Kapitel
Die Couslands von Highever
Die ganze Burg war in Aufruhr.
Das Königreich Ferelden wurde ein weiteres Mal bedroht. Bedroht von der bestialischen Dunklen Brut. Hier und da wurde gemunkelt, es handele sich um eine weitere Verderbnis, die über das Land käme. Aber das war nicht sicher.
Das Haus Cousland, loyal an der Seite des fereldischen Königshauses, war zu den Waffen gerufen. Die Soldaten des Teyrn bereiteten sich im Burghof auf den morgigen Abmarsch nach Ostagar auf. Dort wollte der junge König Cailan der Dunklen Brut entgegentreten. Dort hielt er Heerschau. Fergus sagte, er wolle die Konfrontation herbeizwingen.
Wie eine Amazone aus vergangenen Zeiten schritt Elienna Cousland zielstrebig an den Kriegern vorbei, die ihre Satteltaschen packten, ihre Schwerter schliffen und die Pfeile in die Köcher verteilten. Die Männer hielten bei ihrer Arbeit inne und stießen einander an, um sich gegenseitig auf sie aufmerksam zu machen. Anerkennende und bewundernde Blicke folgten ihr. Sie zog es jedoch vor, diese Blicke nicht zu beachten. Entweder sahen sie eine waffenverliebte, unweibliche Kriegerin, die Kameradin auf dem Schlachtfeld, oder nur eine Trittstufe auf dem Weg in eine der mächtigsten Adelsfamilien des Reiches. Sie war aber weder das eine, noch das andere. Im übrigen entsprach keiner von ihnen der Sorte Mann, nach der sie sich sehnte. Und für die meisten hier im Hof war sie aufgrund ihres Standes ohnehin unerreichbar.
Elienna war die jüngere Tochter des Teyrn Bryce und der Teyrna Eleanor. Sie gab sich immer wieder der Hoffnung hin, dies bedeute weniger Verantwortung, weniger Pflichten. Ihr Vater fand aber immer etwas, um ihr zu zeigen, dass auch sie einen wichtigen Platz im Gefüge der Familie hatte. Auch jetzt hatte er sie wieder einmal zu sich gerufen. Hoffentlich wollte er ihr nicht schon wieder auf Drängen ihrer Mutter einen aussichtsreichen Heiratskandidaten präsentieren. Nein, das würde er bei all dem Durcheinander, das momentan auf Burg Highever herrschte, gewiss nicht tun.
Mit beiden Armen stieß sie geräuschvoll die zweiflügelige Tür zur Haupthalle der unteren Burg auf. Die Köpfe aller Anwesenden wandten sich ihr zu. Sofort erkannte sie den Gast ihres Vaters.
Ah, Rendon Howe, dieses kleine Frettchen, dachte sie. Von allen Untergebenen ihres Vaters, warum musste es ausgerechnet der sein?
„Meine Tochter, ich habe dich gar nicht bemerkt", sagte ihr Vater und ein Anflug von Ironie schwang in seiner Stimme mit. Es war wohl kaum möglich, ihren Auftritt zu überhören. Arl Howe schaute taxierend an ihr herauf und herunter, als sei sie eine besondere Ware, die auf dem Markt zum Verkauf stand und bemerkte: „Eure Tochter ist erwachsen geworden. Eine bezaubernde junge Dame. Vielleicht sollte ich bei meinem nächsten Besuch meinen Sohn Thomas mitbringen. Er hat nach ihr gefragt."
Elienna kniff die Augen zusammen. Sie mochte es überhaupt nicht, wenn man über sie sprach, als sei sie gar nicht anwesend. Sie war keine Hofdame, die mit viel Luft zwischen den Ohren im Alkoven saß und bei ihrer Stickarbeit, den höfischen Klatsch weitergab. Sie war durchaus zu einer eigenen Meinung fähig. Ein wenig schnippisch und zuckersüß grinsend erwiderte sie: „Ich habe aber gar nicht vor, mich verheiraten zu lassen." Und das galt, soweit sie wusste, auch für den drei Jahre jüngeren Sohn des Arl.
„Da, seht ihr Howe? Das ist es, womit ich mich herumplage. Sie lässt sich einfach nichts mehr sagen."
„Sie ähnelt eurer Frau, als sie jünger war. Ich war froh, dass ihr sie geheiratet habt. Die meisten Mädchen in ihrem Alter sind längst verheiratet. Möge der Mann, der sich einmal an sie bindet vom Erbauer beschützt sein."
Die beiden Männer lachten miteinander. Elienna schüttelte den Kopf. Bei ihrem Vater konnte sie Nachsicht walten lassen aber Howes Fröhlichkeit wirkte seltsam aufgesetzt. Warum mochte ihr Vater diesen Mann nur so? In einer Schlacht hätte sie diesem Mann nicht ihren Rücken anvertraut.
„Nun", ihr Vater wandte sich wieder ihr zu, „ich habe dich aber nicht ohne Grund zu mir gerufen. Du weißt, das dein Bruder und ich nach Ostagar aufbrechen werden."
„Was ist mit mir? Ich werde doch mit euch reiten?"
„Unterbrich mich nicht, Elienna. Dazu wollte ich ja gerade kommen."
Elienna nickte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und blickte ihren Vater erwartungsvoll an. „Ich will das du bei Mutter bleibst und ihr bei der Verwaltung der Burg zur Hand gehst. Sie ist zwar die Hausherrin aber... Erbauer, sie würde mir etwas zu sagen haben, wenn sie mich jetzt hörte... sie wird eben auch nicht jünger. Nimm ihr Aufgaben ab. Vielleicht so, dass es nicht allzu sehr auffällt."
Elienna grinste. Auch ihre Mutter hatte als junge Frau eine Kampfausbildung genossen. Man würde niemals eine Äußerung der Schwäche von ihr hören. Sie zwinkerte ihrem Vater verschwörerisch zu, als sie die Absicht durchschaute und versprach: „Ich werde mein Bestes geben Vater."
