So, ich hab mich jetzt doch entschieden diese Geschichte noch weiter zu schreiben, habe aber einiges geändert. Vor allem mit dem zweiten Kapitel, das ich mal hochgeladen habe, war ich richtig unzufrieden. Ich hab aber auch beim Rest noch einige Dinge geändert und auch hinzugefügt. Die nächsten Kapitel kommen auch bald.
Ich hoffe, dass euch meine Geschichte gefällt (falls ihr sie denn liest ;)) und würde mich sehr freuen, wenn ihr anschließend ein Review hinterlässt :D
Harry war zehn Jahre alt als sie kam. Er hörte die vertraute Stimme der Vertreterin des Jugendamts. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als ihm bewusst wurde, dass es nun soweit war. Heute würde seine Schwester nach Hause kommen.
Harry kannte nicht die ganze Geschichte. Er wusste nur, dass seine Mutter zum Zeitpunkt ihres Autounfalls schwanger gewesen war, und man das Baby aus ihrem toten Körper gerettet und es wie durch ein Wunder überlebt hatte. Die Erklärungen warum sie erst jetzt davon erfuhren waren wesentlich abstrakter. Harry hatte nicht alles verstanden. Die Aufgabe Harry die ganze Sache begreiflich zu machen hatte man seinem Onkel und seiner Tante überlassen, diese waren allerdings weniger daran interessiert Harry aufzuklären, als wütend darüber nun noch ein Kind „aufgezwungen" zu bekommen, wie Onkel Vernon es ausdrückte. Harry war aber hartnäckig geblieben und hatte versucht, wann immer er seinen Onkel oder seine Tante sah, genaueres herauszufinden. Er wollte wissen wo seine Schwester bis dahin gelebt hatte und vor allem warum sie dort gelebt hatte. Doch alles was Harry erreicht hatte war, dass Onkel Vernon sich im Zuge eines Wutanfalls heiser schrie und Tante Petunia mit der Pfanne nach ihm schlug.
Harry lehnte nun an der Tür zum Wohnzimmer und versuchte durch die Tür zu lauschen. Das letzte Mal hatte er dadurch ein paar Dinge erfahren. Es war zwei Wochen her, dass die Vertreterin des Jugendamts, die sich Frau Misora nannte, hier her gekommen und ihnen von Helen erzählt hatte. Harry hatte wie heute an der Tür gelauscht. Frau Misora hatte erklärt, dass die Behörden erst vor zwei Jahren von Helens Existenz erfahren hatten. Seitdem hatten sie versucht ihren Aufenthaltsort herauszufinden, hatten damit aber einige Schwierigkeiten gehabt.
Viel mehr konnte Harry nicht erfahren, da Dudley, der gerade die Treppen hinunter gekommen war, ihn beim Lauschen erwischt und prompt verpetzt hatte. Nur zu gerne würde er die genauen Umstände kennen und wollte vor allem wissen, welche Schwierigkeiten Frau Misora gemeint hatte.
Dudley war im Moment noch unausstehlicher als gewöhnlich. Wegen den Besuchen des Jugendamts, war Harry vorerst aus dem Schrank unter der Treppe aus und in Dudleys zweites Schlafzimmer eingezogen. Tante und Onkel hatten ihm zwar versichert, dass er bald wieder in seinen Schrank zurückkehren müsste, doch Dudley war dieser Tage außerordentlich rachsüchtig und ließ nie eine Gelegenheit verstreichen, seine Wut an Harry auszulassen.
Nun konnte er wieder hören wie Dudley die Treppe herunter watschelte und trat deswegen rasch einen Schritt von der Tür zurück. „Na freust du dich auf deine Missgeburtenschwester?" lachte Dudley. Harry, der sich bereits an Dudleys Sticheleien und Beleidigungen gewöhnt hatte, machte sich aber Sorgen darüber, wie Helen mit ihnen umgehen würde. Er hatte in den letzten zwei Wochen oft darüber nachgedacht, wie die Dursleys wohl mit ihr umgehen würden, ob sie nett zu ihr sein würden und vor allem wo sie schlafen würde. Diese Überlegungen machten ihm unwillkürlich große Sorgen und dämpften auch seine Freude über seine neue Schwester. Die Dursleys hatten ihm einen ziemlich genauen Eindruck darüber verschafft, was sie von Helen hielten. Onkel Vernon hatte Harry eine lautstarke, sehr lange Schimpftirade darüber gehalten, was sich seine Eltern nur gedacht hatten noch ein Kind zu bekommen, um dieses schon wieder an ihm abzuwälzen. Als ob Harry oder seine Eltern irgendetwas für den Autounfall konnten. Tante Petunia war ungewöhnlich still gewesen, wanderte mit finsteren Blick durch das Haus und kritisierte Harry bei jeder Gelegenheit. Noch mehr als sonst. Dudley hatte einfach nur furchtbar schlechte Laune, und rief in Dauerschleife, dass niemand sein zweites Schlafzimmer bekommen würde.
