Einsam stand sie in der Abenddämmerung und betrachtete die alte Burg. Wie lang sie wohl schon der Zeit und dem unwirtlichen Wetter der schottischen Highlands getrotzt hatte? Man wusste es nicht. Grosse Teile der Mauern wirkten ruinenhaft. Dennoch strahlte die Burg eine unerklärbare Kraft, ja fast magisch anmutende Stärke aus, die von einer Erstürmung dringend abriet.
Wenn man es genau bedachte, erzählte jeder einzelne Stein seine eigene Geschichte. So war die Burg ein richtiges „Märchenschloss", das einem auf seine Art verzauberte.
Die Betrachterin seufzte. Was für edle Leute mochten wohl vor Jahrtausenden die Treppe im Innenhof hinaufgegangen sein, um zu den Hallen im Innern zu gelangen?
Sinnierend schritt sie nun unter einem niederen Torbogen hindurch, der gerade hoch genug war, dass sie den Kopf nicht einziehen musste.
Der ganze Burghof wirkte, als ob hier keine Ritter, sondern Feudalherren und ihr Gesinde gelebte hatten. Eben mehr Zivilsten als Krieger, welche da einst hausten.
Auf der Suche nach weiteren Hinweisen auf das Leben der damaligen Bewohner, wanderte die Frau um die Burg herum. Hohe Mauern fürwahr, das konnte keiner bestreiten. Auch stattliche Erker und Zinnen auf den Mauerkronen waren vorhanden. Doch wieder wirkte es nicht kriegstauglich. Die Lücken zwischen den Zinnen waren, für das Auge eines Laien, zu breit. Der Wehrgang hinter den Zinnen war wohl eher als Aussichtsplatz gedacht.
Der Wunsch, das Burginnere niemals zu betreten und die Besichtigung zu beenden, wurde immer stärker. Nach einem letzten Blick auf die stolze Burg verliess die Besucherin den Hügel und fuhr mit ihrem Auto zurück zum Hotel. Auf magische Weise hatte sie vergessen Fotos zu machen.
