A/N: Ermutigt von einem Favorit-Alert stelle ich eine Geschichte ein, die an "Luftschlösser" anschließt. Chase und House wohnen zusammen, doch ihre Beziehung ist geprägt von Unsicherheit und Zweifeln. Besonders Chase kann an sein Glück, ein Zuhause gefunden zu haben, nicht wirklich glauben.

Viel Spaß beim Lesen! Ich hoffe, es gefällt euch.

Er erinnerte sich. Und war beschämt darüber, ihn vergessen zu haben. Den kleinen Robert Chase, mit dem er zwei Tage lang Paris unsicher gemacht hatte. Die Tuillerien, Eiscreme und Kino. Der Abend in der Pension nahe der Place Vendôme, wo er schockiert festgestellt hatte, dass der Junge ein Opfer häuslicher Gewalt war. In der der Kleine sorglos im Doppelbett geschlafen hatte, bis er ihn aufgeweckt hatte, um ihm seinen Wunsch zu erfüllen, der darin bestanden hatte, den Eiffelturm zu sehen und an dessen Aufstieg sie aufgrund eines traumatischen Erlebnisses aus Roberts Kinderzeit gescheitert waren. Und trotzdem war es schön gewesen. Allein mit ihm zusammen zu sein, zu wissen, dass er ihm mit seiner Zeit etwas schenkte, das er entbehrte.

Materielle Dinge hatten dagegen wenig bis gar kein Gewicht gehabt; damit wurde er daheim vermutlich überschüttet. Nur nicht mit dem, worauf es wirklich ankam.

Nach dem Sturz des Buben war es zwar selbstverständlich, ihm die blutverschmierte Hose zu ersetzen, und er hatte sich regelrecht in einen Kaufwahn gesteigert, nachdem ihm das kleine Mannequin so entzückend erschienen war, doch für den emotional vernachlässigten Chase war House der Höhepunkt des Wochenendes gewesen, nicht die neuen Sachen. So sehr, dass er ihn für einen Zauberer gehalten hatte, an den man im Alter von elf Jahren eigentlich nicht mehr glaubte.

Nach dem Besuch eines Nachtclubs hatte er ihn wieder zur Pension gebracht. Der Vater hatte sich kein einziges Mal gemeldet, den Sohn nicht vermisst. Und er hatte sich fest vorgenommen, Rowan Chase die Leviten zu lesen, nachdem Robert ihm unter Tränen gebeichtet hatte, woher die blauen Flecken auf seiner zarten Haut stammten. Sicherheitshalber hatte er ihn am nächsten Morgen schlafen lassen und nicht sofort ins Ritz mitgenommen, wo der Rheumatologe Quartier bezogen hatte.

Angetroffen hatte er ihn dort nicht. Der Kongress lief zwei Tage, und so gleichgültig wie Dr. Chase in Bezug auf seinen unternehmungslustigen Sprössling war, so gewissenhaft kam er seiner Arbeit nach.

Nachdem er vom Portier erfahren hatte, dass ein Kollege für Robert Gouvernante spielte, war er unversehens zur Tagesordnung übergegangen, ohne sich davon zu überzeugen, dass sein einziges Kind in guten Händen war. House hatte offenbar schon damals einen Ruf genossen, der Vertrauen einflößte, sei das bei Patienten oder Kollegen. Ihm selbst war das zwar nicht klar gewesen, doch er war insgeheim froh gewesen, sein Wochenende mit dem kleinen Jungen verbringen zu dürfen statt in dem stickigen Konferenzsaal eines Hotels.

Der Kongress tanzte ohne ihn, und er bedauerte es nicht einmal. Weil der kleine Junge an seinem Arm hing, mit staunenden Augen alles betrachtete und ihn brauchte.

Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er eine Ahnung davon erhalten, wie es sein konnte, mit jemandem verbunden zu sein, der diese Verbundenheit vollkommen selbstlos genoss.

Ihre Beziehung war wechselseitig gewesen, genau wie heute. Mit Chase ging es gar nicht anders. Er würde nie auf den Gedanken kommen, ihn auszunutzen. Das lag nicht in seiner Natur. Er gab gerne, und er nahm auch, ohne habgierig zu sein. Als Kind war ihm Letzteres leichter gefallen.