Jetzt öffnete sich die Wohnzimmertür und Frau Misora trat heraus, erblickte Harry und lächelte. „Ihr habt die gleichen Augen!" sagte sie fröhlich, dann streifte ihr Blick seine Stirn. „Ich wünsche euch alles Gute." sagte sie etwas besorgt, verabschiedete sich von allen und ging. Harry betrat das Wohnzimmer.
Helen war 9 Jahre alt. Sie hatte langes schwarzes Haar und leuchtend grüne Augen. Auch ihre Statur glich der Harrys, sie war klein und sehr mager, außerdem wirkte sie in diesem peinlich sauberen Wohnzimmer außerordentlich fehl am Platz. Ähnlich wie Harry. Die beiden sahen sich einen langen Moment still in die Augen.
„Hi." sagte Harry schüchtern und ging ein paar zaghafte Schritte auf sie zu und streckte seine Hand aus. Dann rannte Helen plötzlich los und schloss ihn in die Arme. Einen Moment lang vergaßen die beiden die Dursleys, bis Onkel Vernon wütend sagte: „Ich gehe zur Arbeit. Geht eurer Tante aus dem Weg und benimmt euch!" Er küsste seine Frau zum Abschied, nahm seine Aktentasche und verließ das Haus.
„Harry räum deine Sachen aus Dudleys Zimmer zurück in deinen Schrank!" dann ging auch Tante Petunia, holte sich ein Glas Wein aus der Küche und ließ sich stöhnend auf der Bank im Garten nieder.
„Und wo schläft die?" fragte Dudley feixend. „Sie ist Harrys Schwester, also wird er sich um sie kümmern." rief Tante Petunia und Dudley lachte laut auf. „Viel Spaß gemeinsam im Schrank!"
Harry räumte ein paar T-Shirts, Socken und Hosen wieder aus dem Schrank in Dudleys zweiten Schlafzimmer, den sie provisorisch befüllt hatten, falls sich das Jugendamt genauer um Harrys Befinden erkundigen sollte. Doch diese schienen erstaunlich wenig Interesse an Harry gehabt zu haben. Nicht einmal hatten sie sich sein Zimmer angesehen, geschweige denn mit Harry gesprochen, der offensichtlich etwas verwahrlost und vernachlässigt war.
Helen folgte ihm auf Schritt und Tritt. Die Dursleys machten ihr Angst, vor allem Dudley, der sie die ganze Zeit über hämisch angrinste.
Helen hatte eigentlich Angst vor allen fremden Menschen, da Harry aber ihr leiblicher Bruder war, und Frau Misora ihr versichert hatte, er wäre ein netter Junge, der sich um sie kümmern würde, hatte sie einfach beschlossen ihm zu vertrauen. Was blieb ihr auch anderes übrig, denn wie es aussah müsste sie sich einen „Schrank" mit ihm teilen. Harry öffnete peinlich berührt die Tür unter der Treppe. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Helen gedacht „Schrank" wäre die Bezeichnung für ein vielleicht sehr kleines, oder hässliches Zimmer, doch hier war tatsächlich nichts anderes als ein kleiner Abstellschrank, in welchen sich ein noch kleineres Bett befand. Harry schien darauf zu warten, dass sie sich irgendwie beschwerte, doch Helen sagte nichts. Sie hasste kleine enge Gänge, ging noch nicht mal in Aufzüge, da sie unter Klaustrophobie litt. Doch darüber wollte sie sich jetzt keine Gedanken machen. „Das ist unser Schrank." erklärte Harry überflüssigerweise und wurde dabei wieder knallrot im Gesicht. „Er ist hübsch." antwortete Helen und kam sich prompt vor wie eine Idiotin. Sie konnte noch nie gut mit Menschen umgehen.
„Hilft mir jetzt das Essen zu machen!" rief Tante Petunia irgendwann und brach damit ihr peinliches Schweigen. „Mach den Speck!" blaffte Tante Petunia Helen an, die leicht zusammenzuckte und dann Speck in die Pfanne warf.
