Kapitel 1

Ein hakennasiger Mann schrie eine zusammengekauerte Frau an, während ein kleiner, dunkelhaariger Junge in einer Ecke saß und weinte.

Ein eiskalter Sturm fegte durch die rabenschwarze Nacht und Regentropfen peitschten Hestia gewaltsam ins Gesicht, als sie lautlos auf dem Friedhof apparierte. Sie sah sich schaudernd um. Dieser Ort entsprach in jeder vorstellbaren Hinsicht ihren schlimmsten Erwartungen. Um sie herum standen verwitterte und vom Moos übersäte Grabsteine, die nur spärlich vom fahlen Mondlicht beleuchtet wurden. Vor ihr ragte die furchteinflößende Silhouette einer uralten Schlossruine auf, an deren Mauern Moder und Verfall über Jahrhunderte genagt hatten. Wäre es nicht so unheimlich gewesen hätte sie über diese klischeehafte Düsternis lachen können.

Die Gewitterwolken mit den aus ihnen in regelmäßigen Abständen hervorschießenden Blitzen waren eindeutig strategisch platziert worden, ebenso, wie das Donnergrollen, dass die Szene kunstvoll untermalte.

„Alter Angeber!", stieß sie zwischen ihren klappernden Zähnen hervor. Sie stapfte mühsam voran, wobei ihr das nasse schwarze Haar immer wieder ins Gesicht geweht wurde und ihre schweren Stiefel permanent im Morast stecken blieben. Nicht lange und sie stieß auf den obligatorischen Schutzzauber, der das ganze Schloss umspannte. Sie ächzte leise, griff in ihren Umhang und zog ihren Zauberstab hervor.

Dann setzte sie ihren Rucksack ab und begann darin zu wühlen. Als sie mit dem Prinzip Wühlen und Tasten nicht weiterkam, richtete sie ihren Zauberstab auf den Rucksack und ein simples: „Accio Fläschchen" später hatte sie die kleine leere Phiole in ihren Händen.

‚Der ultimative Test, wenn du diesen Bannkreis gezogen hast, dann ist er gleich unbrauchbar', dachte sie.

Sie stellte die Phiole genau auf die Grenze und sprach: „Intromitto praesto!" Es folgte eine drückende Stille und dann der Klang einer gewaltigen Blase, die mit einem leichten Dröhnen zerplatzen. Für einen Augenblick blieb sie reglos stehen und als nichts weiter dramatisches geschah ging sie mit einem seltsam bleiernen Gefühl in der Magengegend auf das morsche Schlossportal zu.

Sie drückte das angelehnte Tor vorsichtig auf und wurde mit einem durchdringenden Quietschen belohnt, das üblicherweise Fußnägel dazu veranlasst sich hoch zu rollen. Der Anblick, der sich ihr bot, war erwartungsgemäß trostlos. Ratten und Spinnen ihrem Territorium ihre ganz eigene Note gegeben und das Gelände ausgiebig markiert. Der Boden war von einer dicken Staubschicht bedeckt, die ihre vorsichtigen Schritte dämpfte.

Sie stand in einem großen Raum, der in besseren Zeiten womöglich einmal eine beeindruckende Empfangshalle gewesen war. Zwei Freitreppen schwangen sich ihr gegenüber bei weitem nicht mehr so anmutig ins erste Geschoss, wie sie es wahrscheinlich einmal getan hatten. Davor stand eine große Statue, der mehr als nur ein Gliedmaß fehlte. Doch Hestia würde nicht nach oben gehen. Sie wusste, dass sie im Keller suchen musste, je tiefer desto besser.

„Lumos", wisperte sie und das weiße Licht ihres Zauberstabs verursachte eine ganze Reihe hektischer Bewegungen in den Ecken. Im trüben Schein türmte sich der aufgewirbelte Staub zu einem geisterhaften Nebel vor ihr auf. Als sie vorsichtig weiter in einen langen Korridor ging, hallten ihre Schritte gespenstisch vom Steinboden wieder und durchbrachen die kalte Stille.

