Ein Gespenst geht um in South Park, Colorado.

Das Gespenst des Kitzelns.

Es tauchte plötzlich auf, Menschen fielen ihm zum Opfer, das Gelächter schallte durch die Nachbarschaft, unerschütterlich.

Niemand wusste, woher es kam oder warum es gerade hier gelandet war, wie lange es hier bleiben würde oder wie man es aufhalten konnte. Doch dieses Geheimnis sollte auch nicht so schnell gelüftet werden.

Erst würden sie alle ihre Erfahrungen damit machen müssen. Sie würden kichern und schreien, lachen und leiden. Niemand sollte verschont bleiben.

Für einige von ihnen würde das nicht gut enden, das war klar.

Doch für andere...

~~~ Beginn ~~~

Er hatte immer schon gewusst, dass er nicht normal war. Das mochten viele von sich sagen, aber er wusste, dass es bei ihm wirklich stimmte. Er war nicht normal!

Es gab da diese eine Sache. Natürlich, für alle anderen war es nichts besonderes. Es war ein Spiel, etwas, was nur Kinder taten. Aber er war bereits kein Kind mehr. Spätestens jetzt hätte er ihm auffallen müssen.

Es war etwas Unschuldiges. Er hatte seine Freunde oder die Kinder in seiner Schule gesehen, wie sie spielerisch herum balgten, nach den Seiten ihrer Gegner griffen, ihre Finger in die Haut drückten und dann mit ihnen in Gelächter ausbrachen. Es war nur Spaß, sagten sie. Für ihn jedoch war es quälend.

Wann immer er jemanden dabei beobachtete, selbst sogar nur daran dachte, spürte er ein Kribbeln in seinem Bauch, ein Ziehen in seinem Unterleib. Es packte ihn. Es schien ihn zu einem anderen Menschen zu machen! Wie hätte er sich und seinen Körper jemals verstehen sollen?

Über die Jahre hatte er lernen müssen, damit umzugehen. Er hatte sich so akzeptiert, hatte gelernt, es zu nutzen, wenn er es schon nicht unterdrücken konnte. Sein Umfeld bot ihm eine willkommene Gelegenheit.

Bei dem Gedanken lief ihm ein Schauer über den Rücken und wieder spürte er dieses Kribbeln und Ziehen in sich. Sein Atem ging schneller.

Angespannt sah er auf seinen Schoß hinab und mit zitternden Fingern strich er über die Beule in seiner Hose. Wieder erschauderte er und er drückte die andere Hand auf seinen Mund, um die Geräusche zu dämpfen, die versuchten, daraus hervorzudringen.

Wieso... wieso nur war er so?

Er stöhnte leise auf, als seine Finger etwas fester über die harte Stelle strichen. Seine Beine zuckte, die Hand in seinem Gesicht verkrampfte sich. Er hörte auf, normal zu denken, Nebelschwaden schienen seinen Kopf zu füllen, rissen ihn in seine eigenen, tiefen Gedanken und Gelüste hinab...

Ein Klopfen an der Tür ließ ihn heftig auffahren und augenblicklich in das Hier und Jetzt zurückkehren. Die Hand vor seinem Mund hatte den erschrockenen Schrei gedämpft. Schnell stand er auf und trat zu der dünnen Holztür, um mit zitternden Knien davor stehen zu bleiben, voller niederer Reize, alle Nerven zum Zerreißen gespannt.

Was... was war los?

Er stellte die Frage, nuschelnd wie immer, in Richtung Zimmertür, unter der er den Schatten zweier kleiner Schuhe erkennen konnte. Die Antwort schien Stunden auf sich warten zu lassen, ließ ihn noch unruhiger und nervöser werden.

"Bruder, möchtest du mit mir spielen?"

Ein Seufzen entstieg seiner Kehle und nachdenklich rieb er sich über die langsam abflachende Beule in seiner Hose, was ihn mehr als stark zusammenzucken ließ. Gott, war das empfindlich! Das müsste definitiv erst verschwinden!

Er entgegnete ein "Ja, ich bin gleich da", und lauschte, wie sich die kleinen Schritte langsam entfernten, bis er endlich aufatmete.

Langsam entspannter werdend ließ er sich zurück auf sein Bett sinken und wartete, dass das Ziehen abklang und das Kribbeln sich verflüchtigte. Das war wohl das größte Problem bei all dem: Es schränkte ihn ein.

Wieder seufzte er und machte sich schließlich auf den Weg, raus aus diesem Raum, in dem ihm die Gedanken den Kopf vernebelten.

