Die Spur der Diamanten

Erstes Kapitel

23. 2. 2006 BBC-News:

In Kooperation mit südafrikanischen und englischen Behörden gelang der niederländischen Polizei ein Schlag gegen den internationalen Schmuggel mit so genannten ‚Blutdiamanten'. Steine in einem Wert von mehreren Millionen Pfund Sterling wurden beschlagnahmt. Eine noch nicht genau bekannte Zahl von Personen konnte festgenommen werden…

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London, Gegenwart

Wenn es eine Stadt gab, die das Zentrum des Diamantenhandels war, dann war das Amsterdam, danach kam wohl Kapstadt. London belegte nicht einmal den dritten Platz.

Allerdings war die Hauptstadt Englands für diese Art von Geschäften wiederum auch nicht völlig unbedeutend. Immerhin war London eine Weltstadt, zwischen England und vielen seiner ehemaligen Kolonien bestanden immer noch enge wirtschaftliche Beziehungen. Und diese wirtschaftlichen Beziehungen mochten gelegentlich auch den Verkauf von archäologischen Schmuckstücken beinhalten, auch wenn die Tage vergangen waren, da die englische Krone auf die Bodenschätze der halben Welt Anspruch erheben konnte.

Die Ausstellung hatte in interessierten Kreisen durchaus Aufsehen erregt, aber kaum darüber hinaus. Vielleicht lag es daran, dass es kaum Werbung in Fernsehen oder Radio gegeben hatte, nur in einigen Zeitungen waren Annoncen erschienen, jedoch keine Schlagzeilen oder Artikel, die das normale Publikum interessieren konnten.

Den Annoncen nach bot die Ausstellung Schmuckstücke und Edelsteine aus den Hinterlassenschaften eines indischen Moguls an. Aus dieser Tatsache hätte man mehr machen können, aber das war unterblieben. Genauso wie die Initiatoren der Verkaufsaustellung auch davon Abstand genommen hatten, die Steine über eines der großen Aktionshäuser anzubieten.

Natürlich gab es einen Experten, der sich für die Echtheit und den Wert der Stücke verbürgte. Und dieser Mann hatte in gewissen Kreisen durchaus seinen Ruf. Der allerdings nicht unumstritten war. Wer diesen Mann kannte, der war sich ziemlich sicher, dass die Steine und Schmuckstücke den Wert besaßen, für den sie verkauft wurden. Was aber ihre Herkunft und die Legalität ihres Erwerbs betraf…

Die Männer und Frauen, die die Ausstellung dennoch aufsuchten, waren vor allem an einem guten Geschäft interessiert, und wussten den eher geringen Bekanntheitsgrad der Auktion teilweise durchaus zu schätzen. Die meisten Interessenten wurden in ihren Erwartungen, ein günstiges Geschäft machen zu können, nicht enttäuscht. Der archäologische Wert oder Ursprung der Schmuckstücke und Steine hingegen war den meisten Käufern völlig gleichgültig.

Aber zumindest eine Person war nicht nur aus rein finanziellen Beweggründen gekommen. Die Frau fiel auf sofort auf. Die fast katzenhafte Geschmeidigkeit, mit der sie sich bewegte, zog die Blicke zumindest der meisten Männer auf sich, auch wenn ihr bestimmtes, in ihrer Entschlossenheit fast schon aggressives Auftreten gleichzeitig zu Abstand mahnte. Was diese Frau auch immer hier suchen mochte – männliche Gesellschaft war es jedenfalls nicht.

Sie mochte etwa Mitte Zwanzig sein, mit wachsamen, grünen Augen und langen dunkelbraunen Haaren, die sie zusammengebunden hatte. Ihre Haut war sonnengebräunt, allerdings nicht durch den Aufenthalt in einem Solarium oder einen Strandurlaub, sondern durch Wind, Wetter und Sonne. Sie musste ziemlich häufig im Freien unterwegs sein - und der fast unsichtbaren hellen Narbe an ihrer Stirn zufolge war das auch nicht ohne Blessuren abgelaufen. Bei der Betrachtung einiger der ausgestellten Schmuckstücke nahm sie sich besonders viel Zeit, wobei mehrmals ein knappes, wissendes Lächeln um ihre Lippen spielte. Dieses Lächeln entging dem Initiator der Ausstellung nicht, einem hageren Mann mit kurzem, bereits schütter werdendem Haar und hastigen, fahrigen Bewegungen. Michael Rodin kannte diese Frau, kannte ihre Reputation. Und er war nicht erfreut, sie hier zu sehen.

