Bruchstücke
Spoiler: spielt noch vor „The Usual Suspects" – Staffel 2
Disclaimer: Mir gehört nichts außer dem Satzbau ;) Ich verdiene kein Geld mit dieser Fanfiction und alle Rechte liegen bei Kripke, dem CW-Network etc.
Teil 1
-S-S-S-
Dean brauchte zwei Anläufe, um die Tür zum Krankenzimmer zu öffnen und auf die schlafende Gestalt in den Kissen zu sehen.
Kratzer zogen sich über Sams gesamte, rechte Gesichtshälfte und die verschorften Striemen ließen ihn noch blasser aussehen. Sein rechter Arm steckte bis zum Ellenbogen in einem Gips, die andere Hand lag auf seinem Bauch, von einem Verband umwickelt, der die Infusionsnadel an Ort und Stelle hielt. Die zu langen, braunen Haare klebten an seiner verschwitzten Stirn.
Fast fünf Stunden hatte Dean vor der OP-Tür gewartet und gebangt, gehofft und gebetet. Er war sich nicht sicher, ob Gott überhaupt von ihm hören wollte, so viele Beleidigungen wie er in den letzten Jahren auf ihn hatte kommen lassen.
Langsam näherte er sich seinem kleinen Bruder. Sie hatten wahnsinniges Glück gehabt.
Es war ein Unfall gewesen – ein dummer, kleiner Unfall.
Sam und er hatten ein altes, heruntergekommenes Haus überprüft, in dem ein rachsüchtiger Geist umgehen sollte. Dean lachte trocken auf. Der Geist war alles andere als rachsüchtig, er wollte nur eine letzte Botschaft los werden, bevor er hinüber in eine andere, hoffentlich bessere Welt, gehen konnte.
Dean hatte nie geglaubt, sie seien unverwundbar. So naiv war er lange nicht mehr, dennoch hatte er nicht damit gerechnet, wie schlimm es ausgehen konnte.
Das Objekt ihrer Jagd war hinter Sam aufgetaucht und der Jüngere war bei Deans Warnung herumgefahren – direkt auf eine lose Diele getreten und rückwärts die verfaulte Holztreppe hinunter gesegelt. Wäre es einfach nur ein Fall die Treppe hinunter gewesen, hätte Sam sich schützen oder abrollen können, aber unter seinem Gewicht waren die morschen Bretter, die als Stufen dienten, eingebrochen und hatten ihm einen fast freien Sturz aus drei Metern Höhe direkt auf festgetretenen Lehmboden beschert.
Eine Gehirnerschütterung, Kratzer, Prellungen … unzählige Blutergüsse, einen Unterarm, in dem die Knochen gesplittert waren und drei gebrochene Rippen, von denen eine Sams Lunge verletzt hatte.
Wie konnte man nur so schlecht fallen?
Leise zog der ältere Winchester sich einen Stuhl neben das Bett und hielt den Blick daraufhin starr auf den graumelierten Linoleumboden gerichtet, während er sich mit den Händen durch die Haare fuhr.
Ein paar Minuten später, und Sam würde jetzt nicht hier liegen.
Fast hätte er ihn verloren.
Dean versuchte tief durchzuatmen, hob den Kopf und legte eine Hand vorsichtig auf Sams Schulter. Eine der wenigen Stellen, die er sich traute zu berühren ohne ihm weh zu tun. Nur seinen Blick konnte er nicht auf den Jüngeren heften – stattdessen schweifte er durch einen allzu bekannten Raum.
Die Wände hatten das gleiche Weiß wie in jedem Krankenhaus, die Nachttische waren ein wenig angegraut, Lamellen hielten den strahlenden Sonnenschein aus dem Zimmer heraus. An der Wand gegenüber hing ein gerahmter Kunstdruck von Michelangelo – die beiden Hände aus „Der Erschaffung Adams". Dean kannte jeden einzelnen Strich davon, jede Nuance. Zwei schmale Wandschränke, ein Tisch und zwei Stühle machten das Bild komplett.
Seufzend drehte er sich zurück zu Sam herum und strich ihm die Strähnen von der warmen Stirn. „Was machst du bloß ...", murmelte er kaum hörbar über das Piepsen der Gerätschaften hinweg.
Was die verschiedenen Linien und Zahlen anzeigten brauchte er nicht zu fragen. Er wünschte, er hätte es erst tun müssen, um zu wissen, wie es Sam ging, aber ungewollt drängten sich die Antworten schon in seinen Kopf. Seine Vitalfunktionen waren in Ordnung.
Verdammter Geist … verfluchte Jagd! Wütend biss Dean sich auf die Unterlippe.
„Mr. Winchester?", erklang eine überraschte Stimme von der Tür her und Dean fuhr ungewohnt schreckhaft herum.
