Jaah... ich leeeebe XD So, mal wieder etwas Neues von mir. Wie ihr seht eher ein kurzes Projekt, dass ich nebenbei zu Mondlicht (das nächste Update kommt wahrscheinlich noch vor weihnachten) laufen lassen.

Enjoy ;-)

Warnung: AU, post-war, PS-, CoS-, PoA-, GoF-, OotP-Spoiler, no beta-read

Teil: 1/3

Silberfalke

Kapitel 1

Es war ein kalter, klarer Wintermorgen. Die Sonne stand strahlend am hellblauen Himmel und ihr Licht brach sich glitzernd in der hohen, weißen Schneedecke, die sich gleichmäßig über die Ländereien von Malfoy Manor ausbreitete. Und auch die Bäume trugen eine schwere, funkelnde Schneepracht. Nichts regte sich und die Welt schien ihren Frieden gefunden zu haben.

An dem Stamm einer schneebedeckten, hohen Tanne lehnte die hochgewachsene, schlanke Gestalt von Draco Malfoy und lauschte mit geschlossenen Augen in die Stille hinein. Tief sog er die frische Winterluft ein. Es war noch früh am Tag, die Sonne stand noch nicht hoch, das spürte er. Und doch hatte ihn etwas schon zu dieser Stunde aus dem Bett und aus dem Haus getrieben. Eine seltsame Unruhe, als würde er auf etwas warten.

Er seufzte lautlos.

In den letzten Jahren war so viel passiert. So viel, mit dessen Aufarbeitung er jetzt beginnen konnte. Der Krieg war vorbei. Voldemort war besiegt und es war, als wäre die Welt neugeboren worden. Zumindest für die meisten. Für die, die nicht an vorderster Front gekämpft hatten. Für die, die nicht gesehen hatten, wie ihre engsten Freunde und Vertrauten neben ihnen im Kampf starben.

Oh sicher, es gab in der Welt der Zauberer kaum jemanden, der keinen, den er liebte, verloren hatte, doch es war etwas anderes, wenn man dabei war. Wenn man direkt daneben stand und sich hinterher fragen musste, ob man nicht etwas hätte tun können. Ob der Tod vermeidbar gewesen wäre.

Draco seufzte und öffnete die Augen. Blinde, silbergraue Opale blickten zum Himmel hinauf und er wusste, dass es auf diese Art von Frage niemals eine Antwort geben konnte. Die Zeit ließ sich nicht zurückdrehen. Man konnte sein Leben nicht noch einmal leben und andere Möglichkeiten ausprobieren. Deshalb hatte er gelernt, sich nicht die Schuld daran zu geben. Es gelang ihm nicht immer, das nagende Schuldgefühl abzuschütteln, doch er wäre kein Malfoy gewesen, wenn er zugelassen hätte, dass diese Gefühle ihn beherrschten.

Malfoy... dieser Name würde nie wieder so respektvoll ausgesprochen werden wie früher. Jeder wusste nun, dass sich die Malfoys seit Generationen zu den dunklen Künsten hingezogen fühlten und dass sie sofort bereit gewesen waren, sich Voldemorts Armee anzuschließen, als er das erste Mal seine Macht sammelte. Und dass sie es ohne zu zögern wieder getan hatten, nachdem er nach seiner schmählichen Niederlage gegen den einjährigen Harry Potter wieder auferstanden war. Dass sie nicht aus ihren Fehlern gelernt hatten und dass nur ein einziger Spross dieser Familie einen anderen Weg gewählt hatten. Und selbst Draco wurde verdächtigt, insgeheim doch mit dem Dunklen Lord sympathisiert zu haben.

Doch er hatte sich inzwischen an dieses Gerede gewöhnt. Es wurde immer gemunkelt und Gerüchte verbreitet, wenn sich Menschen fürchteten. Wie im Wahn versuchten sie dann, die Wurzel des Bösen mit Stumpf und Stiel auszurotten und lagen so oft daneben mit ihren Spekulationen.

