„Schnell!", rief Snape Draco zu, als sie über den Rasen liefen. Draco musste der Versuchung widerstehen, seinen Zauberstab zu nehmen und Harry von Angesicht zu Angesicht zu verfluchen. „Dafür ist jetzt keine Zeit!", ermahnte Snape ihn und zerrte ihn weiter hinter sich her in Richtung der Tore, wo sie endlich würden apparieren können. Er sah, dass Harry immer näher kam. „Du gehst!", wies Snape ihn an, bevor er sich dem nahenden Harry zuwandte. Draco rannte. Vielleicht das erste Mal um sein Leben. Nach einigen Minuten, während denen es scheinbar einen heftigen Kampf gegeben hatte, erschien Snape wieder an seiner Seite. „Gut, gut. Das wäre erledigt. Lass uns apparieren." Aber anstatt sich zu konzentrieren, liess Draco seine Gedanken schweifen. Weg von Hogwarts. Weg von diesem ganzen Chaos. ‚Wenn ich doch bloss irgendwo anders sein könnte…' Und für einen kurzen Moment liess er Snapes Hand los. In dem Augenblick begannen sie zu apparieren. Und in dem Augenblick wurde alles in Draco Malfoys Welt schwarz…
Draco erwachte mit starken Kopfschmerzen. Er war sich sicher, dass man ihn mit einem Fluch belegt hatte, weil er seine Aufgabe nicht korrekt erledigt hatte. Aber nach einer Weile liess der Schmerz nach und er konnte seine Augen öffnen. Da wurde es ihm bewusst. Er war nicht im Schloss des dunklen Lords. Er setzte sich aufrecht hin und sah sich nervös um, bereute dies aber sofort wieder, als der Kopf wieder zu schmerzen begann. Hatte eine Truppe von Auroren ihn geschnappt? Was war mit seinen Eltern? Waren sie vom dunklen Lord bereits getötet worden, weil er versagt hatte? Tausende Gedanken schwirrten in seinem Kopf herum, als die Türe aufging. Er schluckte und bereitete sich bereits auf Veritaserum und Dementoren vor, als eine zierliche Frau hereinkam. Die sah bestimmt nicht wie ein Auror aus: sie war bestimmt über siebzig, hatte silbergraues Haar und bewegte sich mit einer für einen Auror unmöglichen Gemütlichkeit.
„Ach, du bist endlich wach, mein Lieber!", sagte sie mit warmer Stimme, während Draco sie nur neugierig und, wie immer wenn er jemand neuen traf, misstrauisch ansah. „Hab dich während des Sturmes in der letzten Nach vor meiner Haustüre gefunden. Du hast ziemlich übel ausgesehen.", erklärte sie und fuhrt fort: „Zitternd und nass. Was hat dich bloss dazu getrieben, bei diesem Wetter das Haus zu verlassen?" Draco antwortete nicht. Sturm? Wo zur Hölle war er überhaupt? „Wo…wo bin ich?", brachte er schlussendlich hervor. „An der Hochstrasse. Hausnummer zwanzig.", antwortete die Frau und als Draco sie bloss verwirrt anstarrte, fügte sie hinzu: „Zürich." Immer noch kein Wort von Draco. „Schweiz?" „Verdammt, was mache ich bloss hier? In der Schweiz?!", begann Draco los zu fluchen. „Richtig, mein Lieber.", antwortete die alte Dame mit einem Lächeln und überhörte seine Wortwahl geflissentlich. „Und ich habe keine Idee, was dich hierher geführt hat. Das solltest du aber selber wissen. Ich habe aber einen Vorschlag… meine Nichte kommt gleich vorbei. Sie wird dir bestimmt helfen können, mein Lieber." „Könnten sie das ‚mein Lieber' bitte lassen? Wer zur Hölle sind sie überhaupt?" „Mein Name ist Collins, Martha Collins.", erwiderte die Frau und strahlte ihn immer noch warmherzig an. „Und wer bist du?" „Ich werde Malfoy gerufen. Draco Malfoy!", stellte sich Draco hervor und hob ein bisschen arrogant das Kinn. Aber Martha Collins schien ihn nicht zu kennen. Und dabei war doch mittlerweile sein Bild in jeder Ausgabe des Tagespropheten, des Quibblers und anderen Publikationen…
„Ich habe dir ein wenig Tee gemacht, mein Lieber.", sagte Martha und ignorierte die eisigen Blicke von Draco, während sie wieder diesen blöden Kosenamen benutzte. Wenn er sich nicht noch so verdammt übel gefühlt hätte, hätte er es ihr schon gezeigt. Trotzdem wollte er endlich herausfinden, warum er hier gelandet war. Er wollte in die Tasche seiner Roben greifen, wo sonst immer sein Zauberstab lag und erstarrte.
