Summary: Das zweite Jahr unserer liebenswerten Heldentruppe in Hogwarts. Ob der Stein der Weisen wohl echt ist? Die Ravenclaws und der Rest der Schule bekommen es mit dem Monster aus Salazar Slytherins Geheimlabor zu tun. Und was ist eigentlich mit Ginny los? Werden Fred und George herausfinden, warum ihre kleine Schwester sich so seltsam benimmt? Oder spinnt ihre magische Karte nur? Und gehören Basilisken eigentlich zu den vom Aussterben bedrohten Arten? Falls ja, kümmert es sie auch?
Warnings: Completely AU, spoilers from all books, language (in many ways), violence, Sex (slash, het, femmeslash, whatever), Drugs & Rock 'n' Roll, character death, OoC, OCs etc., nothing has to, but everything (including the aforementioned items, but not limited to them) might happen at some point (and the odds are now higher now than in the first book, although I won't guarantee anything), especially slash (kind of required by a rabid plot bunny – okay, honestly, it's not required at all, I'll do it just for fun). If you don't like it, stop reading it! Despite chapter titles: This isn't a songfic! (Though it wouldn't hurt to know the songs. They're great. All of them.)
Rating: M, just to be safe. And there's a slightly higher chance, that there may be some scenes in this instalment that actually justify the rating – aside from my imbecile ramblings. Slight chance and maybe. Maybe not.
Disclaimer: This story is based on characters and situations created and owned by JK Rowling, various publishers including but not limited to Bloomsbury Books, Scholastic Books and Raincoast Books, and Warner Bros., Inc. No money is being made and no copyright or trademark infringement is intended. What a surprise! The "No Money" part always makes me weep. But as far as my own ideas and concepts are concerned: in (the unlikely) case you want to use them, be my guest.
Vorbemerkung: Dies ist die Fortsetzung von »Simple Simon Says« und zweites Buch des auf fünf bis sechs Bände angelegten »Come«-Zyklus, den zu beenden ich an keiner Stelle und zu keiner Zeit verspreche. Äh, worauf ich eigentlich hinaus will: Es macht keinen großen Sinn mit dem Lesen zu beginnen – und vor allem hier nicht! Wenn jemand diesen Mist überhaupt lesen will – wovon ich dringend abrate –, dann fange dieser imaginäre Jemand doch bitte beim ersten Band (»Simple Simon Says«) an, schon allein deshalb, weil ich viel zu faul bin, eine vernünftige Synopse zusammenzuschustern. Vollständige Ausgaben des ersten Buches (im PDF-, DOC- und RTF-Format) und des zweiten Buches (PDF und DOC) sind auch als ZIP-Files kostenlos bei einem One-Click-Hoster herunterladbar, die entsprechenden Links finden sich auf meiner Profilseite. Die oben als »Characters« aufgeführten Namen beschreiben nicht notwendigerweise ein Pairing, sondern verstehen sich lediglich als kleiner Auszug aus den Dramatis Personae.
And now, without further ado, the second book!
Come Like A Weighbauk
1. Clear The Gouk's Nest
(Donald McGillavry – Silly Wizard)
Simon zuckte zusammen, als sich eine Hand in sein Blickfeld schob und ihm das Buch, in dem er gerade las, vor der Nase zuschlug.
»Wir essen!«, sagte seine Mum, als wäre das eine Erklärung für ihr Verhalten, und ignorierte seine indignierten Blicke. Als wäre er nicht fähig gleichzeitig zu lesen und zu essen. Er sah auf seinen überladenen Teller und seufzte. Anscheinend war seine Mum der Meinung, dass er in Hogwarts nicht genug zu essen bekommen hatte. Oder sie benutzte seine Rückkehr als Entschuldigung, um einmal wieder so richtig aufzukochen. Er bezweifelte, dass sie das im letzten halben Jahr oft getan hatte, schließlich war sie die ganze Zeit über allein zu Hause gewesen. Vermutlich. Beinahe hätte er sie gefragt, doch dann fiel ihm ein, dass eine entsprechende Bemerkung einen wirksamen Gegenangriff darstellen würde, wenn sie ihn das nächste Mal über potenzielle Freundinnen aushorchen wollte.
Er stürzte sich mit Todesverachtung auf die Riesenportionen Braten, Salzkartoffeln und Erbsenpüree, die auf seinem Teller ein Gebirge aus Essen formten, von dem aus breite Ströme aus Bratensoße in das Flachland des Tellergrundes flossen, um dort eine interessante Seenlandschaft zu bilden.
Als er endlich den größten Teil des Gebirges abgetragen hatte und wieder den Tellerboden am Ende der Soße sah, bemerkt seine Mum mit zufriedenem Lächeln, dass er nicht so schlingen solle. Wenn er nicht den Mund so voll gehabt und sowieso nicht hätte antworten können, wäre ihm bestimmt eine angemessene Entgegnung eingefallen.
»Nachtisch!«, verkündete seine Mum strahlend, kaum dass er endlich die letzten Bissen hinuntergewürgt hatte. Sein entsetzter Blick wurde wiederum nicht zur Kenntnis genommen. Nicht dass das Essen nicht geschmeckt hätte, wenn ihm auch der letzte Hauch hauselfischer Kochkunst gefehlt hatte, an den er von Hogwarts inzwischen gewöhnt war. Aber seit er Freitagabend zurückgekommen war, schien seine Mum keine andere Beschäftigung zu kennen, als ihn mit Essen vollzustopfen. Er war einigermaßen versöhnt, als sich der Nachtisch wenigstens als Schokopudding herausstellte. Trotzdem übertrieb sie maßlos. Und er hatte den Verdacht, dass sie dabei auch noch Spaß hatte.
»Und du willst mich nachher wirklich schon wieder allein lassen?«, fragte seine Mum, während sie mit dem Pudding beschäftigt waren. Simon hätte ihren weinerlichen Ton beinahe ernst genommen.
»Mum!«, protestierte er, und sie zwinkerte ihm halb verschwörerisch, halb anzüglich zu. Er ahnte schon, was gleich kommen würde.
»Gerade mal zwei Tage daheim und schon verlässt mich mein Herr Sohn wieder, um den Sonntag mit seiner kleinen Freundin zu verbringen.« Simon sagte sich, dass es überhaupt keinen Grund gab, sich über sie aufzuregen, und dass seine Mum das mit Absicht machte. Seit er ihr gesagt hatte, dass er heute Nachmittag eine Verabredung mit Luna und Anthony hatte, gab sie keine Ruhe mehr und zog ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit damit auf.
»Verarschen kann ich mich selber«, entgegnete er mit versteinertem Gesichtsausdruck. Seit er wieder zu Hause war, schien dass zu seinem Standardspruch zu werden, wenn er mit seiner Mum redete.
»Wirklich?« Sie kratzte scheinbar völlig auf ihr Schälchen konzentriert die letzten Puddingreste zusammen und betrachtete dann interessiert das kümmerliche Ergebnis ihrer Bemühungen auf ihrem Löffel. »Macht dir der Altersunterschied gar keine Sorgen? Sie ist immerhin erst – wie alt? Zwölf?«
»Elf!«, presste er wütend zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Sie wird erst zwölf und du weißt das genau!« Wenn jetzt Anthony hier gesessen wäre und ihn dermaßen aufgezogen hätte, wäre ein Tritt vors Schienbein fällig gewesen. Ein knochenbrechender Tritt, wohlgemerkt. »Und sie ist nicht meine ›Freundin‹!«
»Natürlich, Schätzchen«, antwortet seine Mum ungerührt. Sie stand unbeeindruckt von seinen erbosten Blicken auf und räumte seelenruhig die Teller und Schälchen in den Geschirrspüler. Noch nie war die Versuchung so groß gewesen, seiner Mum reinen Wein einzuschenken. Aber es war ihm bis jetzt gelungen, den Gedanken an George und den peinlichen Vorfall mit … und Fred recht erfolgreich zu verdrängen. Und nur um seiner Mum den Mund zu stopfen, dieses Fass aufzumachen, das war die Sache einfach nicht wert. Es war schlimm genug, dass er den beiden heute Nachmittag wieder entgegentreten musste, da konnte er zusätzliche nervliche Belastungen – wie sie unzweifelhaft entstehen würden, wenn er seiner Mum hier und jetzt eröffnete, dass er nicht direkt auf Mädchen stand – nun wirklich nicht gebrauchen. Zum Glück würden wenigstens Luna und Anthony mit dabei sein. Das würde einen gewissen Sicherheitspuffer darstellen. Das hoffte er zumindest. Wenn nur die Zwillinge den Mund hielten und keine zweideutigen Anspielungen machten. Die ganze Sache mit … es war auf jeden Fall ein unglaublicher, riesiger und unaussprechlicher Fehler gewesen. Ausgerechnet Fred! Seine Eingeweide zogen sich zusammen, als er an die möglichen Peinlichkeiten dachte, die heute noch auf ihn zukommen konnten.
