A/N:
Hey Leute, das ist meine erste Kommissar Beck Fanfiction und ich hoffe, ich habe die Charaktere gut getroffen. Bei Gunvald bin ich mir nicht sicher, hoffe aber auf positives Feedback, soweit das jetzt beim Prolog und dem ersten Kapitel schon möglich ist….
Zum Thema „Austausch" Polizist – das gibt's wirklich!
Mir gehört leider nichts aus dem Beck – Universum… Schade… (Ich mein, wer hätte denn nicht gern seinen ganz persönlichen Gunvald Larsson…?).
ABER mir gehört die Storyline und Reikja!! allesmeins und der, der's mir klaut, dem hetz ich Gunvald auf den Hals hehe
Ach ja, es wird wohl was zwischen Reikja und Gunvald drin vorkommen…
Alice ist leider nicht dabei und Anton auch nicht aber dafür Lena.
So, wünsch euch jedenfalls viel Spaß beim Lesen und hoffe, dass es euch gefällt…
Apropos, wegen der Beschreibung Stockholms und so. Ich war noch nie da und weiß nicht, ob es so viele oder überhaupt Hochhäuser in der Innenstadt gibt (ich weiß nichts über Stockholm argh). Oder irgendwelche noblen Vororte….alles meine Fantasie, also no flaming please!
Inhalt:
Beck und Larsson müssen den Mord an einer Familie aufklären.
Dazu bekommt die Abteilung eine „Austausch" Polizistin aus England, die ein Geheimnis hütet – und der Mörder legt erst richtig los…
Eine Handvoll Schnee
Prolog
Es ist Ende November und die Kälte hat unerbittlich Einzug in Schweden gehalten.
Nicht, dass man es hier nicht gewohnt ist, nein die Nässe ist es, die den Menschen zu schaffen macht…
Die Feuchtigkeit, die in der Luft liegt, sich auf alles und jeden legt – auch auf das Gemüt.
Kaum einer geht freiwillig aus dem Haus – und die die es müssen verwünschen das Wetter und sehnen sich nach wärmeren Jahreszeiten.
Dichte Wolkenberge bäumen sich im Westen auf, dunkel, fast schwarz blockieren sie die Sonne und künden erneut von Regen.
Grau und trostlos ragen die wenigen Hochhäuser der Stockholmer Innenstadt in den Himmel und scheinen fast in ihm zu verschwinden. Grau in grau heben sich ihre Silhouetten kaum von ihm ab…
Von hier hat es fast den Anschein, als wären sie mit ihm verbunden… Steinerne Pfeiler, die den Himmel stützen... Graue Riesen, die sich im Morgennebel verschwommen aus dem dunkel der Stadt emporrecken.
Wir befinden uns in einem der nobleren Vororte Stockholms, am Rande der Stadt. Fern von Schmutz und bürgerlicher Betriebsamkeit. Hier würde man nie einen Bettler antreffen – oder junge Punker, die sich um eine Parkbank drängen. Einen Gettoblaster neben sich, aus dem der Bass dröhnt und zu ihren Füßen ihre Hunde, Pitbulls und Doggen ihre treuen Begleiter.
Hier herrscht Ordnung und Sauberkeit und all die Normalitäten des Alltags eines schwedischen Bürgers der Mittel – oder Unterschicht scheint es hier nicht zu geben.
Als würden sie gar nicht existieren.
Große Vorgärten zieren weiß verputze Villen und das Gras wirkt, als wäre es mit einer Nagelschere zusätzlich geschnitten worden. Hohe Hecken erschweren Neugierigen die Einsicht, unterstützt von ebenso hohen Mauern oder schmiedeeisernen Zäunen.
Kameras sind mehr oder weniger auffällig, an den Auffahrten angebracht und große vergoldete Messingschilder an den Toren verkünden stolz die Namen der Bewohner.
Die Menschen die hier wohnen, führen ein Leben zwischen Lifecoach und Cocktailparties und müssen sich nicht jeden Monat fragen, ob sie sich ihr bisheriges Leben den darauf folgenden Monat noch leisten können.
Banker und Anwälte, Ärzte und Manager – kurz gesagt; die Creme de la Creme der feinen Stockholmer Gesellschaft ist hier zu finden.