Der Stolz, der sich in den Augen ihres Vaters zeigte, brauchte keine Worte. Das waren Dinge, die in privaten Momenten gesagt wurden und selbst, wenn ihr Vater Arl Howe als seinen Freund bezeichnete, ging ihn dies nichts an. Bryce Cousland verschränkte die Hände hinter dem Rücken und schlenderte langsam zum Portal der Haupthalle. Elienna schloss schnell zu ihm auf, während Howe, aufgrund seines niedrigeren Ranges einen Schritt hinter dem Teyrn und seiner Tochter folgen musste.
„Ich will dir im übrigen noch jemanden vorstellen", erklärte er seiner Tochter und wandte sich dann an einen der beiden Soldaten, die links und rechts neben dem Portal Wache hielten. „Richtet Duncan aus, ich erwarte ihn in meinem Arbeitszimmer." Der Soldat salutierte und machte sich auf dem Weg, den Befehl auszuführen. Elienna und Arl Howe folgten dem Teyrn zu seinem Arbeitszimmer. Elienna mochte diesen Raum. Er war kleiner und heimeliger als die Haupthalle die sich nicht einmal durch den mehr als mannshohen Kamin im Winter richtig heizen ließ.
Im Arbeitszimmer wartete bereits ein Mann auf den Teyrn, seine Tochter und den Arl von Amaranthine. Er drehte sich um und grüßte die Eintretenden mit einer ehrerbietigen Verbeugung.
„Seid mir willkommen, Duncan. Ich hoffe, ihr hattet unter den gegebenen Umständen eine angenehme Reise hierher."
„Die Grauen Wächter übersenden ihre Grüße, Mylord. Es ist mir eine Ehre, auf eurer Burg Gast zu sein. Tatsächlich gab es auf dem Weg keine weiteren Zwischenfälle. Es scheint, als sparten sich diese Monster alles für die große Schlacht auf."
Elienna beobachtete, wie sich das Gesicht des Arls mehrere Nuancen aufhellte. Er sah aus, als sei er wegen irgendetwas besorgt.
„Ihr habt mir nicht gesagt, dass ein Grauer Wächter anwesend ist, Eure Lordschaft", stammelte der Mann.
Elienna wollte etwas sagen. Wie unverschämt war dieser Mann eigentlich, dass er ihrem Vater ins Wort fiel, während er einen Gast begrüßte? Bryce Cousland jedoch bedeutete ihr mit einer kaum sichtbaren Handbewegung, die nur Mitglieder der Familie richtig deuteten, er werde den Mann selbst in die Schranken weisen.
„Der Besuch Duncans hier war nicht geplant. Er ist ein Gast meines Hauses. Ist das ein Problem für euch?"
Arl Howe schüttelte den Kopf, doch der besorgte Ausdruck in seinem Gesicht verschwand nicht.
Der Teyrn wies auf die samtgepolsterten Sessel und bot seinen Gästen an, sich zu setzen. Er selbst nahm hinter dem wuchtigen Schreibtisch aus dunklem Eichenholz Platz. Elienna postierte sich hinter dem Stuhl ihres Vaters. Überraschenderweise war Vaters Arbeitsplatz aufgeräumt. Das kam nicht oft vor. Eigentlich bevorzugte er das geordnete Chaos. Eine Eigenschaft, die sie von ihm geerbt zu haben schien. Allerdings verwendete ihre Mutter sogar eine Steigerung, wenn sie mit Elienna darüber sprach und behauptete, sie sei das personifizierte Chaos.
Einzig eine Landkarte mit den Gegenden des Südens rund um Ostagar lag darauf. Oben rechts war die Karte mit Vaters versilbertem Tintenfass und unten links mit dem Petschaft mit dem Siegel der Familie Cousland beschwert.
„Ich fühle mich durch Euren Besuch geehrt, Duncan. Wichtige Gäste verirren sich nur selten in unser Teyrnir", erklärte der Teyrn.
Die Art, wie ihr Vater mit seinen Gästen sprach, war ein Grund für die außerordentliche Beliebtheit der Familie Cousland. Sie sahen sich weniger als Herrscher, denn als Verwalter des Teyrnirs. Obwohl sie es nicht sollte, mischte sie sich gerne in den Dörfern und Städten unerkannt unter das Volk und schnappte dort ihre Informationen auf. Beim einfachen Volk galten die Couslands allgemein als gerecht, fähig und mutig. Als ihr Vater das Wort an sie richtete, fiel ihr auf, dass ihre Gedanken abgeschweift waren.
„Elienna, ich denke du hast bereits mit Bruder Aldous über die Grauen Wächter gesprochen, nicht wahr?"
Vater warf ihr einen Blick über die Schulter zu und wartete auf ihre Erwiderung.
„Ja, das hat er. Das eine oder andere Mal. Soviel ich weiß, sind sie ein Orden mächtiger Krieger."
Der dunkelhaarige Mann namens Duncan hob beschwichtigend die Hände. So viel Ehre und Aufmerksamkeit schien ihm ein wenig unangenehm zu sein.
„Nein, nein, Duncan, keine falsche Bescheidenheit. Die Grauen Wächter sind legendäre Helden. Sie haben einst die Verderbnis gebannt und uns alle gerettet. Das ist die Geschichte, kein Märchen. Daran gibt es nichts zu rütteln."
Nun betrachtete Elienna den fremden Mann das erste Mal etwas eingehender. Seine Haut war dunkel, aber nicht wie bei einem Qunari, die von Geburt an dunkelhäutig waren, sondern von vielen Tagen an der frischen Luft und in der Sonne. Seine Augen waren, soweit Elienna das bei dem gedämpften Licht in Vaters Arbeitszimmer sagen konnte, braun oder gar noch dunkler. Allerdings hatte sie noch nie einen Menschen mit wirklich schwarzen Augen gesehen. Sein Haar hatte er zu einem strengen Zopf in den Nacken gebunden und es glänzte schwarz wie Rabenfedern. Bryce Cousland hatte bereits graue Haare und Elienna schätzte, dass die beiden Männer mindestens im selben Alter waren. Auch Duncan hatte etwas Väterliches an sich. Jedoch konnte sie dies nicht, wie es bei ihrem Vater der Fall war, genau bestimmen. Wahrscheinlich, kam sie mit sich selbst überein, lag dies daran, dass ihr Vater ganz einfach wirklich ihr Vater war.
