Von Pferden und Männern
Kapitel 1
Sam sah durch das Fernglas.
„Hallo Schönheit.", sagte sie, ihr Atem deutlich sichtbar durch die Kälte.
Zwei Wochen sind vergangen, seit sie durch die Grizzlies gereist war, auf der Suche nach der wunderschönen weißen Stute, von der sie unten in Valentine gehört hatte. Zwei betrunkene Männer diskutierten neben ihr am Tisch lautstark, ob es diese Araberstute wirklich gab, oder ob sie nur ein Geist war. Männer. Aber immerhin gaben sie ihr diesen Tipp.
Da sie eh weiter nördlich unterwegs war und kein festes Ziel vor Augen hatte, machte sie sich am nächsten Tag auf den Weg auf den Berg.
Natürlich kam sie kurz vor Lake Isabella in einen fürchterlichen Sturm. Sie saß beinahe drei Tage in einer kleinen Hütte fest, mehr verfallen als aufrechtstehend.
Trotzdem war sie froh über die schützenden Wände. Der Sturm war heftig, einer der schlimmsten den sie je erlebt hatte.
Während der drei Tage konnte sie die weiße Stute, ob nun Fiktion oder nicht, unmöglich aufspüren. Sie traute kaum, sich mehr als 100m von der Hütte zu entfernen, so schlecht war die Sicht. Zum Glück hatte sie genügend Nahrung eingepackt.
Doch als sie heute bei Tagesanbruch die Augen öffnete, begrüßte sie strahlender Sonnenschein, der den Schnee glitzern ließ und den Blick auf den See frei gab. Es war ein wunderschöner Anblick.
Sie ließ das Fernglas sinken. Die Stute stand nicht sehr weit entfernt von ihr. Schnell packte sie ihre Sachen zusammen, legte alles an den Rahmen der nicht vorhandenen Eingangstür und betrat die knirschende Schneedecke, die den Boden bedeckte.
Ihr Lasso hing lose an ihrem Gürtel unter dem dicken schwarzen Mantel den sie trug. Sie ging nicht davon aus, dass sie es benutzen müsste. Sie hatte schon immer ein Händchen für Pferde. Sie verstand sie und die Pferde verstanden sie. Zumindest kam sie mit Pferden besser klar, als mit Menschen, um die Wahrheit zu sagen.
Schmunzelnd über ihren Gedankengang näherte sie sich langsam dem zugefroren See. Die Sicht war so klar, dass sie das andere Ufer deutlich erkennen konnte, die verschneiten Berge im Hintergrund sahen majestätisch aus. Die Natur war über und über mit Schnee bedeckt.
Zu ihrer rechten sah sie am See ein paar Rehe stehen, die sie misstrauischen musterten. Sie hielt sich den Zeigefinger an die Lippen: „Psst."
Ihr Blick wanderte wieder zu der Stute. Sie war wundervoll. Vollkommen weiß, nur die Beine und die Nüstern etwas schwarz, ihr Körper strotzte nur so vor Kraft. Sie musste schon etwas älter sein, sonst wäre sie nicht komplett weiß. Wieso sie jedoch ganz alleine hier am See verweilte, wusste Sam nicht. Eigentlich ist es eher ungewöhnlich für Pferde sich alleine rumzutreiben.
Langsam bahnte sie sich ihren Weg, bis sie nur noch wenige Meter von der Stute entfernt stehen blieb. Die Stute hatte sie schon lange gesehen, beäugte sie misstrauisch, aber auch neugierig. Ihre Nüstern blähten sich, als sie versuchte den Geruch des Neuankömmlings zu erfassen. Sie war unerschrocken, dass musste Sam ihr lassen. Bis jetzt hatte sie noch keinen Schritt rückwärts oder zur Seite gemacht. Sie stand genau in Blickrichtung, den Kopf erhoben, der Körper angespannt.
„Hey mein Mädchen. Wie geht's dir heute?"; fragte Sam die Stute leise.
Diese schnaubte als Antwort und warf den Kopf zurück. Die haselnussbraunen Augen unerschrocken auf die junge Frau gerichtet.
Die Vorderhufe stampfen in den Schnee, als Sam sich immer weiter auf sie zubewegte.
„Du brauchst keine Angst zu haben. Wir beide werden gute Freunde werden. Ich werde dir nichts tun, bei mir bist du sicher. Ich verspreche es dir."
Die Stute wieherte leise. „Ja, so ist es gut."
Kurz bevor sie die Hand in Richtung der weichen Nüstern strecken wollte, sah sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung auf der gegenüberliegenden Seite des Ufers.
Langsam ließ sie ihre Hand sinken und ging in die Hocke, versteckte sich hinter einem großen Stein.
Zu ihrer Verwunderung blieb die Stute stehen, unerschrocken, den Kopf gesenkt, als wollte sie herausfinden was genau Sam hinter dem Stein zu suchen hatte. Sam grinste, ja, das war genau die Art Pferd, die sie gebrauchen konnte und gesucht hatte. Sie hatte es satt zu Fuß zu laufen.