Draco hatte sie schon vor langer Zeit durchschaut. Inzwischen war es einfach, solche Dummköpfe zu ignorieren. Allerdings musste er zugeben, dass er den meisten nie einen Grund gegeben hatte, ihm zu vertrauen. Er war immer der scharfzüngige, arrogante Slytherin geblieben. Warum sollte er sich auch ändern? In einer Zeit voller Verrat und Misstrauen war es wichtig, sich selbst nicht aufzugeben, selbst wenn es alle anderen taten. Und vielleicht... vielleicht hätte auch er sich den Reihen des Dunklen Lords angeschlossen, wenn es da nicht jemanden gegeben hätte. Wenn es ihn nicht gegeben hätte...

Das leise Rascheln von Flügeln über ihm in den Zweigen ließ ihn aufhorchen. Obwohl danach wieder vollkommene Stille einkehrte, wusste er, dass er beobachtet wurde. Und dieses Geräusch war ihm nur allzu vertraut gewesen. Die meisten Menschen würden behaupten, dass man Vögel nicht anhand des Rauschens ihrer Schwingen erkennen konnte, doch das war falsch. Draco hatte lernen müssen, anderen Sinnen mehr zu vertrauen als seinen Augen und diese Unterscheidung war für ihn sehr wohl möglich. Zumal er dieses Geräusch schon so viele Male gehört hatte.

Ein kleines Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. „Kommst du mich also auch mal wieder besuchen?" Ihm antwortete der leise Ruf eines Falken mit einem merkwürdig trillerndem Unterton, der ein wenig an einen Phönix erinnerte. Ahh, wie vertraut dieser Ruf war...

Das erneute Rauschen von Flügeln sagte Draco, dass sich der Vogel von seinem Sitzplatz erhoben hatte und nun auf ihn zusteuerte. Er musste nicht sehen können, um zu wissen, wie er aussah. Ein silberweißer Falke mit eigentümlich langen Schwanzfedern, die auch ein wenig an einen Phönix erinnerten. Draco wusste noch genau, was er gesagt hatte, als er zum ersten Mal die Animagusgestalt seines ehemaligen Erzrivalen gesehen hatte. „Kannst du nicht einmal etwas richtig machen, Potter? Kannst du dich nicht wenigstens einmal festlegen? Was soll das sein? Weder Falke noch Phönix. Nichts Halbes und nichts Ganzen. Das ist so typisch für dich!"

Doch sein gefiederter Besuch setzte nie auf dem Boden auf. Stattdessen erklang neben dem jungen Mann nun die weiche, familiäre Stimme von Harry Potter. „Hallo, Draco." Und irgendetwas in seiner Stimme ließ den Älteren aufhorchen. Sie hatten sich praktisch seit dem Triumph über Voldemort nicht mehr gesehen. In der Tat hatte niemand Harry seitdem gesehen, aber man hatte auch nicht nach ihm gesucht., weil man vermutete, dass er nun erst einmal allein sein musste. Dass er Zeit für sich brauchte, um die Geschehnisse zu verarbeiten und dass er dann wieder auftauchen würde. In Wahrheit hatte sich wohl niemand mit ihm auseinandersetzen wollen. Der finale Kampf gegen Voldemort war heftig und blutig gewesen und die Grenzen zwischen Ehrfurcht und Furcht waren fließend.

Nur Draco hatte versucht, etwas über Harry Potters Verbleib herauszufinden, doch alles was er in Erfahrung bringen konnte, war, dass er das Kampffeld lebend verlassen hatte. Der Held der Zaubererwelt hatte seine Spuren mit Sorgfalt verwischt.

Doch inzwischen war viel Zeit vergangen und Harry klang verändert. Was war das für ein seltsam klammes Gefühl, das Dracos Herz ergriff? „Hallo Harry." Er wandte ihm das Gesicht zu, obgleich seine blinden Augen nichts mehr zu sehen vermochten. „Was führt dich zu mir?"

„Vielleicht möchte ich einfach nur mal sehen, wie es dir geht? Was hältst du von dieser Möglichkeit?"