Sie waren Boot gefahren auf der Seine, hatten Eis gegessen und Café au lait getrunken, waren durch Montmartre geschlendert, wo jeder Maler dem bildhübschen, blonden, braungebrannten Jungen hinterher gerufen und gepfiffen hatte, um ihn zu skizzieren, bis Robert sich zaghaft an ihn gedrückt und mit schnellen Schritten den Platz überquert hatte.

Er hatte ihn mit Crêpes und anderen Spezialitäten des Landes gestopft, weil er viel zu leicht war für sein Alter. Und weil er selbst gerne aß. Mit einer Selbstverständlichkeit, die Kindern eigen ist, hatte der Kleine alles verzehrt, in selbstvergessener Anmut neben ihm laufend, mitunter dicht an ihm.

Sogar vor einem Teller Jakobsmuschelsuppe in einem Fischerlokal war er nicht zurückgeschreckt. Am liebsten hatte er jedoch Crêpes mit Zimt und Zucker gemocht, dazu einen Becher Apfelsaft. Den hatte er getrunken wie ein Weltmeister. Später hatte er Durchfall davon bekommen.

Trotzdem dachte House gern daran zurück.

Seine Ausgelassenheit war belohnt worden mit dem Lachen eines Kindes, das im Alltag nicht viel Grund zum Fröhlichsein hatte. Alles, was sie gemeinsam getan hatten, war wie Magie gewesen. Roberts kleine Hand, die sich zuerst zurückhaltend und doch vertrauensvoll in seine geschoben hatte. An der er sich sicher gefühlt hatte.

Vor Rührung hatte er schlucken müssen und hätte ihn am liebsten nie mehr losgelassen.

Endlose Stufen hinauf zur beleuchteten Kathedrale Sacre Coeur, die der kleine Robert mit der Dynamik eines Gummiballs hinaufgehüpft war, um ihn im Inneren ehrfürchtig zu fragen, ob es ihn sehr aufhalte, wenn er ein kurzes Gebet für seine zerstrittenen Eltern sprach.

Er hatte verneint und gebannt beobachtet, wie er die kleinen braunen Finger in das Weihwasserbecken getippt und sich bekreuzigt hatte, um dann in stummer Zwiesprache sein Elend darzulegen. Ohne zu weinen oder eine Miene zu verziehen. Anschließend hatte er für seinen neuen Freund Greg gedankt, den der Allmächtige ihm zur Seite gestellt hatte und der auf ihn aufpasste.

Es war albern, sentimental gewesen, doch er hatte sich nur mit Mühe die Tränen verbissen.

Als der Junge zu ihm zurückgekehrt war, hatte er ihn kurz und spontan umarmt und ein seliges Danke gehaucht. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte der kaltblütigste Verbrecher seinen Plan vom Lösegeld aufgegeben, obwohl er damals nicht gewusst hatte, dass der Kleine aus einer angesehenen, reichen Familie stammte; es aufgrund seiner guten Manieren nur ahnte.

Der Kloß in seinem Hals hatte nicht zugelassen, dass er sich auf gleiche Weise erkenntlich zeigte. Von dem unsinnigen Wunsch beseelt, dass das kindliche Gebet in allen Punkten erhört wurde, hatte er mit ihm die Kirche verlassen.

Am Abend, an dem zu viele Tränen über das kleine Gesicht geflossen waren, hatte er Dr. Chase nicht erreicht und beargwöhnt, dass er ihn aufgrund eines schlechten Gewissens mit Vorsatz mied. Was er ihm nicht einmal verübeln konnte. An seiner Stelle hätte er es ebenso gehandhabt. Obwohl es ihm nie eingefallen wäre, den Junior dermaßen zu vernachlässigen.

Robert hatte sich kaum trennen können von ihm, hatte den Abschied mit allen möglichen Finten hinausgezögert und ihn mit seinem treuherzigen Blick immer wieder erweicht, die Rückkehr ins Hotel aufzuschieben. Und er hatte nicht fassen können, dass es einen Vater gab, der dieses anlehnungsbedürftige, süße und unkomplizierte Kind in einer fremden Stadt einem Fremden überließ. Zwei Tage lang hatte Chase ihm das größte Geschenk gegeben, das er schon zu jener Zeit vermisst hatte. Die Gewissheit, doch noch etwas zu fühlen. Für einen anderen wichtig zu sein.