Sie sah wieder hinüber zum Ufer. Zwei Pferde kamen einen Pfad hinunter, beide beritten. Um mehr zu erkennen, holte sie ihr Fernglas aus ihrer Umhängetasche und sah hindurch.
Ein Mann saß auf einem wunderschönen Appaloosa und der andere auf einem ebenso schönen Paint Horse. Beide trugen Bögen mit sich, und andere zahlreiche Waffen.
Sie schluckte und ließ das Fernglas sinken. Dies konnte nichts Gutes heißen. Sie wusste aus Erfahrung, hier oben versteckt man sich.
Die Araberstute hatte sich unbemerkt herangeschlichen und schnupperte neugierig an Sams Mantelkragen. Der warme Pferdeatem kribbelte auf ihrer Haut. Sie lachte leise und hob eine behandschuhte Hand zu der weichen Pferdenase.
„Na mein Mädchen, da ist aber jemand neugierig. Wir zwei werden ein gutes Team."
Die beiden Männer ritten um den See herum, ohne sie zu bemerken, um dann einem Pfad in die Wälder zu folgen, die hinunter zum Fluss führten. Sam war neugierig geworden.
Langsam stand sie auf, tätschelte der Stute den Hals, holte einen Apfel aus ihrer Tasche und bot ihn dem Pferd an. Dieses biss nach kurzem Schnuppern herzhaft hinein und grummelt leise.
Sam lachte. „Ja, Frauen kann man immer mit einem guten Essen bestechen. Nicht wahr?"
Sie drehte sich um, ging zurück zur Hütte. Nach einigen Schritten bemerkte sie, dass die Stute ihr folgte. Mit hängenden Ohren und laut schmatzend.
Nachdem sie ihr abgegriffenes, dunkelrotes Knotenhalfter samt Zügel aus ihrer Tasche geholt hatte und ihre neue Stute auf gehalftert hatte, was diese bereitwillig mit sich machen ließ, holte sie ihre alten Satteltaschen und legte diese vorsichtig auf den Rücken der Stute. Diese schnaubte nur und kurz darauf schwang Sam sich auf ihren Rücken, die Satteltaschen hinter ihr liegend.
Die Stute stampfte unruhig in den Schnee, bleib aber ansonsten ruhig.
„Nun mein Mädchen, dann wollen wir doch mal sehen, wo die Männer hinwollen.", sagte sie leise und trieb die Stute an. Diese sprang umgehend an und flog über den weißen Schnee.
Breit grinsend lehnte sich Sam über den Hals der Stute, tätschelte diesen und lobte sie. Was für ein Pferd. Sie spürte die Kraft zwischen ihren Schenkeln.
Sie umrundeten den See schnell und folgten dem Pfad, den die Männer vor ihr genommen hatten. Sie konnte klar die Hufspuren im Schnee erkennen. Nach weniger als zehn Minuten kam sie an den Spider Gorge und sah von weitem die beiden Pferde an einem Baum stehen.
Vorsichtig nahm sie ihren Bogen in die Hand, lenkte die Stute mit den Beinen auf die Pferde zu. Von den Männern war keiner zu sehen. Die beiden Hengste begrüßten ihre Stute mit leisem wiehern.
Sam stieg ab und band ihr Pferd an einem kleineren Baum neben den anderen fest. Dann sah sie sich um. Fußspuren folgten dem Fluss hinab. Langsam und aufmerksam machte sie sich auf den Weg.
Die beiden Männer lehnten hinter einem Baum, die Blicke auf die Lichtung gerichtet auf denen Rehe standen. Einer der beiden hatte seinen Bogen in der Hand, bereit zu schießen.
Sam hockte sich hinter einen Stein, beobachtend. Der Mann ohne Bogen sah aus, als hätte er indianische Wurzeln. Seine Haut war dunkel, nicht ganz dunkel, aber zumindest dunkler als ihre. Außerdem hatte er lange schwarze Haare, zu einem Zopf geflochten, mit einer Feder darin.
Der Mann mit dem Bogen in der Hand war groß, kräftig. Sein blauer Wintermantel wehte im Wind. Sie konnte nur wenig erkennen, da er mit dem Rücken zu ihr stand und einen dunklen Cowboyhut trug.
Wer waren diese Männer? Jagten mitten im Nirgendwo. Das konnten keine normalen Bürger sein. Kaum jemand traute sich hier rauf. Die Gegend war verlassen, kalt und unbarmherzig.
Sam grübelte. Was sollte sie jetzt tun?
Die Antwort wurde ihr kurz darauf abgenommen, da ein Wolf hinter den Bäumen zu ihrer linken auftauchte und sich langsam an die beiden Männer anschlich. Diese bemerkten ihr nahendes Unheil nicht. Es sah so aus, als würden sie miteinander diskutieren.
Mist. Sie trug nur ihren Bogen und ihren Revolver bei sich. Einen Wolf zu töten war damit nicht gerade leicht. Sie rang mit sich, sollte sie die beiden Männer ihrem Schicksal überlassen, oder sollte sie eingreifen? Sie könnte auch einfach auf ihr Pferd springen und abhauen.