~~~ Anderswo ~~~

Verwirrt blickte Stan auf, als sein Computer urplötzlich einen Laut von sich gab. Er war eigentlich damit beschäftigt gewesen, die Arbeit, die sie über das Wochenende hatten schreiben müssen, zu beenden und hatte den Computer auf seinem Schreibtisch nur deshalb bereits eingeschaltet, um beim Schreiben Musik hören zu können. Ein Grund mehr, das Piepen nicht überhören zu können: Es war schlicht und einfach viel zu laut.

Etwas genervt drehte er den Regler seiner Soundanlage runter, bevor er den Blick über den Bildschirm schweifen ließ. Auf der unteren Leiste blinkte eines der Symbole. Ein S auf einer hellblauen, fast kreisrunden Fläche. Skype.

Stan betrachtete das orange blinkende Symbol für ein paar Sekunden, dann wandte er den Blick wieder ab. Er hatte noch viel zu tun. Sein Aufsatz umfasste – insofern er sich nicht doch verzählt hatte – erst etwa einhundert Wörter und da fehlte noch viel zu viel. Er konnte sich jetzt nicht von dieser Skype-Nachricht ablenken lassen.

Er ließ sich wieder von der Musik erfassen und konzentrierte sich auf seinen Aufsatz, setze den Stift auf und schrieb weitere Buchstaben und Wörter. Es verging einige Zeit, einige Minuten, in denen er konzentriert weiter arbeitete. Wort um Wort, Satz um Satz ergänzte er, schrieb und schließlich...

"Stan!"

Er zuckte zusammen, hob den Kopf und blickte in Richtung Zimmertür. Es war seine Mutter, die gerufen hatte, und nun mit dem gleichen, uninteressierten Ton ergänzte: "Kyle ist da! Er kommt hoch!"

Stan seufzte und senkte den Blick wieder auf seinen Aufsatz. Es waren nur noch drei Sätze, die er schreiben musste. Drei Sätze, die er schreiben wollte, um das Ganze rund zu machen.

"Hey, Stan", sagte plötzlich jemand neben ihm und Stan drehte sofort den Kopf zu ihm, musterte seinen besten Freund mit einem perplexen Blick.

Hatte er ihn gerade wirklich überhört? Ihn und seine Zimmertür?

"Hey", entgegnete Stan nach einem Moment, was Kyle eine verwirrtes Grinsen auf die Lippen zauberte.

"Alles in Ordnung?", fragte er. Schnell nickte Stan.

"Ja, klar, alles gut."

Er warf einen Blick auf des Blatt unter seinen Fingern, bevor er Kyle wieder ansah. "Setz dich ruhig erstmal hin, ich muss den hier noch beenden."

"Okay."

Während Kyle langsam in Richtung Bett ging, um sich dort, wie es sich anhörte, auf die Matratze zu setzen, blickte Stan abermals auf seinen Aufsatz hinab. Wie waren noch die drei Sätze gewesen, die er hatte schreiben wollen?

"Du bist also immer noch nicht fertig?", fragte Kyle hinter ihm, Stan schüttelte nur hastig den Kopf.

Nicht ablenken! schoss es ihm durch den Kopf, aber er schwieg und bewegte die Stiftspitze geschwind über das Blatt.

Zwei Sätze. Er wusste es. Nur noch zwei Sätze und es wäre geschafft.