Bis gegen Mitternacht hatten sie im Foyer gewartet, er hatte den vor Erschöpfung halb dösenden Buben in den Armen gewiegt und ihm irgendetwas vorgesungen. Schließlich, als er sicher gewesen war, dass er fest schlief, hatte er ihn schweren Herzens dem Portier übergeben und ihm eine Nachricht an den Vater übermittelt.

Tags darauf waren die Chases wieder nach Down Under unterwegs. Obwohl er den Wecker früher gestellt hatte, hatte er sie verpasst. Es gab keine Adresse, an die er hätte schreiben können, und irgendwann hatte er den kleinen, ungewöhnlichen Australier vergessen. Jahrelanger Medikamentenkonsum hatte ihn vieles in seinem Leben ausradieren lassen. Doch das hätte nicht passieren dürfen. Er hätte am Ball bleiben müssen. Irgendwie hätte er sie aufgespürt und Chase vielleicht etwas erspart, womit er sich seit jener Zeit permanent quälte.

Tatsächlich war Chase damals nicht viel anders gewesen als heute. Ein wenig offener vielleicht, wie das in der Natur des kindlichen Gemüts lag. Nicht viel. Doch das, was danach geschehen war - die Flucht des Vaters, die immer häufiger zur Flasche greifende Mutter und ihr Tod vier Jahre später - hatte seinen Charakter geformt. Sich einzureden, House hätte die Entwicklung seiner Lebensumstände entscheidend verwandelt, indem die Aussprache mit Daddy doch stattgefunden hätte, war vermessen, und dennoch ließ ihn der Gedanke nicht los.

Nicht dass er ihn verändern wollte. Aber eine Prise mehr Selbstbewusstsein hätte er ihm von Herzen gegönnt. Es war nicht seine Schuld, ganz egal, was passiert war. Aber er konnte es ihm sagen, so oft er wollte. Tief drinnen wusste Chase das längst. Trotzdem wurde er es nie los. Wann immer irgendetwas geschah, über das ihm die Kontrolle entglitt, suchte er den Fehler an sich selbst. Äußerlich ohne Makel, war das definitiv sein größter.

oOo

Nach Feierabend kehrte sein Assistenzarzt und Mitbewohner ins Büro zurück. Zugeneigt musterte er ihn, als wollte er ihn sich für immer einprägen, und vielleicht war das auch der Fall, wenngleich er ihn nicht mehr vergessen würde so wie vor über fünfzehn Jahren. Die disharmonisch breite Nasenwurzel, den schönen, sinnlichen Mund, das längliche Kinn, die samtige Haut, die inzwischen blasser geworden war.

Manchmal schrie er stumm danach, berührt zu werden. Auch das war etwas, das ihn reizte an Chase. Die Sehnsucht, von ihm angefasst zu werden, Zärtlichkeit zu erfahren. Er wäre nicht so ausgehungert, wenn Daddy hin und wieder über seinen Schatten gesprungen wäre.

Dankbarkeit ihm gegenüber empfand er dennoch nicht. Genauso wenig wie seinem Stiefvater, der wahrscheinlich der Auslöser dafür war, dass er in Chase etwas von sich selbst entdeckt und es darum soweit zwischen ihnen hatte kommen lassen. Wenngleich seine Motive nicht dieselben gewesen waren. Er hatte offen gegen ihn rebelliert, während Chase zu seinem Vater aufgeblickt hatte, ehe er gewahr geworden war, dass es nicht der Mühe wert war. Weil man Menschen nicht ändern, sie nicht zu etwas zwingen konnte. Auch dann nicht, wenn man einer Säuferin ausgeliefert war und weich und goldig und schutzbedürftig nach etwas verlangte, was andere einem nicht zu geben bereit waren. Ein Grundbedürfnis, das jedes Kind erstrebte. Robert hatte es sich erkauft, indem er sich um die Mutter gekümmert hatte. Gewiss hatte er sie auch geliebt, andererseits wäre er nicht bei ihr geblieben bis zum bitteren Ende. Doch dass sie dazu fähig gewesen war, bezweifelte House.