Sein Zauberstab war weg! Und nicht nur das: all seine Zaubererkleidung war auch verschwunden! „Wo sind meine Sachen?", wollte er wissen und mit jedem Wort wurde seine Stimme lauter. „Ach du meine Güte, das alles war so zerrissen und dreckig. Ich habs entsorgt!" „Sie haben WAS?", wollte Draco in Panik wissen. „Wie konnten sie?!" „Bitte, du solltest dich ausruhen." „Ich werde verdammt nochmal nicht ruhen, bis sie mir sagen, was sie mit meinem Zauberstab gemacht haben!" „Zauberstab?", hakte Martha nach, die von Dracos Benehmen ganz und gar unbeeindruckt geblieben war. „Oh, dann gehörst du zu den magischen Leuten?", fuhr sie fort und Draco hielt inne. War er bei einem Schlammblut gelandet? Oder noch viel schlimmer… bei einem Muggle? „DU! Halt dich von meiner Tante fern!", ertönte eine klare Stimme plötzlich hinter ihm. Es war eine Stimme, die er nur zu gut kannte, auch wenn er sie schon eine Weile nicht mehr gehört hatte. Er drehte sich um und fand sich in Angesicht zu Angesicht mit Jane Collins wieder, die ihren Zauberstand gezogen hatte und mit diesem direkt an seine Kehle hielt.
Es gab ein paar Leute auf der Welt, Potter zum Beispiel, die Draco am liebsten irgendwohin weit weg verbannt hätte. Dazu gehörte auch Jane Collins. Sie war auch in Hogwarts gewesen, zwei Jahre über ihm. Sie war sein ‚Staatsfeind No. 1' vor dem schrecklichen Trio. Sie gehörte zu jenen Menschen, die sich immer für andere einsetzten. Natürlich war sie ein Schlammblut und manchmal dachte Draco, dass er sie genauso fest wie das Trio hasste…
„So Longbottom… mal wieder zu spät für die nächste Lektion?", wollte Draco hämisch von einem eingeschüchterten Neville wissen, der von Crabbe und Goyle festgehalten wurde. „Ich hab bloss ein Buch vergessen, welches ich noch bei Professor Sprout vorbeibringen muss.", stammelte Neville. „Ach so… spielen wir wieder Sprouties Liebling?", spöttelte Draco und machte einen bedrohlichen Schritt auf Neville zu, der sofort zurückwich.
„Lasst ihn alleine! Aber sofort!" Erklang plötzlich eine Stimme. Die drei Slytherins drehten sich um. Vor ihnen stand Jane Collins mit gezogenem Zauberstab. „Oh, oh, oh… jetzt hab ich aber wirklich Angst, Collins!", antwortete Draco mit einem Grinsen. „Das ist auch besser so!", antwortete die Vertrauensschülerin von Ravenclaw nicht im Geringsten eingeschüchtert von seinem Auftreten. „Jemand sollte besser DIR zeigen wie man sich benimmt, du dreckiges Schla…" Draco konnte nicht zu Ende sprechen. Jane Collins hatte ‚Stupor! ' gerufen, bevor er seinen Lieblingsspitznamen überhaupt über die Lippen gebracht hatte.
Während er getroffen zu Boden ging, konnte er einen dankbaren Neville hören. „Danke, Jane!" „Kein Problem, Nev!" Ihre Stimme war viel fröhlicher als sie es vor einigen Augenblicken gewesen war. „Aber du solltest diesen Fluch wirklich lernen, dass du das nächste Mal mit ihnen alleine fertig wirst!"