Es freute ihn noch weniger, als sie sich auf einmal abrupt umwandte, fast als hätte sie seine Blicke gespürt. Sie bedachte Rodin mit einem beunruhigend spöttischen Lächeln und kam dann direkt auf ihn zu. Rodins Puls und Atmung beschleunigten sich schlagartig, während er sich bemühte, seinen Mund zu einem freundlichen, ehrlichen Lächeln zu verziehen. Der Versuch scheiterte allerdings kläglich und seine Stimme klang heiser: „Lady Croft, welche Ehre, Sie hier zu sehen. Ich wusste ja gar nicht, dass Sie sich auch dafür interessieren, archäologische Kostbarkeiten zu KAUFEN." Seine Unsicherheit und die Verärgerung über diese Unsicherheit ließen Rodins Stimme bissig klingen.

Lara Croft schien an seinen Worten allerdings keinen Anstoß zu nehmen. Ihr Lächeln vertiefte sich eher noch, als wüsste sie genau, dass die vorgetragene Bissigkeit nur Rodins Beunruhigung kaschieren würde. Und als würde sie dieses Wissen genießen: „Charmant wie immer, Mister Rodin. Sie haben offenbar Ihr Glück gemacht. Nach dieser Geschichte mit den gefälschten Ming-Vasen hätte ich nicht gedacht, dass Sie so schnell wieder einen Auftraggeber finden. Jedenfalls keinen, der auf legale Geschäfte wert legt oder echte Antiquitäten verkaufen will."

Bei dieser recht eindeutigen Anspielung spürte Rodin, als würde ihm die Luft abgeschnürt werden. Bisher war alles so gut gelaufen – und dann musste ausgerechnet diese verdammte Croft hier auftauchen. Aber sie konnte doch nichts wissen! Vergeblich versuchte er, ein überlegenes Lächeln zustande zu bringen. Seine Stimme klang belegt: „Ich…verbiete mir diese Anspielungen. Sie verunsichern meine Käufer."

„Ich denke, die haben ein Recht, Ihre Reputation zu erfahren. Und außerdem wissen die meisten sowieso Bescheid. Recht halbseiden, Ihre Kundschaft."

„Sie haben kein Recht, irgendetwas anzudeuten. Alle Exponate sind von einem anerkannten Experten untersucht worden."

„Aber natürlich. Und ich kenne Ihren Experten. Alex West hat seine Vorzüge. Aber Integrität gehört nicht unbedingt dazu. Wenn Sie ihm genügend Geld bieten, dann würde er eine etruskische Bronzevase als mykenisch identifizieren. Ich weiß dass, und Sie wissen es auch. Also frage ich mich, warum Sie ausgerechnet IHN als Experten bestellt haben."

Rodin war langsam aber sicher mit seiner Geduld am Ende. Er wollte kein Aufsehen erregen, und er wollte sich nicht ausgerechnet diese Frau zum Feind machen, aber er ließ sich nicht unbegrenzt zum Narren halten: „Wenn Sie weiterhin darauf bestehen, mich, meine Kunden und Angestellten zu beleidigen, muss ich Sie bitten zu gehen."

„Wie viel kostet dieser Stein?"

Dieser Wechsel kam so abrupt, dass Rodin ein paar Sekunden brauchte, um zu reagieren: „Was? Äh…neunhundert Pfund. Und das ist ein Vorzugspreis."

„Das ist es tatsächlich. Da dieser Stein echt ist. Na schön, ich nehme ihn." Immer noch hatte Rodin ein wenig Mühe, den plötzlichen Wechsel in Laras Verhalten zu verdauen. Normalerweise wäre jetzt noch etwas Smalltalk üblich gewesen, aber dem fühlte er sich nicht gewachsen. Außerdem fürchtete er insgeheim, dass diese Croft immer noch irgendetwas in der Hinterhand hatte. Er konzentrierte sich so sehr auf sie, dass er nicht einmal bemerkte, wie er und seine ‚Kundin' aus etwa fünf Meter Entfernung belauscht wurden. Der Lauscher, ein stämmiger, mittelgroßer Mann mit erstaunlich flinken und dennoch unauffälligen Bewegungen und einem etwas aufgeschwemmten Gesicht, in dem allerdings beunruhigend helle und wachsame Augen blitzten, schien völlig in die Betrachtung einer Halskette vertieft. Aber das war nur Tarnung, der Schmuck interessierte ihn nicht wirklich. Seinen geschulten Ohren entgingen kein Wort und keine Nuance des Gesprächs zwischen Rodin und Croft. Und ihm entgingen auch nicht Lara Crofts abschließende Worte: „Sollten Sie Alex mal in nächster Zeit sehen, könnten Sie ihm bitte etwas ausrichten? In dieser Epoche der Moguln wurden solche Steine nur im Rundschliff bearbeitet. AUSSCHLIESSLICH. Aber vielleicht sage ich ihm das selber bei Gelegenheit. Ich denke, er hat mir Einiges zu erzählen." Und damit ging sie, und hinterließ einen sichtlich nach Fassung ringenden Rodin. Der Lauscher war nicht erfreut.

