-----Tote sprechen nicht-----
von Jungle.Plant
Kapitel 1 -- Blackout
Der Swimmingpool war nur ganz schwach beleuchtet, sodass der größte Teil des Gartens in dem Schatten verschwand. Sie hatte eine Reihe von Kerzen angezündet (es waren genau 25), die dem ganzen ein mysteriöses Flair gab. Hier hatten sie sich das erste Mal geküsst, an diesem Pool in einer ähnlich sternklaren Nacht, während ihr Vater im Haus eine Konferenz mit irgendwelchen Wirtschaftsbossen von Gentechnics gehalten hatte.
Er hatte es damals nicht fassen können, dieses neue Gefühl, dass sich in ihm breit machte, von den Haarspitzen bis zu den Zehen. Dieses Kribbeln, das einen verunsicherte, aber gleichzeitig auch den Weg wies. Er hatte kein bisschen darüber nachgedacht, der ganze Vorgang war ganz automatisch abgelaufen, als würde er von irgendwoher ferngesteuert werden. Nun war er wieder hier und sah ihr in die schönen großen schwarzen Augen. Ihr Amulett schimmerte im Kerzenlicht und reflektierte die Flammen, die im Wind tanzten. Er streckte seinen Arm aus, um ihre zarte Haut zu berühren, nach er sich so sehnte. Seine Finger kamen ihrer nackten Schulter immer näher und er fühlte etwas wie Elektrizität, das sich in seinen Fingerspitzen breit machte, je näher er ihr kam. Doch als er sie berührte, zerfiel sie zu Staub, der vom Winde weggeweht wurde.
Er schrie!
Mit einem Satz war er aus dem Bett und rannte in Richtung Tür. Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen, als er merkte, dass er nun nicht mehr schlief. Langsam ging er zurück zum Bett und setzte sich auf die Bettkante, um das Ganze zu verarbeiten. Und versuchte seine Atmung wieder zu verlangsamen. In den letzten Wochen hatte er die Sache wunderbar verdrängt gehabt und jetzt kam sie einfach so in seine Träume geschlichen? Wobei er doch noch nicht mal Schlaf brauchte und eigentlich auch nie träumte? Er wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Sein Leben schien ihm gerne Streiche zu spielen.
Langsam wurde er sich seiner Umgebung bewusst. Er erinnerte sich gar nicht, wie er ins Bett gekommen war. Er wusste noch, dass er gestern Abend im Crash wieder versucht hatte, seinen Alkohol-Spiegel in die Höhe zu treiben, was er auch geschafft hatte, allerdings ohne großen Effekt. Warum konnte er sich dann nicht mehr an den Heimweg und den Rest erinnern? Mittlerweile war es schon fast morgen und die grauen Wolken am Nachthimmel begannen hellgrau zu werden. Wieder schlechtes Wetter in der miserabelsten Stadt Amerikas, kaum verwunderlich eigentlich.
Er entschloss sich dazu, zuerst mal einen Kaffee zu trinken. Zugegeben, das Koffein hatte ebenfalls keinen Effekt für X5, allerdings hatte er sich an das Ritual gewöhnt und er empfand es zumindest als beruhigend. Die dampfende Tasse in den Händen, setzte er sich zunächst auf die Couch und schlürfte das bittere Gebräu. Er versuchte noch einmal sich an die letzte Nacht zu erinnern, gab es dann aber auf und dachte sich, dass sein Gedächtnis schon wieder irgendwann zu ihm zurückfinden würde immerhin war es ja nicht so, dass er vergessen hatte, wer er war.
Er sah kurz auf die Uhr um sich zu vergewissern, dass er nicht verschlafen hatte, ein skurriler Gedanke, zu verschlafen, wenn man sowieso nicht schläft. Es war gerade erst 5:30, also war noch Zeit für eine kleine Spazierfahrt an der frischen Luft um sich einen klaren Kopf zu verschaffen.
Er zog sich an, schnappte seine Kuriertasche und trat hinaus in die kalte Morgenluft. Der Himmel war noch um einige Nuancen heller geworden und in den Straßen waren auch schon die ersten Zeichen von Leben zu erkennen. Der Bäcker, der seinen Laden darauf vorbereitete, Brot zu verkaufen, der übereifrige Zeitungsjunge, der noch die ganze Stadt abzuklappern hatte, hier und da eine Polizeistreife, die torkelnde Nachteulen aufgriff und das ein oder andere Pärchen, das sich eng umschlungen auf den Heimweg machte. Ohne es zu merken führte ihn sein Weg zum Turm. Nicht genau wissend warum, stellte er sein Fahrrad hin und begann die vielen Stufen hinaufzuklettern.