Er zuckte nervös zurück, als seine Mum ihm über den Kopf strich. »Und vergiss deine Hausaufgaben nicht. Wir wollen doch nicht, dass deine Noten noch weiter abrutschen, oder?«
Nach diesen Worten – die eindeutig unter der Gürtellinie waren – verwuschelte sie seine Haare und verschwand dann lachend aus der Küche in Richtung Arbeitszimmer. Dabei wusste sie genau, dass seine Noten nur wegen der praktischen Prüfungen mittelmäßig waren. Seine Leistungen in den Theorieteilen gehörten mit zu den besten des ganzen Jahrgangs. Flitwick hatte ihn sogar vor der ganzen Klasse deswegen gelobt und seine Arbeit in Zauberkunsttheorie als Musterlösung verteilt, was ihm ziemlich unangenehm gewesen war.
Als er das seiner Mum erklärt hatte, die natürlich etwas überrascht über sein mittelmäßiges Abschneiden gewesen war, hatte sie dauernd die Hand vor den Mund gehalten. Und auf seine Frage, was denn bitteschön so komisch sei, hatte sie betont ernsthaft erwidert, dass daran natürlich nichts Komisches sei und es aber auch wirklich eine echte Zumutung sei, von jemandem zu verlangen, sein theoretisches Wissen in der Praxis zu beweisen. Er hatte selbstverständlich verstanden, dass ihn seine Mum nur auf den Arm nehmen wollte, er war schließlich kein Vollidiot. Trotzdem hatte er an dieser Stelle die Unterhaltung abgebrochen und war auf sein Zimmer gegangen, um zu lesen. Die Rufe und Entschuldigungen seiner immer noch lachenden Mutter hatte er nicht beachtet, während er die Treppe zum ersten Stock erklommen hatte. Wenigstens musste man mit Büchern nicht reden, wenn man nicht wollte.
Er blieb am Küchentisch sitzen und schlug sein Buch wieder auf. Aber er konnte sich nicht richtig auf die »Grundzüge alchemistischer Transformationen« konzentrieren. Zu viele andere, ablenkende Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf. Er musste bei nächster Gelegenheit einen Brief ans Zaubereiministerium schreiben, um sich nach einem Weg zu erkundigen, wie er als Minderjähriger das Haus mit Schutzbannen und Privatsphärenzaubern ausstatten lassen konnte. Er hatte seiner Mum zwar vom Wiederauftauchen von Du-weißt-schon-wer erzählt, aber sie schien die Gefahr nicht richtig zu begreifen und war nicht sonderlich beunruhigt. Der Daily Prophet – ihr einziges Fenster in die Zaubererwelt – hatte auch nichts darüber berichtet, ebenso wenig wie über den Stein der Weisen, von dem er ihr natürlich nichts erzählt hatte. Sie wäre mit Sicherheit nicht erfreut gewesen, wenn sie erfahren hätte, dass ihr Sohn in den Diebstahl eines wertvollen magischen Gegenstandes verwickelt war. Dann auch noch dieser Alchemie-Unsinn mit seiner unlogischen Signaturenlehre und den dämlichen astrologischen und pseudoreligiösen Bezügen, die er zutiefst verabscheute. Transsubstantiation, Transmutation, Transformation! Destillat, Sublimat, Amalgam! Kalzination, Reduktion, Projektion! Es hörte sich alles nach einem Riesenhaufen Schwachsinn an. Und dieses schwammige Geschwafel über »Quintessenz«, die »Prima Materia« und die »Königliche Tinktur«. Er kam langsam zur Überzeugung, dass die meisten Autoren von Alchemiebüchern selbst nicht wussten, wovon sie da eigentlich redeten. Jeder von ihnen schien eine eigene kleine Privattheorie zu vertreten und fabulierte munter drauf los. Mit normaler Chemie, wie er es von der Schule her kannte, oder Zaubertränken, wie sie in Hogwarts gelehrt wurden, hatte der ganze Unsinn wenig zu tun. Hoffentlich hatte Anthony mehr Durchblick, was Alchemie betraf, und bekam tatsächlich ein paar Hinweise von seinem Großvater, diesem angeblich so berühmten Zaubertrankmeister, sonst sah Simon schwarz für einen sinnvollen Einsatz des Steins der Weisen.
Und dann das Schlimmste überhaupt: Heute Nachmittag würde er wieder den Zwillingen unter die Augen treten müssen. Bei dieser Vorstellung verspürte er ein höchst unangenehmes Ziehen in der Magengegend, das ihn an das grauenhafte Erlebnis seiner ersten und einzigen Achterbahnfahrt erinnerte, zu der er sich – in einem Anflug geistiger Umnachtung – von seiner Mum hatte überreden lassen. Und je näher der Zeitpunkt kam, an dem er die beiden wiedersehen sollte, desto schwerer fiel es ihm, den Gedanken daran verdrängen. Ein Blick auf die Küchenuhr sagte ihm, dass er noch fast drei Stunden Zeit hatte, bis es soweit war. Und da er das Bild der beiden nicht mehr aus dem Kopf bekam und das Gefühl in der Magengrube einfach nicht besser wurde, entschied er sich, eine Pause einzulegen. Es hatte sowieso keinen Sinn, in seiner augenblicklichen Stimmung weiterzulesen. Er nahm sein Buch und machte sich auf den Weg ins Badezimmer. Wenn er schon dauernd an George und Fred denken musste, konnte er das ebenso gut nutzbringend verwenden. Außerdem wäre er danach bestimmt etwas ruhiger und ausgeglichener. Zumindest schien es einen Versuch wert, vielleicht half es ja. Na gut, gestand er sich selbst ein, das war wohl nicht das allerwahrscheinlichste Ergebnis. Aber auch nicht völlig ausgeschlossen.
George hörte schon am Geräusch der Fußtritte, mit denen Fred die ächzenden Holzstufen der Treppe malträtierte, dass sein Bruder keine guten Nachrichten brachte. Er sah auch nicht auf, als Fred die Zimmertür hinter sich zuknallte, sondern beendete erst den Absatz über Kelpies. Was Kettleburn ihnen über die Sommerferien aufgegeben hatte – eine Auflistung und Kurzbeschreibung aller ganz oder teilweise hippoformen magischen Geschöpfe –, würde von allen Schularbeiten am schnellsten zu erledigen sein. Deshalb hatte er auch mit diesem Teil begonnen.
Normalerweise hatten er und Fred es ja nicht so eilig, sich ihre Ferien mit Hausaufgaben zu verderben, aber dieses Jahr würden sie vielleicht noch mehr als üblich zu tun haben, und ein kleiner Vorsprung konnte nicht schaden. Außerdem würde es ihre Mum vielleicht etwas besänftigen, die gar nicht begeistert von ihrem Abschneiden bei den Prüfungen war. Dabei waren ihre Noten sogar ziemlich gut, wenn man bedachte, wie wenig Zeit sie fürs Lernen und die Vorbereitung verwendet hatten. Oder, was das anging, für die Schule überhaupt.