„Lass gut sein, Harry. Du warst schon immer ein schlechter Lügner."

Er musste den Anflug des Lächelns auf dem anderen Gesicht nicht sehen, um zu wissen, dass er da war. „In Ordnung. Ich bin hier, um es zu beenden."

„Was meinst du? Würde es dir etwas ausmachen, ein paar Sätze mehr zu sprechen?"

„Ich habe noch eine Schuld zu begleichen. Deshalb bin ich hier."

„So? Wovon sprichst du?"

Das leise Knirschen von Schnee verriet, dass Harry näher kam. Als er schließlich stehen blieb, war er so nah, dass Draco ihn riechen konnte. Wie lange war es her, dass er dieses Geruch das letzte Mal wahrgenommen hatte? Rein und unverfälscht wie ein klarer Frühlingsmorgen. Oh, er hatte ihn so vermisst...

Harrys Hand schwebte nur wenige Millimeter neben seiner Wange und Draco konnte ihre Wärme spüren, doch aus irgendeinem Grund wagte der Jüngere es nicht, ihn zu berühren. Als er sprach klang seine Stimme weich, zärtlich und dankbar. „Du hast dein Augenlicht für mich geopfert. Dieser Fluch war für mich bestimmt gewesen. Das werde ich dir nie vergessen, Draco."

Er schnaubte. „Und du denkst, dass ich mich freiwillig vor dich geworfen habe? Es war ein Unfall, nichts weiter. Wie oft soll ich dir das noch sagen?"

„Natürlich", erwiderte Harry mit dem Anflug eines Lächelns. „Aber ich werde es trotzdem wieder gut machen."

„Rede keinen Stuss. Du weißt genau, dass es für diesen Fluch keine Heilung gibt."

„Lass uns rein gehen. Es ist kalt hier draußen", sagte Harry und lächelte hintergründig.

ooOoOoo

Behutsam stellte Draco den heißen Tee vor Harry auf den Tisch und ließ sich ihm gegenüber in einem weit ausladendem, gemütlichen Sessel nieder. Sein Besucher hatte auf der anderen Seite des Tisches auf der Couch Platz genommen.

Vorsichtig umschloss Harry die warme Tasse mit seinen klammen Fingern, um sich daran zu wärmen, und schnupperte an ihrem Inhalt. „Er riecht wie Weihnachten", sagte er mit einem kleinen Lächeln.

Draco zog eine Augenbraue in die Höhe. „Natürlich, du Blitzmerker. Übermorgen ist schließlich auch Weihnachten."

„Oh, wirklich?" Harry klang ehrlich überrascht. „Dann bin ich wohl länger fort gewesen, als ich beabsichtigt hatte."

„Fünf Jahre. Anscheinend hast du jegliches Zeitgefühl verloren." Es schwang eine gehörige Portion Sarkasmus in diesen Worten mit, doch Draco wusste, er hatte ihn vermisst und sich all die Jahre große Sorgen gemacht. Und nun sollte er eigentlich erleichtert sein, Harry lebend wiederzusehen, doch irgendetwas stimmte nicht. Es gab eine Zeit, da hatten er und Harry so eng zusammengearbeitet wie kein zweites Team. Sie hatten sich aufeinander eingespielt und ein feines Gespür für die Stimmungen des anderen entwickelt. Und irgendetwas war hier verkehrt. Draco wusste noch nicht was es war- aber er würde es heraus finden!

„Fünf Jahre", wiederholte Harry nachdenklich und schien nun mehr zu sich selbst zu sprechen. „Fünf Jahre Zeit und doch...", er unterbrach sich. „Zurück zu dem Grund, aus dem ich dich aufgesucht habe. Ich bin anscheinend nicht der Einzige, der in den letzten Jahren nicht viel Kontakt zu anderen Menschen gepflegt hat."

„Was meinst du? Hör auf, dir in der Rolle des Geheimnisvollen zu gefallen!"

Harry lächelte matt. „Ungeduldig wie immer, nicht wahr Draco? Es gibt Heilung für deine Augen."