Die breite Allee, welche durch das Viertel führt, ist die meiste Zeit des Tages kaum befahren.
Nur morgens, wenn sich die Tore öffnen und die Reichen in ihren Luxuswagen zur Arbeit fahren, um sich ihren Lebensstandard zu erhalten, herrscht für kurze Zeit reger Betrieb.
Kinder verabschieden sich von ihren Eltern und fahren mit dem Fahrrad zur Schule – oder werden gefahren. Familienväter machen sich auf den Weg zur Arbeit… Kurzum, morgens und abends herrscht reger Verkehr.
Wir werfen einen kurzen Blick auf unsere Uhr.
Es ist jetzt viertel nach elf – und eigentlich sollte schon seit geraumer Zeit wieder Ruhe eingekehrt sein.
Eigentlich….
Ein Wirrwarr von Stimmen lässt uns aufhorchen. Unsere Schritte beschleunigen sich und wir folgen dem Bürgersteig auf welchem wir eben noch gestanden haben. Die Finger unserer rechten Hand streichen fast beiläufig über die grob gehauenen, rötlichen Steine einer Mauer. Lösen kleine Staubkrümel aus deren Fugen und als die Mauer plötzlich endet, um weiter parallel dem Weg zu folgen, scheinen wir in eine andere Welt geraten zu sein.
Wir bleiben kurz im Schutz der Mauer stehen und lassen das Bild welches sich uns bietet auf uns wirken.
Es scheint direkt einem Kinofilm entnommen worden zu sein.
Mitten auf der Allee stehen mehrere Autos der Polizei und dazwischen die Unheil verkündende Silhouette eines Leichenwagens. Uniformierte Polizisten sperren die Straße zu beiden Seiten hin ab. Zwei Männer in weißen Anzügen, die ihren gesamten Körper vom Kopf bis zu den Zehenspitzen einhüllen, betreten gerade die Auffahrt eines der Häuser. Beide tragen schwarze Koffer und in ihren Gesichtern steht ein starrer Ausdruck.
Augenblicklich packt uns die Neugier und wir nähern uns rasch dem gelben Absperrband.
Wir gesellen uns zu einer kleinen Gruppe von Menschen, wahrscheinlich alles Nachbarn, die dicht gedrängt auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig zwischen zwei Eichen stehen. Fast könnte man glauben, sie hätten Angst, doch die Neugier die in ihren Augen blitzt spricht eine andere Sprache.
Die Einsatzwagen der Polizisten, die vor dem Haus mit der bedeutungsschwangeren Hausnummer dreizehn stehen, haben ihr Blaulicht eingeschaltet.
In diesem wechselnden Licht zucken Schatten über die Mauern. Huschen über den Gehweg und über die Gesichter der Menschen, die sich hinter dem Absperrband drängen. Wie Masken wirken sie, verzerrt und unwirklich…
Selbst die Reichen scheinen ihre Manieren zu vergessen, wenn die Realität zuschlägt und sie aus ihrem kleinen Traum eines sicheren Lebens herausreißt…
Die Gier nach Sensation und Abwechslung steht in ihre Gesichter geschrieben und so werden sie wieder zu einem Teil des Ganzen. Nicht besser und schlechter als all die anderen Menschen in Schweden oder der Welt.
Zwei weitere Wagen nähren sich und halten kurz vor dem Absperrband.
Der linke ist ein Übertragungswagen der Presse, wie wir dem Aufdruck auf der Motorhaube entnehmen können. Der rechte Wagen, ein kleiner PKW, hat ein Blaulicht auf dem Dach der Fahrerseite. Wahrscheinlich ein Kriminalkommissar. Das Licht der blauen Lampe gesellt sich, ohne Martinshorn, zu seinen Kollegen und reiht sich widerspruchslos in den Farbenzirkus ein.
Kaum ist der Wagen zum stehen gekommen und der Motor abgestellt, öffnet sich die Fahrertür. Bevor wir jedoch sehen können, wer sich hier die Ehre gibt, versperrt uns unvermittelt der buschige, graue Haarschopf einer älteren Frau für kurze Zeit den Blick auf das Geschehen und wir müssen uns weit nach rechts beugen, um etwas sehen zu können.
