er nun nicht anders kann als mich mitzunehmen, willigt er ein, unter der Bedingung, dass wir davor noch woanders hingehen, er sagt, er hätte noch was zu erledigen. Ich weiß, dass ich so schnell wie möglich zur Akademie sollte. Aber was habe ich schon groß für eine Wahl? Also folge ich ihm. Klammere mich an ihn, um die Gedanken der blöden Menschen um mich herum zu vertreiben, sage ich hätte Angst noch mal umzukippen und zeige so das erste Mal in meinem Leben vor jemand Anderem Schwäche. Vor jemandem, dessen Namen ich nicht einmal weiß.

Bei den Vampirjägern

Wir bleiben vor einem großen Haus stehen. Auf einem Schild ist ein Zeichen, ein geheimes Zeichen. Es kommt mir bekannt vor. Zu bekannt! ,,DER VAMPIRJÄGERVERBAND? Da mussten sie hin? Sie sind ein Vampirjäger?", stoße ich hervor. ,,Ja, das bin ich. Aber egal woher sie das auf einmal wissen, sie dürfen mich nicht hinein begleiten." Was? Der kann mich doch jetzt nicht einfach hier stehen lassen. Bei all den Leuten mit ihren verwirrenden Gedanken. Da fällt mir etwas ein. Etwas, was nicht mal wirklich eine Lüge ist:,, Ich bin auch ein Vampirjäger!" ,,Ach echt, und wieso sollte ich ihnen glauben?" ,,Ich habe das geheime Zeichen erkannt!" ,,Na und, vielleicht sind sie ja ein Vampir!" ,,Bin ich nicht!", ich erschrecke, weil meine Stimme auf einmal so weinerlich trotzig klingt, wie bei einem kleinen Kind, dem niemand Glauben schenkt, weil es nicht so ganz die Wahrheit sagt. Aber so leicht gebe ich jetzt nicht auf. ,,Nehmen sie mich mit oder ich verrate alle Geheimnisse. Wie zum Beispiel, dass es Vampire gibt." ,, Na gut aber erregen Sie möglichst kein Aufsehen." Und er fügt leise hinzu:,, Soweit das möglich ist mit diesen Haaren."

Schnell fasse ich mir auf den Kopf. Da ist keine Kapuze mehr. Sie muss mir im Zug, als ich zusammengeklappt bin, vom Kopf gefallen sein. Na toll! Klasse! Da stehe ich nun direkt vor dem Hauptsitz der Vampirjäger, die mich alle umbringen wollen ( qualvoll- seehr qualvoll) und sage quasi unmissverständlich : ,,Hey Leute, hier bin ich. Ha ha, ausgetrickst! Ich, Sayo Uchiha, bin doch nicht tot!" Hastig ziehe ich mir die Kapuze bis zur Nasenspitze. Wenigstens scheint der junge Vampirjäger mich nicht erkannt zu haben und sonst war hier draußen wohl kein Vampirjäger. Also packe ich ihn wieder (immer noch) am Arm und folge ihm hinein – auch wenn das wahrscheinlich die dümmste Idee der Welt ist.

Während wir durch die Gänge gehen spüre ich die Blicke, die auf mich gerichtet sind. Doch ich gucke die ganze Zeit nur auf den Boden. Früher, als ich klein war, habe ich immer davon geträumt, hier meinen ersten richtig coolen Auftrag zu bekommen. Und zwar vom obersten Vampirjäger persönlich, der hinter der Tür sitzt, auf die ich jetzt zumarschiere. Diesen Moment habe ich mir echt anders vorgestellt!