In seinem eigenen Fall hatte die Mutter ausgleichend gewirkt, doch für Chase hatte es das nicht gegeben. Keine Streicheleinheiten, kein Gute-Nacht-Kuss, und wenn doch, dann ein mit Wodka durchtränkter, an den Mommy sich fünf Minuten danach nicht mehr entsann und ihn stattdessen durch die Wohnung auf die Suche nach ihren raffinierten Verstecken scheuchte.

Er musste Chase bald mal wieder zu seiner Mutter mitnehmen. Sie hatte ihm gut getan. Mom mit ihrer erdrückenden Fürsorge, die ihn vor der Gefühlskälte von John House bewahrt hatte. Sollte man jedenfalls meinen. Doch seine Überlegenheit hatte ihr großes Mutterherz untergraben, so dass in seinem aufbegehrenden Denken nichts mehr Platz gehabt hatte außer dem Anliegen, nie so zu werden wie er. Wirklich gelungen war ihm das nicht. Ja, er war anders. Aber besser nicht unbedingt.

Im Nachhinein hätte er Chase senior immer noch ins Grab prügeln mögen und hoffte, dass er dort wenigstens rotierte vor Ärger über die Unkonventionalität seines Sohnes, für den er sich eine andere Zukunft ausgemalt hatte. Keiner sollte das Recht haben, dermaßen herzlos mit seinem eigen Fleisch und Blut umzugehen. Erst recht nicht, wenn dieses so sensibel reagierte wie Chase, der sich nach dem Durchschauen des Vaters enttäuscht in sich selbst zurückgezogen hatte.

„Kommen Sie?" fragte Chase mit einem zuckenden Lächeln und ließ sich ihm gegenüber nieder, den Filzball zwischen den Handflächen rollend. House' forschender Blick verunsicherte ihn. „Oder gibt's etwas, über das wir reden müssen?"

„Nein. Bis auf unsere vorgezogenen Flitterwochen."

Seine Brauen runzelten sich, und er drehte sich um, um ihm mit dem Blick durch das Büro zum Garderobenständer zu folgen, während er nonchalant den Laborkittel abstreifte und ihn über der Stuhllehne liegen ließ.

„Flitterwochen?"

„In Paris. Der Stadt der Liebe. Ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen soll. Schwülstig klingt ein Trip dahin so oder so. Aber die Stadt soll um diese Jahreszeit herrlich sein. Betrachten Sie's als kleine Gefälligkeit für eine wunderschöne Zeit."

Ungläubig schnaubend erhob er sich. Noch war das Ganze eine Schrulle, doch House sah ihm an, dass er fürchtete, er habe den Verstand verloren oder beabsichtige, ihn zu etwas zu überreden, das Chase widerstrebte. Mit dem physischen Aspekt ihrer Beziehung tat er sich immer noch schwer und würde es tun, bis sie eines unseligen Tages wieder ihre eigenen Wege gingen.

Allerdings kam es House nicht darauf an, auch wenn die Erwähnung der Stadt der Verliebten Schamlosigkeit oder gar eine baldige Trennung implizierte.

„Was wollen wir denn dort? Ich glaube nicht, dass Dr. Cuddy uns eine Auszeit genehmigt."

„Ich habe sie bereits gefragt. Genauer gesagt, bekniet, bis ihr nichts anderes übrig geblieben ist. Ich habe vor langer Zeit einen Fehler gemacht, den ich durch eine kleine Reise mit Ihnen glatt bügeln möchte."

Jetzt lachte er. Befreit klang es nicht. Eher misstrauisch. Er wusste, weshalb. Was er andeutete, musste sich in seinen Ohren anhören wie ein Schwanengesang. Der krönende Abschluss einer fruchtbaren Beziehung, die für einen eigenbrötlerischen Krüppel wie ihn eine Wende genommen hatte, die er nicht mehr zu steuern imstande war.

„Sie machen keine Fehler. Ich weiß gar nicht, was Sie meinen."