Wir hören das Knallen der Autotür und dann tritt ein rundlicher Mann in unser Sichtfeld. Er wirft einen kurzen Blick in unsere Richtung und runzelt missbilligend die Stirn. Für kurze Zeit trifft unser Blick den seinen. Wache, graue Augen scheinen uns zu röntgen und wir wissen mit einem Mal, dass, was auch immer in diesem Haus geschehen ist, von diesem Mann aufgeklärt werden kann.
Derweil hat das Journalistenteam bereits Stellung bezogen.
Eine dunkelhaarige Frau blickt lächelnd in die Linse eines Kameramannes und ihre perlweißen Zähne blitzen mit den rotblauen Lichtern der Polizeiwagen um die Wette.
Unser Blickkontakt mit dem Kommissar bricht ab, als die Frau sich zu ihm wendet.
„Kommissar Martin Beck, haben Sie…"
Der Kommissar macht eine abwehrende Handbewegung in Richtung der Journalistin und wendet sich an einen der Polizisten. Ein junger Bursche, dessen schlaksige Gestalt Unsicherheit verriet. Vielleicht ein Neuling?
Der Kommissar mit Namen Beck sagt ihm etwas und dieser nickt und geht der Frau entgegen, die sich schon daran macht, unter dem Absperrband hindurch zu ducken.
Wir achten jedoch nicht auf sie, als sie von dem jungen Polizisten zurück gescheucht wird. Wir folgen dem Kommissar, zumindest mit Blicken, soweit, bis er in der Auffahrt des Hauses verschwindet.
„Weiß jemand, was passiert ist?" Hören wir eine Stimme links von uns. Wir drehen den Kopf, um den Urheber dieser Frage auszumachen und sehen einen schwarzhaarigen Mann der, vielleicht Mitte dreißig, fragend in die Runde schaut. Einhelliges Kopfschütteln unserer neugierigen Kameraden, als sich die Frau, die uns kurz zuvor die Sicht versperrt hatte, zu uns herumdreht. „Sie sagen es sei Familienmord. Die da drin sollen alle tot sein – hab ich gehört." Ihr runzeliges Gesicht erscheint uns merkwürdig emotionslos für eine derart schlechte Nachricht und ihre dunklen Knopfaugen ruhen auf dem Mann, der die Frage gestellt hatte.
„Mein Gott", murmelt dieser kaum hörbar, den Blick wie gebannt auf die Polizisten gerichtet und die Frau vor uns, mit den Augen die uns so sehr an ein Frettchen erinnern, nickt.
„Nicht wahr?" Sowohl sie, als auch die anderen Neugierigen, richten ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Grund ihres Herkommens.
Wir nehmen uns jedoch noch ein wenig Zeit unsere Kameraden, unsere ‚partners in crime', zu begutachten.
Frauen und Männer, Jung und Alt waren hier versammelt, um die Neuigkeit – und sei sie auch noch so schlimme – als erste zu erfahren.
In einigen Augen können wir Betroffenheit lesen, in wieder anderen Angst und Sorge.
Aber die Gier auf Neuigkeiten glänzt in all ihren Augen, bei einigen verhaltener als bei anderen – doch keiner konnte sich davon freisprechen.
Wie merkwürdig, dass in solchen Zusammenhängen immer ein Zusammenhalt entsteht, der sich, sobald die Sensation zu Ende und die Aufregung abgeklungen ist, auflöst, als hätte er nie existiert.
Neugier und Sensationslust schweißt die Menschen zusammen, wie kaum etwas anderes.
Einige von denen, die an diesem Morgen dabei gewesen waren würden später behaupten, alles hätte in diesem Vorort begonnen.
Doch das entspricht nicht ganz der Wahrheit. Begonnen… Begonnen hatte es ganz wo anders. Aber davon weiß zu dieser Zeit noch niemand etwas. Weder der Kommissar, der gerade in der breiten Auffahrt der besagten Villa verschwunden war, noch die Polizisten, die mögliche Spuren im Garten sichern.
…und wir…
Wir halten uns zurück…
Wir sind nur Beobachter…
Kapitel 1
Der Leiter der Ermittlung, Kommissar Martin Beck, stand in der breiten Eingangstür des herrschaftlichen Hauses – und obgleich er noch nicht wusste, was genau ihn erwartete – so sagte ihm doch ein leises Gefühl, dass er sich auf das Schrecklichste gefasst machen sollte.