„Duncan ist auf der Suche nach neuen Rekruten für die Grauen Wächter. Ich glaube, er hat ein Auge auf Ser Gilmore geworfen."
Elienna lächelte und erwiderte: „Ser Gilmore? Ja, ich glaube, das würde ihn sehr freuen. Er ist ein guter Mann und ein ausgezeichneter Krieger. Wenn man mich fragte, würde ich das unterstützen."
Duncan räusperte sich und entgegnete: „Herr, ich könnte mir auch durchaus vorstellen, eure Tochter für die Wächter zu rekrutieren. Ihr Ruf eilt ihr voraus."
Bryce Cousland stand auf, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und blickte seine Tochter an. Sein Blick sprach Bände. Mit diesem Vorschlag war er überhaupt nicht einverstanden. Er wandte sich wieder seinen Gästen zu. „Ehre hin oder her. Wir reden hier immerhin über meine Tochter."
Natürlich, sie hatte Verpflichtungen und irgendwann wollte er sie doch mit dem Erben eines anderen Adelshauses verheiraten, um die Bindungen zu stärken. Aber sie wollte das nun einmal eben nicht. Fergus hatte bereits einen Sohn. Wenn er noch eine Tochter bekäme, dann könnte er diese genauso gut vielversprechend verheiraten. Oriana pflegte einen anderen Erziehungsstil, als ihre Eltern ihr hatten angedeihen lassen. Eine Tochter von ihr und Fergus würde gewiss niemals den Umgang mit Waffen erlernen.
„Vater, eigentlich gefällt mir der Gedanke sogar."
„Darüber reden wir später. Alleine", schnitt er ihr das Wort ab. An Duncan gerichtet sagte er: „Ihr müsst mir schon verzeihen aber ich habe nicht so viele Kinder, dass ich sie gerne in den Krieg ziehen ließe. Obwohl sie eine entsprechende Ausbildung genossen haben. Die Gefahren sind nicht zu überschauen. Das weiß wohl niemand besser als ihr."
Die Anspannung im Körper ihres Vaters verriet ihr, dass er immer noch nicht beruhigt war. „Ihr werdet euch doch wohl nicht auf Euer Konskriptionsrecht berufen, oder?"
Duncan schüttelte langsam den Kopf. „Es sieht tatsächlich so aus, dass wir dringend neue Rekruten brauchen aber wir werden niemanden zwingen."
Eliennas Vater entspannte sich ein wenig. Er nahm wieder in seinem Sessel Platz. Obwohl er seinen Standpunkt bereits sehr deutlich gemacht hatte, wagte Elienna einen erneuten Vorstoß. „Aber in meinem Fall wäre es ja kein Zwang..."
„Wir reden ein anderes Mal darüber, Elienna. Ich bitte dich, das jetzt zu respektieren", unterbrach Bryce sie. Seine Stimme hatte einen ungehaltenen Tonfall angenommen. Der Zeitpunkt war gekommen, um den Rückzug anzutreten. Elienna wusste das genau. Sie wich seinem Blick aus und senkte den Kopf, ganz den Anschein der gefügigen Tochter erweckend. Sie wussten beide, Vater und Tochter, dass sie das nicht war.
„Würdest du in meiner Abwesenheit dafür sorgen, dass Duncans Wünschen entsprochen wird?" Er sprach mit ihr, als habe der vorausgegangene Disput überhaupt nicht stattgefunden. Das einzige Anzeichen war eine gewisse Kühle, die sich in seine Stimme geschlichen hatte. Es war besser, nicht mehr allzu viele Worte zu machen. „Natürlich", antwortete sie daher einsilbig.
„Und jetzt bringe Fergus eine Nachricht von mir. Er soll mit unseren Truppen nach Ostagar vorausreiten. Ich warte mit Howe auf seine Soldaten und folge ihm spätestens bei Anbruch des nächsten Tages."
Elienna ging zur Tür. Dort wandte sie sich noch einmal um und nickte dem Grauen Wächter und Arl Howe zu.
Sie wusste, dass ihr Vater nun mit Arl Howe und Duncan die Schlachtpläne für Ostagar besprechen wollte. Gerne wäre sie dabeigeblieben, denn die besten Strategien wurden von Veteranen wie ihrem Vater und Howe entworfen. So hätte sie besser lernen können als durch das Lesen von trockenen Büchern längst verstorbener Gelehrter, die selbst nie in den Krieg gezogen waren.
Schmollend machte sie sich auf den Weg in den Wohntrakt ihrer Familie. Die Burg war teilweise aus dem nackten Fels eines felsigen Hügels geschlagen worden. Steinerne Rampen führten vom untersten Burgtor, das in die Stadt Highever führte, bis hinauf in die Wohnräume der Familie, die nahezu völlig in dem kühlen Felsgestein lagen. Ganz unten befanden sich die Lagerräume und die Schlafräume der Besatzung. Der Form des Felsens folgend waren die nächsten Räumlichkeiten die Haupthalle und die Kapelle. Weiter oben wurden die Räume kleiner, wodurch sie leichter zu heizen waren. Sie begann gerade den Anstieg auf der Rampe, die zum kleinen Speisesaal und zur Küche führte, als sie aufgehalten wurde. Sie erkannte den auffälligen roten Haarschopf von Ser Roland Gilmore. Sie waren zusammen aufgewachsen. Er war vor fünfzehn Jahren als Knappe in die Dienste seines Vaters getreten. Er war ein Jahr älter als sie. Vor einem Jahr hatte ihr Vater ihn zum Ritter des Hauses Cousland geschlagen. In seiner Nähe war sie seit einiger Zeit ein wenig unsicher. Er hatte zarte Gefühle für sie gehegt, was ihr erst vor kurzem klargeworden war. Einerseits hatte sie sich geschmeichelt gefühlt, andererseits wusste sie, dass eine Beziehung zwischen ihnen keine Zukunft hätte. Sein Vater war nur ein minderer Lord. Hinzu kam, dass sie fürchtete, durch so etwas wie Liebe ihren besten Freund zu verlieren.