Aus den Augenwinkeln nahm sie eine schnelle Bewegung war und blieb stehen, die Hand auf den Zauberstab gelegt. Dann erkannte sie den verstaubten Spiegel dicht neben sich, atmete langsam aus und entspannte sich. Ihr eigenes, blasses Gesicht blickte müde zu ihr herüber. Die hohen Wangenknochen und die lange gerade Nase verliehen ihm einen stolzen, eigensinnigen Zug, ebenso wie der schmale Mund. Nur in ihren großen, grauen Augen lag eine Art stoische Ruhe. Hestia wandte sich ab und schlich weiter.

Es war ein schöner Sommertag und das Schloss warf einen langen Schatten auf die Wiese, auf der Snape mit gekrümmtem Rücken saß und gedankenverloren seinen Zauberstab in den Händen drehte. Das schwarze Haar hing ihm schulterlang in das blasse, magere Gesicht.

Ein anderer Junge näherte sich ihm von hinten und setzte sich neben ihn. Er war ebenso blass wie Snape, dafür aber deutlich hübscher, hochgewachsen mit langem blondem Haar, das ihm elegant über den Rücken fiel.

Was hockst du hier allein rum?", fragte er und lehnte sich lässig im Gras zurück. Sein Tonfall erinnerte an eine müßige Plauderei über das Messer.

Snape hob erstaunt den Kopf und musterte sein gegenüber mit einer Mischung aus Erstaunen und Skepsis. Dann zuckte er mit den Schultern.

Du solltest mal mit in den Eberkopf kommen, wär' bestimmt witzig. Ich mein, ich weiß, dass du nicht blöd bist und die anderen werden es auch irgendwann kapieren"

Er lächelte mit seinen strahlend weißen Zähnen.

Witzig?", fragte Snape tonlos.

Weil ich Leute mag, bei denen da oben das Licht an ist", antwortete Malfoy, tippte mit dem Finger leicht gegen Snapes Kopf und stand auf. Im Gehen sagte er: „Überleg's dir einfach"

Sie war eine ganze Weile durch das Schloss und seine labyrinthischen Gänge geirrt oder viel mehr durch das, was von ihm noch übrig war, bevor sie die Kellertreppe gefunden hatte.

Unten angekommen trat sie in einen schmalen Gang. Aus einem der Türschlitze schien ein schwaches Licht leuchten zu kommen. Sie löschte ihren Zauberstab und tatsächlich glomm nur wenige Schritte von ihr entfernt ein gelb scheinender Streifen auf dem Boden.

Leise klopfte Hestia an die Tür und trotzdem schien ihr der Klang des Holzes in den Ohren zu dröhnen. Still wartete sie mit erhobenem Zauberstab vergeblich auf eine Antwort. Dann öffnete sie die Tür und betrat den Raum.

Sofort musste sie sich unter einem schlecht gezielten Fluch hinwegducken, der auf sie zu schoss.

„Protego"

Der Schutzschild umgab sie, wie eine leicht schillernde Seifenblase, was ihr die Gelegenheit gab sich in dem kleinen Raum umzusehen. Er war nur spärlich von einer einzelnen Kerze beleuchtet und ebenso sparsam möbliert. An der Wand zu ihrer Rechten standen ein Tisch und ein Stuhl. Ihr gegenüber stand ein hölzernes Bettgestell, das nicht aussah als hätte sein Schöpfer sich für Banalitäten wie Bequemlichkeiten interessiert. Ihr Blick blieb an der schwarz gewandeten Gestalt auf dem Bett hängen. Zwei schwarze Augen durchbohrten sie mit einem beunruhigend stechendem Blick. Ein Zauberstab fiel klackernd aus einer kraftlosen Hand.

„Ihnen auch einen guten Abend, Snape", sagte sie trocken in die bleierne Stille hinein.

