Kapitel „Erzähl mir was über Daddy!"

Ich sehe meiner 4-jährigen Tochter bei dem verzweifelten Versuch zu, ihr Kleid am Rücken zuzuzippen.
„Komm, Zoe ich helfe dir!"

Mit wenigen Handgriffen sitzt das Kleid perfekt. Ich drehe meine Tochter um und sie lächelt mich an. Sie hat die gleichen Augen wie ihr Vater. Dieselben Schokoladenfarbigen wie John Carter. Ich sehe seit mehr als 4 Jahren in dieses Gesicht aber ich habe es nie wirklich bemerkt. Ich seufze leise. Vor fünf Jahren war ich nach Las Vegas gezogen, ohne John auch nur zu informieren. 1 Monat später hatte ich erfahren, dass ich schwanger bin. Ich weiß, ich hätte es Carter erzählen müssen aber er hat sich die letzte Zeit, als ich noch in Chicago war, wirklich gemein gegenüber mir verhalten. Außerdem hat er es Eric nie verziehen, dass er Gammas Begräbnis ruiniert hatte. Wahrscheinlich fühlte er sich auch von mir vernachlässigt. Dann verschwand er nach Afrika. Selbstfindungstrip oder so etwas. Ich hatte meine Leben schon so oft für Männer umgekrempelt und jedes Mal wurde ich enttäuscht. Einen Fehler den ich nicht noch mal wiederholen wollte. Eigentlich dachte ich Carter sei etwas anderes. Er sei die Liebe meines Lebens- jetzt bin ich mir nicht einmal sicher ob sie wirklich nicht existiert.

Er scheint sie jetzt gefunden haben. 3 Tage nach Zoes Geburt rief mich Susan Lewis an, um mir zu erzählen, dass Carter sich verlobt hat und Nachwuchs erwartet. Ich brachte es dann nicht mehr über das Herz, etwas von meiner Tochter zu erzählen. Trotzdem verging bis jetzt kein Tag, an dem ich nicht an ihn gedacht habe. Zoe riss mich aus meinen Gedanken:

„Mom, kommst du endlich? Im Kindergarten warten sie bestimmt schon auf mich!"

Sie nimmt mich an der Hand und zieht mich zur Tür. Ein Kind zu haben ist das Schönste. Ich bin froh darüber, dass ich dieses Mal mich gegen eine Abtreibung entschieden habe. Sie ist das Beste, was ich in meinem Leben jemals hatte. Wir fahren mit dem Aufzug in das Tiefgeschoss zu meiner alten, rostigen Klapperkiste. Für mehr hat das Geld leider nicht gereicht. Nachdem ich Zoe im Kindergarten abgesetzt habe, fahre ich zur meinen neuen Arbeitsstelle, dem General Hospital of Las Vegas. +++++++++++++++++++++++++++++++++++++

„Zoe, das Abendessen ist fertig."

„Komme schon!"Zoes Stimme kommt aus ihrem Zimmer. Was sie jetzt schon wieder ausheckt? Ich stelle 2 Teller Spaghetti mit Tomatensauce auf den Tisch. Ich höre kleine Füße durch die Wohnung trippeln. Zoe klettert auf ihren Sessel und nimmt den Löffel in die rechte Hand. Sie fängt an zu essen, wobei die Tischdecke tiefrote Flecken abbekommt.

„Mom, ich möchte dich was fragen. Erzählst du mir was über Daddy?"

Natürlich, was habe ich erwartet? Irgendwann musste sie ja fragen. Jedes Kind fragt nach seinem Vater. Ihre braunen Augen sehen mich fragend an und ihr Mund ist über und über mit Tomaten beschmiert. Was tue ich jetzt?

„Nicht jetzt, Spätzchen, okay? Lass uns erst fertig essen. Bevor du schlafen gehst kannst du ja noch zu mir ins Bett kommen und ich erzähle dir etwas über Daddy."

Ich hoffe, sie bemerkt die Unsicherheit in meiner Stimme nicht. Aber meine Kleine scheint schon wieder andere Probleme zu haben. „Okay.", sagt sie, während sie genüsslich eine Nudel in ihren Mund saugt, wobei die Küchenwand rote Flecken abbekommt. Während ich schweigend weiter esse, denke ich darüber nach, wie ich ihr alles am besten erkläre. Wie bringe ich einem vierjährigen Kind bei, dass sein Vater nicht einmal von seiner Existenz weiß. Das einfachste wäre, einen Besuch in Chicago. Aber wenn ich daran denke, wie Carter in einem hübschen Reihenhaus mit einer gut gekleideten Frau und bildhübschen, kleinen Kinderchen in rosa Seidenkleidchen und blauen Latzhosen lebt und daneben Zoe, mit dem tomatenverschmierten Mund und den abstehenden Zöpfchen, kommt ich mir schon beim Gedanken daran lächerlich vor. Vielleicht liegt es auch mir. Ich kann es zwar nicht glauben, aber ich liebe diesen Mann immer noch.