Harry deckte den Tisch während Tante Petunia und Helen zusammen kochten. Nach dem Essen räumten Harry und Helen den Tisch ab und wuschen das Geschirr. Dudley machte sich auf, einen seiner Freunde zu besuchen, Tante Petunia verschwand in ihrem Schlafzimmer und Harry und Helen waren endlich allein.
„Möchtest du dir den Garten ansehen?" schlug Harry leise vor und Helen nickte. Er führte sie durch den ganzen Garten bis hin zu seiner Lieblingsstelle. Von außen betrachtet sah man nur Gebüsch. „Was ist das?" fragte Helen als Harry nichts tat als sie erwartungsvoll anzustarren. „Das ist mein Lieblingsplatz. Da drinnen ist ein Versteck, man sieht es von außen nicht. Aber wenn du willst können wir da rein gehen und haben dann Ruhe." sagte er lächelnd.
„Nach dir." sagte Helen etwas verunsichert und krabbelte Harry dann hinterher, in das dichte Gebüsch hinein. Darin befand sich tatsächlich ein gutes Versteck. Es war ein einfacher Hohlraum inmitten des dichten Gewächses - ein hervorragender Ort um sich zu verstecken. Helen grinste. „Hier gefällt es mir! Deine Familie ist irgendwie unheimlich." fügte sie noch schüchtern hinzu und wich seinem Blick aus.
„Vor denen brauchst du keine Angst haben!" erwiderte Harry sofort. „Ich meine, sie sind nicht besonders nett und von Dudley musst du dich fern halten, aber ich beschütze dich." Helen blickte auf und lächelte. Es war das erste echte Lächeln seit sie hier angekommen war, eigentlich ihr erstes Lächeln seit Jahren.
Es dauerte Monate bis Helen allmählich begann sich an ihr neues Leben zu gewöhnen. Die erste Nacht war schlimm gewesen. Harry hatte gewusst es würde eng im Schrank werden und Privatsphäre gab es ohnehin keine, doch von ihrer Platzangst hatte er nichts gewusst. Zuerst hatten sie die Tür offen gelassen und so ging es noch halbwegs, bis Dudley sich hinunterschlich und sie zusperrte. Helen atmete hysterisch und Harry drückte sich bis ins letzte Eck und versuchte sich so klein wie möglich zu machen, doch es half nichts. Sie fanden in dieser Nacht beide keinen Schlaf. Harry versuchte mit Onkel und Tante zu reden, ob sie nicht wenigstens die Tür offen lassen konnten, doch Dudley hatte sie davon überzeugt, Helen sei eine Diebin die Nachts das Haus ausrauben würde. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als sich daran zu gewöhnen. Helen schlief mit dem Kopf bei der Tür, um ein wenig frische Luft abzubekommen und Harry versuchte fortan zu schrumpfen.
Die Tage waren nicht weniger schwierig. Tante und Onkel behandelten Helen wie Luft, doch Harry kam nicht umhin zu bemerken, dass er nicht mehr Dudleys Lieblingsopfer war.
Ständig lauerte er Helen auf und erzählte die schlimmsten Geschichten über die Schule. Helen würde mitten im Jahr einsteigen, eine Klasse unter Harry und Dudley und war deswegen ohnehin sehr nervös. Dudley liebte es ihr Horrorgeschichten davon zu erzählen, was er und seine Gang mit ihr anstellen würden, wenn sie erst einmal das Haus verlassen hatte. Harry kam nicht umhin zu befürchten, dass er vieles davon wahrmachen würde, denn bei ihm hatte er es auch getan.
Die erste Woche verging noch ohne Vorfälle, was vermutlich daran lag, dass Harry aufpasste wie ein Luchs und bei jedem Anzeichen von Dudley und seiner Gang sofort Helen fand und sie das Weite suchten. Nach einigen weiteren Tagen wartete Harry aber wie üblich bei ihrem Treffpunkt, auf einer Bank vor der Schule, doch Helen kam nicht. Irgendwann ging er sie suchen und fand sie schließlich halbnackt in Dudleys Spinnt eingeschlossen. Er befreite sie und gab ihr sein T-Shirt. Sie hatten sie zwingen wollen ohne Kleidung nach Hause zu gehen und als sie sich geweigert hatte, hatten sie Helen in Dudleys Spinnt gesperrt.
Solche Zwischenfälle gab es einige. In der Pause spritzten sie ihre Hose mit Wasser nass und verkündeten dann lautstark sie habe sich in die Hose gemacht, oder sie hoben sie einfach hoch und warfen sie in eine Mülltonne, aus der sie es alleine nicht mehr herausschaffte. Ein anderes Mal lauerten sie Helen und Harry auf, die beide davonrannten und daraufhin mit Steinen beworfen wurden. Harry war dieser Tage ständig damit beschäftigt neue Heimwege und neue Verstecke zu finden. Sein Versprechen sie zu beschützen konnte er nicht immer halten und das machte ihn traurig.