„Du redest von diesem Trank, den sie vor zweieinhalb Jahren entwickelt haben. Vergiss es, Harry. Sie haben ihn nicht ohne Grund nie auf den Markt gebracht."

„Severus hat ihn weiterentwickelt und zur Vollendung gebracht. Natürlich ist für ihn niemals etwas vollendet, aber er wirkt und scheint keine Nebenwirkungen zu haben."

„Ach?", fragte Draco spöttisch und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Und wer hat das getestet?"

„Ich selbst." Dann trat kurze Stille ein. Draco starrte seinen Besuch an.

„Jetzt erzähl mir nicht, du hast dich verfluchen lassen, nur, um diesen Trank zu testen."

Harry schwieg und nahm einen Schluck von seinem heißen Tee.

Sein Gastgeber schüttelte ungläubig den Kopf. „Du bist komplett wahnsinnig. Das habe ich schon immer gesagt."

Harry lächelte ihn über den Rand seiner Teetasse hinweg an. „Und wahrscheinlich hattest du schon immer Recht... Severus hat mir die Zubereitung des Trankes beigebracht. Wenn du mir die Erlaubnis gibst, würde ich sofort damit anfangen. Allerdings dauert es sieben Tage, bis er wirklich fertig gestellt ist. Ich möchte dich bitten, solange bei dir wohnen zu dürfen."

„Ich soll etwas trinken, dass du gebraut hast?", schmunzelte Draco und rief nach einem Hauselfen, damit dieser ein Zimmer für Harry vorbereitete. „Das ist Tipsy", stellte er das kleine Geschöpf mit den großen Tennisballaugen vor. „Wenn du irgendetwas brauchst, wende dich an sie." Er gab der Elfe einen Wink und sie trippelte davon, um ihren Auftrag zu erledigen.

„Du weißt, dass Severus mich und meine Braukünste nicht auf dich loslassen würde, wenn er sich nicht sicher wäre, dass ich dich nicht vergifte."

Draco lehnte sich in seinem Sessel zurück und versuchte sich vorzustellen, wie Harry jetzt aussah. Ob die Jahre ihn auch äußerlich verändert hatten? Ob sich irgendetwas von den schrecklichen Bildern, die er in seinem Gedächtnis mit sich herum trug, auch in seiner physischen Erscheinung manifestiert hatte? Draco hatte sein Augenlicht nach einer ersten Phase der Verwünschung nie wirklich vermisst, doch jetzt wünschte er sich, er könnte sehen. Er wollte in Harrys Augen blicken und ihren Ausdruck studieren. Harrys große grüne Augen hatten schon immer mehr gesagt als ihr Besitzer.

„Du bist sicher müde von deiner langen Reise. Trink deinen Tee in Ruhe aus und geh dann nach oben. Ruh' dich ein wenig aus. Wir können heute Nachmittag weiter reden."

Und wieder schlich sich ein kleines Lächeln auf das Gesicht des Jüngeren. Ja, er war erschöpft. Aber das hatte nichts mit seiner Reise nach Malfoy Manor zu tun... „Du bemutterst mich noch immer Draco. Ich danke dir für deine Fürsorge, aber ich wollte gleich mit dem Trank anfangen."

Sein Gastgeber runzelte die Stirn. „Ich bemuttere dich nicht. Aber irgendjemand muss sich ja um dich kümmern, wenn du selbst nicht in der Lage dazu bist. Ich habe jetzt einige Jahre ohne Augenlicht gelebt. Auf ein paar Stunden mehr oder weniger kommt es nicht an. Jetzt mach, dass du nach oben kommst!"

Behutsam stellte Harry seine leere Teetasse ab. „Ich danke dir, Draco." Damit erhob er sich, ging an dem Älteren vorbei und folgte Tipsy, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war, zu seinem Zimmer. Langsam setzte er sich auf das große Bett, nachdem er die Elfe entlassen hatte und sah sich um. Draco ließ sich wie immer nicht lumpen. Das Zimmer war prachtvoll und elegant ausgestattet und überall spiegelte sich Dracos kostspieliger Geschmack wider. In diesem Haus atmete man auf jedem Zentimeter die Präsenz des Hausherrn ein und irgendwie fühlte es sich an, als würde sich der Schatten, der schon so lange über Harry lag, ein wenig lichten.