Er hatte das merkwürdige Gefühl, als würde ihn hier etwas erwarten. Ein wenig misstrauisch öffnete er die Tür zum obersten Stockwerk, von wo aus man auch auf die Plattform kam. Er war noch nie hier gewesen, aber wusste, dass Max sich hier oft verkroch, wenn sie allein sein, oder einfach nur ein bisschen Freiraum zu nachdenken haben wollte. Er hatte sich schon einige Male überlegt, ob er ihr nicht einfach einen Impromptu-Besuch abstatten sollte, hatte aber dann die Idee über den Haufen geworfen. Jeder brauchte einen Platz, an dem er von keinem überfallen werden konnte. Umso mehr wunderte er sich jetzt, hier oben zu sein.
Er ging an den Rand der Plattform und blickte über die noch schlafende Stadt. Der Ausblick ließ sich schon sehen, das musste er zugeben, allerdings wäre es noch schöner, wenn keine Wolken am Himmel die Sicht auf den Sonnenaufgang versperren würden. Er hatte sich oft vorgestellt, wie es gewesen wäre, sich mit Rachel einen Sonnenaufgang anzusehen, bei Kerzenlicht zu essen, oder vielleicht auch einen Spaziergang bei Mondlicht zu machen. In seinem Kopf spukten tausende solcher Szenarien herum, die er nie hatte verwirklichen können. Aber das war ja nun vorbei, sie war tot und nichts und niemand konnte das ändern.
Ein Geräusch aus dem Turm erweckte seine Aufmerksamkeit. Normale menschliche Ohren hätten es wohl nicht aufgegriffen, aber mit seinen genetisch verbesserten Gehörgängen, vernahm er eine Art Rascheln direkt bei der Tür zur Treppe. Irgendjemand musste auch auf den Turm gekommen sein. Zu dieser Uhrzeit? Andererseits war er ja auch hier. Er drehte sich langsam um und spähte in das Dunkel im Turm. Er konnte nicht direkt etwas erkennen, meinte aber im Augenwinkel eine Bewegung wahrzunehmen. „Hallo!" sagte er zu der unbekannten Person, die sich da versuchte anzuschleichen.
Und siehe da, aus dem kaputten Fenster der Aussichtsplattform und aus dem Schatten trat Max. Sie sah etwas beleidigt aus, vermutlich, da er sie bemerkt hatte. Aber immerhin hatte sie die meiste Zeit ihres Lebens hier draussen gelebt und war nicht weiter trainiert worden. Ihr fehlte halt die Übung. „Was machst du hier?" fragte sie leicht irritiert. Sie hatte offensichtlich nicht erwartet hier jemanden anzutreffen.
Er drehte sich wieder zur Stadt um und setzte sich hin. „Konnte nicht schlafen und dachte, ich fahr'n bisschen rum. Ist es verboten hier raufzukommen?" Eigentlich hatte er nicht vor derart schnippisch zu klingen, allerdings hatte er nicht mit Besuch gerechnet und fühlte sich ein bisschen schuldig, ihr einfach ihren Fluchtort weggenommen zu haben. Er konnte ihren missbilligenden Blick im Nacken spüren, trotzdem kam sie auch nach vorne und setzte sich neben ihn. Sie sah ihn mit geneigtem Kopf skeptisch an. „Du schläfst?" Er hatte gar nicht gemerkt, dass er sich da wohl verplappert hatte. „Ähm, nun ja, letzte Nacht schon..." Verwirrt sah er wieder auf die Stadt hinab. Sie schüttelte nur den Kopf und blickte dann auch auf die Stadt herab. „Warum bist du denn ausgerechnet hierher gekommen?" fragte sie ihn noch ein wenig genervt. „Soll ich wieder gehen?" fragte er mit gespielter Gekränktheit. „Mach dich nicht über mich lustig!" sagte sie und pinchte ihn in die Schulter. „Warum hast du denn geschlafen?" Er schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung. Aber das kann ja mal passieren!" „Ja klar!" ihre Worte trieften nur so vor Sarkasmus.