Es gab aber auch schöne Momente. Es war nicht leicht Zeit zu zweit zu finden, die Stunden im Schrank nicht mitgezählt, da Helen darin nicht sprach. Die beiden schafften es aber immer wieder sich in eines ihrer zahlreichen Verstecke zurückzuziehen und einander kennenzulernen. Harry stellte fest, dass Helen zwar überaus schüchtern und ängstlich war, Harry aber offensichtlich vertraute und nahezu alles über sein bisheriges Leben wissen wollte. Harry fand ihre Herkunft allerdings viel spannender, vor allem weil sie immer nur sagte, sie könne sich an nichts erinnern, was passiert war, bevor das Jugendamt sie gefunden hatte. Also rätselte er oft lange vor sich hin woran das liegen könnte, bis sie ihn bat damit aufzuhören.
Überdies hatte Harry beschlossen ihr seine Geheimnisse zu erzählen. Er erzählte ihr von den vielen seltsamen Dingen die ihm manchmal passierten, angefangen von seinen Haaren die über Nacht nachwuchsen, Onkel Vernons grässlichen alten Pullover den er einmal geschrumpft hatte, bis hin zu dem Tag an dem er es geschafft hatte mit einem Mal bis aufs Dach der Schule zu springen, als er vor Dudleys Bande floh. Helen fand diese Geschichten ungeheuer spannend, hatte zu seiner Enttäuschung aber nie etwas derartiges erlebt.
Aus Tagen wurden Wochen und Dudleys Geburtstag rückte immer näher. Ein Ereignis, das von Dudley mit großer Vorfreude erwartet wurde und auch Harry versuchte das Beste aus der Situation zu machen. Onkel und Tante würden, wie jedes Jahr, irgendeinen großartigen Ausflug mit Dudley unternehmen. Mal gingen sie mit ihm ins Kino, mal besuchten sie einen Freizeitpark oder gingen in den Zoo. Bis jetzt hatte Harry solchen Tagen immer mit großer Wehmut entgegen geblickt, denn er musste seine Zeit damit verbringen, sich Katzenfotos ihrer schrulligen alten Nachbarin Mrs. Figg anzusehen, während Dudley sich mit seinen Freunden großartig amü dieses Mal würde es anders sein. Zum einen lag das daran, dass Helen bei ihm sein würde, und das alleine würde seinen Aufenthalt schon um einiges spannender gestalten. Der Hauptgrund war aber, dass sie nun endlich eine kleine Verschnaufpause bekommen würden. So langweilig und humorlos Mrs. Figg auch sein mochte – es gab immer gutes Essen, manchmal durfte Harry sogar den Fernseher anmachen, oder kurz in dem Garten spielen, aber vor allem hätten sie endlich Ruhe vor Dudley. Sie würden miteinander reden können, ohne sich in irgendeinen dornigen Gestrüpp verstecken zu müssen und ohne die Angst entdeckt zu werden.
BUMM
Harry erwachte stöhnend. Etwas ziemlich Schweres (zweifellos Dudley), trampelte da über ihnen die Treppe hinab. Harry setzte sich die Brille auf und ein Blick zu seinen Füßen verriet ihm, dass auch Helen gerade wach wurde. „Morgen." nuschelte sie und setzte sich ans Bettende, was nur möglich war, weil Harry sich ebenfalls hinsetzte. Er kramte unter dem Bett nach Socken und zupfte ein paar Spinnweben weg, während auch Helen sich anzog. Was Kleidung betraf hatte sie es nicht wirklich besser getroffen als Harry. Zwar blieben ihr Onkel Vernons stinkende Socken erspart, sie trug dafür aber Tante Petunias alte Sachen. Petunia hatte zwar etliche Pfunde weniger als Onkel Vernon, war dafür aber sehr hoch gewachsen, und die kleine Helen musste sich ihre Hosen fünfmal umschlagen damit sie beim Laufen nicht darüber stolperte.
Ein leises Klicken ertönte und die Schranktür öffnete sich. „Aufstehen Junge! Du machst das Frühstück für Dudders!" Keifte Tante Petunia durch die Tür und war schon wieder weg. Seufzend schleppten sich die beiden in die Küche.