Freds wanderte unterdessen ungeduldig auf und ab, jedenfalls versuchte er es, was angesichts der beengten Verhältnisse in ihrem Zimmer kein leichtes Unterfangen war. Die viereinhalb Schritte von der Tür, durch den schmalen Gang zwischen ihren Betten hindurch, bis zum Fenster waren nicht wirklich geeignet, um nervöse Streifzüge zu unternehmen. Außerdem machte der Bodensatz ihres Zimmers – diverse Quidditchmagazine, zwei halb ausgepackte Schultruhen und allerlei Krimskrams, der sich eben angesammelt hatte – das Ganze zu einem Hindernislauf, und Fred musste im Stelzschritt seine Runden drehen.
Erst als George die Feder weglegte und sich seinem Bruder zuwandte, stellte dieser seine sinnlose Wanderung ein und ließ sich auf eines der Betten fallen. Auf Georges fragend erhobene Augenbraue hin antwortete Fred mit einem einzigen Wort: »Waschtag!«
George war nicht überrascht. Ihre Mum war am ersten Ferienwochenende immer sehr beschäftigt und verließ ihr Reich im Erdgeschoss kaum. Es wäre schon ein kleines Wunder gewesen, wenn sie unbemerkt an den Küchenkamin herangekommen wären. Und ein Ablenkungsmanöver konnten sie sich nicht leisten. Bei der momentanen Laune ihrer Mum hätte das ohne weiteres Hausarrest und Arbeitslager bis zum Ende der Ferien bedeuten können.
Er zuckte mit den Achseln. »Also Plan B.«
Fred sprang wie elektrisiert auf. »Dann los! Wer weiß, wie lang wir brauchen, bis wir den blöden Turm finden!«
George schüttelte den Kopf und blieb sitzen. »Dad hat gesagt, es sind nur ein paar Kilometer. Mit den Besen sind wir in null Komma nichts da.«
Aber Fred achtete gar nicht auf ihn und wühlte bereits in ihren Schultruhen. Er warf George das Bündel mit dessen Treiberausrüstung zu und klemmte sich seine eigene unter den Arm. Dann stürmte er aus dem Zimmer und die Treppen hinab. Dabei hatte er es so eilig, dass George ihn erst im Erdgeschoss wieder einholte. Er packte Fred an der Schulter, um ihn aufzuhalten.
»Die Standuhr!«, zischte er ihm ins Ohr. »Ich sag' Mum Bescheid.«
Zum Glück verstand Fred sofort, was er wollte. Während George in die Küche ging, verschwand sein Bruder im Wohnzimmer, um sich um die große Standuhr zu kümmern, deren Zeiger den Aufenthaltsort jedes Familienmitglieds anzeigten. In der Küche war ihre Mum gerade damit beschäftigt, mit ihrem Zauberstab einen riesigen Wäscheberg abzuarbeiten, während das Radio vor sich hin dudelte. Stück für Stück dirigierte sie die Sachen aus dem Korb, zauberte sie trocken und bügelglatt und brachte sie dann mit einem Wink ihres Zauberstabs dazu, sich wie von selbst zusammenzulegen und sauber und ordentlich auf einem der sieben Kleidungsstapel niederzusinken.
»Mum?«, fragte George vorsichtig, um sie nicht stören. Seine Mum brummte nur und blickte weiterhin konzentriert auf die Wäsche. Sie hatte immer drei Sachen gleichzeitig vor sich schweben, und sobald ein Teil auf seinem richtigen Stapel gelandet war, ließ sie auch schon das nächste aus dem Korb hochsteigen.
»Fred und ich gehen ein bisschen trainieren.« Seine Mum nickte nur, ohne ihm wirklich zuzuhören. Genau, wie George gehofft hatte. »Wir sind dann draußen.« Wieder gab sie nur ein zustimmendes Murmeln von sich. Er verschwand schnell wieder aus der Küchentür, bevor seine Mum noch etwas merken konnte. Manchmal hatte sie geradezu legilimentische Fähigkeiten, wenn es um die Pläne ihrer Zwillinge ging, und George wollte kein unnötiges Risiko eingehen.
Fred kam auch gerade wieder aus dem Wohnzimmer und gab ihm mit einem kurzen Kopfnicken zu verstehen, dass er sich um die Uhr gekümmert hatte. Sie verließen das Haus durch die Vordertür. Die Ritzen der Pflastersteine im Hof waren von Moos überwuchert und knöchelhohe Gras- und Unkrautbüschel sprossen aus ihnen hervor. Kein Wunder, bei der Düngung, dachte George. Besonders vor dem Hühnerstall war der Boden mit Federn und einer dicken Kotschicht überzogen. Bestimmt würde ihrer Mum jetzt, wo ihr Nachwuchs wieder zu Hause weilte, bald einfallen, dass dieser sich auch im Haushalt nützlich machen konnte. Und eine der ersten Arbeiten, mit denen sie Jahr für Jahr aufzuwarten hatte, war das Unkrautjäten im Hof und das ekelhaft staubige Freikratzen des Stalls von Hühnerscheiße. Letzteres würde sie sich aber wahrscheinlich als Strafe für Fred und ihn aufsparen. Irgendein Anlass würde sich schon finden, da war George sicher.
Sie überquerten den Hof, ließen den Hühnerstall rechts liegen und näherten sich dem Schuppen. Das Tor stand weit offen, und sie sahen ihren Dad, der ihnen den Rücken zugewandt hatte und sich mit seiner Neuerwerbung vergnügte. Er hatte die Motorhaube des alten, türkisfarbenen Autos aufgeklappt, seinen Kopf tief in den Eingeweiden der Muggelmaschine vergraben und wedelt fluchend mit dem Zauberstab in der Luft herum. Offensichtlich amüsierte er sich prächtig.
Fred war George einen bedeutsamen Blick zu und hob dann den Zeigefinger vor die Lippen. George beobachtete gespannt, wie sein Bruder den Zauberstab an den Hals hielt und geräuschlos hinter ihren Dad trat.
»ARTHUR WEASLEY!«, ertönte plötzlich die Stimme ihrer Mum in ihrem schrillsten Tonfall aus Freds Kehle. »Was in Merlins Namen treibst du da schon wieder?«
George konnte sich nur mit Mühe ein Lachen verbeißen, als ihr Dad ruckartig aus dem Motorraum fuhr, zwar die Haube knapp mit dem Kopf verfehlte, aber den Metallstab, der sie oben hielt, mit dem Ellenbogen wegstieß und ihm die Klappe mit lautem Knall vor der Nase zufiel. Der schuldbewusste Gesichtsausdruck ihres Dads, als er sich mit eingezogenem Kopf vorsichtig umdrehte, schlug in Verwirrung um, als er ihre Mum nirgends sehen konnte. Als Fred zu lachen begann, schien er endlich zu begreifen.
»Fred!« Drohend fuchtelte er mit dem Zauberstab. »Willst du, dass mich der Schlag trifft?« Dann murmelte er noch etwas von vorzeitigem Ergrauen und Haarausfall vor sich hin, aber so leise, dass George es nicht genau verstehen konnte.
Fred grinste bloß. »Weiß Mum, was du hier machst?«
»Nun«, antwortet ihr Dad bedächtig, »sie weiß, dass ich das Auto reparieren will. Ein reines Forschungsprojekt natürlich. Besseres Verständnis der Muggeltechnik und so weiter. Ihr wisst schon.«
»Und das hat Mum geschluckt?«, fragte George, der keine Sekunde lang glaubte, dass das schon alles war. Ihr Dad war wirklich ein außergewöhnlich untalentierter Lügner – im Vergleich zur übrigen Familie jedenfalls.
»Raus damit!«, unterstützte ihn Fred. »Was hast du damit vor? Wir erzählen's bestimmt nicht weiter.