Ein Gefühl…nein, eigentlich war es weniger als das. Viel weniger… Eher eine Ahnung, die flüchtig seinen Geist berührt hatte.
Die Eingangshalle war groß, um nicht zu sagen riesig und er vermutete, dass seine halbe Wohnung dort hinein gepasst hätte. Helle Fliesen bedeckten den Boden und eine breite Treppe führte, zu seiner rechten, in den zweiten Stock. Dunkle Flecken auf dem Geländer und dem hellen Teppich auf den Stufen, zogen seine Aufmerksamkeit sofort auf sich, doch dann sah er einen der Männer von der Spurensicherung, der ein Stück weiter oben das Geländer mit einem Pinsel bearbeitete. Er würde sich schon darum kümmern. Im Moment wollte er sich jedoch erst einmal einen Überblick verschaffen.
Er sah die starren Gesichter zweier Beamter, die in der Eingangshalle standen.
Weiß und käsig boten sie einen harten Kontrast zu ihren Uniformen und das blonde Haar der beiden, erschien wie ein Klecks Senf auf einem frisch gepellten Ei.
Der linke von ihnen, Martin glaubte sich zu erinnern, dass sein Name Hannes war, bewegte unablässig seine Hände. Seine Finger trommelten entweder unruhig auf den dunklen Stoff seiner Hose, oder verschränkten sich immer wieder ineinander.
Es war offensichtlich, dass der junge Mann am liebsten an einem anderen Ort wäre… Weit fort von dem, was sich in diesem Haus befand.
Familienmord. Drei Tote. Öklundgattan 13.
Das war das einzige, was Gunvald ihm am Telefon gesagt hatte….oder sagen wollte… Er hatte wie immer geklungen, fand Martin, professionell und gradlinig. Im Nachhinein jedoch, wenn er genauer darüber nachdachte, glaubte er ein Zittern wahrgenommen zu haben. Ein Entsetzen das, obwohl gut verborgen, es geschafft hatte, an die Oberfläche zu kommen – und das war es, was Martin am meisten beunruhigte.
Sein Kollege war hart gesotten und niemand, der sich Schrecken leicht anmerken ließ. Es musste schon etwas wirklich Grausames geschehen sein, dass einen Mann wie Gunvald Larsson erschütterte.
Als er den leicht süßlichen Geruch einsog, der in der Vorhalle herrschte, wappnete er sich innerlich gegen das erneute Grauen eines Tatorts.
Eine Familie…
Gegen seinen Willen begann sein Gehirn wie von selbst zu arbeiten. Fand Lösungen, noch bevor es überhaupt so etwas wie ein Indiz gespeichert hatte – und er hasste es. Diese Voreingenommenheit.
Familienmord… Das bedeutete gleich einen durchgedrehten Vater – oder Mutter und Schulden… Kein Platz für erste Eindrücke, so wie er es auf der Polizeihochschule gelernt hatte.… Sich ein Bild vom Tatort machen, Indizien und Beweise sammeln, auf Lösungssuche gehen… Heutzutage kamen so genannte Indizien schon vor dem Tatort – und all das hatte er seinem herausragenden Gehirn zu verdanken – und vielen Dienstjahren Erfahrung.
Vielleicht hatte der Ehemann und Vater an der Börse spekuliert und das gesamte Vermögen verloren. So etwas geschah oft – und in Folge dessen, der Selbst – oder komplette Mord der Familie. Martin hatte nie verstanden, wie jemand seine gesamte Familie töten konnte. Natürlich waren da die Scham und die Angst – doch seine Familie für den eigenen Fehler zu töten…seine Kinder büßen zu lassen… Nein…das war nicht nur feige, sondern sadistisch.
Langsam betrat er die Eingangshalle.
Die Gummisohlen seiner Schuhe quietschten auf den Fliesen und er zuckte unwillkürlich zusammen. Obwohl er sich in einem Haus und nicht in einer Kirche befand, erschien es ihm als unpassend. Als würde sogleich jemand mit dem Finger auf ihn zeigen und ihn zur Ruhe ermahnen… Natürlich würde das niemand tun, doch es änderte nichts an seinem Gefühl.