Harry hatte festgestellt, dass Onkel und Tantes Umgang mit Helen zwar nicht weniger feindselig war, als sie sich Harry gegenüber verhielten, dafür aber umso seltsamer. Sie weigerten sich strikt Helen direkt anzusprechen, als wäre es nun ihre neue, raffinierte Taktik, so zu tun als wäre sie nicht da, in der Hoffnung sie würde tatsächlich wieder verschwinden.
Zwar gaben sie ihr also keine direkten Anweisungen, das änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass von ihr die selbe Arbeit erwartet wurde wie von Harry. Einmal hatte Onkel Vernon Harry aufgetragen im Garten Unkraut zu jähten und da man Helen nichts aufgetragen hatte, war sie im Haus geblieben, bis Tante Petunia nach Hause gekommen war und sie als undankbaren, faulen Freak bezeichnet hatte. Von da an war beiden klar gewesen, dass, wann immer Harry angesprochen wurde, wohl auch Helen gemeint war.
Also machten sie nun gemeinsam Frühstück. Helen überwachte die Pfannkuchen, während Harry für Kaffee sorgte. Dudley zählte unterdessen seine Geschenke. Helen machte große Augen als sie all die bunten Päckchen in allen Formen und Größen sah.
Onkel Vernon und Tante Petunia saßen fröhlich am Tisch, um Dudley beim auspacken zu beobachten, doch dieser schien nicht so glücklich als er die Päckchen zählte. Harry, der einen Wutanfall witterte, stellte hastig die zwei Kaffeetassen samt Zucker auf den Tisch und verschwand dann eiligst wieder zum Herd.
„Was machen wir heute?" fragte Helen, als Harry ihr den Pfannenwender abnahm und ihr Frühstück vorm Verkokeln rettete.
„Wir gehen zu Mrs. Figg, unsere Nachbarin." antwortete Harry. Helen nickte, wirkte aber nervös, also fügte Harry hinzu: „Sie ist in Ordnung, nur langweilig. Magst du Katzen? Dann wird es dir dort gefallen, sie hat eine Menge."
Abgesehen von Dudleys alljährlichem Wutausbruch verlief das Frühstück ziemlich friedlich und Harry fand sich ausnahmsweise einmal ungewöhnlich satt wieder, was wohl daran lag, dass Dudley mit dem Auspacken seiner zahlreichen Geschenke beschäftigt war.
Die Stimmung war zumindest solange friedlich bis das Telefon läutete und Tante Petunia mit bleichem Gesicht verkündete, Mrs. Figg habe sich ein Bein gebrochen.
Während Tante und Onkel halblaut darüber diskutierten, was sie nun mit den beiden anstellen sollten, sah Helen sehr besorgt aus, doch Harrys Herzschlag wurde ziemlich schnell. Konnte es wirklich sein, dass... aber er traute sich nicht ganz den Gedanken zu Ende zu denken.
Seine Hoffnungen wurden allerdings erfüllt. Knappe fünfzehn Minuten später fand er sich am Rücksitz ihres Kombis wieder, zur rechten von Dudley und Peers während Helen sich im Kofferraum zusammenkauerte. Harry hatte zuerst angeboten diesen Platz einzunehmen, doch Helen hatte sich sehr schnell freiwillig gemeldet. Harry vermutete, dass sie nicht so nahe bei Dudley und Peers sein wollte.
Helen und Harry waren beide sehr aufgeregt. Zuerst gingen sie alle zusammen Eis essen und dann ging es weiter in den Zoo.
Nun hatte nicht mehr nur Helen die Augen vor Staunen weit aufgerissen, auch Harry hatte das Gefühl nicht genug Augen zu haben, um alles erfassen zu können.
Aus großer Umsicht spazierten die beiden ein paar Meter hinter Dudley und Piers. Auch Helen war der Gedanke gekommen, die beiden könnten die Unaufmerksamkeit der Erwachsenen nutzen, um sich an ihnen zu rächen und sie hielt ihre linke Hand immerzu um Harrys Ellbogen geklammert, während sie, aufgeregt umherblickend, wie ein Wasserfall vor sich hin plauderte. „Harry hast du die Zebras gesehen? Und die ganzen Affen dort! Ich hab gehört, wie eine aus der Schule erzählt hat, dass Affen einen die Getränke aus der Hand stehlen...gut dass wir kein Wasser dabei haben...Sieh dir den langen Hals der Giraffe an! Und ist das ein Löwe?" Harry blickte sich um, und sie traten ein wenig näher an den Zaun heran. Darin befand sich das beeindruckendste Tier, dass Harry je gesehen hatte.
Der Löwe hatte gewaltige Pranken mit sehr scharfen krallen, eine buschige Mähne und offenbarte riesige Zähne als er ausgiebig gähnte.