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Einige Stunden später

Der Schlag war gut gezielt. Er riss Michael Rodin fast von den Füßen, schleuderte ihn gegen den Aktenschrank seines Büros. Rodin wäre sicherlich zu Boden gegangen, aber er bekam keine Gelegenheit dazu, da ihn sein Gegenüber grob am Kragen packte, ihn ein-, zweimal gegen den Schrank stieß und anschließend gegen die Wand presste. Das schwammige Gesicht von Rodins Gegenüber war wutverzerrt: „Verdammter, arschfickender Idiot! Die Steine sollten unauffällig zu Geld gemacht werden! UNAUFFÄLLIG!! Was soll diese Scheiße?! Was hast du Sauhund dir dabei gedacht? HAST DU ÜBERHAUPT GEDACHT?!"

„Aber…aber so kann man viel mehr an ihnen verdienen. Bitte, ich wollte euch doch nicht betrügen! Ich…ich hatte schon einen Großkäufer an der Angel, aber der ist plötzlich abgesprungen. Ich musste improvisieren! Wenn ich die Steine auf dem Schwarzmarkt verkauft hätte, hätte ich nur einen Bruchteil ihres wahren Wertes bekommen. Aber so kann ich sie für siebzig bis achtzig Prozent des tatsächlichen Wertes verkaufen! Das ist ein Bombengeschäft! Und ihr bekommt natürlich euren gerechten Anteil. Ich wollte nie…"

„HALTS MAUL! Du hättest fragen sollen, bevor du diesen Schwachsinn abziehst! Wir wollen kein Gerede! Was ist, wenn irgendjemand die Stücke noch mal prüfen lässt! Was ist, wenn die Polizei hier aufkreuzt?! Du dämliches Arschloch! Es wissen verdammt noch mal zu viele Leute davon, dass mit den Steinen etwas nicht stimmt. Der Juwelier, der die Schmuckstücke angefertigt hat. Dieser West, der für euch den Fachmann spielte…"

„Aber er ist wirklich ein Fachmann. Er versteht sich aufs Geschäft…" Rodins Gegenüber brachte ihn mit einem brutalen Rückhandschlag zum Schweigen: „Idiot! Dann weiß er auf jeden Fall, dass etwas faul ist. Und außerdem… du Scheißer bist über deine eigene verfluchte Pfiffigkeit gestolpert. Oder was stimmte mit diesen Steinen nicht? Ich habe doch gehört, was diese Nutte gesagt hat! Wer ist die Schlampe überhaupt?!"

Hastig sprudelte Rodin alles hervor, was er über Lara Croft wusste. Die Reaktion seines Gegenübers war ein neuer Wutanfall, nachdem Rodin sich blutend, halb bewusstlos, mit von Schlägen fast völlig zu geschwollenen Augen, am Boden wieder fand.

Aber der andere Mann war noch nicht mit Michael Rodin fertig. Er ließ nicht von ihm ab, bis Rodin ihm alles gebeichtet hatte, was er über den Juwelier und über Alex West wusste.

Erst dann hörten die Schläge und Tritte auf. Der Mann, der Michael Rodin mit systematischer Brutalität halbtot geprügelt hatte, schien sein am Boden liegendes Opfer nun mit einmal fast vergessen zu haben. Stattdessen zog er ein Handy hervor, wählte und erstattete Bericht. Jetzt klang seine Stimme ruhig, fast emotionslos. Aber auch wenn Rodin noch in der Lage gewesen wäre zuzuhören, er hätte die Sprache nicht verstanden. Es war jedenfalls kein Englisch.

„…verstehe. Kein Problem. Morgen habe ich das Land verlassen. Ja, die losen Enden werden gekappt. Ich kümmere mich darum." Mit diesen Worten schaltete der Mann ab. Kurz verzog sich sein breiter Mund zu einem grausamen Lächeln, während er den sich noch schwach regenden Michael Rodin musterte. In seinen Augen lag ein seltsam kalter Glanz, der aber sofort wieder unter einer Maske scheinbar stumpfer Gleichgültigkeit verschwand. Er hatte seine Befehle. Niemand würde ihre Spur aufnehmen können.