„Da bist du ja. Ich habe dich gesucht aber deine Mutter meinte, der Teyrn hätte dich zu sich gerufen. Da wollte ich nicht stören."
„Ach, Rory… Vater ist in sehr unangenehmer Gesellschaft", erwiderte Elienna.
Roland grinste, als sie den Kosenamen benutzte, den sie ihm gegeben hatte, als sie endlich aufgehört hatten, sich gegenseitig immer nur Streiche zu spielen und stattdessen gemeinsam ebensolche auszuhecken.
„Ja, ich habe Howe gesehen, als er ankam. Ich musste mich um seine Begleitung kümmern und ihnen Unterkünfte zuweisen. Eigenartig, dass er nur so wenig Soldaten bei sich hatte."
Froh, dass er das Gespräch gleich auf alltägliche Dinge gelenkt hatte, erwiderte sie: „Er kam als Vorhut. Der Hauptteil seiner Armee ist aufgehalten worden… ich habe nicht richtig zugehört. Ist auch egal. Warum hast du mich gesucht?"
„Dein Hund bringt in der Küche wieder einmal alles durcheinander. Nan behauptet, er räume die Speisekammer leer und niemand ist in der Lage, sich ihm zu nähern. Die Elfen haben Angst vor ihm."
Elienna lachte. Marlo war ein reinrassiger Mabari, der schon als Welpe auf sie geprägt worden war. Ihr Vater hatte ihn ihr an ihrem fünfzehnten Geburtstag geschenkt.
„Marlo ist ein lieber Hund. Ein Wachhund eben. Er würde nie jemanden verletzen, den er kennt. Nan sollte sich nicht so anstellen."
Rory verzog ungläubig das Gesicht. Wahrscheinlich hatte er selbst schon einen Versuch unternommen, Marlo aus der Küche herauszubekommen.
„Also, mich hat er angeknurrt. Nun, eure Mutter hat gesagt, ich solle dafür sorgen, dass er aus der Küche verschwindet, damit Nan wieder in Ruhe arbeiten kann."
Elienna verstand das Problem. Rory wollte, dass sie ihn begleitete, um Marlo zu holen.
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zur Küche.
„Darf ich dich etwas fragen?"
Elienna nickte. Sie konnte sich schon denken, was ihr Freund aus Kindertagen so sehr beschäftigte.
„Meine Kameraden haben mir erzählt, es sei ein Grauer Wächter in der Burg. Er sei heute angekommen. Weißt du etwas darüber?"
Elienna lächelte Rory an. Sie hatte mit ihrer Vermutung richtig gelegen. Sie wusste, dass es Rory am Hof ihrer Familie gut ging und dass er sich wohl fühlte. Aber er träumte schon lange davon, selbst ein Grauer Wächter zu werden. Umso mehr, seit sie ihm klargemacht hatte, dass sie nichts weiter als freundschaftliche Gefühle für ihn hegte.
„Das ist wahr. Duncan ist sein Name und er spricht im Moment mit meinem Vater über Ostagar."
Rorys Wangen wurden vor Aufregung fast so rot wie sein Haar. Wenn er so aufgeregt war, sah er wieder aus, wie der kleine, schüchterne Junge, der vor fünfzehn Jahren mit wenig Gepäck und nur in Begleitung eines alten Gelehrten auf der Burg angekommen war.
„Hat er… hat er vielleicht nach mir gefragt?"
Elienna biss sich auf die Unterlippe. Was sollte sie ihm sagen? Sie wäre selbst gerne ein Grauer Wächter und konnte seine Aufregung gut nachvollziehen aber ein selbstsüchtiger kleiner Dämon in ihr sagte, dass sie ihren einzigen Vertrauten neben ihrem Bruder nicht gerne verlieren würde. Nun, er würde es ja doch herausfinden.
„Er spielt tatsächlich mit dem Gedanken, dich zu rekrutieren", verriet sie.
„Heiliger Erbauer!", brach es aus Rory hervor, „Bist du sicher? Stelle dir das vor! Ich! Ein Grauer Wächter! Du weißt, dass ich davon immer geträumt habe. Aber…", ihm fiel der missbilligende Blick seiner Freundin auf, „ich… nun, verzeih meinen Ausbruch."
Aus dem Gang zur Küche drangen lautes Geschrei und aufgeregtes Gebell an ihre Ohren, das von den Steinwänden hin und her geworfen noch verstärkt wurde.
„Siehst du. Er ist gar nicht aggressiv. Er ist eher aufgeregt", erklärte Elienna.
Rory grinste. „Wie gut, dass du seine verschiedenen Laute so gut unterscheiden kannst."
Elienna durchschritt die offenstehende Tür zur Küche und erfasste die absurde Situation. Nan stand zeternd vor der Tür zur Speisekammer. Mal schrie sie die verängstigten und hilflos dreinblickenden elfischen Küchengehilfen Jaris und Elora an, dann fuchtelte sie wieder mit geballter Faust in Richtung der Speisekammer und verwünschte mit allen Flüchen, die ihr in allen Sprachen einfielen den Hund, der einfach nicht freiwillig herauskommen wollte. Elienna räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der Köchin zu erlangen. Nan drehte sich um und richtete nun ihren Zorn ohne Unterbrechung auf die Neuankömmlinge.
„Du! Und du! Dein verdammter Köter ist ständig in der Speisekammer. Dieses Biest sollte geschlachtet werden. Fett genug ist er ja!"
Elienna konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Sie glaubte zwar nicht, das Marlo die Köchin, die früher ihre Kinderfrau gewesen war, absichtlich ärgerte aber es war schon auffällig, wie oft ausgerechnet diese beiden aneinandergerieten. Sonst trollte Marlo einfach alleine durch die Burg, schnüffelte hier und dort und bellte, die wachhabenden Soldaten an, als wolle er dafür sorgen, dass sie diszipliniert und aufmerksam blieben.