„Ich hab noch nie einen Löwen gesehen. Er ist riesig!" flüsterte Harry und Helen nickte ehrfürchtig. Harry trat noch ein paar Schritte näher heran, doch nun blieb Helen zurück. Er blickte sich um und streckte ermutigend seine Hand aus, aber sie bewegte sich nicht mehr. Sie hatte einen ganz seltsamen Gesichtsausdruck. „Was hast du?" fragte Harry.
„Wie kann man so ein schönes Tier nur essen?" hauchte sie.
„Essen? Wer isst denn Löwen?" fragte Harry verdutzt.
Helen starrte noch einen Moment lang zu dem Löwen, einen träumerischen Ausdruck im Gesicht, dann sah sie zu Harry. Sie blinzelte ein paar mal sehr schnell und murmelte dann: „Ich bin mir nicht mehr sicher. Ich dachte ich hätte mal jemanden sagen hören, dass es heute Löwenfleisch zum Essen gibt, aber wahrscheinlich hab ich was falsch verstanden. Gehen wir weiter? Es gibt ein Reptilienhaus!" Harry nickte, leicht irritiert, folgte ihr dann aber. Zumindest schien Helen der Zoobesuch gut zu tun, sie blühte ein wenig auf und war auch weniger ängstlich, da sie mit Harry allein war.
Harry warf noch einen Blick zurück zu dem Löwen, (er hatte ihnen den Rücken zugewandt und stolzierte langsam davon,) und betrat dann vor Helen das Reptilienhaus.
Darin war es sehr dunkel und kühl. Helen hielt wieder seinen Arm und blieb immer einen Schritt zurück. Sie sahen leuchtende Frösche in allen möglichen Farben, kleine Schildkröten, riesige Schildkröten und gingen sogar an einem Becken mit Krokodilen vorbei. Helen fühlte sich besonders mutig als sie Harry hinterher bis an die Absperrung marschierte und sich die zwei Krokodile aus der Nähe ansah. Eines lag auf einem kleinen Felsen der ins Wasser ragte. Das andere trieb im Wasser und nur Teile des Gesichts waren zu sehen.
Dort standen sie eine Weile bis plötzlich ein schallendes Lachen zu ihnen hinüber wehte. Dudley und Piers kamen zurück und waren Onkel und Tante offenbar losgeworden. Sie trotteten in ihre Richtung, hatten sie aber noch nicht entdeckt. Harry wollte gerade vorschlagen weiterzugehen, als Piers auf die Krokodile und dann weiter zu ihnen deutete. Ein fieses Lächeln breitete sich auf Dudleys fettem Gesicht aus. Er stieß Piers in die Seite und flüsterte etwas in sein Ohr. Auch dieser grinste nun.
Harry, der nichts Gutes ahnte, trat hastig auf Helen zu und zog sie ein paar Schritte von dem Krokodilbecken weg. Sie sah hoch, erbleichte und trat rasch hinter Harry.
„Na gefällt es euch hier?" fragte Dudley höhnisch. Sie sagten nichts.
Dudley trat noch ein paar Schritte näher, Piers fixierte Helen. „Die hat doch sogar Angst vor den Krokodilen!" lachte er und Helen starrte errötend auf den Boden.
Harry sah sich um. Ein paar Meter weiter standen eine alte Frau mit zwei Kindern. Sie besahen sich eine der Schlangen, hatten ihnen aber den Rücken zugewandt. Ansonsten war niemand hier.
„Ja sieht so aus." rief Dudley und die beiden lachten noch lauter, als hätte Piers soeben etwas ungeheuer Lustiges gesagt.
„Was meinst du Helen, willst du sie vielleicht mal aus der Nähe sehen?" fragte Dudley plötzlich und Harry wurde es eiskalt. Sie schüttelte ruckartig den Kopf und sah dann hilfesuchend zu Harry.
„Gehen wir." murmelte dieser und zog sie hastig mit sich. Er ging nun ebenfalls zu den Schlangen, doch die beiden Kinder schienen bereits das Interesse zu verlieren. Die alte Frau murmelte etwas von einem Klo und winkte die Kinder mit sich.
Harry drehte den Kopf und stellte erleichtert fest, dass Dudley und Piers ihnen nicht gefolgt waren, sondern sich nun selbst den Krokodilen widmeten. Vermutlich hatte sie die Anwesenheit von Erwachsenen wieder zur Besonnenheit berufen.
