Ein PR-Manager, eine Mehrheitseignerin und ein Baby

1.

Rokko glaubte auf Wolken zu gehen, als er an diesem Abend nach Hause ging. Er kam von einem Abend bei den Plenskes – einem wirklich schönen Abend bei den Plenskes. Richtig heldenhaft kam er sich vor, nein nicht heldenhaft, eher wie ein richtiger Gentleman – so hatte er sich noch nie gefühlt. Lisa war sichtlich nervös gewesen und unsicher von ihm weggerutscht. Ungläubig hatte sie ihn angesehen, als er ihr angeboten hatte, zu gehen. „Wir haben doch alle Zeit der Welt." Hatte er das je einer Frau gesagt? Nein, bisher war das auch nie notwendig gewesen. Aber hier ging es um Lisa – Lisa war nicht wie jede Andere. Sie war eben besonders, sie tat besondere Dinge und darauf musste man eben besonders reagieren. Es war eine gute Entscheidung gewesen – langsam würden sie Vertrauen zu einander aufbauen können und alles andere kam dann mit der Zeit. Zwischenzeitlich war Rokko in seine Straße eingebogen – gut, dass er den Weg in- und auswendig kannte, in seinem momentanen Zustand hätte er sonst nicht hierher gefunden. Oh ja, er war verliebt und es fühlte sich gut an. Die berühmten Schmetterlinge, sie waren da und sie waren zahlreich. Je näher er seiner Wohnung kam, desto sicherer wurde er sich, dass jemand vor seiner Tür saß. Hugo? Der war neulich auch bei ihm, um nicht alleine zu sein. Nein, die Person war nicht groß genug, um Hugo zu sein. Als ihn nur noch wenige Meter von seiner Wohnungstür trennten, erkannte er die Person, die dort saß. „Gaby?!" Die junge Frau schreckte hoch – er hatte sie unbeabsichtigt geweckt. „Rokko!" Sie hatte ganz offensichtlich geweint. „Ich hab es Zuhause nicht mehr ausgehalten. Du hast doch gesagt, ich kann jederzeit zu dir kommen." – „Ja, und dazu stehe ich auch. Was ist denn passiert? Steckst du in Schwierigkeiten?" – „Nein, die Schwierigkeiten stecken in mir", mit diesen Worten öffnete Gaby ihren Mantel.

„Komm erst einmal rein. Was ist denn genau passiert?" Sofort waren die Gedanken an den schönen Abend mit Lisa weg – es zählte nur noch Gaby. „Ich habe Ronny verlassen." Ronny? Von dem hatte er noch nie gehört, aber allein der Name klang schon wieder nach einem der windigen Typen, für die Gaby normalerweise eine Vorliebe hatte oder ein Händchen – für klassische Fehlgriffe… „Schon vor drei Wochen. Ich bin dann bei Mama und Papa gewesen, aber du kennst die beiden ja." Ja, Rokko kannte sie nur zu gut. Er war ja immerhin fünf Jahre älter als Gaby und hatte fünf Jahre länger das Vergnügen mit ihnen gehabt. „Papa war wieder nur betrunken. Ich sage dir, das wird jeden Tag schlimmer." Rokko nickte nur. Vor ein paar Stunden hatte er noch mit Bernd gescherzt: Mal sehen, ob Ihr Selbstgebrannter an den Holunderschnaps meines Vaters herankommt, aber wenn er ehrlich war, dann hatte er ihn nie probiert, weil sein Vater ihn nicht nur selbst brannte, sondern auch in rauen Mengen selbst trank. Allein der Geruch hatte Rokko immer davon abgehalten, sich der Flasche zu nähern und er hatte bis heute ein gespaltenes Verhältnis zu Alkohol. „Und dieser Ronny hat dich einfach so mit seinem Kind ziehen lassen?" – „Was glaubst du denn? Ich habe es versteckt so lange es ging. Naja und wie du siehst, geht es jetzt nicht mehr." – „Wie weit bist du denn?" – „Irgendwo 8. Monat." – „Geht es nicht ein bisschen präziser? Was steht denn im Mutterpass?" – „So was habe ich nicht." – „Du warst nicht beim Arzt?" – „Nee, ich bin doch schwanger und nicht krank." – „Oh Gaby, in was für eine Situation hast du dich denn nun schon wieder manövriert? Ich mache dir einen Vorschlag: Erstmal bleibst du hier bei mir. Wir suchen dir einen Arzt und wenn das Kind da ist, sehen wir weiter." Gaby nickte, aber ihre grünen Augen starrten nur hohl vor sich hin. Ihre roten Haare und die grünen Augen hatten ihren Vater mehr als ein Mal dazu bewogen, über die mögliche Untreue seiner Frau zu spekulieren – genauso oft hatte er auch versucht, die Wahrheit aus seiner Frau herauszuprügeln und jedes Mal hatte Mandy Kowalski ihre Koffer gepackt und wollte ihn verlassen und jedes Mal war sie kleinlaut wieder zurückgekommen. Rokko hatte nie verstanden, warum sie es einfach nicht schaffte, von ihm loszukommen. „Rokko, ich will nicht, dass mein Kind so groß werden muss wie wir." Gaby traten Tränen in die Augen. Rokko stand von seinem Sessel auf und setzte sich zu ihr auf das Sofa, vorsichtig zog er sie in seinen Arm: „Das wird es nicht, das verspreche ich dir."

„Ne schnieke Bude hast du hier. Läuft gut mit den Geschäften, wa?" – „Ja, ziemlich. Ich habe jetzt eine Festanstellung in einem Modeunternehmen." – „Aha. Und gefällt's dir da?" – „Ja, eigentlich schon. Ist halt auch nur eine Branche wie jede andere auch." Gaby sah sich unsicher in Rokkos Gästezimmer um – das sollte also ihr Zuhause sein bis das Baby auf der Welt war: „Und ich kann wirklich hier bleiben?" – „Ja, natürlich. Wozu hat man denn großen Bruder?" – „Sag mal, kommst du jeden Abend so spät nach Hause?" – „Nein, ich war heute Abend noch bei einer Freundin." Gaby musste schmunzeln – sein Lächeln schien zu sagen: Eigentlich meine ich ‚meine Freundin'. „Sag mal, gibt es außer Mami und mir noch eine Frau Kowalski?" – „Ja, Tante Rita." – „Du weißt genau, was ich meine." – „Nein, es gibt keine Frau Kowalski." – „Aber eine potentielle Kandidatin?" – „Gaby, das ist alles noch sehr frisch und zerbrechlich, aber ja, ich bin verliebt, wenn du das hören willst." Gaby wurde es ganz warm ums Herz – ihr Bruder war so ein lieber Mensch und hatte sich immer so nach Harmonie und Liebe gesehnt. Sie freute sich ehrlich für ihn. „Okay, ich frage dann 'mal nicht weiter. Aber es gibt wohl einiges zu erzählen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben." Ja, das gab es. Immerhin hatte sie sich seit Rokkos Umzug nach Berlin nicht mehr gesehen und das war jetzt schon fast 7 Jahre her.