Er klärte ihn nicht auf, und es war nicht Chase' Art, nachzuhaken. Einerseits schätzte er das an ihm, andererseits konnte es mitunter erschreckend sein. Wie Rowan Chase' Gleichgültigkeit. Auf andere Weise, natürlich, aber nicht minder verstörend. Doch sein vermeintliches Desinteresse entsprang der Angst, ihn zu verärgern und damit zu verlieren.

Robert. Sprich doch mit mir. Dafür bin ich da.

Auf dem Motorrad schmiegte er die Wange an House' Rücken und umklammerte ihn fester als üblich. Seine Art, zu kommunizieren. Sie sagte ihm mehr als Worte. Aber er hätte sie gerne gehört.

oOo

Zuhause nahm er die Küche in Beschlag. Eine seiner unzähligen positiven Seiten war das Vergnügen, mit dem er kochte. Seit Wilsons askenasischem Einfluss war er mutiger geworden und probierte Rezepte aus, für die House sich mehr als bereitwillig als Testesser zur Verfügung stellte, denn eines war köstlicher als das andere.

Da es aufs Wochenende zuging, bereitete er einen Tscholent aus Rindfleisch zu, dessen Duft sich mit Zwiebeln, Gerste und Bohnen zu einer unwiderstehlichen Verführung vereinigte. Fast so unwiderstehlich wie der Koch selbst.

Wenn er vor dem Herd stand, vergaß er alles um sich herum. Was er tat, machte er gründlich. Mit einem schmerzhaften Ziehen im Magen, das nicht vom Hunger herrührte, wurde ihm bewusst, dass Chase' Fähigkeit zur Hingabe erst spät gewürdigt worden war. Viel zu spät durch ihn, dem kratzbürstigen Chef, dessen anfänglicher Zynismus der Junge nicht verdient hatte. Wenn er sich etwas wünschen dürfte, etwas rückgängig machen könnte, dann wären es die Anzüglichkeiten auf Kosten seines ihn so geduldig ertragenden Angestellten. Anders als Foreman oder Cameron hatte er sich nie aufsässig ihm gegenüber gezeigt, das Etikett eines Strebers aufgestempelt bekommen und gerade darum das Meiste abgefangen. Ungerechterweise. Irgendetwas war an ihm, das ihn dazu prädestinierte, in die Rolle des missverstandenen Außenseiters zu schlüpfen.

Von hinten trat er an ihn heran, um in den Topf zu lugen. Ein heiseres, eindeutig erregtes Geräusch stieg in Chase' Kehle, als er sich gegen ihn lehnte und den Kopf an seine Schulter drückte. Er genoss es, von ihm beim Kochen umgarnt zu werden. Das war fast ein kleines Ritual, das sich dennoch nie abnutzte.

„Ginge es nach mir, würde ich Sie nie hergeben wollen", wisperte er rauh in sein wundervoll seidiges Haar, von dem er beim Sprechen einzelne Strähnen zwischen die Lippen nahm. Weich wie das eines kleinen Jungen. „Allein Ihrer kulinarischen Experimentierfreude wegen. Und nicht nur die kulinarische würde mir fehlen."

„Das muss sie nicht. Ich bin doch hier."

„Ich weiß nicht", murmelte er, nach seinem Mund schnappend, und konnte eine gewisse Traurigkeit nicht verhehlen. „Manchmal denke ich, ich träume. Oder wir beide. Sie werden nicht bleiben. Ich wollte es nicht. Sonst würde ich Ihre Zukunft ruinieren. So wie Dad es beinahe getan hat."

„Ich bin zu Ihnen gekommen durch ihn", erinnerte Chase. „Vielleicht anders, als er es sich vorgestellt hatte. Aber es ist mir inzwischen egal. Und ich bin glücklich bei Ihnen. Das ist doch nicht – falsch, oder?"

Sanft und doch überwältigt knabberte er an seinem Mund, der Nase und der Stirn, wobei er ihn in seine Arme zog, in denen der Junge sich entspannte. Er seufzte ein bisschen und senkte den Blick, ihn ebenfalls umfangend. Äußerungen wie diese stürzten ihn in Verlegenheit. Sie sollten es nicht. Er liebte ihn, und er durfte ihm alles anvertrauen. Selbst Dinge, die seiner Meinung nach pathetisch waren.