»Und wenn, dann bestimmt nicht Mum!«, fügte George hinzu, als er sah, dass ihr Dad nicht völlig überzeugt war.
»Na gut«, gab dieser schließlich nach und winkte sie näher heran. »Ich versuch', das Auto zum Fliegen zu bringen«, erklärte er im Flüsterton, als bestünde die Gefahr, dass ihn ihre Mum noch aus der Küche heraus hören könnte. Was angesichts des manchmal schon unheimlichen sechsten Sinns ihrer Mum nicht vollkommen ausgeschlossen war, wie George zugeben musste.
»Genial!«, sagte Fred bewundernd, und auch George fand, dass die Idee an sich nicht schlecht war.
»Wie weit bist du?«, fragte er, und überlegte schon, was Fred und er alles mit einem fliegenden Auto anstellen konnten. »Und wann machen wir den ersten Probeflug?«
Aber ihr Dad winkte ab. »Das dauert noch. Und selbst wenn ich den Wagen fertig hab' …« Er sah zweifelnd zum Haus hinüber und seufzte. »Ich weiß nicht, ob eure Mutter uns einen Probeflug erlauben wird.«
»Darüber kümmern wir uns, wenn es soweit ist«, sagte Fred und tätschelte ihrem Dad tröstend die Schulter. »Keine Sorge, Dad. Uns fällt schon was ein, oder, George?«
George fand den Optimismus seines Bruders ein bisschen übertrieben, und antwortete deshalb nur mit einem vagen »Mal sehen«.
Auch ihr Dad bedachte Fred mit einem skeptischen Blick. »Was wolltet ihr eigentlich im Schuppen? Außer eurem Vater ein paar weitere Jahre seines Lebens zu rauben natürlich.«
Demonstrativ hielten Fred und George ihre Quidditchsachen hoch. »Wir machen 'ne Lernpause«, sagte George zur Erklärung.
»Nur ein bisschen Training«, fügte Fred hinzu. »Wir wollen doch nicht einrosten.«
Ihr Dad sah sie misstrauisch an. »Einrosten? Am ersten Ferienwochenende?« Aber bevor sie etwas erwidern konnten, hob er abwehrend die Hand. »Geht weg!«, sagte er, während er sich mit der anderen Hand an die Stirn fasste und seine Augen bedeckte. »Geht einfach wieder weg. Ich hab' euch nicht gesehen. Vergesst, dass ich gefragt habe! Ich will nichts wissen. Was ich nicht weiß, muss ich eurer Mutter nicht erzählen.«
Fred holte zwei Besen aus dem Schuppen, während George ihrem Dad freundschaftlich auf die Schulter klopfte. »Danke, Dad. Bist 'n Kumpel!«
»Haut bloß ab, und lasst mich in Frieden weitermachen!«, bat ihr Dad. »Und lasst euch ja nicht erwischen!«
»Bei was denn erwischen, oh Erzeuger?«, fragte George mit unschuldigem Augenaufschlag.
»Hoffentlich werde ich das niemals erfahren«, murmelte Arthur Weasley, bevor die Zwillinge grinsend hinter dem Schuppen verschwanden und ihre Besen bestiegen.
»Bleib nicht zu lange auf, mein Mondschein!« Ihr Dad drückte Luna zum Abschied einen Kuss auf die Stirn. »Und kommandier Bitzer nicht herum.«
»Ja, Dad«, antwortete Luna sanft und hatte vor, sich daran zu halten. Es war sowieso an der Zeit, die Kaminverbindung zu testen.
»Wirst du dich auch nicht langweilen?«, fragte ihr Dad unvermittelt.
Luna musste kichern. Wenn ihr Dad wüsste …
»Ich hab' mich doch noch nie gelangweilt«, beruhigte sie ihn, als sie sah, dass er es wohl ernst gemeint hatte. Und es stimmte auch. Sie war schließlich daran gewöhnt, allein zu Hause zu sein. Und sie langweilte sich überhaupt selten, wenn sie alleine war. »Außerdem hab' ich 'ne Menge Hausaufgaben, die ich machen kann.« Sie zwinkerte ihm zu. »Wenn's mir wirklich langweilig wird.« Sie bemühte sich, ernst zu bleiben, weil ihr Dad immer noch so besorgt aussah.
»Du weißt ja«, setzte er an, »die Arbeit in der Redaktion …«
»Dad!«, unterbrach ihn Luna. »Mach dir um mich keine Sorgen. Ich komm' schon zurecht. Wirklich.«
Ihr Dad schien nicht überzeugt. Er seufzte und gab ihr noch einen Kuss. »In zwei oder drei Wochen nehm' ich mir ein paar Tage frei. Versprochen.« Er lächelte sie an. »Und wenn ich keine vernünftige Vertretung finde, dann gibt es eben mal eine Woche lang nur eine Notausgabe.«
Luna hatte beinahe ein schlechtes Gewissen, weil sie ihrem Dad nicht sagen konnte, dass er sich vollkommen grundlos Sorgen machte. Aber sie konnte ihm jetzt kaum eröffnen, dass sie vorhatte, einen guten Teil der Ferienzeit mit den anderen im Schwarzen Turm zu verbringen. Aber andererseits war die Gelegenheit vielleicht ganz günstig … hmm, fragen würde wohl nicht schaden.
»Ich könnte ja auch Simon oder Anthony besuchen. Wenn ich mich zu sehr langweile, meine ich«, schlug sie zögerlich vor, als wäre ihr die Idee gerade erst gekommen. »Oder sie besuchen mich mal. Was meinst du?« Sie schenkte ihrem Dad ein so hoffnungsvolles Lächeln, dass er gar nicht Nein sagen konnte.
»Natürlich«, stimmte er überrascht und vielleicht auch ein bisschen erleichtert zu. »Das lässt sich bestimmt einrichten. Aber lass uns darüber ein anderes Mal reden. Ich muss jetzt wirklich los.« Er griff zu dem Glas mit Flohpulver und warf eine Prise in den Kamin. »Bis morgen früh dann, mein Mondschein.« Und mit diesen Worten trat er in das grün aufflackernde Feuer, teilte dem Flohnetz seinen Zielort mit und verschwand.
»Ts, ts, ts!« Die missbilligenden Geräusche kamen von dem Porträt ihres Großvaters, das über dem Schreibtisch ihres Dads hing und jetzt kopfschüttelnd auf seine Enkelin hinuntersah. Und aus einer Ecke des Zimmers meldete sich Bitzer zu Wort: »Das muss Bitzer aber auch sagen.« Und er machte tatsächlich ein paar Geräusche, die so ähnlich wie das »Ts, ts, ts« ihres Großvaters klangen. Luna fand das Benehmen ihrer beiden Vertrauten so lustig, dass sie wieder zu kichern begann. Bitzer redete sonst nie mit den Porträts im Haus, nicht einmal, wenn er sie abstaubte. Er hielt es für unter seiner Würde, mit gemalten Zauberern und Hexen zu sprechen.
Luna ging zum Kamin und nahm sich, wie es eben ihr Dad getan hatte, ein bisschen Flohpulver, steckte jedoch auch noch das Glas ein, bevor sie in das grüne Feuer des Kamins trat.
»Schwarzer Turm«, sagte sie deutlich, ehe sie im Wirbel der vorbeiziehenden Kamine verschwand. Eine paar Sekunden später trat sie unsicher aus ihrem Zielkamin in völlige Schwärze. Es war so dunkel, dass sie nicht die eigene Hand vor Augen sehen konnte. Sie griff an ihr Ohr, um ihren Zauberstab zu ziehen und für Licht zu sorgen. Doch im selben Augenblick hörte sie ein Geräusch, das wie ein Fingerschnippen klang. Gleichzeitig sprangen sämtliche Fensterläden der Küche auf und ließen den strahlenden Sonnenschein herein.