Martin Beck hörte das leise Knipsen eines Fotoapparates, das ihn an den Grund seines Herkommens erinnerte. Der süßliche Geruch wurde durchdringender, je näher er den beiden Polizisten kam und er schüttelte jegliche Gedanken an mögliche Geschehnisse ab und sah fragend zu den beiden Beamten.
„Sie…sie sind im Wohnzimmer…" Der rechte der beiden Polizisten wies durch die Eingangshalle, zu einer Tür, die offen stand. Er war jung, wahrscheinlich frisch von der Polizeischule entlassen…
Der Kommissar hatte das Zittern in der Stimme des Mannes sehr wohl wahrgenommen, ließ sich jedoch nichts anmerken. „Danke." Martin nickte ihm freundlich zu. Es reichte, dass der Mann selbst wusste, wie er klang, da musste er es ihm nicht noch unter die Nase reiben.
Na dann wollen wir mal, dachte er und durchquerte die Eingangshalle mit festen Schritten. Immerhin musste er mit gutem Beispiel vorangehen. Außerdem handelte es sich um einen Tatort und er war der leitende Ermittler… Das hieß Selbstsicherheit und Autorität vermitteln, auch wenn man sich nicht danach fühlte. Immerhin hatte er schon etliche Dienstjahre auf dem Buckel und somit etliche Leichen gesehen.
Nichts jedoch hätte ihn auf den Anblick vorbereiten können, der sich ihm beim Betreten des Wohnzimmers bot. Übelkeit schoss in ihm hoch und der beißende Geschmack von Galle legte sich auf seine Zunge und reizte seine Geschmacksknospen.
Er hatte schon viele Tatorte gesehen, aber keiner ließ sich auch nur annähernd mit diesem vergleichen.
Diese Brutalität…über all war Blut. Auf dem Boden, den Möbeln, den Wänden…
Im Blitzlicht der Fotoapparate wirkte die Szenerie unwirklich und surreal. Das Blut erschien teilweise fast schwarz und die verdrehten Augen und verzerrten Münder Toten schienen sich zu bewegen, höhnisch zu Grinsen…
Reiß dich zusammen! Ermahnte er sich innerlich. Du hast schon viele Tatorte gesehen – und viele Leichen. Auch Familien…
Er schluckte und wandte für einen kurzen Moment den Blick ab. In Gedanken zählte er langsam bis drei, ein alter Trick, den er von seinem ehemaligen Ausbilder hatte. Nicht die Augen schließen, hatte dieser immer gesagt. Dann wird euch noch schlechter und ihr kippt ganz aus den Latschen! Schaut wo anders hin, zählt bis drei – oder auch fünf – und konzentriert euch dann ganz auf den Fall.
Martin Beck war sich bewusst, dass er diesen Trick schon seit Jahren nicht mehr hatte anwenden müssen – bis jetzt.
…drei…vier…fünf…
Er fasste sich wieder, betrat das Wohnzimmer – und der Ermittler in ihm übernahm die Oberhand.
Das Wohnzimmer war, wie schon die Eingangshalle vermuten lies, groß und hohe Fenster in ebenso hohen Wänden ließen viel Licht hinein. Zumindest so viel, wie an einem Wolkenverhangenen, regnerischen Morgen möglich war. Der dunkle Holzboden war hier und dort mit, wie es aussah sündhaft teuren, Auberginefarbenen Teppichen ausgelegt von denen sich dass Blut kaum abhob. In der rechten Hälfte des Raumes standen zwei ehemals weiße Sofas vor einem Kamin. Jetzt waren sie Blutdurchtränkt. Ein älterer Mann, vielleicht um die vierzig, lag auf dem Boden neben dem Kamin. Er lag auf der Seite und sein Rücken wies zu Martin. Vorsichtig durchschritt Beck das Wohnzimmer und nährte sich ihm, darauf bedacht, den Tatort so wenig wie möglich zu kontaminieren. Die Hand – und Fußgelenke des Mannes waren zusammengebunden, wie es Jäger bei einem gefangenen Tier taten und seine halb geöffneten Augen blickten starr in die noch glimmenden Überreste eines Feuers. Sein Hemd war aufgerissen und blutig. Und sein markantes Gesicht war übersäht mit Brandwunden. Auch wenn er es nicht mit Sicherheit sagen konnte, glaubte der Kommissar, dass es sich hierbei um die Abdrücke einer Zigarette handelte.
