Anmerkung für Neuleser: Um zu verstehen, was es mit Danil auf sich hat - und noch viel wichtiger, wer Danil überhaupt ist, solltet ihr den ersten Teil lesen ;-) (Out of control)

Ich hoffe es gefällt euch. Habe versucht, meinen Schreibstil zu verbessern.


1. Zimmer frei

Warum konnte er nicht einfach schlafen, wie jeder andere Mensch auch?

Danil lehnte sich seufzend über die metallische Brüstung des kleinen Balkons. Es war recht wenig Verkehr auf der Strasse unter ihm, nur gelegentlich drang ein Hupen nach oben. Er hörte ein paar Jugendliche lachen, die in der milden Herbstnacht auf dem Weg zur nächsten Party waren.

Er setzte sich in seinem Rattanstuhl zurecht, ließ seinen Blick über die beleuchteten Häuser und Straßen von Lewiston wandern und versuchte ein wenig besser zu entspannen. Seine Flucht aus Pullman hatte recht frühzeitig hier geendet. Aber Lewiston war gar nicht so schlecht, das Städtchen war recht groß, verfügte über genügend Jobs und auch Unterkünfte. Die zwei Flüsse, die den Ort umgaben - Snakeriver und Clearwater-River, verschafften der Stadt sogar einen winzigen Hafen. Er würde sich tatsächlich gern länger hier aufhalten wollen, doch etwas in ihm drängte ihn weiter. Die Westküste war sein eigentliches Ziel, vielleicht L. A. oder San Fransisco - Riesige Städte, Sonne, Strand und Meer. Und das wichtigste: viele Menschen. Bis dahin war es allerdings noch ein ziemlich weiter Weg - besonders wenn man kein eigenes Auto besaß oder irgendein Einkommen um ein Zugticket zu kaufen…

Ein Einkommen. Er grinste schwach, während seine Finger über den eigenen Arm strichen und an der goldenen Armbanduhr halt machten, die er letzte Woche beim Kartenspiel in Moe's Club gewonnen hatte. Ein paar Drinks, etwas Geplauder, er verstrickte sich in eine Geschichte und schon saß er mit vier fadenscheinigen, unrasierten Gestalten in einem verrauchten Hinterraum, hinter der Bar. Die ersten Runden liefen schlecht, er hatte Mühe den Regeln zu folgen. Drei Schnäpse und zwei Bier später hatte er den Dreh' raus, drehte den Spieß zu seinem Vorteil um - vermutlich auch die Auslegung einiger Regeln - und gewann neben der Armbanduhr auch noch 500 Dollar.

Halb drei, mitten in der Nacht. Noch vier Stunden bis es unten in der Hotellobby Frühstück gab. Nicht, daß er Hunger hätte. Im Gegenteil, er hatte ein fantastisches Abendessen in netter Begleitung...Aber es waren noch vier endlos lange Stunden bis er seinem eigenen Horror entfliehen konnte.

"Grauhaariger Mann, weiße Kleidung" notierte er in dem winzigen Notizbüchlein auf seinem Schoss. Wieder schloß er die Augen, versuchte sich an seinen Traum zu erinnern. Sein Herz schlug noch immer schnell. Lieber würde er vergessen was er eben noch ziemlich lebendig empfunden hatte. Doch er träumte es fast jede Nacht und er sah keinen Ausweg, als es zu Papier zu bringen.
" Männerstimmen"
Sein Blick wanderte erneut über die Häuserdächer. Verdammt, was war da doch? Was sah er im Schlaf, das ihn schweißgebadet aufwachen ließ? Was passierte, daß er nach dem Aufwachen Schmerzen in seinem ganzen Körper spürte? Er nahm einen neuen Schluck Cognac und blätterte durch sein Notizbuch. Es stand nahezu auf jeder Seite das Gleiche. Nichts davon ergab einen Sinn. Er hätte mit diesem John sprechen sollen. Er wußte etwas und Alexejew wußte es auch. Warum konnte er sich an nichts erinnern?