»Danke«, sagte sie zu Bitzer, der ihr offensichtlich gefolgt war. Er bleckte nur seine blitzenden Zähne.
»Überflüssig von Miss Luna, Flohpulver mitzubringen«, meckerte er dann drauf los. »Bitzer das Glas aufgefüllt.« Dann verschwand er scheinbar beleidigt, und Luna hörte, wie sich auch im oberen Stockwerk die Fensterläden knarrend öffneten.
Sie sah sich in der Küche um. Seit Jahren war sie nicht mehr hier gewesen, aber Bitzer schien nichts verändert zu haben. Die großen, schwarzen Steinblöcke der Mauer glänzten beinahe, so sauber waren sie. Die bunt bemalten Küchenschränke, der Ofen und die Spüle folgten der perfekten Rundung der Wand. In der Mitte des Raums zog sich die Wendeltreppe mit dem schmiedeeisernen Geländer nach oben und verschwand in der Decke. Der lange, große Küchentisch auf der anderen Seite war ebenfalls gebogen und folgte der allgemeinen Krümmung der an der Wand entlanglaufenden Sitzbank. Dahinter war eine Falltür, die über ein paar Stiegen in den Vorratskeller führte, in dem ihre Mum immer die Gläser mit Marmelade und Eingemachtem aufbewahrt hatte.
Geistesabwesend stellte sie das Flohpulver auf den Kaminsims, wo tatsächlich schon ein vollgefülltes Glas bereitstand, wie Bitzer behauptet hatte. Dann machte sie einen Schritt in die Küche hinein. Sie wollte sich auch in den oberen Stockwerken umsehen. Bevor sie jedoch die Wendeltreppe erreicht hatte, hörte sie hinter sich das Feuer erneut auflodern. Als sie sich umdrehte, sah sie Anthonys Kopf, in grüne Flammen gebadet, aus dem Kamin herausschauen.
»Luna!«, rief er. »Endlich! Ich hab schon ein paarmal versucht, dich zu erreichen.«
»Warum?«, fragte Luna und ging vor dem Kamin in die Hocke. »Ich bin pünktlich.« Was stimmte. Zumindest war sie nicht sehr viel später dran, als sie vereinbart hatten, und da weder Simon noch die Zwillinge schon angekommen waren, war sie außerdem die Erste. Anthony hatte also wirklich keinen Grund, sich darüber zu beschweren, dass sie noch nicht früher hier gewesen war.
Er schien einen Moment lang verwirrt, fing sich aber gleich wieder. »Keine Zeit. Ich kann heute nicht kommen. Familientreffen.«
Luna fiel auf, dass der Kranz grüner Flammen sehr gut zu Anthonys pechschwarzen Haaren passte. »Grün steht dir«, teilte sie ihm mit, was ihr erneut einen seltsamen Blick von Anthony eintrug.
»Hier«, sagte er, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen, und reichte ihr ein kleines Kästchen durch den Flammenvorhang. Luna fand es sehr hübsch. Es war aus Silber, aber über und über mit einem verschlungenen Netz aus goldenen Spiralmustern bedeckt. »Für den Stein«, erklärte Anthony unnötigerweise, und Luna bestätigte mit einem Nicken, dass sie das sehr wohl verstanden hatte. Schließlich war sie nicht dumm.
»Muss jetzt Schluss machen. Meld' mich später wieder. Spätestens morgen.« Mit diesen Worten verschwand Anthonys Kopf und das grüne Feuer im Kamin erstarb. Luna stand wieder auf und betrachtet das Kästchen genauer. Der Verschluss ließ sich leicht öffnen. Im Inneren war es mit einer dicken Goldschicht ausgekleidet. Vermutlich war es ursprünglich für irgendwelche gefährlichen magischen Zutaten gedacht. Der Stein würde darin zwar kaum so sicher wie im Fluss sein, aber wenn Anthony glaubte, dass es reichen würde, dann stimmte das vermutlich. Jetzt musste der Stein nur noch dort sein, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Wenn er im Fluss abgetrieben worden war, wäre der ganze Aufwand umsonst gewesen.
Schon wieder flackerte grünes Feuer hinter ihr auf, und Simon stolperte aus dem Kamin. Ihm schien schwindelig zu sein, denn er hielt sich am Kaminsims fest und hatte die Augen geschlossen. Seine Muggelkleidung verlieh ihm ein seltsam fremdartiges Aussehen. Er wirkte kleiner und irgendwie noch unscheinbarer als in seinen Schulroben. Sogar das unstete Flimmern seiner Aura war kaum zu erkennen.
»Hi«, begrüßte sie ihn, als er die Augen wieder öffnete und den Kaminsims losgelassen hatte. »Willkommen im Schwarzen Turm!« Das sagte sie weniger für ihn, als für das Haus. Sie wollte schließlich nicht, dass Simon etwas zustieß, weil der Turm ihn für einen Eindringling hielt und die Schutzzauber aktivierte.
»Bin ich der Erste?«, fragte Simon und klang dabei besorgt.
»Nein«, antwortete Luna und wunderte sich, wo der Junge bloß seine Gedanken hatte. Dabei tat er doch sonst immer so schlau. Sie steckte Anthonys Kästchen ein, bevor sie ihn auf das Offensichtliche hinwies. »Ich war vor dir da.«
Simon verdrehte die Augen. »Und wo bleibt Anthony?«, fragte er, während er seinen Blick durch die Küche schweifen ließ. »Er sollte doch schon längst da sein, oder?«
»Anthony kann nicht kommen«, informierte ihn Luna. »Eine … hmm, Familienangelegenheit oder so.«
»Was?« Simon schien für einen kurzen Moment der Panik nahe. »Er lässt uns mit George und Fred allein?«, fragte er mit sich komisch überschlagender Stimme.
»Mhmm«, bestätigte Luna. »Aber keine Angst. Der Turm ist ja auch noch da.«
Simon wollte anscheinend zu einer Erwiderung ansetzen, aber plötzlich tauchte Bitzer in der Küche auf, und er machte den Mund wieder zu. Bitzer knurrte den Jungen an und sagte etwas in seiner maunzend-bellenden Hauselfensprache.
»Bitzer, das ist Simon. Er ist ein Freund. Simon, das ist Bitzer, unser Hauself«, stellte sie die beiden vor. Simon sagte »Hallo«, doch Bitzer knurrte nur noch einmal und wandte sich Luna zu.
»Zwei Zauberer auf Besen. Turm hat sie«, teilte er ihr übellaunig mit. »Noch mehr ›Freunde‹ von Miss Luna?«, fragte er dann patzig.
»Möglich«, antwortete Luna lächelnd und ging zur Wand, um einen der großen schwarzen Steinquader der Mauer zu berühren. Sie schloss die Augen und wartete, bis der Turm Kontakt mit ihr aufnahm. Zuerst fühlte sie, wie sehr er sich freute, dass endlich wieder jemand in ihm weilte. Er war wohl in den vergangenen Jahren ziemlich einsam gewesen, obwohl ein paar Jahre für ihn kaum eine lange Zeit sein konnten. Dann übermittelte er ihr ein Bild der beiden Eindringlinge, die er festgesetzt hatte, und fragte, was mit ihnen geschehen solle. Er hatte sie aufgehalten, sobald sie die südliche Grundstücksgrenze überschritten hatten. Da sie relativ nahe am Fluss gefangen worden waren, wo sie sowieso hinmussten, bat sie den Turm, die beiden erst wieder freizulassen, wenn sie und Simon bei ihnen waren. Und sie stellte ihm Simon und Anthony, oder vielmehr den Jungen, dessen Kopf vorhin im Kamin erschienen war, denn mit Namen konnte der Turm nicht viel anfangen, gleich noch als Freunde vor, die jederzeit willkommen waren. Der Turm bestätigte ihr Anweisungen und schien froh, endlich einmal wieder etwas zu tun zu haben. Sie streichelte den schwarzen Stein zum Abschied, bevor sie wieder die Augen öffnete und Simon unterrichtete.