Helen schloss kurz die Augen, schüttelte dann den Kopf und besah sich die Schlange genauer, doch Harry hatte nicht das Gefühl als würde sie sich wirklich für sie interessieren. Ihr Gesicht war bleich und die Angst stand ihr noch immer im Gesicht. „Ich hoffe wir gehen bald." Murmelte sie und Harry nickte.
„Die Tiere tun mir Leid." fuhr Helen fort. „Sie sind hier den ganzen Tag eingesperrt. Stell dir vor wir könnten sie retten!"
Harry grinste und sagte: „Ja, wir könnten sie freilassen und dann als Haustier behalten. Stell dir mal Dudleys Gesicht vor, wenn wir ihm eine Schlange oder einen kleinen Frosch ins Essen tun!"
Helen lachte wurde aber schnell wieder ernst. „Er würde uns hauen."
„Würde er nicht." sagte Harry zuversichtlich. „Er würde es gar nicht bemerken und das arme Tier einfach mitessen." nun lachte Helen laut auf, nickte und wandte sich dann wieder der Schlange zu. Die Frau mit den Kindern war verschwunden und Harry sah sich wieder um, und sah, dass nun auch Tante und Onkel zu den Krokodilen gestoßen waren. Jetzt würde Dudley es nicht mehr wagen Helen etwas anzutun und Harry wandte sich beruhigt selbst der Schlange zu. Boa Constrictor, Brasilien stand auf dem Schild daneben. Helen drückte nun die Nase gegen das Glas und begann sich mit der Schlange zu unterhalten. „Was hälst du davon wenn wir dich freilassen, hm? Das würde dir doch gefallen oder?"
Die Schlange rührte sich nicht sondern schlief weiter, den Körper wie einen Ball zusammen gerollt.
„Aber könntest du uns den Gefallen tun und Dudley für uns fressen, ja?" sagte Harry und nun schien die Schlange aufzuhorchen. Sie hob den Kopf und starrte ihn an. Harry wandte sich lächelnd zu Helen um, doch sie sah ihn nur verwirrt an. „Was machst du da?" fragte sie.
Harry seufzte kurz und wandte sich dann wieder zur Schlange. „Na schön, nicht ganz aufessen, zufrieden?" fragte er Helen lachend.
„Was machst du da für Geräusche?" sagte Helen, doch eine andere Stimme sprach zugleich: „Auff ffresssen jaah, auff ffresssen." es lag ein leichtes Zischen in der Stimme und Harry wurde mit einem Schlag bewusst, dass es die Schlange selbst gewesen war, die ihm geantwortet hatte. Er warf Helen einen aufgeregten Blick zu und sagte dann: „Verstehst du mich?"
„Jah verssstehen, auff ffresssen, auff ffresssen." Aufgeregt wandte Harry sich wieder zu Helen. Diese sah nun stirnrunzelnd zwischen Harry und der zischenden Schlange hin und her.
„Kannst du mit Schlangen reden?" fragte sie dann laut.
„Ich? Nein ich glaube eher die Schlange kann mit Menschen reden." sagte Harry begeistert und fragte dann das Tier: „Redest du öfter mit Menschen?" Die Schlange schüttelte den Kopf.
„Was hast du sie gefragt?" fragte Helen skeptisch, doch eine andere Stimme schnitt Harry das Wort ab. „Das erzähl ich Dad!" rief Dudley feixend und rannte los. Harry hatte nicht bemerkt, dass sie wieder zu ihnen gestoßen waren, noch wusste er ob sie wirklich zugehört hatten, doch eines war klar - das würde Ärger geben. Onkel und Tante reagierten überaus empfindlich auf alles Ungewöhnliche oder Abnormale, wie sie es nannten, und Harry bezweifelte, dass sie es gutheißen würden wenn ihr Neffe in aller Öffentlichkeit begann mit Tieren zu sprechen.
Helen schien das gleiche zu denken, denn sie ließ missmutig den Kopf hängen. Sie hatte die Einstellung der Dursleys zu solchen Dingen sehr schnell verstanden. Als Harry ihr von seinen Geheimnissen, den ungewöhnlichen Vorfällen die ihm manchmal widerfuhren, erzählt hatte, hatte sie ihm versprechen müssen nie ein Wort zu den Dursleys zu sagen, da diese die Sache ganz und gar nicht lustig finden würden.
Die beiden wandten sich nun missmutig zum Gehen und überlegten mit geknickter Miene, ob sie nun wohl wieder in den Schrank gesperrt würden. Nur die Schlange hatte wieder den Kopf erhoben und sah Dudley mit hungrigem Gesichtsausdruck hinterher. „Auff ffresssen." zischte sie noch einmal, doch Harry wagte es nicht mehr ihr zu antworten und schüttelte nur den Kopf.