„Ja?", erwiderte er, ohne nachzudenken oder die Person zu genau zu mustern. Warum in drei Teufels Namen war er so dämlich gewesen, seinen richtigen Namen anzugeben?
Stopp.
Da lief gerade etwas ziemlich falsch!
Deans Herz sank eine Etage tiefer. Hastig kramte er in seiner Tasche und zog die gefälschten Versichertenkarten heraus. Sanderson. Dean und Sam Sanderson, prangte da in hellen, geprägten Buchstaben auf buntem Hintergrund.
Der Mann räusperte sich und Dean hob langsam den Kopf. Verdammt.
„Ich hatte nicht erwartet, Sie hier wieder zu treffen, Dean."
Die dunkelbraunen Haare waren ein Stückchen länger geworden und in den vergangenen viereinhalb Jahren hatten sich die Fältchen um die blauen Augen ein wenig vertieft, aber das Gesicht blieb dasselbe.
„Dr. Connor", stellte Dean fest, sank ein wenig in sich zusammen, die Hand auf Sams Schulter festigte ihren Griff ein wenig.
Der Arzt nickte und trat schweigend auf die andere Seite des Bettes, Sam kurz untersuchend. Unterdessen suchte Dean verzweifelt nach Worten, die seine Anwesenheit erklären konnten, wo er doch längst als tot galt. Wenn die Polizei von ihm erfuhr würde er flüchten müssen – und er konnte und wollte Sam nicht alleine in diesem Zustand zurück lassen.
„Sam hat die Operation gut überstanden", durchbrach Dr. Connor das Schweigen. „In Zukunft wird er zwar regelmäßig ein Piepen auslösen, wenn er durch Sicherheitskontrollen am Flughafen geht, aber ich denke, das wird nicht weiter schlimm sein."
So sehr Dean es auch wollte, er brachte kein Lächeln auf sein Gesicht. Nicht einmal seine Mundwinkel zuckten. Ein anderer Arzt hatte all das schon erklärt, als sie seinen kleinen Bruder auf die Intensivstation gebracht hatten.
Dr. Connors Tonfall wurde ernst, als er merkte, dass der Jüngere nicht auf den Auflockerungsversuch einsteigen würde. „Dean, vertrauen Sie mir. Ihr Bruder ist jung und gesund, ich habe keinen Zweifel daran, dass er sich vollständig erholen wird."
Ein wenig beruhigter nickte Dean. „Wann wird er wieder aufwachen?"
„Im Laufe des Nachmittags sollte er zu sich kommen. Wenn sich irgendetwas tut, zögern Sie nicht, uns zu rufen." Dr. Connor warf einen letzten, prüfenden Blick auf Sam hinunter und setzte sich in Bewegung in Richtung der Tür. Erst dort blieb er stehen, schien ein wenig unschlüssig zu sein, was er sagen sollte.
„Ich kann verstehen, wenn Sie möchten, dass wir ihn in ein anderes Zimmer verlegen …", fing er schließlich an, aber Dean unterbrach ihn schroff: „Das ist nicht nötig."
„Dean …"
„Es ist lange her, Dr. Connor", erwiderte Dean, sämtliche Wände um sich herum defensiv nach oben gezogen, um keinen Emotionen zu gestatten, von ihm Besitz zu ergreifen.
Der Dunkelhaarige hob abwehrend die Hand. „Wie Sie meinen, Mr. Winchester."
„Sanderson", korrigierte Dean tonlos.
Dr. Connor zog die Augenbraue in einer Art und Weise nach oben, die Sam Konkurrenz gemacht hätte. „Ich nehme nicht an, dass Sie möchten, dass Ihr richtiger Name fällt, Junge?"
Dean rieb sich über den Nacken und schüttelte kurz den Kopf.
„Und Sie werden mir nicht sagen, wieso?"
Noch ein Kopfschütteln.
„Dann, Mr. Sanderson, nehme ich an, begegnen wir uns heute zum ersten Mal", schloss Dr. Connor und hörte nur noch das leise „Danke" als er den Raum verließ.
Dean wusste, der Arzt konnte seinen Job verlieren, indem er ihn schützte. Er hatte außerdem keinen blassen Schimmer, warum er es überhaupt tat. Es war ein unglücklicher Zufall, der sie in dieses Krankenhaus gebracht hatte, das Dean gemieden hatte wie die Pest, seit er es vor mehr als vier Jahren zuletzt verlassen hatte.
Mit geschlossenen Augen ließ er sich gegen die Lehne des Stuhles sinken.
„Sammy?", fragte er in die Stille hinein, um das Piepen nicht sein Denken ausfüllen zu lassen. Er erwartete keine Antwort. „Das nächste Mal gehst du nur noch als Sandwichbelag zwischen zwei Matratzen aus dem Haus …"