„Es tut mir leid, dass er dich belästigt, Nan."
Nan winkte ungeduldig ab. „Schaff' ihn einfach raus. Ich habe mit einer Burg voller hungriger Soldaten schon genug Sorgen."
Elienna ging mit Rory auf die Tür der Speisekammer zu. Als sie Nan in ihrem Rücken wusste, so, dass sie ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte, machte sie eine Grimasse in Rorys Richtung. Nun konnte dieser sich das Lachen auch kaum noch verkneifen. In der Speisekammer bot sich den beiden ein unerwarteter Anblick. Es war keineswegs so, dass Marlo sich über die Vorräte hergemacht hätte. Er stand einfach nur aufgeregt in der Mitte des Raumes und bellte vor sich her.
Elienna ging in die Hocke und rief ihren treuen Hund zu sich. „Marlo, guter Junge, was ist denn los?" Marlo, ein robuster Mabari, ein bulliger Kampfhund, wie er im Buche stand, sprang freudig auf seine Herrin zu und wedelte mit seinem kurzen Stummelschwanz. Manchmal benahm er sich wie ein verhätscheltes Schoßhündchen. Auch jetzt schien er zu überlegen, ob er sich auf den Rücken rollen und den Bauch kraulen lassen sollte. Elienna erkannte das an seinem nachdenklichen Blick. Mabari waren unglaublich klug, allein die Fähigkeit sich in der menschlichen Sprache mitzuteilen, fehlte ihnen. Elienna kraulte Marlo hinter den Ohren. Er neigte den Kopf zur Seite und kniff genießerisch die Augen zusammen.
„Ja, du bist ein Feiner! Oh ja, braver Hund", gurrte Elienna ihrem Hundegefährten vor.
Rory schlug sich die flache Hand vor die Stirn und verdrehte die Augen. „Ja, natürlich, ermuntere ihn nur. Warum auch nicht! Kein Wunder, dass Nan sich ständig über ihn ärgern muss."
Als sei ihm plötzlich eingefallen, dass er seiner Herrin etwas wichtiges mitteilen musste, sprang Marlo in die Mitte des Raumes und drehte sich aufgeregt bellend um die eigene Achse. Genau in diesem Moment flitzte ein grauer Schatten an Marlo vorbei. Marlo stürzte knurrend hinter diesem Schatten her. Kaum hatte er ihn erwischt, ließ sich ein tierisches Kreischen vernehmen und einen Wimpernschlag darauf ein grausames, knackendes Geräusch von brechenden Knochen.
„Ratten!", rief Rory. Aus allen Ecken der Speisekammer kamen nun die ekelerregenden Plagegeister hervor. Elienna zog ihr Schwert und begann gemeinsam mit Rory, eine nach der anderen aufzuspießen. Schlußendlich lagen die Körper von mindestens zehn bis fünfzehn Ratten zu ihren Füßen. Genau konnte man das nicht mehr sagen, da Marlo einige von ihnen bis zur Unkenntlichkeit zerrissen hatte.
„Marlo wollte gar nicht die Speisekammer plündern", stellte Rory fest, „er wollte die Ratten hervorlocken. Er ist ja doch ein Braver."
„Sag ich doch", erwiderte Elienna und bückte sich, um Marlo zu streicheln. Mit stolzgeschwellter Brust und erhobenem Haupt trabte der Mabari vor seiner Herrin und Rory aus der Speisekammer in die Küche. Demonstrativ hockte er sich vor Nan hin und schien etwas zu erwarten. Geduldig begann er, sich die Pfoten zu lecken.
„Da ist der freche Köter ja. Jetzt putzt er sich auch noch, nachdem er die Speisekammer geplündert hat. Dreister geht es ja wohl kaum noch. Ich habe dir ja gesagt, er hat es darauf abgesehen, mich zu ärgern."
Elienna machte eine wegwerfende Handbewegung und ging wieder in die Speisekammer. Als sie zurück kam, hielt sie einen der Rattenkadaver am Schwanz vor Nan in die Luft.
„Siehst du, Nan, deswegen war er so oft in der Speisekammer. Er wollte dich nicht ärgern. Er war nur hinter den Ratten her. So wie es sich für einen guten Wachhund gehört."
Die beiden elfischen Küchengehilfen wichen erschrocken vor der toten Ratte zurück. Jaris fragte: „Die Ratten sind doch nun aber fort, nicht wahr Herrin? Sie kommen auch nicht wieder, oder?"
Elienna nickte und antwortete: „Ja, erst einmal sind sie weg. Aber ich kann nicht versprechen, dass hier nie wieder Ratten auftauchen. Wo Nahrung ist, finden die Biester immer einen Weg. Aber Marlo ist ja da."
Nan schnaubte verächtlich: „Bestimmt hat er die Ratten erst angelockt. Er riecht ja selbst wie eine Ratte."
Marlo winselte verletzt und drehte sich um. Das war nicht fair. Nan vergaß einfach immer wieder, dass Marlo jedes Wort verstand. Zögernd warf der große Hund einen Blick über seine massige Schulter.
„Oh, nun schau mich nicht so an. Dein Hundeblick wirkt bei mir nicht", erklärte Nan trotzig. Elienna erkannte aber, dass ihre ehemalige Kinderfrau längst mit Marlo versöhnt war. Sie holte ein Stück Wurst hervor und hielt es dem Hund hin. „Nun nimm schon. Sag ja nicht, ich würde dir nie etwas geben." Es gelang ihr aber nicht, dies zu sagen, ohne noch ein geflüstertes Mistköter hinterherzuschicken.
Rory lachte laut auf und kassierte dafür einen bösen Blick der Köchin.
„Glaubt ja nicht, ich würde euch nun, da ihr volljährig und ein Ritter seid, anders behandeln, als das ungehorsame rothaarige Dämonenkind das ihr wart, als ihr hier ankamt. Und nun raus mit euch beiden. Ich habe zu tun."