Durchdringender Brandgeruch ließ ihn herumwirbeln, die Platte herunterdrehen und den Inhalt des Schmortopfes hastig wenden. Die Regelmäßigkeit, mit dem ihm das Essen anbrannte während ihres Rituals, war beinahe schon selbst eines. Merkwürdigerweise fand er es heute nicht komisch. Hart aufschluchzend rührte er im Topf in der Absicht, das angepappte Fleisch zu retten, und wischte sich mit einer Hand übers Gesicht.

„Ich mag Angebranntes", versicherte House, doch es war Chase kein Trost.

Das Essen und das anschließende Packen verliefen in Schweigen, das ihn nicht über die Maßen beunruhigte, da sie beide nicht viel sprachen. Doch er konstatierte eine Melancholie an dem großen Chase, die der des kleinen nicht unähnlich war. Irgendwie musste er ihn auf andere Gedanken bringen, die Vorfreude ein wenig anstacheln.

„Haben Sie Ihren Bären noch? Dieses grässliche einäugige Ungeheuer? Teddy?"

„Tony", berichtigte er, zum ersten Mal an diesem Abend lächelnd, und faltete sorgfältig ein Hemd. Die Bedächtigkeit, mit der er seine Kleider zusammenlegte, hatte etwas Meditatives. „Nein. Abgesehen davon haben Sie ein besseres Gedächtnis als ich. Ich habe Ihnen vielleicht von ihm erzählt, aber bestimmt nicht, dass er grässlich und einäugig war. Was nämlich nicht stimmt."

„Schade. Ich habe gehofft, Sie könnten ihn mitnehmen."

„Warum Paris, House?"

Er setzte sich neben den Koffer, den der Junge packte, als würde er eine Weltreise antreten. Der Geruch nach gestärkter Baumwolle umschmeichelte seine Nasenflügel, und er lotste Chase zu sich auf seinen Schoß. Sein Mund streifte den Flaum auf seinem Nacken, der sich noch genauso zart anfühlte wie vor sechzehn Jahren. Wenn er die Augen schloss, konnte er ihn bildhaft vor sich sehen. In seinen Retros, dem kleinen Unterhemd und mit dem bestrickenden Schmollmund, als er ihm mitgeteilt hatte, dass er ihn untersuchen musste, weil er den Verdacht hegte, man habe ihm wehgetan.

„Weil ich Sie dort kennen gelernt habe. Ich möchte Sie besser kennen lernen als damals. Und ich wünschte, Sie wären elf Jahre alt. Könnten Sie so tun? Mir zuliebe?"

Irritiert wandte er ihm das Profil zu und schnaufte hilflos. Aber er schwieg. House strich über seinen Schopf, das kräftige Rückgrat und dann über seinen Bauch, in dem auf einmal die Zwerchfellatmung aktiviert wurde und den Jüngeren zu einem Schluckauf verleitete. Seine Beine schlangen sich rücklings um House', bevor er sich an ihn lehnte. Es war eigenartiges, ein aufregendes Gefühl, ihn völlig entspannt auf sich sitzen zu haben, sein Gewicht auf dem lädierten Oberschenkel zu spüren, ohne dem Verlangen nachzugeben, ihn zu nehmen, um ihm zu zeigen, was Chase ihm bedeutete.

Auf einmal öffneten sich in seinem Inneren sämtliche Schleusen, und er unterdrückte nur mit Mühe ein Aufschluchzen. Es tat weh, aber irgendwie auf gute Art. Still und ohne Tränen bettete er das Gesicht an Chase' Schulter.

oOo

Ein Zettel lag auf dem Kissen neben ihm. Chase' Hälfte war zerwühlt und leer. Schlaftrunken langte er nach dem Fetzen Papier, herausgerissen aus dem Kalender, den Chase zum Tagebuch zweckentfremdet hatte. Säuberliche Blockbuchstaben waren von energischer Hand darauf verewigt. Er rollte sich auf den Rücken und hielt sich die Nachricht auf Armeslänge entfernt vor die Augen.

Was er las, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Es musste wohl so etwas wie ein Abschiedsbrief sein. Er hatte ihn erschreckt.

Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll. Ich will nicht nach Paris. Wir hatten eine schöne Zeit, und es soll so bleiben. Sie bedeuten mir viel, das macht mir oft Angst. Dass ich Ihnen offenbar auch etwas bedeute, macht die Sache nicht leichter. Wir sind beide nicht daran gewöhnt, für andere zu sorgen oder Rücksicht zu nehmen.

(Als ob du nicht bewiesen hättest, dass sogar ich es kann, dachte House)

Darum war das, was uns verbunden hat, etwas Besonderes, und es war uns beiden klar, dass es nicht für immer sein kann; Ihnen mehr als mir. Manchmal denke ich, es wäre besser, wir hätten uns nie auf die Art kennen gelernt, wie wir das heute tun. Sie sind mein Boss. Ich habe nicht verhindern können, dass mehr daraus wurde. Aber ich quäle Sie. Darum ist es das Beste, wenn ich gehe. Gestern habe ich gedacht, ich sterbe, als Sie sagten, Sie wollten einen Fehler gutmachen. Sie haben nie einen gemacht, im Gegenteil. Vielleicht lag es an mir.

Bitte verzeihen Sie. Danke für alles.

Rasch federte er aus dem Bett. Schneller als es sein Bein zuließ, humpelte er mit schmerzverzerrtem Gesicht über den Flur, riss die Haustür auf. Wenn er Glück hatte, erwischte er den Jungen in letzter Sekunde; in den Falten des Bettes hing noch seine Wärme. Er hätte es merken müssen: die zum Platzen gefüllte Reisetasche (die mit ihm verschwunden war), seine Unruhe und die scheue Zuneigung, mit der er sich verabschiedet hatte, ihn darum bittend, ihm seinen Entschluss nicht nachzutragen. Chase war kein Gewohnheitstier wie er; etwas lag in ihm, das ihn immer weiter trieb, fort von dem, was er eine Zeitlang gehabt hatte und ihn auf Dauer ängstigte. Eine Beziehung einzugehen war für ihn weitaus schwerer als für House, das erkannte er jetzt. Ein nicht zu unterschätzender Faktor war die Tatsache, dass er ein Mann war. Sicherlich träumte Chase wie jeder von der perfekten Symbiose, aber bitte mit einem Mädchen. Was House anging, so hatte er sie mit Chase, und keinerlei Ambitionen, das zu ändern. Gelegentliche Turbulenzen schadeten nicht, fand er. Brachten erst Würze herein.

Mit Chase war es nie langweilig, selbst da sie ihre Rituale und Momente pflegten. Allerdings hatte er den Bogen jetzt überspannt.

„Chase!"

Er schrie. Er brüllte. So laut, dass einige Nachbarn die Fenster öffneten und stutzig hinaussahen. Der Dodge und die Honda parkten vor der Haustür, folglich war er zu Fuß, wahrscheinlich hatte er den Bus genommen. Aber wohin? Zur Klinik konnte er nicht gegangen sein – scheinbar hatte er vor, zu kündigen, um alle Bänder zu ihm zu kappen. Verrückter Knabe. Was, wenn er etwas vorhatte, das ihn ihm für immer entreißen würde? Der Gedanke drehte ihm den Magen um. Er rief in der Klinik an, doch wie er erwartet hatte, war Chase dort nicht eingetroffen.

Er zog sich an und schwang sich auf das Motorrad.

Im Loft war es kalt, aber er konnte die Anwesenheit seines Schützlings unter dem Staub und dem kalten, sich hartnäckig haltenden Zigarettenrauch riechen. Ein Hauch von Weichspüler und Chase. Mühsam schleppte er sich die Stiege zum Schlafzimmer hoch.

Auf dem Bett hockend, starrte ihm der Junge aus riesigen Augen entgegen. Anstalten, aufzustehen, machte er nicht. Wasser lief in den Whirlpool, den er zu Chase' Geburtstag in die Mitte des Raumes hatte installieren lassen.

Entkräftet von der Strapaze der Treppe plumpste er neben ihn. Lange Zeit sagte keiner etwas. Als House' Bein zu zucken begann, strich Chase langsam und beiläufig darüber. Augenblicklich verebbte der Schmerz. Der wahre Zauberer war er.