Die Todesursache klärte sich auch sogleich selbst, denn die hintere Hälfte seines Schädels fehlte gänzlich.
Der Mann trug einen schwarzen Pyjama, was hieß, dass der oder die Täter die Familie im Schlaf überrascht haben mussten. Es konnte natürlich auch sein, dass der oder die Täter ihn gezwungen hatten, diesen anzuziehen. Unwahrscheinlich, aber möglich. Schließlich gab es genug Verrückte in diesem Land…
Hatte sich Oljelund schon um ihn gekümmert? Wahrscheinlich nicht, sonst würde dieser Mann nicht mehr hier liegen… Martin hob den Kopf und sah sich nach dem Gerichtsmediziner um. Er entdeckte ihn in der, vom ihm aus gesehenen rechten Ecke des Raumes. Er kniete zwischen Stühlen neben einer weiteren Leiche.
Martin Beck ließ den Toten wo er war und ging zu Oljelund. Die beiden kleineren Umrisse auf dem dunklen Holzboden, die er aus den Augenwinkeln sehen konnte, ignorierte er erst einmal völlig.
Er wusste, um wen es sich hierbei handeln musste und auch dass Oljelund sich um diese beiden zuerst gekümmert hatte. Wie immer, wenn Morde an Minderjährigen begangen wurden. Kinder kamen zuerst…
Bei der Leiche neben Oljelund handelte es sich um eine ältere Frau. Wahrscheinlich die Mutter. Ihr Gesicht war ein einziges Trümmerfeld und sie lag mit dem Rücken in den Überresten des Glastisches, der einmal zwischen den vier Stühlen gestanden haben musste, die nun im Raum lagen. Jetzt war der Tisch jedoch nur noch ein Trümmerhaufen aus großen und kleinen Glassplittern.
Das dunkle Haar der Frau war mit feinen Splittern übersäht und an einigen Stellen mit Blut verklebt.
Sie trug eine helle Stoffhose, die an einigen Stellen aufgerissen war. Ihre Beine standen in einem unmöglichen Winkel zu beiden Seiten ab und mussten mehrmals gebrochen sein. Ihr ehemals weißes Stoffoberteil war über der Brust Blutdurchtränkt und die Wunde, die er in eben dieser ausmachen konnte…
„Sie starb an Blutverlust." Begann der drahtige Gerichtsmediziner, ohne dass der Kommissar ihn dazu auffordern musste. „Siehst du das Loch in ihrer Brust? Vermutlich eine Schusswaffe. Die Ränder," hier wies er auf die Wunde und deren dunkle Ränder. „ …sind verbrannt, ich denke der Mörder hat der Frau die Waffe direkt auf die Brust gesetzt und dann abgedrückt. Die Wunden im Gesicht wurden erst nachträglich beigefügt."
„Mhm…" Die Rädchen in Martin Becks Kopf begannen sich erneut wie von selbst zu drehen. Hatte der Mörder sie auf den Tisch gelegt, als er abgedrückt hat? Das hätte den Tisch niemals zerbrochen. Also muss er vorher kaputt gegangen sein… Vielleicht bei einem Kampf? Oder der Täter wollte es. Vernahm er eine leise Stimme in seinen Gedanken. Vielleicht hat er die Splitter für irgendetwas gebraucht…
„Ist dir das Blut in der Eingangshalle aufgefallen?"
Martin schüttelte verneinend den Kopf.
„Aber dir fällt doch sicher was an ihren Beinen auf, oder?"
Der Kommissar richtete seinen Blick wieder auf die schrecklich verformten Beine des Opfers. „Sie sind gebrochen." Beantwortete er die Frage des Gerichtsmediziners. Worauf hin dieser nickte. „Genau. Ich nehme an, dass sie von der Galerie hinab gestoßen worden ist."
„Freiwillig ist sie sicher nicht gesprungen…" Hörte er plötzlich die Stimme Gunvald Larssons neben sich. Er hatte nicht bemerkt, wie dieser sich zu ihnen gesellt hatte…
Er schien etwas blasser zu sein als sonst, doch Martin hütete sich ihn darauf anzusprechen.