In einer Schublade von mir liegt immer noch ein getragenes Hemd von Carter. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, warum ich es mit Las Vegas genommen habe. Aber jeden Tag, bevor ich schlafen gehe, rieche ich daran. Es riecht nach...John Carter. Ich bin sicher, es gibt kein Wort dafür. Es ist einfach nur der Carter-Duft. Eigentlich sollte ich längst über ihn hinweg gekommen sein. Was habe ich damals erwartet? Das, wenn, er bemerkt das ich weg bin, das nächste Flugzeug nach Las Vegas nimmt, um mich dann zurückzuholen und wir anschließend eine rührselige Versöhnung vor den ganzen Flugpassagieren inszenieren? Wo lebe ich eigentlich, in einer Seifenoper? Aber trotzdem, irgendetwas zwingt mich dazu, ständig an ihn zu denken. Wunderbar, ich habe es wieder einmal geschafft, mich in eine so verzwickte Lage zu bringen. Ich lebe meilenweit von meinem Traummann entfernt, habe ein Kind von ihm, von dessen Existenz er noch nicht einmal weiß und das einziger was ich tue, ist an seinem Hemd zu schnüffeln. Es hätte schlimmer kommen können. Manchmal finde ich mein eigenes Leben schon lächerlich.

„Ma, deine Nudeln werden kalt. Wo schaust du eigentlich hin?"

Zoe reißt mich wieder einmal aus meinen Tagträumereien. Das ist auch gut so. Er hat begonnen, sich ein neues Leben aufzubauen- ohne mich. Er wäre nicht gut, seine heile Familie durch ein uneheliches Kind und die dazugehörige Mutter, die plötzlich auftauchen, zu zerstören. Ich antworte:

„Schon gut, Zoe. Ich habe nur etwas nachgedacht."

++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

„Erzählst du mir jetzt was über Daddy?"

fragt mich Zoe, während sie zu mir ins Bett klettert. Sie trägt einen roten Pyjama mit kleinen Bärchen und in ihrer Hand hält sie „Murphy", ihre Stoffrobbe. Ich lege meine Decke über sie und sage:

„Ja, jetzt erzähle ich dir etwas von deinem Dad. Sein Name ist John. Aber alle nennen ihn Carter. Das ist seine Nachnahme."

„Ich heiße auch Carter, oder?"unterbricht mich Zoe.

Ich nicke und sage: „Du heißt Zoe Millicent Carter. Deine Oma heißt auch Millicent. Aber er nennt sie Gamma. Dein Daddy ist wirklich toll. Er ist Arzt und er ist ne-"

„Sieht er gut aus?"

„Er hat dieselben Augen wie du, meine Süße. Also ich finde ihn schon süß!"

Zoe grinst mich an bevor sie beiläufig sagt:

„Gib es zu, du bist in ihn verliebt!"

„Nein, natürlich nicht!"

Zoe fängt an mich zu kitzeln. Zwischen meinen Lachanfällen schaffe ich gerade noch zu sagen:

„Ja, okay, ich gebe es zu. Aber nur ein bisschen. Und du bist ganz schön schlau für eine 4-jährige.", antworte ich.

Dann erzähle ich ihr von Carter und mir. Alle Sachen, die wir zusammen durchgestanden haben. Es schmerzt ein wenig in den alten Erinnerungen zu graben. Zoe gefällt die Geschichte von Lukas zerbrochenem Aquarium am besten. Bevor sie einschläft fragt sie noch:

„Fahren wir Daddy mal besuchen?"

Ich flüstere leise ein „Ja, irgendwann"ins Ohr bevor ich sie vorsichtig in ihr Bett trage und ihr einen Gute-Nacht-Kuss gebe. Zoe sollte ihren Vater kennen lernen. Sowie Carter ein Recht hat, seine Tochter zu sehen . Etwas, das ich ihm schon zu lange vorenthalte. Ich sehe meiner kleinen Tochter beim Schlafen zu. Sie ist einfach wunderbar. Sie scheint so schwach, so verletzlich zu sein, aber im gleichen Moment ist sie wieder stark und hat ihre eigene Meinung. Sie ist mein Ein und Alles. Mein Grund zu Leben, meine Freunde. Einfach mein Leben. Ich weiß nicht, ob ich es überstehen würde, wenn ihr jemals etwas passieren würde. Ich liebe sie so sehr. Leise schließe ich die Tür und schleiche auf Zehenspitzen in mein Zimmer zurück. Meine Gedanken wandern wieder zurück zu Carter. Zoe und John haben auf jeden Fall ein Recht sich kennen zu lernen und ein kleiner Kurzurlaub nach Chicago kann ja nicht so schlimm werden. Außerdem hätte ich persönlich auch nichts dagegen, zu sehen was aus ihm geworden ist. An erster Stelle, wer Mrs. Carter geworden ist.

Würde mich über Reviews sehr freuen. Besonderen Dank auch an Judith. Dafür, dass sie meine endlosen Gespräche über Carby geduldig ertragen hat.