Sie fluchte leise. Dann stand sie auf, fixierte den Wolf mit der Spitze ihres Pfeils. Der Schuss musste direkt treffen. Die beiden Männer hatten bis jetzt weder den Wolf, noch sie bemerkt.
Ihr Pfeil traf den Wolf direkt ins Auge, er war sofort tot. Keine fünf Schritte von den Männern entfernt, fiel der Wolf in den Schnee.
Beide drehten sich sofort um, Waffen gezückt. Der Indianer sah auf den Wolf, ihren Pfeil, dann sah er sie an. Panik bereitete sich auf seinem Gesicht aus. „Vorsicht!", schrie er.
Das letzte was sie fühlte war, wie ihr Kopf gegen den Stein vor ihr prallte.
Langsam öffnete Sam die Augen. Sie hatte furchtbare Kopfschmerzen. Was war passiert? Sie erinnerte sich an ihre Stute, den See, die Männer. Der Wolf. Blitzschnell war sie hellwach. Sie setzte sich auf und sah sich um. Sie lag auf einem Bett, in einer Hütte. Vor Kopf brannte ein Feuer in einem alten Kamin. Auf der anderen Seite stand noch ein Bett, darauf lag jemand. Vorsichtig fasste sie sich an den Kopf.
„Autsch.", fluchte sie leise.
Sie hatte keine Ahnung wo sie war. Langsam hievte sie ihre Beine aus dem Bett. Ihr Blick glitt zu der Person auf dem Bett gegenüber. Soweit sie es erkennen konnte, war es ein Mann, jedoch keiner der beiden Männer vom Fluss. Er atmete flach. Als sie näherkam, sah sie, dass er fürchterliche frische Wunden im Gesicht hatte. Erschrocken taumelte sie zurück und plumpste wieder auf das Bett.
In diesem Moment öffnete sich die Tür und eine Frau kam herein.
„Oh, hallo. Du bist wach.", sagte sie freundlich.
„Äh, ja hi. Was ist passiert? Wo bin ich?", fragte Sam.
Die Frau lächelte sacht. „Kannst du laufen? Dann bring ich dich zum Chef."
Sam nickte nur.
„Gut. Ich bin übrigens Abigail. Nett dich kennenzulernen.", sagte sie und streckte ihre Hand aus.
Sam ergriff sie. „Sam. Sam Miller."
„Sam? Ist das eine Kurzform?"
„Ja, von Samantha."
Abigail nickte. „Alles klar. Komm mit, Sam."
Sam folgte ihr aus der Hütte, nachdem Abigail noch einen besorgten Blick auf den Wundenmann geworfen hatte.
Sie war anscheinend noch auf dem Berg. Draußen lag immer noch Schnee, die Sonne stand tief. Sie sah sich um. Fünf oder sechs verfallende Hütten standen hier. Sogar eine alte Kirche. Wahrscheinlich eines dieser verlassenen Minendörfer. Abigail führte sie in eine größere Hütte.
Drinnen saßen und standen einige Männer um einen brennenden Kamin. Ihre Gespräche erstarben, sobald sie den Raum betrat.
„Unser Gast ist wach.", sagte Abigail und stellte sich neben sie.
Sam ließ ihren Blick über die Männer wandern. Der Indianer stand neben einem großen Typen, mit viel Bart im Gesicht. Ein hagerer älterer Mann saß am Feuer, stand auf und kam auf sie zu.
„Hallo Miss. Wie geht es Ihnen?", fragte er förmlich.
Sam nickte. „Danke, gut. Was ist mit mir passiert?"
Der Indianer kam auf sie zu. „Du hast unser Leben gerettet, als du diesen Wolf erschossen hast. Ich danke dir dafür. Im Gegenzug haben wir deines gerettet, als der Rest des Rudels kam und einer von denen dich ausgeknockt hatte." Er lachte leise. „Du warst komplett weggetreten. Wir konnten dich nicht dort liegen lassen, also haben wir dich mit hierhergenommen.", erklärte er.
„Wow, danke. Denke ich.", sagte sie verwirrt.
Der ältere Mann vor ihr lächelte. Sie kannte ihn irgendwo her, wusste aber nicht genau woher. „Sie können gerne noch etwas bei uns bleiben, Miss…?"
„Miller. Samantha Miller.", sagte sie schnell.
„Miss Miller, eine Freude."
„Sam reicht, bitte."
„Wundervoll. Mein Name ist Hosea Matthews, einer ihrer Retter hier ist Charles Smith, dort drüben stehen Bill Williamson, Lenny Summers und Javier Escuella. Die anderen Männer sind gerade unterwegs. Sie werden sicherlich bald zurück sein."
Hosea. Oh nein. Sie kannte diesen Namen.
Just in diesem Moment ging hinter ihr die Tür auf.
„Gentleman, wir sind zurück.", sagte eine tiefe Stimme hinter ihr. Sie drehte sich um.
„Oh, wen haben wir denn hier? Geht es Ihnen wieder besser?", fragte der große, schwarzhaarige Mann sie.
Hosea antwortete für sie: „Miss Miller kam gerade rein. Samantha, das ist…"
„Dutch. Dutch Van der Linde.", hauchte sie schockiert.