Sein Kollege würde es eh abstreiten – und Martin selbst hatte keine Lust auf einen Gunvald'schen Streit. Nicht hier…nicht jetzt…
„Jemand hat sie hier raufgelegt…." Sagte er deshalb und betrachtete die Leiche der Frau eingehend. „Aber wieso…"
Gunvald runzelte die Stirn und seine graublauen Augen verdunkelten sich. „Vielleicht hat's ihn angemacht?" Er wandte sich an den Gerichtsmediziner. „Hinweise auf eine Vergewaltigung?"
„Kann ich noch nicht sagen." Antwortete dieser düster und rückte seine Brille zurecht. „Wenn ich sie im Obduktionssaal habe weiß ich mehr. Aber das kann noch dauern." Er nickte in Richtung der anderen Leiche. „Ist noch einiges zu tun, hier."
Beck nickte. „Gut. Sag mir bescheid, wenn du mit einer der Leichen fertig bist. Egal welche. Gunvald?"
„Ja?"
„Wer hat die Familie gefunden?"
„Die Putzfrau. Ich habe sie schon verhört. Die Frau ist Algerierin, spricht kaum Schwedisch."
„Hast du irgendetwas heraus bekommen?"
„Hast du mir nicht zugehört?" Fragte Gunvald gereizt. „Sie könnte genauso gut stumm sein –steht außerdem unter Schock."
Beck ermahnte sich innerlich zur Ruhe. „Das ist auch kein Wunder." Sagte er deshalb mehr an sich selbst gewandt, als an seinen Kollegen. „ Aber hol mir jemanden her, der Algerisch spricht."
„Wofür ist Oskar denn da…?" Antwortete der Polizist flapsig und biss sich im selben Moment auf die Zunge. Er hatte ganz vergessen, dass sein Lieblingsopfer die Fliege gemacht hatte, wortwörtlich – und zwar nach England. Der junge Ermittler hatte ein Angebot der Londoner Polizei genutzt und sich für ein Jahr auf eines ihrer Reviere versetzen lassen. Im Gegenzug dafür kam einer ihrer Ermittler nach Stockholm, um die von Oskar Bergmann hinterlassene Lücke zu füllen.
‚Zur Weiterbildung und gegenseitigen Verständigung', hatte es geheißen, was für eine Farce…. Wer brauchte schon die Engländer?
Das Oberg das genehmigt hat… Dachte Gunvald und wusste, dass er ihr dies eine lange Zeit nicht verzeihen würde. Jetzt musste er sich wieder ein neues Opfer suchen… Aber vielleicht erwies sich der Engländer ja als Glücksgriff? Es war bestimmt einer dieser schwerfälligen Typen, die sich kaum vom Fleck bewegten. Gunvald musste zugeben, dass er sich auch ein wenig auf ihn freute. Ein neues Gesicht hieß Abwechslung – und wenn er ihn nebenher ein wenig herumschubsen konnte – umso besser!
Martin, der nichts von den Gedankengängen Larssons mitbekommen hatte, gab sich geschlagen. „Du weißt, dass Oskar im Flieger nach London sitzt. Dann sag Lena, dass sie einen Dolmetscher herschaffen soll! Wo ist sie eigentlich?"
„Wird erledigt. Die ist draußen und spricht mit dem Polizisten, der als erstes eingetroffen ist."
Bevor Gunvald sein Vorhaben jedoch in die Tat umsetzen konnte, rief Martin ihn noch einmal zurück.
„Ach und kümmert euch dann um Zeugenaussagen, ja?"
„Schon klar!" Ohne sich umzudrehen, verließ der Ermittler das Zimmer, um nach Lena Klingström zu sehen. Der einzigen Frau im Team, neben Bodil Lettermark.
Derweil machte sich Martin weiter ein Bild vom Tatort und versuchte die Geschehnisse der vergangenen Nacht zu rekonstruieren.
Keiner der beiden konnte zu diesem Zeitpunkt auch nur im Entferntesten ahnen, welche Auswirkungen dieses Verbrechen auf sie beide und die Stockholmer Gesellschaft haben würde…
