Es tat weh. Es tat sogar verdammt weh! Der Mann mit den pechschwarzen Haaren lag auf dem Bett und fragt sich, was genau mit ihm passiert war. Gestern Nacht war er auf einem Rundgang um das Schloss gewesen. Wie es die Lehrer öfters taten, seit es mit den irrsinnigen Mutproben untern den Schülern losgegangen war. Einer von den Jugendlichen hatte sich sogar Skier unter die Füsse geschnallt und wollte sich so von einem Hippogreif über den grossen See ziehen lassen. Eine andere Gruppe von lebensmüden Idioten spielten Seilhüpfen über die Äste der um sich schlagenden Peitschende Weide. Wie viele Schüler seine Kollegen und er in den letzten Wochen schon in den Krankenflügel hatte tragen müssen, wusste der Zaubertranklehrer nicht mehr.
Nun lag er selber hier. In was für eine hirnrissige Aktion er hineingeraten war, konnte er beim besten Willen nicht sagen. An die tiefen Löcher in der Erde und dass ihm kurz danach die Sonne auf den Kopf gefallen war, das war das Letzte an das er sich erinnerte, bevor ihn die Dunkelheit der Ohnmacht umfing.
Aufgewacht war er hier und es war immer noch stockfinster. Madame Pomfrey hatte an seinem Bett gesessen, wollte aber kein Licht anmachen. Severus hatte immer noch den ekligen Geschmack des Medikamentes im Mund, welches ihm die Krankenschwester eingeflösst hatte. Sie und auch Dumbeldore hatten versucht ihn zu beruhigen. Es sei alles unter Kontrolle, keine Schüler zu Schaden gekommen und der Tränkemeister solle versuchen noch etwas zu schlafen. Aber er konnte trotz dem Schmerzmittel nicht einschlafen.
Die fremde Umgebung machte ihn nervös. Snape sehnte sich zurück in seine eigenen Räume im Kerker.
Es war still, keinerlei Bewegung war im Krankenflügel auszumachen. So setzte sich der Mann mit dem pinken Schlafanzug im Bett auf und begann im Dunkeln seine Umgebung zu ertasten. Licht machte er extra keines an, da er nicht erwischt und aufgehalten werden wollte. Nach einiger Mühe stand Severus neben dem Bett und tapste vorsichtig in Richtung Türe. Der schwarzhaarige Patient grinste, als er den Saal verliess und sich immer noch niemand regte.
Etliche Meter und ein paar gerammte Rüstungen weiter, blieb Snape erschöpft stehen. Es war gar nicht so einfach, sich des Nachts ohne Licht fortzubewegen. Nicht nur die völlige Dunkelheit im Schloss, auch das Murmeln aus der Ferne irritierten ihn sehr. Nach der Verschnaufpause schritt er langsam weiter.
Die Schüler, welche ein Stockwerk tiefer auf dem Weg zum Frühstück waren, blieben überrascht stehen. Sie trauten ihren Augen nicht, als sie ihren Tränkemeister bemerkten, der sich oben an der Balustrade entlangtastete. Nicht nur dass der gefürchtete Lehrer einen pinkfarbenen Schlafanzug trug. Seine Haare waren frisch gewaschen und fielen ihm locker über die Schultern.
„Irgendwie sieht er schick aus", murmelte eine Erstklässerin.
Ihre älteren Kollegen schüttelten den Kopf. „Wenn das Snape ist, dann ..."
Während die Hufflepuffs und Ravenclaws noch spekulierten, wer das sein könnte und was der Mann da überhaupt machte, war Snape fast schon bei der Treppe angekommen. Doch wie es die lieben Treppen in Hogwarts zu ihren Eigenschaften zählen, bewegen sie sich gerne. So auch diese, welche fand, sie müsse mal wieder die Position wechseln. Leise knirschend verschob sie sich und zurück blieb gähnende Leere.
„Egal wer immer das da oben ist, er läuft geradewegs in den Tod", schnaufte ein Mädchen aus Ravencalw. Ihre Mitschüler merkten inzwischen ebenfalls, dass mit dem Herrn etwas ganz und gar nicht stimmte.
„HALT! Stehen bleiben. STOPP!", brüllten sie im Chor.
Severus zuckte erschrocken zusammen und sah sich verwirrt um. Noch immer war es dunkel, keine Schüler zu sehen. Wie konnte es sein, dass sie aber ihn sahen? Warum sollte er stehen bleiben?
Dass er nur mehr einen Schritt von der Etagenkante entfernt stand, dass sahen nicht nur die Schüler, sondern auch Madame Pomfrey. Die Krankenschwester hatte das Bett im Krankensaal leer vorgefunden und war auf der Suche nach ihrem Patienten durch das Geschrei herbeigelockt worden.
„Severus, Professor Snape, was machen Sie denn?", mahnte die Schwester ihren Patienten, als sie ihn erreichte. „Sie dürfen doch gar nicht alleine aufstehen, bitte kommen Sie von dem Abgrund weg. Sie gehören zurück ins Bett."