Drinnen kann ich nicht anders als kurz aufzublicken. Mir alles anzusehen. Es ist ein wahrhaft großes Büro mit tausenden Büchern in den Regalen an den Wänden. Auf dem Schreibtisch in der Mitte steht ein goldenes Namenschild: Toga Yagari. Weiter werde ich auf keinen Fall aufsehen. So lebensmüde bin ich dann doch nicht! ,,Zero", erklingt die Stimme des Mannes, der hinter dem Schreibtisch sitzt, ,, hast du den Auftrag erfolgreich beendet?" ,,Ja das habe ich, Yagari-sensei", antwortet mein unfreiwilliger Begleiter, der offensichtlich Zero heißt. ,,Wer ist das Mädchen?" hakt Toga Yagari nach. Oh Gott. Das ist mein Ende. Egal was jetzt passiert, ich werde meine Identität preisgeben müssen. Wie konnte mein inneres ich nur schon wieder denken, alles würde schon irgendwie gut werden? Ängstlich suche ich nach etwas, das mir Halt gibt, Kraft das hier durchzustehen und erwische mich schon wieder dabei zu heulen und Zero in die Augen zu sehen. Wie ist aus mir nur an einem einzigen Tag ein verheultes, gefühlsduseliges Mädchen geworden? Kurz erwidert Zero meinen Blick und sagt dann schnell: ,, Sie war als einzige noch nicht ganz zum Level E verfallen, also konnte ich sie nicht töten. Was soll ich jetzt mit ihr machen?" ,, Mach mit ihr was du willst. Töte sie, lass sie am Leben oder wenn dir so viel an ihr liegt, heirate sie doch. Mir egal." Puh, das war nun echt mal Rettung in letzter Sekunde. Draußen, wieder auf dem Weg zur Akademie meint Zero:,, So, Mädchen mit dem pinken Haar. Keine Ahnung, warum sie auf einmal angefangen haben zu heulen, oder wieso ich das Gefühl hatte, für sie lügen zu müssen, aber eins ist klar: Jetzt schulden sie mir schon mindestens 2 Sachen."

Oh Mann, ich hasse es, jemandem etwas zu schulden, aber es ist offensichtlich, dass ich ihm wohl mehr als 2 Sachen schulde, also sage ich:,, Klar doch. Aber ich bin nicht ,,das Mädchen mit den pinken Haaren". Ich bin Sayo und erst 15 also duzen sie mich ruhig." Dieser Satz war wohl das erste einigermaßen freundliche was ich in den letzten Jahren von mir gegeben habe, denn seine Miene hellt sich kurz auf und er erwidert:,, Zero. Erst 17. Du darfst ruhig du sagen."

Ankunft

,,Ich habe mir eine Privatschule immer so… äh…. Na ja, reich und ordentlich eben vorgestellt. Also: Was ist das?", frage ich als ich das halb zerfallene Tor zur Cross Akademie sehe. ,,Das war..ein Unfall", erwidert Zero knapp. Noch etwas an dem Tor fällt mir unangenehm auf: es ist zugeschlossen. Nun, es ist ja schließlich auch schon fast Nacht. ,,Zugeschlossen?", frage ich. ,,Natürlich!"

,,Wieso?" ,,Wegen dir. Du hast meinen Zeitplan total ruiniert!" Was denn für einen Zeitplan? Als hätte ich ihn in irgendeiner Weise aufgehalten. Pfh. Na was soll's. Ich will jetzt nicht streiten. Dazu bin ich inzwischen echt zu müde. ,,Wo schlafen wir dann heute Nacht?", will ich wissen. ,,Wir? Ich kann mich nicht erinnern dir eine Bleibe angeboten zu haben!" Verdutzt schaue ich ihn an. Der will doch nicht wirklich ein junges Mädchen alleine in der Nacht zurücklassen! Tickt der eigentlich noch ganz richtig? Plötzlich lächelt er wieder. Dieses kleine, kaum sichtbare Lächeln. ,,Was ist bitteschön so komisch?" ,,Dass du mir das abkaufst." Er legt den Kopf leicht schief und bedeutet mir ihm zu folgen. Wir laufen am Tor vorbei und durch ein kleines Wäldchen. Und weil meine Nerven inzwischen echt am Ende sind, erschrecke ich fürchterlich als ein Rabe über mir auf einem Ast aufkrächzt und davonfliegt. Ich stolpere nach vorne, über einen Ast und sehe noch, wie Zero sich erschrocken zu mir umdreht, höre, wie er meinen Namen ruft, doch er ist diesmal zu weit weg um mich aufzufangen. Ein brennender Schmerz fährt von meiner Stirn aus durch meinen Kopf als diese auf einen spitzen Stein schlägt.