Alexejew. Die Gedanken an ihn wechselten unaufhörlich. Es war als ob…

"Hey."
Er zuckte zusammen, als er die zarte Frauenstimme hinter sich hörte, eine Sekunde später spürte er ihre Hände auf seiner bloßen Brust. Sie beugte sich über seine Schulter, küßte ihn zärtlich auf die Wange und er spürte ihre braunen, glänzenden Haare auf seiner Haut. Sie roch verführerisch gut, er mochte den Duft.
"Hey." SEin Blick haftete noch immer auf den Häuserdächern.
"Was machst du hier?" flüsterte sie leise in sein Ohr.
Statt zu antworten nahm er einen erneuten Schluck Cognac.
"Was notierst du da?"
"...Ideen für einen Geschäftstermin..." log er.
"Kann ich sie sehen?" Sie griff nach dem kleinen, abgenutzten Büchlein
"Nein." Erschreckt richtete er sich auf und schob das Buch zur Seite
"Entschuldige. Ich wollte dir nicht zu Nahe treten. Kommst du jetzt wieder mit ins Bett?"
Er zögerte kurz, ließ die Finger über das Cognacglas wandern. Ins Bett wollte er eigentlich nicht mehr. Nicht für heute Nacht.
"Kathy…"
"Ja?" säuselte sie und begann seine Schultern zu küssen.
"Ich…"
Sie küßte ihn leidenschaftlicher, ließ ihre Hände an seinem Oberkörper langsam nach unten gleiten. spielte schließlich verführerisch mit ihren Fingern am Bund seiner Pyjamahose. Er schloß die Augen. Hoffte, daß sich sein Herzschlagen endlich beruhigte, doch stattdessen fühlte er sich immer unbehaglicher.
"Kathy, bitte…"
"hmmm, ich schlage vor, wir machen da weiter, wo wir eben aufgehört haben…?" Ihre Berührungen wurden intensiver.
"Es ist besser wenn du jetzt gehst…."
"Was?" abrupt hielt sie inne und starrte ihn an.
Mist, er sollte besser nachdenken, bevor er den Mund aufmachte!
"...ins Bett, Honey, ins Bett. Ich brauche noch ein paar Minuten allein, dann komme ich nach." Er spürte, wie sie erleichtert ausatmete, ihm einen verliebten Blick zu warf und sich dann wieder Richtung Schlafzimmer bewegte.

Das war knapp. Die Tochter des Hotelbesitzers mitten in der Nacht vor die Tür zu setzen, wäre nicht unbedingt ein sinnvolles Vorhaben gewesen. Im Hinblick auf die zwei noch ausstehenden Monatsmieten, das ganze unbezahlte Essen und die Nächte an der Bar sogar ein recht Dummes. Er seufzte. Hoffte, daß sie schnell wieder einschlief.
Als sie aus seinem Blickfeld verschwunden war, goß er sich neuen Cognac ein, zog das Büchlein hervor und blätterte wieder in den Seiten.
"Grauhaariger Mann"
Allein das zu lesen fühlte sich unbehaglich an. Wer war der Typ? Woher kannte er ihn? Ob das dieser Mario war, wovon Alexejew gesprochen hatte? Den auch John kannte?

Und wer zur Hölle war John überhaupt? Er drehte seine Hand und betrachtetet die vielen winzigen, vernarbten Einstiche. Die kleine Anstecknadel hatte sie hinterlassen, als Wladimir, Alexejews bulliger Handlanger, ihn zusammengeschlagen hatte. John Smith. Es gab unendlich viele Menschen mit diesem einfallslosen Namen. Ein Blick ins Telefonbuch beendete seine naive Idee umgehend, nach John zu suchen. Vermutlich war das gar nicht sein richtiger Name. Ob er nur kam, um Alexejew zu provozieren? Ein alter Geschäftspartner? Nach kurzem Zögern schrieb er Johns Namen in das Buch.
"Army" hatte er gesagt, und irgendwas mit Spezialeinheit. Auch das schrieb er darunter.
Ein neuer Schluck aus dem Glas. Der Blick wanderte wieder in die Ferne.
Er mußte hier weg. Die Miete konnte er ohnehin nicht bezahlen und Kathy wurde ihm zu anhänglich.
Und zu gern würde er mit Viktor sprechen wollen. Von seinen acht Monaten bei den Bogdanovs war Danil nahezu ständig Viktors Begleiter gewesen. Egal wo, egal wann. Höchst selten ließ er ihn alleine, sorgte dafür, daß Viktor heil und ohne größeren Ärger nach Hause kam. Ganz so, wie es Alexejew gewünscht hatte. Und Viktor zog Ärger an wie ein Magnet: Als Alexejews Sohn nahm sich er sich jede erdenkliche Freiheit, nicht selten im alkoholisierten Zustand. Danil mochte seine Aufgabe nicht immer, aber er fühlte sich mit der Gewissheit gut, Alexejews Vertrauen genießen zu dürfen. Er tat alles, um ihn nicht zu enttäuschen. SChließlich war es Alexejew gewesen, der ihm das Leben gerettet hatte und ihm so etwas wie eine Familie gab. Nicht unbedingt eine Bilderbuchfamilie. Aber es war eine Familie.