Snape fühlte wie sich ein Arm um ihn legte und begann vor Entsetzen zu Zittern. „Warum sehen Sie mich, wenn es doch stockfinster ist?"
Eine Weile herrschte Schweigen, dann schickte Poppy jemanden nach Professor Dumbeldore und nach Minerva.
Severus hörte die Schüler aufgeregt schwatzen und auch wie Madame Pomfrey beruhigend auf ihn einredete. Es half aber nichts, er sprühte eine furchtbare Ahnung in sich aufsteigen und die Angst vor der Wahrheit überfiel ihn wie ein wildes Tier. „NEEEINN! Das ist nicht möglich. Sagt mir, dass es einen anderen Grund hat, warum für mich alles schwarz ist!" Der Mann fuchtelte mit den Armen herum und betaste sein Gesicht. Augenblicke später waren eilige Schritte zu hören und mehre Personen kamen Poppy zu Hilfe.
Snape erkannte die Stimme von Albus und Minerva, aber auch Filch war anscheinend herbeigeeilt. Mit vereinten Kräften wurde der verletzte und geschockte Mann von dem Etagenabsatz weggelotst. Wie er dann aber in den Krankenflügel zurückkam, wusste Severus nicht mehr. Wahrscheinlich hatte Poppy einen Sedierungszauber angewandt.
„Wie fühlst du dich", fragte eine männliche Stimme. Snape, der erst gerade wieder zu sich kam, antwortet nicht sofort. Unsicher legte er seine Hand auf sein Gesicht. „Schmerzen hinter den Augen und Furcht", gestand er nach einer Weile. „Ich fühle die Wärme der Sonne, doch sehe sie nicht. Ich bin blind, nicht wahr?"
„Ja, das ist leider wahr. Aber bitte versuche ruhig zu bleiben", sprach Minerva von der anderen Seite. „Poppy hat im St. Mungos Unterstützung angefordert. Es wird heute Abend ein Experte kommen, um dich noch mal gründlich zu untersuchen. Vorher kann man noch nicht sagen, wie schwer deine Augen verletzt sind und ob die Blindheit nicht wieder zurückgeht."
Leise stöhnend drehte Snape seinen Kopf. „Alles ist vielleicht und wahrscheinlich. Könnt ihr wenigsten sagen, was passiert ist? Da draussen in der Nacht?"
Ein tiefer Seufzer von Dumbeldore war zu hören, antworten tat aber Flitwick. Warum jetzt auch noch der Zauberkunst-Lehrer an seinem Krankenbett stand, wollte Snape gar nicht so genau wissen.
„Du bist in ein Experiment der Zwillinge hineingelaufen. Sie haben Muggelfeuerwerk mit magischem Feuerwerkszauber zu kombinieren versucht. Die präparierten Feuerwerkskörper waren in der Erdgrube deponiert und wurden ferngezündet. Du bist wahrscheinlich mit einem aufsteigenden Heliophatenkranz kollidiert. Er ist dreimal heller als das Sonnenlicht. Dies würde auch deine Augenverletzung erklären."
Severus wollte wütend sein, weil die Weasley-Zwillinge solch gefährlichen Unfug trieben. Er wollte verzweifeln, weil die Verletzung ihm vielleicht für immer das Augenlicht nahm. Er wollte sich weinend vor Schmerzen im Bett unter der Decke verkriechen.
Doch am Schluss tat er was ganz anderes.
„Wenn ich euch schon nicht sehen kann, so starrt mich gefälligst auch nicht alle an. So ungewöhnlich sehe ich doch auch dann nicht aus, selbst wenn ich blind bin."
Die vielsagenden Blicke auf sein ungewöhnlich gefärbtes Nachtgewand konnte er nicht sehen. „Wollen wir ihm sagen, was die Zwillinge sonst noch angestellt haben?", murmelte jemand.
Worauf der Tränkeprofessor sich mit einem Ruck aufsetzte und begann seinen ganzen Körper abzutasten.
„Hey immer mit der Ruhe. Mit Ihnen ist nichts weiter, es gibt keine weiteren Verletzungen", schaltete sich Madame Pomfrey ein. Hände fassten den Professor bei den Schultern und drückten ihn wieder aufs Bett zurück. „Vorläufig ist Bettruhe angesagt und die Besuchszeit ist jetzt zu Ende."
Minerva, Flitwick und Dumbeldore wurden resolut aus dem Krankenflügel gescheucht. Dass eine Dose alles färbendes Magiepulver in die Wäscherei geschmuggelt worden war und das pinkfarbene Pulver in den Waschgang mit allen Schlafanzügen für Erwachsen gelangt war, das musste Snape jetzt wirklich nicht wissen. Die verdammte Farbe ging nach dem Waschen mit 60 Grad heissem Wasser nicht mehr raus und die neue Kollektion mit dreissig neuen Nachtgewändern würde erst nächste Woche geliefert werden.
Seufzend schloss die Krankenschwester die Türe und drehte sich zu Severus um. „Wie wäre es mit etwas zu essen?"
„Das ist das erste Erfreuliche, das ich heute höre", antwortete dieser und gab mit einem Nicken seine Zustimmung.