Als ich aufwache scheint die Sonne durch das Fenster. Jemand rüttelt sanft an meiner Schulter. ,,Mann Rin, ich will noch nicht aufsehen", grummele ich in das Kissen und kneife die Augen zu. ,, Du bist wohl immer noch nicht wieder ganz bei dir", höre ich eine tiefe Stimme flüstern. Hastig reiße ich die Augen wieder auf, blicke in dem mir unbekannten Zimmer umher, in dem das Bett steht, in dem ich liege. Es ist hellblau gestrichen und schlicht eingerichtet. Auf dem Türschild an der Innenseite der Tür steht : Yukis tolles Zimmer. Ich drehe mich um und sehe in das Gesicht eines Jungen. Zero! Und da fällt mir auf einen Schlag alles wieder ein: Der Tod von Rin, meine Flucht, wie ich Zero im Zug traf und wie ich mir den Kopf an einem Stein aufschlug. Vorsichtig taste ich mich an die Stelle an meiner Stirn heran, an der ich die Wunde vermute. Doch ich fühle nur ein weiches Pflaster. ,, Hey Zero", flüstere ich, ,, Vielen Dank"

,,Klar." Da fällt mir ein, es ist niemals gut aufzuwachen und nicht zu wissen, wo man ist, also füge ich hinzu:,, Sag mal, wo bin ich hier?" ,,Das Haus des Rektors." ,,Des Rektors? Kann ich ihn sprechen?" ,, Du hast es aber eilig. Obwohl, schließlich geht es ja um… wie sagtest du…Leben oder Tod?" Diese Frage würde normalerweise klingen, als würde er mich nicht ernst nehmen. Aber so ernst wie er mich dabei anguckt, glaube ich fast, er würde mir glauben.

Ich nicke. ,,Er kommt erst heute Mittag wieder. Dann kannst du sofort mit ihm reden, in Ordnung?" Wieder nicke ich. ,,Kommst du?", fragt er. ,,Wieso?" Er seufzt. ,,Du kannst Fragen stellen. Zum Frühstück. Ich schätze du hast schon länger nicht mehr gegessen." Da hat er Recht. Erst jetzt merke ich, dass mein Bauch sich anfühlt wie ein tiefes schwarzes Loch. Aber als ich mich aufsetzen will, überwältigt mich der plötzliche Schmerz in meiner Stirn und ich lasse mich zurück auf die Kissen fallen. Wieder seufzt Zero. ,,Ich sehe, die Dame würde es vorziehen ihr Frühstück heute im Bett zu genießen." Mit diesen Worten verlässt er das Zimmer und als er zurückkommt, hat er ein Tablett in der Hand mit allem möglichen Zeug, was man nur zum Frühstück essen kann: Eier, Omelett, Schinken, Marmelade, Toast, Obst und anderes Gebäck. Und: Heiße Schokolade! Ich liebe heiße Schokolade! Doch in letzter Zeit hatte ich sie nicht oft, denn meine Fähigkeiten in der Küche beschränken sich so ziemlich auf Milch über Cornflakes zu gießen oder mir ein Brot zu schmieren. Umso mehr beeindruckt mich dieses ,,Super-Frühstück" das jetzt auf dem Nachttisch neben mir steht und ich kann nicht anders als den Mund aufzureißen und ,,wow" zu flüstern. Zero sagt bloß:,, Ich wusste nicht was du gerne isst, also habe ich dir von allem etwas gebracht." Als erstes nehme ich einen großen Schluck aus der Tasse mit der heißen Schokolade. Sie schmeckt wunderbar! Fast so wie früher. Und das macht mich schon fast ein bisschen traurig. Doch als ich über den Tassenrand Zeros Gesicht sehe, er lächelt schon wieder kaum erkennbar, denke ich, dass er unter seiner normalerweise so ernsten und schroffen Fassade doch gar nicht so übel ist. Und das macht mich irgendwie glücklich. Und mein innerstes ich beginnt ganz langsam schon wieder gegen meinen Vorsatz, niemanden mehr in mein Herz zu lassen, zu verstoßen.