»Die Zwillinge sind da«, sagte sie zu ihm und ging zum Tor des Turms. Als sich die großen Flügeltüren öffneten, sah sie sich nach Simon um, der wie erstarrt dastand und keine Anstalten machte, ihr zu folgen.
»Na komm schon!«, forderte sie ihn auf. »Sie werden schon nicht beißen.« Und nach kurzem Nachdenken fügte sie hinzu: »Und wenn doch, dann beißen wir zurück.« Sie musste lächeln, als sie sich das vorstellte. Sie trat durch das Tor in den Garten, und Simon kam zögernd nach.
Sie verließ gleich den Kiesweg und umrundete ein Viertel des Turmes, bis sie freies Blickfeld nach Süden hatte. Da der Turm auf einer Hügelkuppe stand, konnte man weit in die grüne Landschaft sehen. Wie grasbedeckte Riesenwellen in einem gewaltigen Ozean erhoben sich Hügel in alle Richtungen soweit das Auge reichte. Ein silbrig glänzender Faden schlängelte sich zwischen ihnen hindurch. Weiden und Eschen begleiteten den Weg des Flusses zu beiden Seiten. Auch am Fuß des Hügels, auf dem der Turm stand, floss er vorbei. Und nicht weit davon entfernt entdeckte sie die zwei kleinen Gestalten auf ihren Besen, die wie eingefroren in der Luft hingen.
»Da!« Sie zeigte mit dem Finger auf die Stelle, wo die Zwillinge festsaßen.
»Was ist mit ihnen?«, fragte Simon und wirkte dabei noch besorgter als zuvor.
Er benahm sich, als hätte er tatsächlich Angst vor den beiden. Irgendetwas stimmte da nicht. Simons komisches Benehmen während der letzten Tage in Hogwarts und dann das seltsame Verhalten seiner Aura im Zug – Luna wusste einfach nicht, was sie davon halten sollte. Aber wenn die Zwillinge ihn bedroht oder ihm gar etwas getan hatten – was sie den beiden ohne weiteres zutraute –, dann würden es die beiden bald bereuen, dafür würde sie schon sorgen. Simon war vielleicht eine Nervensäge und manchmal alles andere als nett, aber immerhin konnte er sie nur durch seine Anwesenheit wenigstens zeitweise von der verfluchten Gabe ihrer Sicht heilen. Unabsichtlich natürlich, und ohne dass er davon wusste, aber trotzdem.
»Mach dir keine Sorgen«, versuchte sie ihn zu beruhigen. »Die Schutzzauber des Turms halten sie fest. Und wenn sie frech werden sollten …« Sie grinste Simon aufmunternd an. »Sagen wir mal so: Der Turm kann auch böse werden, wenn's nötig ist.«
Simon wirkte nicht sonderlich beruhigt, folgte ihr aber, als sie sich an den Abstieg machte. Es war nur ein kurzer Spaziergang, die sonnenbeschienene Wiese hinunter, und Simon blieb immer ein bisschen zurück, als wollte er sich hinter ihrem Rücken verstecken. Ein paar Schritte vor den Zwillingen hielt Luna an und betrachtete sie genauer. Sie waren vollkommen erstarrt und schwebten in Flughaltung über ihre Besen gebeugt gut zwei Meter über dem Boden. Nur ihre Roben bewegten sich leicht im Wind. Auch Simons Aura, die zu einem der beiden im Zug übergesprungen war, war verschwunden. Und sie war sich sicher, dass sie selbst die kleinsten Reste noch hätte wahrnehmen können, wenn sie denn noch da gewesen wären, obwohl ihre Sicht zunehmend nachließ. Aber da war nichts mehr. Was eigentlich schade war, fand sie. Es wäre nett gewesen, wenn noch mehr Leute etwas von Simons Aura besessen hätten. Und bestimmt kein Nachteil für sie selbst.
»Du kannst sie jetzt loslassen«, sagte Luna, und die Schutzzauber des Turms gehorchten ihr augenblicklich. Die beiden setzten ihren Flug fort und rauschten links und rechts von ihr und Simon vorbei, bevor sie ihre Besen stoppen konnten. Die dann einsetzende Schimpftirade hätte Luna eigentlich einfach nicht beachtet, aber als der eine von seinem Besen stieg, auf Simon losging und ihn wegen des angeblich gemeinen Überfalls anschnauzte, zog sie in einem Anflug von Beschützerinstinkt ihren Zauberstab, was den anderen Weasley, der sich bei ihr über die Fesselzauber beklagt hatte, verstummen ließ. Er hob beschwichtigend die Hände, und auch sein Bruder hielt endlich den Mund. Warum sich Jungs immer so aufführen mussten, war Luna ein Rätsel. Man konnte doch über alles vernünftig reden.
»Wenn ihr euch nicht benehmt, lass' ich euch rauswerfen!«, drohte sie den beiden kurzerhand. »Und behalt' eure Besen«, fügte sie noch hinzu, falls ein Rauswurf allein die Zwillinge nicht abschreckte. »Dann könnt ihr nach Hause laufen!«
»Schon gut«, sagte einer der beiden ganz vernünftig. »Kein Grund auszuflippen.« Sie musste wirklich lernen, die zwei zu unterscheiden. Vielleicht sollte sie Simon fragen, wie er es machte. Er hatte anscheinend keine Probleme damit.
»Wo ist der Stein?«, verlangte der andere Zwilling zu wissen. »Habt ihr ihn schon rausgeholt?«
»Und wo steckt Goldstein?«, lautete die Frage des ersten. »Er wollte doch auch kommen, oder?«
»Anthony hat keine Zeit, und der Stein liegt immer noch im Fluss«, antwortete Luna, weil Simon weiterhin den Schweigsamen spielte. »Wir können sofort los und ihn suchen«, schlug sie vor und wartete gar nicht auf eine Antwort, sondern nahm Simon an der Hand und ging voran. Man musste die Jungs nur beschäftigen, ihnen etwas zu tun geben, dann würden sie sich schon beruhigen.
Sie marschierte zielstrebig am Fuß des Hügels entlang auf den zwischen den Bäumen hervorglitzernden Fluss zu, Simon an ihrer Seite und die Zwillinge kamen hinterher. Als sie an der Uferstelle, an der sie den Stein vor zwei Monaten versteckt hatte, angekommen waren, blieb Luna stehen.
»Da ungefähr müsste er liegen«, sagte sie und deutete in den Fluss. »Ich hab' ihn zwischen zwei große Steine geklemmt. Viel Spaß beim Suchen!« Dann setzte sie sich ans Ufer und zog auch Simon zu sich herunter. Die Zwillinge schauten zwar etwas verdattert, wie sie fand, aber begannen trotzdem, ihre Roben abzulegen.
»Die zwei können auch allein suchen«, flüsterte sie Simon zu. »Wir hatten schließlich schon die meiste Arbeit mit dem Stein.«
Simon nickte ruckartig, sagte aber nichts dazu. Er schien krampfhaft bemüht, nicht zu den Zwillingen hinzusehen. Seine Augen waren starr auf den Fluss gerichtet und nur hin und wieder zuckten seine Pupillen zur Seite, um aus den Augenwinkeln einen Blick auf die beiden Weasleys zu werfen. Luna kam das langsam unheimlich vor. Simon hatte überhaupt keinen Grund, sich vor den beiden zu fürchten. Und er schien auch nicht wirklich ängstlich zu sein, eher … sie wusste selbst nicht, was es genau war.
»Wie sieht das Ding überhaupt aus?«, rief einer der Zwilling vom Ufer aus zu ihnen herüber. Sie hatten inzwischen ihre Roben abgelegt und ihre Hosenbeine hochgekrempelt. Luna gab Simon einen Schubs. Es wurde Zeit, dass er auch einmal etwas sagte, und sie wollte genau sehen, wie er reagierte, wenn er mit den Zwillingen reden musste. Er warf ihr zwar einen verzweifelten Blick zu, antwortete aber, als sie beharrlich schwieg.
