Schmerzen. Überall Schmerzen. Sein Hals fühlte sich an, als sei er in alle Einzelteile zerfetzt worden, er bekam kaum noch Luft. Er versuchte, seinen Zauberstab hochzuheben, doch vergeblich. Seine Kraft schwand mit jedem Herzschlag, mit dem sein Blut durch die Wunden am Hals und auf seiner Brust nach draußen strömte. Er schaffte es kaum noch, seine Augen offen zu halten, es kostete ihm zu viel Kraft. Bevor seine Augen sich endgültig schlossen, bevor er in die unendliche Dunkelheit der Bewusstlosigkeit sank, erhaschte er noch einen letzten Blick auf das Wesen, das ihm das angetan hatte – ein im Mondlicht schwarzer, großer Wolf, der ihn mit gelben, hungrigen Augen ein letztes Mal anstarrte um daraufhin im Wald zu verschwinden.

Draco schreckte mit laut hämmerndem Herzen aus seinem unruhigen Schlaf auf. Eine Woche war vergangen, seit er den großen Fehler begangen hatte, und sich in die entlegeneren Gebiete des malfoyschen Anwesens geschlichen hatte – sein Vater hatte wieder eines seiner „Meetings" gehabt, etwas, das keineswegs selten vorkam, doch noch nie waren so viele Todesser aufgekreuzt – Draco hatte das dringende Bedürfnis gehabt, sich aus dem Staub zu machen, besonders, nachdem ein unheimlicher Fenrir Greyback, der selbst in seiner menschlichen Gestalt aussah wie ein Wolf, ihn aus hungrigen Augen angestarrt hatte. Ach, hätte er sich doch in seinem Zimmer verbarrikadiert. Doch er hatte sich ein Buch geschnappt und war damit so weit weg vom Manor, wie nur irgendwie möglich. Hätte er doch einmal gen Himmel gesehen. Hätte...
Fakt war, dass er all das nicht getan hatte. Dass er es sich auf einem umgekippten Baumstamm gemütlich gemacht hatte, ein paar Seiten gelesen hatte, nur um irgendwann einzunicken. Als er wieder aufwachte, war es bereits dunkel, der große, bleiche Mond schimmerte durch die Bäume und ließ alles silbern erscheinen.
Mit Grauen dachte der Malfoy-Erbe an das ungute Gefühl, das sich in ihm breitmachte – und Sekunden später bestätigt wurde, als ein riesiger Wolf aus dem Dickicht auftauchte, seine gelben Augen zu Schlitzen verengt. Im Mondlicht sah er einen Ring aufblitzen, der am Ohr des Wolfs befestigt war. Fenrir Greyback.
Draco hatte seinen Zauberstab zücken wollen, doch so weit war es nicht mehr gekommen. Fenrir hatte sich auf ihn gestürzt, es hatte ihn nicht länger als einen Atemzug gekostet, einen Sprung mit seinen kräftigen Hinterläufen und Draco war mit dem Kopf auf den harten Waldboden aufgeschlagen. Für einen Moment hatte er nichts weiter als den unendlichen Schmerz gespürt, der durch seinen Körper schoss wie ein Blitzschlag, doch das Gefühl hatte sich nach ein paar Herzschlägen gelegt und war in ein schmerzhaftes Pochen abgeebbt.
Es war alles unheimlich schnell gegangen – ein Biss, der ihn fast seine Kehle gekostet hatte und ebenso fast sein Leben – doch das Dunkle Mal war am Himmel erschienen und Fenrir, obwohl dieser als Werwolf selbst keines trug, war heulend davongelaufen, nicht ohne sich noch einmal umzudrehen und beinahe hämisch dreinzublicken.
Erst Stunden später war Draco wieder zu sich gekommen und er hatte kaum etwas anderes wahrnehmen können als den unglaublichen Schmerz. Wie durch ein Wunder hatte er es geschafft, sich zurück zum Manor zu schleppen, und unbemerkt von seinen Eltern einige Heiltränke mit auf sein Zimmer zu nehmen. Leider waren Heiltränke selten so effektiv wie Zaubersprüche, doch zumindest war seine Haut nach ein paar Minuten wieder zusammengewachsen, nur ein großer Bluterguss war geblieben.