Er ließ sich zurück auf das Bett fallen, sah zum Himmel hoch und dachte noch bei sich, dass es eine gute Idee gewesen war, hierher zu kommen. Der Mensch, der ihm am meisten bedeutete, sollte der letzte sein, den er sah... Dann war er eingeschlafen und wachte bis zum Abend nicht mehr auf.

ooOoOoo

Als Harry Potter aus den Tiefen des Schlafes zurück in die Realität glitt, konnte er sich gnädigerweise nicht mehr daran erinnern, was er geträumt hatte. Aber er wusste, dass ihn wieder die Erinnerung gequält hatte, denn sein Körper war schweißnass und seine Muskeln völlig verspannt.

Doch plötzlich ließ ihn etwas aufschrecken. Es war nicht wirklich ein Geräusch, sondern viel mehr eine Ahnung, dass er nicht alleine war. Ganz instinktiv fuhr er vom Bett hoch, den Zauberstab in der Hand und bereits einen Abwehrfluch auf den Lippen, als er bemerkte, dass ihn zwei große, ängstliche Tennisballaugen aus der Dunkelheit heraus anstarrten. „Tipsy?", fragte er.

Vorsichtig trippelte das kleine Geschöpf näher. „Tipsy soll Harry Potter zum Abendbrot herunter bringen. Es ist angerichtet."

„Und warum zum Teufel machst du kein Licht!", fragte Harry unwirsch, ließ den Zauberstab wieder in seinen Roben verschwinden und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar.

„Tipsy wusste nicht, ob das Harry Potter Recht ist. Tipsy wollte ihn nicht verärgern", piepste die Hauselfe zu ihm hinauf und Harry verspürte eine allzu bekannte Übelkeit im Magen. Sie hatte Angst vor ihm. Er sah es deutlich in ihren Augen und in ihrer Haltung. Das war nicht richtig. Den Dunklen Lord hatte man fürchten müssen, aber doch nicht ihn. Er gehörte zu den Guten! ... Oder wurde er letztendlich genauso, wie der, den er vernichtet hatte? War es sein Schicksal, wie der zu werden, der ihn sein ganzen Leben lang verfolgt hatte?

Wenn dem so war, dann war es besser einen Schlussstrich zu ziehen, bevor es zu weit ging. Er wollte niemals so werden wie Lord Voldemort. Er wollte nicht, dass man zu ihm aufsah, sich ihm unterwarf und ihm ergeben zu Füßen lag. Er wollte... Frieden... mehr nicht. War das zu viel verlangt?

Resignierend fuhr er sich erneut mit einer Hand durchs Haar. Ja, das war es wohl. Zumindest für ihn. Zumindest in diesem Leben. Für ihn gab es nur einen Weg , Frieden zu finden...

„Zeige mir den Weg, Tipsy."

Wortlos lächelnd trippelte die kleine Elfe voran und Harry folgte ihr ebenso stumm. Es war merkwürdig, wieder hier zu sein. Das letzte Mal als er dieses Haus von innen gesehen hatte, hatte Voldemort noch gelebt. Er hatte mit seinem Team den Auftrag bekommen, sich auf den Ländereien der Malfoys umzusehen, weil hier ein größeres Todesserversteck vermutet wurde. Es war eine einfache Erkundungsmission gewesen und doch war sie so katastrophal schief gegangen. Sie waren in einen Hinterhalt geraten und hatten sich in einem letzten verzweifelten Versuch, ihre Verfolger abzuschütteln, in das Haus gerettet. Irgendwo in den Tiefen der endlosen Gänge von Malfoy Manor war es dann zum Kampf gekommen, den Harry als Einziger überlebt hatte. Schon wieder nur er. Was blieb, war das Gefühl, kläglich versagt zu haben und nagende Schuld.