„Ich wollte noch ... ein Bad nehmen", erklärte er.

„Und dann zu Qantas laufen. Ich habe Ihre Nachricht gelesen. Was habe ich getan?"

„Nichts", entgegnete er. „Es tut mir leid. Ich – kann nicht mit nach Frankreich."

Behutsam zog er ihn an sich, wühlte in seinem Haar. Er zitterte.

„Weil ich Sie dort alleingelassen habe?"

„Dad war da. Es war nicht Ihre Schuld."

Dad hatte natürlich geschimpft. Ein Heuchler. Vor House spielte er den erleichterten Vater, während er dem Sohn in harten Worten verdeutlichte, dass es verkehrt war, einem Fremden zu vertrauen. Möglicherweise war es dabei nicht geblieben. Handgreiflichkeiten war der Kleine gewöhnt; er hatte vermutlich nicht einmal aufbegehrt.

House kraulte seinen Nacken, während ihn Schuldgefühle peinigten. Er hatte Zeit gehabt; er hätte warten sollen, um dem Jungen beizustehen im Disput mit dem Vater, der sich von seinem Sohn ohnehin nichts erklären ließ.

„Ich hätte nicht gehen dürfen. Ich wollte mit ihm reden. Über Sie. Und war zu feige, auf ihn zu warten. Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen. Was ich damals gesagt habe, stimmt nicht. Ihr Vater war ein Idiot. Der größte, den man sich vorstellen kann. Chase. Bitte kommen Sie mit mir. Ich bin gerne mit Ihnen unterwegs, und es hat Ihnen doch immer Spaß gemacht, oder? Wir könnten ein wenig den Geist von damals beschwören. Was mache ich denn mit den Tickets, wenn Sie sich verweigern? Die sind schon gebucht. Na schön, Cameron würde sicher nicht nein sagen, aber ich zu ihr. Ich will Sie dabei haben, niemand sonst. Es macht keinen Sinn ohne Sie."

Gemeinsam stiegen sie in den Whirlpool. Eine Antwort hatte House noch nicht erhalten. Es lag ihm fern, Chase zu bedrängen. Ein Bad würde ihn ein wenig beruhigen.

„Ich hatte Alpträume", fing Chase ungewöhnlich mitteilsam aus heiterem Himmel an und spielte versunken mit House' Fingern, führte sie an seine Lippen. Das war neu, und es erregte ihn mehr als er sich eingestand.

„Nachdem Sie fort waren. Ich wäre gern mit Ihnen gegangen. Ich habe geglaubt, Ihre Maschine stürzt ab oder Ihnen stößt etwas zu, weil ich Dad nicht mehr wollte und Ihr Sohn sein wollte statt seiner. Ich war ein ziemlich naives Kind, und ich dachte, Sie würden dafür bestraft, dass ich mit Ihnen viel mehr Spaß hatte als mit meinen Eltern. Und weil ich mir gewünscht habe, dass Sie mein Vater wären. Meine Mutter hat mich ausgelacht, als ich ihr von Ihnen erzählt habe. Ich hatte ja keinen Beweis, mit wem ich das Wochenende verbracht hatte. Mit Dad hat sie nicht mehr geredet. Sie meinte, ich hätte geträumt. Ich hatte – viel Phantasie, früher. Später habe ich mir das auch gesagt. Aber die Sachen, die Sie mir gekauft hatten in dem Modecenter, habe ich aufgehoben wie einen Schatz. Ich wollte Ihnen schreiben, Ihnen sagen, wie sehr es mir gefallen hat mit Ihnen, aber ich hatte nur Ihren Vornamen. Ich hätte es Ihnen gerne gesagt. Auch, dass ich nicht wütend war. Sie sind gekommen wie ein Zauberer und auch gegangen wie einer. Sie haben mir geholfen, an Märchen zu glauben. Ich habe viel an Sie gedacht." Verlegen prustete er. „Ich hoffe, meine Flaschenpost hat Sie nie erreicht."

„Chase", sagte er leise. „Bitte kommen Sie mit nach Paris. Sie haben es verdient."