Draco seufzte und griff sich an seinen Hals. Auch jetzt noch, nach einer Woche, tat jede Bewegung höllisch weh – auch wenn die Oberfläche geheilt aussah, war es das nicht. Doch die Hauptsache für den Moment war, dass seine Eltern nichts davon mitbekommen hatten. Er hatte ihnen erzählt, er wäre aus dem Bett gefallen, was den Bluterguss erklärte und ihm nichts weiter als ein paar tadelnde Blicke einbrachte.
Was beunruhigender war, war sein Verhalten. Er hatte unglaublichen Appetit auf rohes Fleisch, seine Sinne waren geschärft, er musste sich beim Betreten seines Badezimmers aufgrund der penetranten Düfte der Kosmetikartikel fast übergeben, ebenso zuckte er regelmäßig bei lauteren Geräuschen zusammen. Und dann waren da die Fieberschübe, die wahrscheinlich mit seinen Wunden im Zusammenhang standen und die Alpträume jede Nacht.
Was sollte er tun? Er kannte die Einstellung seiner Familie zu Werwölfen – sah die Abscheu in ihren Augen, wenn über Greyback und sein „nutzloses, dreckiges Pack" gesprochen wurde. Er wusste ebenso, wie Anomalitäten in seiner Familie gehandhabt wurden.
Es hatte keinen Sinn. Auch wenn seine Eltern nicht gerade jeden seiner Schritte beobachteten, würden sie trotzdem merken, wie er sich veränderte, wie er einmal im Monat nachts verschwand und mit Schrammen und Blutergüssen wieder kam... Er musste weg von hier. In Sicherheit.
Auch wenn diese Sicherheit bedeutete, dass er seine Eltern nie wieder sehen würde. Dass er seinen guten Namen verlieren würde. Es bedeutete, dass er von nun an zum Abschaum der Gesellschaft zählte.
Ohne es zu merken, liefen ihm Tränen über sein Gesicht, als er seine Schreibfeder, ein Blatt Pergament und Tinte aus seiner Kommode hervorkramte, und hastig einige Zeilen schrieb. Immer noch unter Tränen pfiff er seiner Adlereule, die Sekunden später zum Fenster hereinflog und ihn missmutig ansah. Er streichelte ihr behutsam über den Kopf und band ihr den Brief ans Bein. „Bring das zu Dumbledore", flüsterte er und sah ihr nach, wie sie, ihn keines letzten Blickes mehr würdigend, in die Nacht hinausflog.
Seufzend kletterte er aus dem Bett um seinen Koffer aus dem Schrank seines überdimensional großen Zimmers zu zerren, und warf wahllos Dinge hinein, die ihm wichtig erschienen. Es war keine Zeit mehr, um ordentlich zu packen, es war keine Zeit, um darauf zu achten, dass seine Kleidung faltenfrei blieb. Er hatte Dumbledore geschrieben, dass er in ein paar Stunden am Rand von Hogsmeade eintreffen würde – näher würde er nicht ans Schloss kommen. Auf eine Antwort konnte er nicht mehr warten, bald würde es hell sein.
Er zückte noch ein letztes Mal seine Schreibfeder, schrieb ein paar Worte auf ein Stück Pergament und legte es auf sein Bett. Seine Eltern würden sonst wahrscheinlich glauben, er wäre entführt worden.
Ein letztes Mal schweifte sein Blick durch sein Zimmer, bevor er seinen Koffer und seinen Zauberstab schnappte und sich auf seinen Besen schwang. Der Schmerz in seiner Halsbeuge kostete ihn fast sein Bewusstsein, doch biss er die Zähne zusammen und flog so leise wie möglich aus dem Fenster, seine Familie, sein Leben, zurücklassend. Und mit seinem alten Leben ließ er auch den alten Draco zurück.