"Als ich fertig wurde, dachte ich, ich komme einfach Mal vorbei."

Wieder hatte Stan nichts als ein stummes Nicken für die Worte seines Freundes übrig. Natürlich beeilte er sich, aber je mehr Kyle ihn ablenkte, desto schwieriger wurde es, die Sätze, die in seinem Kopf schwebten, genau so auf Papier zu bringen.

Wieder sagte Kyle etwas, was Stan diesmal gänzlich ausblendete. Er biss sich auf die Lippe, schreibend, denkend, so konzentriert, als würde sein Leben davon abhängen.

Ein Satz. Wenige Worte. Kyles Stimme schien nicht einmal mehr an sein Ohr zu dringen, so laut waren seine eigenen Worte in seinem Kopf. Dann setzte er den Punkt, den letzten Punkt, und atmete erleichtert auf.

Erleichtert streckte er die Arme in die Luft und gähnte genüsslich. Endlich war diese Qual vorbei, endlich hatte das ein Ende. Nun konnte er sich ganz auf sein Wochenende konzentrieren.

"So, Kyle, jetzt kö-"

Er wurde je unterbrochen, als etwas seine Seiten berührte und ihn erschrocken aufkeuchen ließ. Ruckartig riss er die Arme wieder nach unten, aber da war es schon zu spät.

Stan begann haltlos zu kichern, als sich zwei Hände in seine Achseln gruben und begannen, ihn zu kitzeln. Doch schon nach wenigen Sekunden verwandelte sich dieses Kichern in lautes Lachen und er wandte sich auf seinem Stuhl hin und her, in der Hoffnung, den kitzelnden Händen irgendwie entkommen zu können. Aussichtslos, wie schnell klar wurde, denn die Hände seines Angreifers – Kyle natürlich! – waren unter Stans Armen eingeklemmt.

"Stohohohop!", schrie er in einen neuen Lachanfall hinein, hin und hergerissen zwischen dem Wunsch, die Arme zu heben und Kyles Hände damit loszuwerden, und dem unendlich starken Kitzelgefühl, das ihn zwang, die Arme weiter an seinen Oberkörper zu pressen.

"Sch-schluhuhuhuss dahamihihit... Stohohop... Kyle! Hahahahahah...!"

In einem Anflug aus Ideenreichtum sprang Stan schließlich auf und rannte zur Zimmertür – nicht, ohne dabei so heftig gegen seinen Schreibtisch zu stoßen, dass der Bildschirm darauf gefährlich schaukelte.

Kaum war er den folternden Händen entkommen, machte Stan auf dem Absatz kehrt und hob gleichzeitig abwehrend die Hände vor den Körper, die Oberarme dabei fest an sich gedrückt. Doch Kyle stand immer noch nur da, hinter dem Schreibtischstuhl, und grinste seinen besten Freund verschmitzt an. Ihre Blicke trafen sich und Kyle zuckte demonstrativ mit den Schultern, als Antwort auf Stans unausgesprochene Frage.

"Du hast mich einfach ignoriert, Mann."

Knurrend betrachtete Stan seinen Freund mit der grünen Mütze noch einen Moment, bevor ihm selbst ein Grinsen ins Gesicht rutschte. Eines, das nichts Gutes zu bedeuten hatte. Kyle schluckte sichtbar, der Ausdruck auf seinem Gesicht wurde weniger sicher, als er es zuvor noch gewesen war.

"Na warte!", grollte Stan und seine Finger begannen sich in kitzliger Andeutung zu bewegen, was Kyle augenblicklich zu nervösem, anhaltenden Kichern zwang.

"Das bekommst du zurück!"

Keinen Moment später stürzte er sich auf Kyle, die beiden rangelten und waren bald schon so in ihren Kitzel-Kampf vertieft, dass niemand von ihnen bemerkte, wie Stans Computer zum zweiten Mal an diesem Nachmittag piepte.