»Äh«, sagte er unsicher und mit einem Gicksen in der Stimme – etwas, das er sonst möglichst vermied – und wurde sogar ein bisschen rot, was sie so noch nie bei ihm gesehen hatte. Wenigstens nicht, wenn es keinen offensichtlichen Grund dafür gab. »Die Außenschicht sieht aus wie ein Brocken Sand.« Er räusperte sich. »Ungefähr faustgroß.«
Die Zwillinge kletterten über die Uferböschung in den Fluss, aber Luna schenkte ihnen tatsächlich keine Beachtung, im Gegensatz zu Simon, der nur so tat, wenn sie mit ihrem aufkeimenden Verdacht recht hatte. Sie starrte immer noch ungläubig auf Simons Gesicht und konnte kaum fassen, was sie meinte dort gesehen zu haben. Der Junge schien unter ihren Blicken ziemlich nervös zu werden.
»Was?«, zischte er sie plötzlich an. Luna wusste nicht, wie er reagieren würde, wenn sie jetzt zu kichern begann, weshalb sie ernsthaft bemühte, nicht herauszuplatzen.
»Welcher ist denn der Auserwählte?«, flüsterte sie leise in verschwörerischem Tonfall. Und Simons entsetzter Gesichtsausdruck sagte ihr alles, was sie wissen wollte. Er hatte genau verstanden, was sie gemeint hatte. Sie konnte ihr Grinsen nicht länger unterdrücken. Und sie konnte der Versuchung nicht widerstehen.
»Alle beide?«, rief sie lauthals und gespielt schockiert – so laut, dass es auch die Zwillinge hören mussten. Simon stöhnte auf, bedeckte sein Gesicht mit der Hand und ließ sich rückwärts ins Gras sinken, als würde er versuchen, buchstäblich im Boden zu versinken. Die Zwillinge starrten aus dem Fluss zu ihnen herüber. Sie konnte sich nicht länger zurückhalten und begann zu lachen.
»Anthony wird einen Anfall kriegen, wenn er das hört!«, brachte sie nur mit Mühe zwischen ihrem Kichern heraus. »Und dann wird er sich kaputtlachen!« Simon stellte sich offenbar tot und gab keinen Mucks von sich. »Und Terry erst!« Luna kam sich zwar ein bisschen gemein vor, aber die Sache war einfach unwiderstehlich komisch. »Stell dir mal vor, was Terry für Augen machen wird, wenn er es erfährt.« Das entlockte Simon ein Aufstöhnen, und Luna kugelte sich im Gras. Sie bekam nicht einmal mit, wie einer der Zwillinge ein Triumphgeheul ausstieß, einen unansehnlichen Brocken aus dem Wasser zog und über seinem Kopf schwenkte, so sehr lachte sie.
Terry wusste nicht mehr, wann er aufgehört hatte zu heulen. Er lehnte an der Hauswand und fühlte sich leer. Ausgepumpt. Er starrt dumpf auf das Taxi, das auf sie wartete. Der Fahrer, ein dicklicher, alter Mann mit dünnen grauen Haaren lächelte ihm aufmunternd zu, doch Terry spürte das Mitleid in seinem Blick und hätte ihn am liebsten in die Weichteile getreten. Oder ein paar Flüche auf den Hals gehetzt. Ob er Ärger mit dem Ministerium bekam, war jetzt auch egal.
Die Haustür ging auf, und seine Mutter kam heraus. Sie wirkte vollkommen ruhig und hatte eine dicke Schicht Make-up aufgelegt, damit man die Spuren der letzten Nacht nicht so deutlich sehen konnte. Sie zog den letzten Koffer hinter sich her. Sein Vater folgte ihr, machte aber keine Anstalten, ihr zu helfen. Er sah mitgenommener aus als seine Mutter. Seit dem Streit gestern Abend hatte er kein Wort mehr gesagt, nicht einmal als seine Mutter heute Morgen gepackt und ein Taxi gerufen hatte.
Terry hasste sie alle beide. Warum hatten sie ihn überhaupt bekommen? Wie konnten sie ein Kind in die Welt setzen, wenn sie es dann doch nicht miteinander aushielten? Und anscheinend hatten sie nur auf seine Rückkehr gewartet, um sich zu trennen. Das war das Schlimmste. Dass sie auf ihn gewartet hatten.
Der Taxifahrer nahm seiner Mutter den Koffer ab und versuchte, ihn zu den anderen im Kofferraum zu stecken. Aber es war nicht mehr genug Platz, und er musste ihn auf dem Rücksitz neben Pucks Käfig verstauen. Und dann war es endgültig so weit. Das Gepäck war im Auto, es blieb nichts mehr zu tun. Seine Eltern gaben sich nicht einmal die Hand zum Abschied. Sie starrten sich nur einen Moment lang schweigend an, dann sagte seine Mutter »Mach's gut, John«, sein Vater nickte und sagte »Mary«, und das war es dann. Der Taxifahrer hielt die Tür auf, und seine Mutter stieg ein, während sein Vater vor ihm in die Hocke ging und zu Terry aufsah. Sein geflüstertes »Tut mir leid, Terry« hätte er sich ebenso gut schenken können, dachte Terry. Er nahm die folgende Umarmung hin, aber ihm fehlte entweder die Kraft oder er hatte keine Lust, sie zu erwidern. Er wusste es selbst nicht genau. Vielleicht war er auch immer noch enttäuscht, weil sein Vater nichts gesagt hatte. Aber er war nicht einmal mehr richtig wütend, obwohl er das Gefühl hatte, dass er es eigentlich sein sollte. Der Mistkerl hatte nichts gesagt, sich nicht einmal die Mühe gegeben, es abzustreiten. Das wäre doch das mindeste gewesen. Als seine Mutter ihm vorgeworfen hatte, dass sie für ihn nur eine bessere Putzfrau sei und dass sie keine Lust mehr habe, zu Hause zu sitzen und mit dem Essen auf ihn zu warten, während er sich mit seiner Neuen, »dieser kleinen Schlampe«, vergnüge, hatte er nur geschwiegen. Und sie nach einer Weile dann gefragt, nachdem sie immer weiter geschimpft hatte, warum sie wohl glaube, dass er das tue. Dass sie selber schuld sei, dass er ihr dauerndes Keifen und Kritisieren einfach nicht mehr aushalte, und dass der einzige Grund, warum er sie nicht schon vor Jahren verlassen habe, Terry sei. Und seine Mutter hatte gesagt, wenn das so sei, dann wolle sie seinem Glück nicht länger im Wege stehen, morgen würde sie ihre Sachen packen und verschwinden. Mit Terry. Und dann hatten Türen geknallt, und seitdem herrschte absolute Funkstille zwischen seinen Eltern.
»Terry«, rief seine Mutter vom Auto aus. »Kommst du?«
Er löste sich steif aus der Umarmung seines Vaters und ging mit langsamen Schritten zum wartenden Taxi. Er quetschte sich auf den Rücksitz, neben Pucks Käfig und den letzten Koffer. Als er sich noch einmal umdrehte, hob sein Vater die Hand, als wolle er ihm zum Abschied zuwinken, ließ sie aber gleich wieder sinken. Terry war es inzwischen egal. Sie hatten ihn nicht einmal gefragt, wo er bleiben wollte. Seine Mutter hatte nur verkündet »Aber den Jungen nehm' ich mit«, und sein Vater hatte dazu nichts gesagt.