War es sein Schicksal, andere ins Verderben zu führen und selbst immer wieder davon zu kommen? Eine kleine Ewigkeit hatte er damals noch wie betäubt zwischen all den Leichen gekauert, unfähig, sich zu bewegen und in der Hoffnung er selbst möge auch sterben. Doch schließlich hatte sich sein Verstand wieder ein wenig geklärt und er war hinaus ins Freie getaumelt, um zurück ins Hauptquartier zu apparieren.

Und wenn er heute durch dieses Haus lief, so war da immer noch dumpfes Unbehagen, doch etwas an der Atmosphäre des Hauses hatte sich verändert. Der Schatten von Voldemort war nicht mehr so präsent. Draco hatte sich alle Mühe gegeben, die Hinweise auf die dunkle Vergangenheit der Bewohner dieses Anwesens verschwinden zu lassen.

Als er den prachtvollen Speisesaal betrat, erwartete Draco ihn bereits. Nach alter Sitte des magischen Hochadels saß sein Gastgeber selbst am Kopf der langgestreckten Tafel und der Gast- also er selbst- ihm gegenüber. Harry zögerte, bevor er sich auf dem ihm zugewiesenen Platz niederließ. Er hatte keinen Appetit. Obgleich sein Magen leer war und knurrend dagegen protestierte, spürte er trotzdem nicht das Verlangen zu essen. Wie die meiste Zeit in den letzten fünf Jahren.

Plötzlich bemerkte er den abwartenden und fragenden Blick des Haushelfen, der ihm den Stuhl zurecht gerückt hatte, und ließ sich rasch mit einer fließenden Bewegung darauf nieder. Vor ihm bog sich der Tisch förmlich unter der Last der Speisen, die darauf platziert worden waren. Es war alles kunstvoll garniert und angerichtet und sah köstlich aus und trotzdem drehte sich Harry beim Anblick dieses opulenten Mahls beinahe der Magen um. Aber was hatte er erwartet? Natürlich würde Draco Malfoy ihn reichlich bewirten- wie jeden anderen Gast auch. Das gehörte sich eben so. Auch wenn es eine furchtbare Verschwendung von Nahrungsmitteln war, denn die meisten würden am Ende beinahe unberührt in den Müll wandern.

Andererseits- sie konnten sich jetzt wieder leisten, verschwenderisch zu leben. Gerade gegen Ende des Krieges waren Wasser und Nahrung kostbare Güter geworden. Die wenigsten Zauberer und Hexen hatten behaupten können, jeden Tag satt zu werden. Doch nun war es überstanden. Die Zaubererwelt hatte sich erholt und die Wirtschaft florierte wieder.

„Lass es dir schmecken, Harry", sagte Draco vom anderen Ende des Tisches, unterbrach seine müßigen Gedanken damit und eröffnete mit diesen- zugegeben reichlich informellen- Worten die Tafel.

Der ehemalige Gryffindor wusste natürlich, dass er essen musste. Er war hinreichend über die Biologie seines Körpers informiert, um zu verstehen, wozu Nahrung gebraucht wurde. Und ganz davon abgesehen, würde er Dracos Gastfreundschaft beleidigen, wenn er nichts aß und dessen Sorge schüren.

Also trug er einem der Hauselfen, die beinahe unsichtbar neben der Tafel standen und auf Befehle warteten, leise auf, ihm eine der Hühnerkeulen, etwas von dem grünen Salat und ein wenig von dem Obstsalat zu holen. Das würde er wohl riskieren können. Das war nicht allzu viel, nicht allzu fett und schwer, also würde er es wohl bei sich behalten- vorausgesetzt, er war in der nächsten Stunde nicht irgendwelchen psychischen Belastungen ausgesetzt.