Er schwieg, das Gesicht unbewegt einer wächserne Maske gleich ihr zugewandt. Hestia regte sich zuerst und verließ zügigen Schrittes ihre Schutzblase, was in Anbetracht der Tatsache, dass sein Zauberstab auf der Erde lag nicht so gefährlich war, wie es sich anfühlte.

„Es ist mir egal, wie sie mich gefunden haben, aber verschwinden Sie"

Sie sah hinunter auf magere Gestalt, deren pergamentweiße Haut sich spannte über die hohen Wangenknochen und die markante Hakennase spannte. An seinem Hals klaffte eine gewaltige Wunde, von der man erwarten würde, dass aus ihr ungeheure Mengen Blut hervorquellen müssten. Doch dem war nicht so. Severus Snape sah nicht aus, als besäße auch nur noch einen einzigen Tropfen Blut.

„Sie waren schon immer ein miserabler Heiler", murmelte sie.

„Was wollen Sie?", seine Stimme klang jetzt beinahe genervt.

„Als Potter von Ihrem Tod berichtete ahnte ich, dass er die Sache damit nicht ganz getroffen hatte"

Snape hob fragend eine Augenbraue und sah sie mit einem Ausdruck an, den man als eine Vorform von Neugier hätte beschreiben können.

„Ich weiß, dass eine Schlange Sie nicht töten kann"

Die zweite Augenbraue gesellte sich zur ersten, wodurch so etwas wie Erstaunen auf seinem Gesicht auftauchte.

„Ich war unfreiwillig Zeuge einer Unterhaltung zwischen Ihnen und Dumbledore. Ich weiß es schon seit einer ganzen Weile"

„Was wollen Sie?", die Überraschung auf seinem Gesicht war wieder dem üblichen abweisenden Gesichtsausdruck gewichen.

„Ich bin hier um Ihnen zu helfen"

Eisige Stille trat ein.

„Gehen Sie", sagte er nach einer Weile.

Sie stand unschlüssig in dem kleinen Raum und spürte die Kälte in sich hochsteigen. Es fiel ihr schwer zu sagen was sie erwartet hatte. Kein „Herzlich Willkommen auf meinem Horrorschloss", sicher nicht. Aber auch schlichte Ablehnung war nicht Teil des Plans gewesen.

„Und möchten sie bis ans Ende ihrer Tage hier liegen bleiben? Wir beide wissen, dass es sich dabei um einen ziemlich großen Zeitraum handelt"

„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht", erwiderte er kühl und wandte sich der Decke zu.

„Sagen wir ich habe ein Helfer-Syndrom"

Er verzog das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse, die auf groteske Weise an ein Lächeln erinnerte.

„Warum hat die Schlange Sie nicht vollends gefressen?", fragte Hestia um Konversation bemüht.

„Das sollte sie, nur später. Man ging nicht davon aus, dass ich die Hütte verlassen könnte"

„Er hat Sie unterschätzt, schon wieder", sagte sie und machte einen Schritt auf ihn zu.

„Kommen Sie nicht näher!", presste er warnend zwischen den Zähnen hervor.

„Sie sind nicht mal in der Lage Ihren eigenen Zauberstab zu halten. Also kann ich tun, was ich will", antwortete sie in der stillen Hoffnung, dass sie wenigstens ein bisschen überzeugter klang, als sie tatsächlich war.

„Sie haben nicht die leiseste Ahnung, wozu ich fähig bin, Jones und deshalb sollten Sie jetzt verschwinden"

„Jetzt hab ich aber Angst", sagte sie so ironisch sie konnte.

„Wenn Sie auch nur über einen Funken Intelligenz verfügen, dann haben Sie die", zischte er.

Mit einer für seinen Zustand unglaublich schnellen Bewegung packte er ihr Handgelenk und zog sie dicht vor sein Gesicht. Seine schwarzen Augen zogen sie wie zwei dunkle Tunnel, in eine scheinbar unendliche Finsternis.