„Nun ja, dann will ich ja nicht länger dein Lieblingsplätzchen besetzen!" sagte er und klopfte sich seine Hose ab, während er aufstand und sich umdrehte um zu gehen. Max sah ihn nur etwas verwundert an, zuckte aber dann mit den Schultern und starrte dann wieder über die Stadt hinweg in die Ferne. Einen Punkt ausgereizt, schwang er sich wieder auf sein Fahrrad und begann drauflos zufahren. Zu allem übel zogen die Wolken sich auch noch dichter zusammen und der Himmel verdunkelte sich wieder, als wollte der Morgen sich noch etwas länger auf's Ohr hauen. Und da traf ihn der erste Tropfen auch schon auf der Stirn. „Verdammt!" murmelte er, während er nach einem Unterstand Ausschau hielt. Plötzlich blitzte es am Himmel, dicht gefolgt von einem bedrohlichen Donnergrollen. Es blitzte noch einmal, und noch einmal in sehr schneller Abfolge. Das grelle Licht blendete ihn und er versuchte seine Augen mit seinem Arm zu schützen, trotzdem flackerte es immer schneller. Mit Schrecken stellte er fest, dass es nicht das Gewitter war, das seine Augen blendete. Aber was war es dann? Plötzlich überfiel ihn ein heftiger Schwindel und er merkte, wie sich seine Gliedmaßen seiner Kontrolle entzogen und einfach aufhörten seinen Befehlen zu gehorchen. Und dann spürte er es. Das Zittern, wie es Überhand nahm und alle seine Sinne verschluckte.
Er träumte wieder. Diesmal war er mit ihr am Strand. Das Wasser war unglaublich blau, fast schon zu blau, als dass es wirkliches Wasser sein konnte und der Sand war so weiß, dass es ihn fast blendete. Die Palmen am Strand wehten gemütlich im Wind und ließen ihre Schatten Muster in den Sand malen. Weit und breit war kein Wölkchen zu sehen. Sie hatte sich bäuchlings auf ein Handtuch gelegt um sich zu sonnen, ihre zarter Körper, nur durch einen dezenten Bikini geschützt, der Sonne ausgesetzt. Sie hatte die Augen geschlossen und genoss sichtlich die karibische Wärme, die ihren Körper umgab.
Er stand unter einer Palme und beobachtete, wie sie dort friedlich lag. Er wollte zu ihr gehen und sich neben sie legen, als wären sie ein Pärchen im Urlaub auf einer karibischen Insel. Allerdings war seine Angst, dass sie wieder zu Staub zerfallen würde, wenn er sich ihr näherte um einiges größer. Stattdessen setzte er sich unter der Palme in den Sand und gab sich damit zufrieden, zu beobachten, wie sich ihr Brustkorb hob und senkte, wie sie atmete, ein sicheres Zeichen, dass sie am Leben war, oder nicht? Mit Schrecken beobachtete er nun sich selbst, wie er aus dem Wasser stieg und mit eisigem Blick auf sie zuschritt. Er wollte aufspringen und sich selbst daran hindern, ihr etwas anzutun, doch die Wurzeln der Palme hatten sich um seine Arme und Beine gewickelt und je mehr er sich bewegte, desto enger schnürten sie sich um seine Gliedmaßen, sodass er hilflos zusehen musste, wie sein Alter Ego sich auf Rachel stürzte und sie sich mit einem Schrei gemeinsam mit ihm in Staub auflöste.
Er setzte sich mit einem Ruck kerzengerade im Bett auf und fuhr sich mit beiden Händen frustriert durch die Haare. Er versuchte das Bild aus seinem Kopf zu verdrängen, das er soeben gesehen hatte. Was war nur los mit ihm? Warum hatte er das zweite Mal in einer Nacht geträumt? Plötzlich wurde ihm bewusst, was zuletzt passiert war, und er sah sich verwirrt um. Er lag in einem, aber nicht seinem Bett, und war bis auf seine Boxer-Shorts völlig ausgezogen, allerdings fühlten diese sich ein wenig feucht an. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch stand er langsam und unsicher auf, er musste sich kurz an der Wand abstützen, damit er nicht umkippte, und entschloss sich dann dazu nach einer Toilette zu suchen. Sein Mageninhalt schien sich ziemlich schnell von ihm verabschieden zu wollen.
In seinem Hinterkopf registrierte er, dass er sich in Max' Wohnung befand und hoffte inständig, dass er keinen Mist gebaut hatte. Im Badezimmer bemerkte er seine Klamotten, die triefend nass über der Badewanne hingen. Irgendjemand musste sie da zum trocknen aufgehängt haben. Dann bin ich wohl zum Glück doch nicht inkontinent, dachte er sarkastisch, als er sich schnell über die Toilette warf um Max' Badezimmer nicht zu ruinieren. Als er seinen gesamten Mageninhalt und einiges andere losgeworden war, lehnte er sich erschöpft gegen die Badewanne und überlegte zum zweiten Mal in dieser Nacht, wie er nur hierher gekommen war.