Erstaunlich, wie empfindlich er geworden war. Als Voldemort noch lebte, hatte er alles, was ihm widerfuhr, ertragen. Nicht klaglos, aber er war niemals so labil gewesen. Jetzt, wo er sein großes Ziel, den verhassten Feind zu töten, erreicht hatte, brach seine Psyche und die Schutzmauern, die er um den verletzlichen Teil seiner Seele gelegt hatte, zusammen. All die Traumata der vergangenen Jahre nahmen nun die erstbeste Gelegenheit wahr, ihr wahres Ausmaß zu zeigen.

Möglicherweise sollte er sich in Therapie begeben, doch konnte ihm dort wirklich geholfen werden? Von Leuten, die glaubten, die Komplexität der menschlichen Psyche zu verstehen, die klug daher redeten, an ihm herumdokterten und experimentierten und doch so wenig begriffen? Die gar nicht verstehen konnten, wie es war, der Junge, der lebt, zu sein? Wohl nicht. Es gab nur einen Ausweg...

Langsam verspeiste Harry das Wenige, was er auf seinem Teller hatte und schaute hinüber zu Draco. Es schien, als habe er sich kaum verändert. Weder äußerlich noch innerlich. Er war immer noch stolz und schön wie ein gefallener Engel, von einer Aura kühler Distanz umgeben, die ihn nur noch anziehender machte, weil man wissen wollte, was dahinter steckte. Wie Draco Malfoy wirklich war. Nun, Harry Potter gehörten zu jenen wenigen Glücklichen, denen es erlaubt gewesen war, einige Blicke hinter die Maske aus Kälte und Arroganz zu werfen. In der Tat hatte er von allen wohl am meisten gesehen.

Und seine ganze Art ließ nichts von der Zerrissenheit erkennen, die Harry selbst verspürte. Draco schien im Gegenteil völlig ruhig zu sein. Anscheinend hatte er sich mit den Ereignissen der Vergangenheit abgefunden und die Tatsachen akzeptiert. Das war ein anderes Kapitel seines Lebens gewesen; nun begann ein neues. Harry beneidete ihn um diese Fähigkeit. Für ihn selbst war die Vergangenheit immer noch lebendig und ließ ihn nicht los.

Er beobachtete, wie der Herr von Malfoy Manor einen der Hauselfen heranwinkte und ihn leise etwas fragte, das Harry nicht verstand. Der Hauself warf einen raschen Blick zu dem dunkelhaarigen, jungen Mann und antwortete dann ebenso leise. Harry zog eine Augenbraue in die Höhe. Anscheinend ging es um ihn.

Draco runzelte leicht die Stirn, nickte und schon war sein Gesicht wieder ausdruckslos. Nachdem er sich versichert hatte, dass sein Gast satt war, hob er die Tafel auf und stand auf. Auch Harry erhob sich, wartete jedoch, bis Draco auf seiner Höhe war.

Der Größere wandte sich ihm zu. „Möchtest du dich jetzt zurückziehen?"

„Nein", antwortete Harry Kopf schüttelnd. „Ich würde gerne mit dem Trank beginnen-"

Wieder dieses leichte, beinahe nur angedeutete, Stirnrunzeln. „Du musst nichts überstürzen. Du kannst solange hier wohnen, wie du es wünscht. Vielleicht solltest du dich heute Nacht einfach ausruhen."

„Die Zutaten habe ich selbst dabei, aber ich bräuchte einige Gegenstände", fuhr Harry fort, ohne auf den Kommentar seines langjährigen Partners zu achten.

„Wende dich an die Hauselfen." Dem Jüngeren entging die Missbilligung in Dracos Stimme keineswegs, doch er schwieg, bis sich der Größere schließlich abwandte und den Raum verließ.

Als er schließlich allein war, schlich sich ein trauriges Lächeln auf seine Lippen.

‚Hab Dank für alles, was du für mich getan hast, tust und vielleicht noch tun wirst, Draco. Glaube nicht, ich wüsste deine aufrichtige Besorgnis nicht zu schätzen. Aber je eher ich den Trank fertig habe, je eher meine letzte und größte Schuld beglichen ist, desto eher kann ich Frieden finden...'

-wird fortgesetzt-