Er seufzte innerlich. Ein mieses Gefühl füllte ihn aus. Er hatte den einzigen Mensch verraten, der zu ihm stand. Jetzt hatte er gar nichts mehr. - Oh, nein, natürlich hatte er jetzt die fantastische Freiheit, die John ihm angepriesen hatte. Und was konnte er sich dafür kaufen? Stattdessen war er allein, mit sich und seinen quälenden Gedanken, die sich langsam aber sicher zu einer wirklich lästigen Angelegenheit entwickelten...

"Konzentrier' dich!"
Mit beiden Händen rieb er über seine Stirn. Was hatte ihm John noch erzählt? Die letzte Mission sei schief gelaufen, und er sei in die Hände der Gegner gefallen, das Wort Menschenhändler hatte er verwendet. Er fühlte sich unbehaglicher, spürte, wie sein Herzschlag wieder beschleunigte, als er die Worte notierte.

Er drehte den Stift einige Male zögerlich in seiner Hand, dann schrieb er "Mario?" darunter. Er spürte das Herz bis in seinen Hals hinein. Was zur Hölle war passiert?
ES kam wie ein Blitzschlag, er spürte einen stechenden Schmerz in seiner Brust, der ihm fast den Atem nach.

"Verdammt!"
Er sah noch aus den Augenwinkeln das Cognacglas auf den Boden fallen, als er von seinem Stuhl aufsprang und sich an die schmerzende Brust faßte. Er mußte hier weg. Sofort. Keine Sekunde konnte er länger hier bleiben.
"Honey, ich hab ein Geräusch gehört, ist alles ok?"
"...Ja." Mit etwas Anstrengung schaffte er das Ächzen in seiner Stimme zu unterdrücken. "Mir ist das Glas runtergefallen, ich komme…"
Seine Hände hielten ihn noch für einen kurzen Moment an dem metallischen Balkongeländer fest, während er wartete, daß aus dem Schlafzimmer keine Geräusche mehr zu hören waren Dann eilte er los, Hose, Schuhe, T-shirt -. Keine 10 Minuten später stand er mit seiner kleinen Tasche unten auf der Strasse und überlegte, welche Richtung er einschlagen sollte.

"DANIL! WAS SOLL DER SCHEISS?"
Kathy stand auf dem Balkon und schrie nach unten.
"Honey, es tut mir leid…."
"VERARSCH MICH NICHT!"
"Kathy, ich melde mich!" Er warf ihr einen Luftkuss zu, und sprang geistesgegenwärtig zur Seite. Gerade noch rechtzeitig, bevor neben ihm die Cognacflasche laut klirrend auf dem Boden aufschlug.
"Mein Vater kriegt noch Geld von dir, du mieser Betrüger!"
"Ja ähm ... ich …"
Er drehte sich einmal um die eigene Achse, blickte wieder nach oben zu der aufgebrachten Brünetten. Ein Grinsen lief über sein Gesicht:
"Mein Freund zahlt, John Smith!"
Dann rannte er los.