Gemeinsam verließen Elienna und Rory das dampfende und duftende Königreich der Köchin und schlossen die Tür hinter sich.
„Ich muss mich noch um verschiedene Dinge kümmern. Ich fürchte, es wird eine lange Nacht werden. Niemand weiß genau, wann die Soldaten des Arls ankommen und dein Vater hat mich zu ihrer Begrüßung abgestellt."
Elienna nickte. Sie wusste, das Rory am nächsten Tag mit ihrem Vater und den Soldaten des Arl in seinen ersten Kampf ziehen würde. Seine Pflichten nahmen ihn sehr in Beschlag und wenn er noch in dieser Nacht aufbrechen würde, hätte sie keine Gelegenheit mehr, ihn zu verabschieden.
„Ich… nun, falls wir uns nicht mehr sehen… pass gut auf dich auf und komme in einem Stück zurück.", sagte sie. Rory räusperte sich und schien zu überlegen, wie er sich nun verhalten sollte. Etwas hatte sich zwischen ihnen verändert, seit sie seine aufwallenden Gefühle für sie im Keim erstickt hatte. Die unschuldige Nähe der Kindheit war verschwunden.
„Nun komm schon her!", forderte Elienna ihn auf und umarmte Rory so, wie man einen Freund eben umarmte.
Wortlos drehte er sich anschließend um und ging den Gang zur Rampe hinunter, um seinen Pflichten nachzukommen. Elienna sah ihm noch einige Momente hinterher, bis er um die Ecke bog und seufzte dann. Es änderte sich so vieles, wenn man erwachsen wurde.
Schließlich fiel ihr wieder ein, dass Vater sie zu Fergus geschickt hatte. Eilig hastete sie die Rampe zu den Wohnräumen hinauf. Im Atrium, einem eigenwilligen Raum, der eigentlich bereits tief im Fels war aber nach oben hin offen, wie eine Grotte, traf sie ihre Mutter. Sie hatte Gäste. Die Gesichter kamen ihr bekannt vor, doch die Namen wollten ihr nicht einfallen.
„Ah, Landra, da ist ja meine Tochter. Wir haben über dich gesprochen, Liebes. Der Aufruhr in der Küche ist dann wohl beendet, nachdem dieser schreckliche Hund bei dir ist?"
Elienna verzog den Mund. Sie mochte es nicht, wenn ihre Mutter so über Marlo sprach. Eigentlich mochte sie es überhaupt nicht, wenn irgendwer so über Marlo sprach.
„Ja, es ist alles in Ordnung… wie du siehst", antwortete sie. Marlo setzte sich neben ihr auf seine Hinterbeine und gab ein zufriedenes Bellen von sich. Beiläufig stellte die Teyrna ihrer Tochter die Gäste vor. „Du erinnerst dich doch sicher an Lady Landra, die Frau von Bann Loren?"
Ja, dachte Elienna, die ständig betrunkene Frau des erbärmlichsten Speichelleckers und Wetterfähnchens von ganz Ferelden. Natürlich! Elienna erinnerte sich an einige schamlose Auftritte dieser Frau. Ihrer Mutter Teyrna Eleanor gelang es jedoch, in jeder Hinsicht diplomatisch zu sein und immer wieder auch die verachtenswertesten Menschen einzuladen. Natürlich war Landra nur hier, um für ihren Mann zu spionieren. Ihre Mutter speiste sie mit unbedeutenden Häppchen aus der Klatsch- und Tratschkiste ab. Selbst die Wachen und Bediensteten der Burg waren angewiesen, nur Unbedeutendes von sich zu geben, sobald sich solch heikler Besuch ankündigte.
„Ich glaube, wir haben uns zuletzt auf dem Frühlingsempfang eurer Mutter gesehen. Ihr habt ein wunderschönes Kleid aus grünem Samt getragen, das ausgezeichnet zu eurem Haar gepasst hat. Und diese herrlichen weißen Stickereien… mit Verlaub aber das stand euch viel besser als diese Ledermontur", erinnerte Landra sie.
Wie impertinent! Landra gehörte zu denen, die sie gerne in der Rolle der jungen, heiratsfähigen Adeligen sahen, die keine Meinung hatte und sich für Politik nicht interessierte. Sie überging die Bemerkung und spielte das Spiel ihrer Mutter stattdessen mit.
„Natürlich erinnere ich mich. Es ist schön, euch wiederzusehen, Mylady."
Lady Landra, als Gemahlin eines Bann ganz unten in der Adelshierarchie Fereldens, verbeugte sich leicht vor Elienna. „Zu freundlich, junge Dame. Wollte ich euch beim letzten Empfang nicht dazu überreden, meinen Sohn zu heiraten?"
Wie bei allen anderen Gelegenheiten zuvor ebenfalls, dachte Elienna, behielt ihre Gedanken aber ein weiteres Mal besser für sich. Das Bannorn der Familie Loren gehörte im Moment zum Einflussbereich ihres Vaters aber es grenzte insgesamt an drei Teyrnirs und je nachdem, von wem sich Loren mehr versprach, dessen Einfluss unterstellte er sich durch Vertragsabschlüsse. Ihr Vater hatte aber ein begründetes Interesse an diesen Ländereien. Dort gab es Erz und, was weit weniger wichtig aber unglaublich… köstlich war, den besten Honig von ganz Ferelden.
„Ohne Erfolg, wenn ich hinzufügen darf", ergänzte der junge Mann, der neben Lady Landra stand. Das musste Dairren sein. Elienna erinnerte sich. Er war genauso wenig begeistert von einer arrangierten Liasion wie Thomas, der Sohn Howes. „Hört einfach nicht auf sie. Es ist schön, euch wiederzusehen. Ihr seid bezaubernd, wie eh und je, Mylady, egal ob ihr teure Stoffe oder derbes Leder tragt."