Er hörte Schritte im Flur und versuchte aufzustehen um Max nicht ein zu miserables Bild zu liefern. Er hatte es gerade geschafft, sich am Waschbecken hochzuhangeln und sich mehr oder weniger lässig daranzulehnen, als Max mit einem atypisch besorgten Blick ins Badezimmer kam. Als sie sah, dass er scheinbar in Ordnung war, nahm sie sofort wieder ihre tadelnde Arme-überkreuzt-genervter-Blick Pose ein und schüttelte den Kopf. „Ach so, auch wieder unter den Lebenden?" Er schenkte ihr kurz ein sarkastisches Lächeln und erwägte dann, ob er es zurück bis ins Bett schaffen würde, ohne hinzufallen oder Max' Wohnung zu versauen, entschied sich aber dann dafür, zuerst Max abzuwimmeln. „Wie komme ich eigentlich hierher?" Max gab ihm daraufhin einen skeptischen Blick. „Was weiß ich? Ich kam vorhin nach Hause und da lagst du wie so ein Obdachloser vor meiner Wohnung, völlig durchnässt und nicht ansprechbar. Ich hatte keine Lust, dich nach Hause zu schleppen oder von Normal den Kopf abgerissen zu kriegen, nur weil ich seinen Goldjungen krank werden lasse, also hab ich deine triefenden Klamotten aufgehängt, glaub mir, das war absolut kein Vergnügen!" Alec schüttelte sich aus gespieltem Unbehagen „Bin ich froh, dass ich geschlafen habe, als du mich ausgezogen hast!" Er fürchtete kurz, dass sie ihm nun eine verpassen würde, sie beließ es aber bei einem Blick. „Gut, dann zieh dich allein wieder an und fahr gefälligst nach Hause!" Sie schien heute wirklich sehr genervt zu sein, trotzdem wollte er nicht unbedingt in ihrer Präsenz versuchen, seine ersten Gehversuche anzustellen. „Also gut, Maxie, kann ich trotzdem erstmal meine Blase entleeren?" Max guckte erst etwas erschrocken, drehte sich dann aber abrupt um und knallte die Badezimmertür zu.
Anstatt sich aber jetzt seiner Blase zu widmen, klappte Alec den Toilettendeckel zu und setzte sich erstmal. Er wusste nicht genau, ob er es nach Hause schaffen würde, hatte aber absolut keine Lust, sich bei Max darüber auszuweinen. Ganz langsam zog er seine nassen Klamotten an und versuchte mit purer Willenskraft nicht mehr so wackelig auf den Beinen zu sein. Nach einer Weile fühlte er sich zumindest im Stande ohne umzukippen aus Max Wohnung zu verschwinden. Er rief nur noch ein „Bis nachher." Zum Abschied als er aus der Wohnung ging. Sein Fahrrad stand vor der Tür. Was hatte sie erzählt? Er hätte vor der Tür gelegen? Er meinte sich zu erinnern, zuletzt in einer ganz anderen Gegend gewesen zu sein, wie kam er denn dann hierher? Er begann sich nun tatsächlich besser zu fühlen. Seine Übelkeit begann zu verfliegen und er fühlte sich auch schon sicherer auf seinen Beinen. Vielleicht sollte ich mich heute krank melden, dachte er sich, bevor ich noch bei Jam Pony umkippe und Normal in Angst und Schrecken versetze. Mittlerweile war es auch schon kurz vor 7 und er musste erst in einer Stunde zur Arbeit. Ich denke, ich wird mich wohl noch etwas vor den Fernseher werfen, um ein bisschen zu entspannen, dachte er bei sich, als er sich auf den Heimweg machte.
Der Tag hellte dann doch auf und nachdem er sich umgezogen hatte, ging es ihm schon viel besser. Joshua war wieder dabei eines seiner Meisterwerke zu vollenden (Joshua 79) und war in bester Stimmung.
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A/N: Hallo allesamt... Die Geschichte hatte ich schon eine Weile in meiner (digitalen) Schublade herumliegen. Da ich mich jetzt endlich mal dazu bewegen konnte, mich bei anzumelden, dachte, ich es wäre mal Zeit, die endlich auch mal anderen Leuten mitzuteilen. :)
So, ich hoffe, euch hat der Anfang gefallen und bitte sagt mir, was ihr davon haltet!
Lieben Gruss
Jungle.Plant