"Oh hallo, so ein hübsches Gesicht, und das so früh morgens in unserem kleinen Laden! Mein Name ist Betty, ganz zu Diensten. Was kann ich dir bringen, Schätzchen?" Die smarte Kellnerin lächelte Danil verschmitzt an. "
Danil schaute etwas verunsichert nach oben, blickte ihr direkt ins Gesicht. Sie war vielleicht Anfang Fünzig, dezent geschminkt und hatte eine gute Figur, die langen, leicht angegrauten Haare zu einem sportlichen Zopf. Sie paßte gar nicht in den kleinen Diner. Mit einem freundlichen Lächeln positionierte sie sich vor ihm, ihren Notizblock in den Händen.
"Ich kann dir die Rühreier empfehlen, macht der Chef ganz frisch. Mit Bacon und Taost?"
Danil zögerte, in seinen Taschen waren keine 2 Dollar mehr.
"Kaffee gibt's gratis dazu. Und so wie du aussiehst, brauchst du ihn schwarz, Schätzchen!"
Bevor er wirklich ja sagen konnte, war sie schon wieder den Gang entlang. Mit beiden Händen strich er seine zerzausten Haare nach hinten. Er war müde und er sah mit Sicherheit schrecklich aus. Die ganze Nacht hatte er nicht geschlafen, war stattdessen durch die halbe Stadt gewandert in der Hoffnung eine Idee für eine Bleibe zu finden. Zu guter Letzt war er für eine knappe Stunde auf einer Parkbank eingenickt. Zum Glück war es Nachts im Moment nicht so kalt, aber erholsam war es nicht gewesen. Er könnte es noch mal bei Pamela versuchen…. hmmm keine gute Idee. Christie, die war nett gewesen. Wenn da nicht die Sache mit ihrer Freundin gewesen wäre. Die hatte sich ihm ja einfach so aufgedrängt, obwohl er es gar nicht wollte. Zusammenfassend konnte man sagen: Er hatte keinen blassen SChimmer wo er hin sollte.

"Hier, dein Kaffee. Die Eier kommen gleich..."
Sie blieb einen Moment stehen und schaute ihn an. "Was ist los? Ich seh doch, daß du Sorgen hast? Und warum hast du die ganze Nacht nicht geschlafen?"
Irritiert schaute er sie an, zog die Augenbrauen nach oben. Was ist los?
"Ich seh jeden Tag Hunderte von Menschen, mir machst du nix vor. Hat sie dich raus geschmissen?"
Nach einem kurzen Zögern nickte er mit schüchternen Blick, ließ sie die Geschichte allein ausschmücken.
"Nicht zu fassen! Hey - ich hoffe, du hast nichts angestellt… Aber nein, so einer wie du hat keinen Grund morgens so auszusehen, du hättest einen Schlafplatz gefunden, wenn sie dir egal wäre. Das ist sie nicht, stimmts?" Sie seufzte, als er erneut nickte und ohne Mühe noch etwas trauriger schaute.

"Ja - ich…. also heiraten wollte ich sie….. mein Ein und Alles. Ich habe alles hintermir gelassen und aufgegeben: meinen Job, die Wohnung, Familie und Freunde verlassen, und dann, nach zwei wundervollen Jahren, … " er schluckte übertrieben "...dann steht da gestern Abend dieser Typ vor der Tür. Und als ich nachfrage, wer das ist, sagt sie, daß sie …. " Er machte eine auffällig lange Pause und schaute konzentriert aus dem Fenster. Dann atmete er tief ein: "...Es wird schon werden….Irgendwie ….finde ich schon eine Bleibe…." Die Worte kamen nahezu von allein aus seinem Mund, wie ferngesteuert. Er klammerte sich an seinem Kaffee fest, schielte nach oben, unsicher ob sie ihm diese alberne Geschichte abkaufen würde. Vielleicht hatte er doch etwas dick aufgetragen…

"Also - Ich habe ein Gästezimmer - das vermiete ich manchmal an Studenten. Es ist frei zur Zeit..."
"Was?"
"Ja, wirklich. Du kannst bei mir wohnen, bis du etwas eigenes gefunden hast. Und die Eier, Schätzchen, die gehen heute auf mich." Mit einem Zwinkern verließ sie seinen Tisch um die anderen Gäste zu bedienen.
Das war ja schon fast zu leicht. Ungläubig schaute er ihr nach. Als sie außer Sichtweite war, konnte er das kleine Lächeln auf seinen Lippen nicht mehr unterdrücken.