Er sah die Augen des Taxifahrers im Rückspiegel, wie sie ihn anstarrten. Er starrte einfach so lange zurück, bis der Mann wegsah. Jedes Mal, wenn sie in eine Kurve fuhren oder das Auto über eine Straßenunebenheit holperte, flatterte Puck in ihrem Käfig auf. Er steckte einen Finger durch die Gitterstäbe und ließ sie daran knabbern, was sie etwas beruhigte. Gott sei Dank dauerte die Fahrt nur eine halbe Stunde. Er wollte nicht, dass auch noch die arme Puck stundenlang unter der Gemeinheit seiner Eltern leiden musste.
Auf den letzen Kilometern der Fahrt wurden die Häuser auf beiden Seiten der Straße immer kleiner und ähnlicher, bis sie die Reihenhaussiedlung erreichten und eines wie das andere aussah. Das Häuschen seiner Großeltern war nur dadurch von den anderen zu unterscheiden, dass seine Oma auf dem Bürgersteig stand und vor dem Gartentürchen auf sie wartete. Das Taxi hielt an, und sie stiegen aus. Dann fiel seine Mutter seiner Oma in die Arme und begann wieder loszuheulen. Terry beachtete es kaum, sondern zerrte Pucks Käfig vom Rücksitz und stellte ihn auf dem Bürgersteig ab. Er sah dem Taxifahrer zu, der die Koffer auf den Gehsteig stapelte. Im Fenster eines Nachbarhauses bewegten sich die Vorhänge, und Terry sah undeutlich ein Gesicht zwischen den Gardinen hervorlugen. Es war ihm egal.
Als sich seine Mutter so weit beruhigt hatte, dass sie den Fahrer bezahlen konnte, wandte sich seine Oma ihm zu.
»Armes Spätzchen«, flüsterte sie ihm ins Ohr, während sie ihn fest in die Arme nahm und über den Rücken strich. »Mein armes Spätzchen! Wie geht es dir?«
Und Terry wusste es nicht. Was war das auch für eine blöde Frage! Aber seine Oma erwartete anscheinend auch gar keine Antwort. Sie drängte ihn zum Haus und erzählte etwas von einer schönen heißen Tasse starken Tees. Er schaffte es gerade noch, Puck mitzunehmen. Seine Oma musterte den Käfig misstrauisch. Seine Großeltern wussten natürlich noch nicht, dass er ein Zauberer war. Er hätte beinahe losgelacht, als er sich ihre Gesichter vorstellte, wenn sie es erfahren würden.
»Sie sind da!«, rief seine Oma den Flur hinab, als sie das Haus betraten. »Hilf Mary mit den Koffern!«
Terry hörte das Grummeln seines Opas aus dem Wohnzimmer, sah ihn aber nicht, weil seine Oma ihn schon in die Küche geschubst hatte, auf einen Stuhl drückte und ihm eine Tasse Tee vor die Nase setzte. Sie schaufelte löffelweise Zucker hinein, was er eigentlich gar nicht mochte, aber er sagte nichts. Und sie stellte einen Teller mit Teegebäck vor ihn hin.
»Iss, Spätzchen!«, forderte sie ihn auf, und Terry gehorchte automatisch. Er fühlte sich zu müde, um sich zu wehren. Er wusste gar nicht mehr, wann er das letzte Mal eine ganze Nacht lang durchgeschlafen hatte. Es musste wohl in Hogwarts gewesen sein. Und gestern hatte er gar kein Auge zugetan.
Vom Flur her hörte er das Rumpeln von Koffern und das leise Grunzen und Schimpfen seines Opas, der sich mit ihnen die Treppe hoch mühte. Er überlegte, ob er helfen sollte, blieb dann aber einfach sitzen. Seine Oma redete vor sich hin, während sie noch drei weitere Tassen einschenkte und sich dann zu ihm an den Küchentisch setzte. Er hörte ihrem Geplapper gar nicht richtig zu. Doch langsam ging ihm ihr dauerndes »armes Spätzchen« auf die Nerven. Was ging es sie überhaupt an, wie er sich fühlte? Aber es tat ihm gleich leid, dass er das gedacht hatte. Es war ungerecht. Seine Oma konnte nichts dafür. Immerhin hatten sein Opa und seine Oma nicht einfach Kinder in die Welt gesetzt und sich dann eben mal so getrennt. Sogar seine anderen Großeltern lebten immer noch zusammen, auch wenn sie sich dauernd stritten. Nur von ihren Kindern war das scheinbar zu viel verlangt. Aber Terry wollte nicht mehr darüber nachdenken. Seine Oma stand wieder auf und stellte noch einmal einen frischen Teekessel auf den Herd. Er hielt ein Plätzchen in seinen Tee und beobachtete, wie er sich allmählich auflöste und die aufgeweichten Brösel langsam auf den Boden der Tasse sanken.
Sein Opa betrat die Küche. »Mary hat sich hingelegt«, sagte er und ließ sich räuspernd auf seinen Stammplatz auf der Eckbank nieder. Zu Terry sagte er nichts, legte ihm nur kurz die Hand auf die Schulter, zog sie aber auch gleich wieder weg. Seine Oma hörte endlich auf zu reden und setzte sich ebenfalls wieder. So saßen sie eine Weile schweigend da, bis sich Puck mit einem schrillen Ruf zu Wort meldete. Terry kramte einen Eulenkeks aus seiner Tasche und steckte sie ihm durch die Gitterstäbe.
»Was ist das für 'n Viehzeug?«, fragte sein Opa brummig.
Terry räusperte sich, bevor er antwortete. »Mein Steinkauz.« Puck flatterte zu dem Brocken zwischen den Gitterstäben und daran zu knabbern begann. »Er … äh, sie heißt Puck.«
Sein Opa grummelte nur, während seine Oma sich darüber ausließ, was für ein hübsches Kerlchen sein Vögelchen doch sei. Als hätte Terry nicht gerade gesagt, dass es sich bei Puck um eine Sie handelte. Aber dann schwiegen sie alle wieder, und nur das Klappern der in den Teetassen rührenden Löffel war zu hören. Sein Opa nahm einen vorsichtigen Schluck und verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
»Bah!« Er richtete seinen anklagenden Blick auf Terrys Oma. »Willst du mich vergiften, Frau? Das ist ja das reinste Zuckerwasser!«
Terry musste gegen seinen Willen grinsen. Sein ganzes Gesicht fühlte sich dabei seltsam an, als würde er eine Grimasse schneiden. Trotz der Proteste seiner Oma, die meinte, dass Zucker gut für die Nerven sei, bestand sein Opa darauf, dass sie seinen Tee wegkippte und ihm eine neue Tasse einschenkte.
»Wenn sie das Zeug in Gläser abfüllen tät', könnt' sie's als Honig verkaufen«, grollte er an Terry gewandt. Als er die frische Tasse Tee vor sich stehen hatte, griff er hinter sich auf die Ablage der Eckbank und nahm seine Tabaksdose herunter. Er drehte sich mit einem Geschick, das Terry schon immer fasziniert hatte, eine Zigarette und zündete sie an. So saßen sie eine Weile, seine Oma trank ihren Zuckertee, sein Opa rauchte, und Terry löffelte die Reste des Plätzchenbreis aus seiner Tasse. Er war plötzlich so müde, dass er nur mit Mühe die Augen offen halten konnte. Aber er wollte nicht nach oben. Seine Mutter würde bestimmt mit ihm reden wollen, wenn sie ihn allein erwischte, und darauf hatte er im Moment überhaupt keine Lust.
»Darf ich fernsehen?«, fragte er darum, als seine Tasse leer war. Sein Opa brummte wieder nur, und seine Oma sagte: »Natürlich, Spätzchen!«
Er nahm Pucks Käfig und verzog sich mit ihm ins Wohnzimmer. Er setzte sich auf die Couch, stellte den Käfig neben sich auf den Boden, schaltete den Fernseher ein und schaute ein paar Minuten in das dumme Gesicht eines Nachrichtensprechers, dessen langweiliges Schwadronieren sich mit dem Klappern des Geschirrs aus der Küche vermischte. Beim Wetterbericht fielen ihm endgültig die Augen zu, und er schlief ein.
