Bulgarischer Sommer
+ Prolog +
Hermine erwachte aus einem traumlosen Schlaf. In ihrem Zimmer war es noch dunkel, die Vorhänge waren zugezogen. Es konnte noch nicht spät sein, dachte sie und drehte sich noch einmal um. Sie war erst seit einigen Tagen wieder zu Hause und ausnahmsweise gönnte sich Hermine ein wenig Ruhe. Die letzte Woche in Hogwarts war einfach zu nervenaufreibend für sie. Doch sie wollte nicht jetzt daran denken. Sobald wie möglich würde sie eine Eule an Ron und Harry schicken und sich nach ihrem Befinden erkunden.
Gerade als sie wieder eindöste, klackerte es an ihrem Fenster und Hermine schreckte auf.
„Was zum…?" murmelte sie und stand widerwillig auf. Rasch zog sie die dunkelblauen Vorhänge zur Seite und sah, dass vor ihrem Fenster eine Eule rumflatterte. Als Hermine das Fenster öffnete, flog die Eule auf eine Stuhllehne und streckte ein Bein vor.
„Nanu, wer hat dich denn geschickt?" fragte sie mit müder Stimme und nahm die kleine Pergamentrolle vom Bein der Eule.
Ihr Name stand auf dem Umschlag, in einer etwas krakeligen Schrift geschrieben. Ihr Herz schlug unweigerlich schneller. Hermine hatte eine leise Ahnung, wer ihr diesen Brief geschrieben haben könnte.
„Liebe Hermine,
ich habe gelesen, dass du als Jahrgangsbeste von Hogwarts abgegangen bist und möchte dir gratulieren. Nun, da die Kommunikations-Sperren aufgehoben sind und ich dir wieder schreiben kann, möchte ich dich auch dieses Jahr bitten, mich in Bulgarien zu besuchen. Ich würde dir sehr gerne mein Land zeigen. Im Sommer ist es hier besonders schön…Bitte antworte so bald wie möglich.
In Liebe,
Viktor"
Hermines Herz machte vor Freude einen Hüpfer. Viktor. Wie lange hatte sie schon nicht mehr an ihn gedacht? Viel zu lange. Im letzten Schuljahr, das mehr von dem Kampf gegen Voldemort beherrscht wurde, hatte sie ihn völlig vergessen. Viel mehr zählte das Füreinanderdasein der drei Freunde. Und ihre Freundschaft zu Ron und Harry wurde stark auf die Probe gestellt, nicht zuletzt da Voldemort ständig Zwietracht säte. Doch nun war es vorbei und Hermine hatte endlich den Kopf frei. Sollte sie es wagen und Viktor besuchen fahren?
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und holte ein Stück Pergament aus einer Schublade. Die Feder tauchte sie in ein Tintenfass und begann zu schreiben.
„Lieber Viktor,
ich…"
Doch was sollte sie eigentlich schreiben? Hermine warf der Eule einen kurzen Blick zu. Sie war auf ihre Kommode geflogen, wo sie geduldig zu warten schien. Wahrscheinlich hatte Viktor sie gebeten nicht ohne eine Antwort wiederzukommen.
Sie seufzte und schrieb weiter.
„Mum? Dad? Ihr habt mich doch gefragt, wo ich in diesem Jahr hinmöchte. Also mir ist da eine Idee gekommen."
Mr Granger schaute von seiner Zeitung auf.
„Ja? Wohin sollen wir dieses Jahr fahren, Schatz?" Hermine räusperte sich.
„Nun ja… ‚wir' vielleicht nicht, aber ich…"
„Du möchtest alleine fahren?" Mrs Granger, die am Herd stand und Pfannkuchen machte, klang geschockt.
„Und wohin?" fragte Hermines Vater ruhig.
„Nach… Bulgarien."
„Was?"
„Bulgarien, Mum. Ach, ich habe euch doch erzählt, dass im vierten Schuljahr zwei Schulen in Hogwarts zu Besuch waren. Und…" Hilfe, war das schwierig. Wie sollte sie ihren Eltern erklären, dass ein junger Mann sie zu sich nach Hause eingeladen hatte? „Und ich habe mich da mit einigen angefreundet. Einer wohnt nun zufällig in Bulgarien und hat mich eingeladen, ihn zu besuchen."
„Ihn? Moment mal, ist hier etwa die Rede von einem Jungen?" Mrs Granger wurde ein wenig rot im Gesicht.
„Nun… also…"
„Hermine Jane Granger…"
„Mum! Ihr lasst mich doch auch zu Ron fahren! Warum dann nicht zu Viktor?"
„Viktor? Er heißt also Viktor?" Hermine verdrehte ihre Augen.
„Hör mal, wenn du zu den Weasleys fährst ist das in Ordnung, sie wohnen immerhin hier in England. Und Mrs Weasley ist eine äußerst nette Frau… Aber Kind… in Bulgarien bist du soweit weg, und wir kennen Viktors Eltern nicht." Kind? Hermine war bereits 18 Jahre alt!
„Rons Eltern kanntet ihr vorher auch nicht, und ihr habt mich trotzdem dorthin fahren lassen. Außerdem hatte selbst Prof. Dumbledore gesagt, wir sollen die Kontakte zu Schülern aus anderen Zauberschulen pflegen." Die Erinnerung an den ehemaligen Schulleiter versetzte ihr einen frischen Stich in einer alten Wunde. Trotz seines Todes vor ungefähr einem Jahr schien er immer noch so präsent wie nur irgendwie möglich zu sein.
Hermines Eltern wechselten einen Blick miteinander. Beide wussten, sie würden ihre Tochter nicht so schnell von der Idee abbringen können, nach Bulgarien zu fliegen.
In der Küche der Grangers war Stille eingekehrt, dass nur vom leisen Brutzeln in der Pfanne unterbrochen wurde.
„Eine Woche. Und du rufst jeden Tag an, damit wir wissen, dass es dir gut geht", sagte Mr Granger ruhig und vertiefte sich wieder in seine Zeitung.