„Schmeichler!", versetzte Elienna, setzte aber gleichzeitig ein verschwörerisches Lächeln auf. Sie wusste, das Dairren in die Kammerfrau seiner Mutter, eine Elfin namens Iona, verliebt war.
Ihre Mutter seufzte: „Man könnte auf den Gedanken kommen, ihre Schönheit mache es leicht, sie zu verheiraten aber in dieser Beziehung ist meine Tochter wie eine Rose. Hübsch anzuschauen aber wenn man ihr zu nah kommt, dann zeigt sie ihre Dornen."
Dairren grinste und sagte etwas, was genauso gut auf ihn zutraf: „Vielleicht hat Eure Tochter schlicht und einfach ihren eigenen Kopf. Seid stolz auf sie, Mylady."
„Stolz verschafft mir keinen weiteren Enkel."
Elienna hob abwehrend die Hände. Jetzt war Mutter zu weit gegangen. Sie dachte nicht ans Heiraten aber in noch weiterer Ferne stand der Wunsch nach Kindern. Soviel sie wusste, und sie glaubte, dass ihre Mutter ihr in dieser Beziehung schon die Wahrheit erzählt hatte, bedurfte es dazu auch erst einmal eines Ehemannes.
„Ich weiß, was ich zu tun habe, Mutter und behalte mir einzig die Entscheidung vor, wann ich es zu tun gedenke… und mit wem, also lass' uns nicht weiter darüber reden. Im übrigen bin ich auf dem Weg zu Fergus. Ich habe eine Nachricht von Vater für ihn. Bitte entschuldigt mich."
Elienna lief die letzte Rampe hinauf. Dort befanden sich die Räumlichkeiten der Familie. Weiter darüber gab es nur noch den Bergfried, einerseits Aussichtsplattform, andererseits letzte Rückzugsmöglichkeit im Falle eines Angriffs.
Direkt gegenüber ihrem eigenen Zimmer befand sich das Gemach, das Fergus und Oriana bewohnten. Die Tür stand weit auf. Oriana stand zwischen einigen Dingen, die sie offensichtlich aus dem Zimmer ihres Sohnes Oren geräumt hatte. Sie wusste von dem Plan, dass Oren in der Zeit, in der Fergus fort war, bei ihr im Zimmer schlafen sollte. Elienna hielt das für eine ausgesprochen schlechte Idee. Sie fürchtete, der Junge könnte verweichlichen. Als Fergus und sie so alt waren wie Oren jetzt, hatten sie beide bereits mit dem Kampftraining begonnen.
Oren saß zu Füßen seiner Eltern und sortierte sein Spielzeug um.
„Gibt es wirklich einen Krieg, Papa? Bringst du mir dann ein Schwärt mit?"
Sie hörte das tiefe Lachen ihres Bruders.
„Es heißt Schwert, Oren und ja, wenn ich kann, werde ich dir eines mitbringen. Es wird Zeit, dass du den Umgang damit erlernst. Ich werde im Nu wieder da sein."
Oriana umarmte Fergus und sagte leise: „Ich wünschte, der Sieg wäre tatsächlich so sicher. Mein Herz… ist in Aufruhr."
Oh nein! Oriana wurde wieder einmal melodramatisch. Die Frau konnte ihre calabrianische Herkunft einfach nicht verbergen.
Elienna blieb im Türrahmen stehen und räusperte sich. Es war ihr ein wenig unangenehm, Zeugin dieser Szene zu werden. „Soll ich draußen warten?"
Sie war schon dabei, sich wieder umzudrehen und zu gehen, als ihr Bruder sie aufhielt.
„Nein, bleib ruhig. Ich will dir noch Lebewohl sagen, wie es sich gehört, kleine Schwester."
Elienna seufzte. „Ich würde dich noch viel lieber begleiten. Aber Vater hat andere Pläne für mich."
Oriana erwähnte wie beiläufig: „Was auch gut so ist. In Calabria wäre es undenkbar, wenn eine Frau in die Schlacht zöge."
Gut, das wir nicht in Calabria sind, dachte Elienna.
„Man behauptet aber, die calabrianischen Frauen seien durchaus gefährlich. So habe ich es jedenfalls gehört", hielt Fergus entgegen.
„Nur mit Güte und Gift, mein lieber Gatte", erwiderte Oriana lächelnd. Oriana und ihre spitze Zunge! Unbewaffnet war Eliennas Schwägerin jedenfalls nicht, obwohl sie eine Waffe im herkömmlichen Sinne nicht besaß. Fergus keuchte in gespielten Entsetzen auf. „Und das sagt die Frau, die mir den Tee serviert."
Elienna wechselte schnell das Thema. Sie mochte Oriana eigentlich sehr und wollte vermeiden, dass ihre verschiedenen Ansichten über die Rechte und Pflichten einer Frau aufeinanderprallten.
„Wusstest du, das ein Grauer Wächter in der Burg ist?"
Bevor Fergus antworten konnte, stand Oren auf. Es hatte ausgesehen, als sei er völlig vertieft bei seinem Spiel aber er hatte aufmerksam gelauscht. Mit großen, neugierigen Augen starrte er Elienna an. „Wirklich? Ist er auf einem Greifen geritten. Die Grauen Wächter haben doch Greifen."
Oriana nahm ihren Sohn zur Seite, damit sich die Erwachsenen weiter unterhalten konnten. Elienna strich ihm über den rotbraunen Haarschopf. Sie mochte ihren kleinen Neffen.
Fergus setzte sich an seinen Schreibtisch und bot seiner Schwester ebenfalls einen Platz an. Anders als Vater hatte Fergus kein eigenes Arbeitszimmer. Burg Highever war nicht so groß. Elienna selbst ging, wenn sie etwas zu erledigen hatte, ins Studierzimmer. Ihre eigenen Gemächer ließen keinen Platz für einen eigenen Schreibtisch.
„Ich habe es gehört… aber… was will er denn wohl hier? Sollten die Grauen Wächter nicht längst geschlossen in Ostagar sein?"