Onkel Vernon hatte gewartet bis sie wieder zu Hause waren. Während der gesamten Fahrt zurück hatte er schweigend das Lenkrad umklammert, doch die Ader an seiner Schläfe hatte unheilverkündend stark pulsiert. Nachdem er in die Einfahrt eingebogen war, das Auto abgestellt und den Kofferraum geöffnet hatte, packte er Harry und Helen am Kragen und schleifte sie hinein, Richtung Schrank unter der Treppe.
„Wie kannst du es wagen deine Abnormalität öffentlich zur Schau zu stellen? Und das auch noch an Dudleys Geburtstag?!" donnerte er, dann schlug die Tür zu und Harry hörte ein Klicken.
Seitdem saßen die beiden im Schrank. Harry im Schneidersitz und Helen die Knie angezogen. Sie flocht kleine Zöpfe in ihre langen Haare um sich die Zeit zu vertreiben und Harry spielte in Gedanken sein Gespräch mit der Schlange wieder und wieder ab. Er fragte sich mit welchen Tieren er sonst noch sprechen konnte, überlegte ob der Löwe ihm wohl auch verstanden hätte und nahm sich vor es im Garten mit ein paar Vögeln zu versuchen, sobald sie hier wieder rauskamen.
„Kannst du wirklich mit Schlangen sprechen?"
Es war bereits mitten in der Nacht als Helen die Stille brach. Harry hatte es zuerst nicht richtig gehört, weil sie bis zu diesem Zeitpunkt noch nie im Schrank gesprochen hatte. Er brauchte einen Moment um sich ihre Worte in Erinnerung zu rufen, dann nickte er und sagte: „Du warst doch dabei. Du hast gehört, dass sie geantwortet und sogar genickt hat wie ein Mensch!"
„Gehört hab ich gar nichts, nur dass du so komisch gezischt hast." murmelte sie und Harry sah wie ihre schemenhafte Gestalt die Hände hob und vor der Brust verschränkte.
„Ich hab doch normal geredet."
„Das war nicht normal und das weißt du." Nun klang Helen beleidigt, sie wandte den Kopf ab.
„Was meinst du?" fragte Harry zunehmend verunsichert.
„Du machst dich über mich lustig." murmelte sie und klang fast schon traurig.
„Tu ich nicht!" rief Harry laut, doch in diesem Moment ertönte irgendwo über ihnen ein leises Grunzen. Sie verstummten. Harry wartete ein paar Augenblicke und als er sicher war, dass Onkel Vernon wieder schlief flüsterte er: „Ich mache mich nicht über dich lustig Helen. Ich habe doch normal mit ihr gesprochen, so wie gerade mit dir."
Sie schwieg ein paar Augenblicke, dann flüsterte sie zurück: „Das glaubst du wirklich?"
„Ja." flüsterte Harry verwirrt.
Helen seufzte tief und flüsterte dann: „Du hast ganz komisch gezischt. Es klang wie Schlangensprache."
Darüber musste Harry erst mal nachdenken. War es denn möglich, dass er eine andere Sprache gesprochen hatte ohne es zu bemerken? Er begann mit seiner Zunge zu spielen und atmete mehrmals zischend aus, bis Helen ein Geräusch machte, das fast wie ein Lachen klang. Harry senkte den Kopf und spürte wie er errötete.
„So hat das nicht geklungen." flüsterte sie.
„Na dann versuch du es doch mal." schlug Harry halblaut vor doch Helen legte sich auf den Rücken und zog an ihrer kleinen Decke. Auch Harry ließ sich ins Bett sinken. Er dachte noch immer an ihr Abenteuer im Zoo und versuchte ruhig liegen zu bleiben, während sich Helen drehte und streckte und versuchte sich so viel Platz wie nur möglich zu verschaffen. Harry hörte sie tief ein- und ausatmen und das verdrängte erstmals die Schlange aus seinen Gedanken.
„Tut mir Leid, dass wir meinetwegen wieder so lange hier rein mussten." murmelte er betreten. Als Helen nichts sagte machte er sich Sorgen, sie wäre nun wirklich sauer auf ihm und er wurde immer nervöser bis sie schließlich ganz leise zurück hauchte: „Ist nicht deine Schuld. Wäre die Schlange nicht gewesen, hätte Dudley sich was anderes überlegt."
Das stimmte wahrscheinlich dachte Harry. Er seufzte tief und schloss die Augen bis er schließlich in einen unruhigen Schlaf voll von sprechenden Reptilien und Löwen sank.