Elienna fläzte sich in den Scherenstuhl und schwang ihre langen Beine über die Armlehne, verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf. „Scheint nicht so viele Graue Wächter zu geben, denn soweit ich es verstanden habe, sucht er wohl nach Rekruten. Rory macht sich große Hoffnungen, die Wahl könnte auf ihn fallen."
Fergus lachte sein tiefes, dröhnendes Lachen, das Vaters Lachen so ähnlich war. „Wenn ich ein Grauer Wächter wäre, dann würde ich dich auswählen. Dein Temperament allein schlägt die Dunkle Brut in die Flucht. Ich glaube, Vater würde dem aber kaum zustimmen."
Elienna seufzte. Fergus linke Augenbraue schoß in die Höhe. Die Reaktion seiner Schwester konnte kaum deutlicher sein. Ihm war im selben Moment klar, dass sie bereits versucht hatte, ihn davon zu überzeugen.
„Lass uns bitte das Thema wechseln. Ich finde es ermüdend. Glaubst du, der Krieg wird schnell vorbei sein?"
„Nun, die Reiter brachten immer wieder Nachrichten von gewonnenen Schlachten. Warum sollte sich etwas ändern? Vielleicht sind das die Reste der Dunklen Brut, die irgendetwas aus ihren Löchern gejagt hat."
Elienna dachte an die Ratten, die Marlo aus ihren Löchern gejagt hatte und musste bei dem Vergleich grinsen. Wenn es doch so einfach wäre, die Dunkle Brut wie eine Ratte aufzuspießen oder zu zertreten. Und dann drängte sich natürllich die Frage auf, was die Dunkle Brut aus ihren Löchern gejagt hatte.
Elienna beugte sich vor und sprach leiser, damit Oren sie nicht hören konnte. „Jedenfalls wirst du mir fehlen, Fergus. Ich bitte dich, auf dich achtzugeben. Nimm es nicht zu leicht und sei immer auf der Hut. Im übrigen soll ich dir von Vater ausrichten, dass du schon heute Abend aufbrechen sollst."
Fergus schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. „Dann sind die Männer des Arls tatsächlich noch nicht hier. Gehen diese Dummköpfe denn alle rückwärts?" Elienna zuckte mit den Schultern. Es überraschte sie nicht, dass die Soldaten Arl Howes offensichtlich nicht so diszipliniert waren, wie die des Hauses Cousland. Es bestätigte nur die Meinung, die sie von Howe hatte.
In diesem Moment betraten der Teyrn und die Teyrna die Gemächer ihres Sohnes. Der Moment des Abschieds war nun definitiv gekommen.
„Ich möchte hoffen, mein Sohn, dass du nicht aufbrechen wolltest ohne dich von uns zu verabschieden."
Fergus stand auf und ging auf seinen Vater und seine Mutter zu. Er umarmte beide nacheinander und sie tauschten ihre Lebewohl aus.
Oriana intonierte ein Gebet an den Erbauer: „Der Erbauer wache über uns. Möge er unsere Söhne, Männer, Väter und Brüder beschützen und sie wohlbehalten zu uns zurückkehren lassen."
Elienna lachte. Ihre Frömmigkeit beschränkte sich auf den Besuch der Kirche an den vorgeschriebenen Feiertagen. „Ein guter Schild würde ihm gewiss mehr helfen."
„Nun, wenn der Erbauer schon mal dabei ist, seinen Segen zu verteilen, soll er gleich auch noch Bier und ein paar Dirnen schicken… für die Soldaten natürlich."
„Fergus!", rief Oriana empört aus, „Nicht vor deiner Mutter!"
Alle begannen zu lachen. Zum einen aus reiner Fröhlichkeit aber zum größten Teil auch, um die schwelende Anspannung ein wenig erträglicher zu machen.
Oren fragte in diese eigenartige Stimmung auf seine kindliche Art hinein: „Warum soll Vater denn vor Großmutter nicht über Birnen sprechen?"
Großvater Bryce übernahm es mit heiterem Gesichtsausdruck, sein Enkelkind aufzuklären: „Eine Dirne ist eine Frau, die in einer Taverne Bier ausschenkt, Oren."
„Oder", fügte Fergus hinzu, „eine Frau, die selbst viel Bier trinkt."
Na, da seid ihr ja gerade darum herum gekommen, ihm die wahre Bedeutung des Wortes zu erklären, dachte Elienna und grinste.
Ihre Mutter hingegen konnte darüber nicht schweigend hinweg gehen. „Bryce! Beim Erbauer! Ihr benehmt euch schlimmer als eine Horde Halbwüchsiger. Es ist gut, dass ich eine Tochter habe."
Elienna war überrascht. Es war ja auch eigentlich nur ein Zufall, dass sie nicht auch noch etwas zur allgemeinen Erheiterung beizutragen hatte. Sie hatte einfach einmal nicht schnell genug reagiert.
„Nun, dann werde ich mal mein Pferd satteln lassen. Pass gut auf Mutter und Oriana auf, Elienna", bat Fergus und machte sich dann auf den Weg zu den Stallungen um alles in die Wege zu leiten. Er hasste lange Abschiede.
Elienna seufzte und wandte sich an ihren Vater: „Nun, ich werde dann zu Bett gehen. Wenn ich morgen aufstehe, wirst du wohl schon fort sein und dann habe ich bestimmt viel zu tun."
Die Frage zielte darauf ab, was genau ihr Vater nun wirklich von ihr erwartete und ob er ihr viel Arbeit in Form von Bittstellern und Verträgen zurücklassen würde.
Bryce Cousland klopfte seiner Tochter ermutigend auf die Schulter. „Du wirst das schon schaffen. Du bist meine Tochter."
Elienna ging zu ihrem Zimmer, das direkt gegenüber den Gemächern ihres Bruders lag. Sie drehte sich noch einmal zu ihrem Vater um, der schon wieder auf dem Weg war… wahrscheinlich in sein Arbeitszimmer. „Gute Nacht, Vater."
Der Teyrn drehte sich um und warf Elienna einen liebevollen Blick voller Wärme und Zuneigung zu. „Gute Nacht, mein Mädchen."
