von Michelle Mercy
Dies ist das Ergebnis, das herauskommt, wenn man mich in eine moderne und nach der Pause zusätzlich noch sterbenslangweilige „Aida"-Vorstellung setzt (Regie: John Dew). Da begann mein Hirn plötzlich in der ersten Szene des vierten Aktes zu arbeiten, ob Amneris ihre den Priestern angedrohte Rache tatsächlich ausführen würde und wenn ja, wie.
Daraus entstand diese Antwort, die ich ganz allein zu vertreten habe. (Morddrohungen aufgebrachter Verdianer bitte direkt an mich schicken.) Die Figuren gehören Verdi und Ghislanzoni.
Mit einer Ausnahme allerdings: Meine Phantomschwester und ich saßen auf einer sonnigen Wiese in Eutin, während sie plötzlich sagte, daß Amneris eigentlich eine Person an ihrer Seite bräuchte, die sie unterstütze. Innerhalb von zehn Minuten war A-himes gezeugt, geboren und großgezogen in der wahrscheinlich schnellsten Menschwerdung seit Eva und der Rippe.
Für Giuseppe Verdi und seine „Aida",
und
für Shila, die auf einer sonnigen Eutiner Wiese A-himes erfand.
„Empia razza! Anatèma! su voi„Ruchlose Schufte! Ich verfluche euch!
la vendetta del ciel scender!"Die Rache des Himmels wird euch niederstrecken!"
Amneris, „Aida", 4. Akt, 1. Szene
1. Kapitel
Ich bin eine Pharaonentochter und werde die nächste Königin von Ägypten sein. Es war ein langer Weg dorthin, der ebenso blutig wie schmutzig gewesen ist. Ich ging ihn nicht, um die Macht zu erlangen, die mich offen gestanden gar nicht interessiert. Ich bin ihn gegangen, um Rache zu üben an all denen, die dafür sorgten, daß der Mann, den ich so über alles liebte, sterben mußte.
Ich gebe zu, der Untergang Radames' und damit auch Aidas war durchaus auch meine Schuld, aber ihren Tod habe ich nie und nimmer gewollt. Ich hatte keine Gefühle der Art, daß, wenn ich Radames nicht haben konnte, ihn auch sie nicht haben sollte. Die letzte Verantwortung für ihren Tod trägt wohl Ramphis. Nun, ja, dafür hat er seine gerechte Strafe erhalten.
Vermutlich begann das ganze Verhängnis an jenem Tag, an dem ich mit Radames im Tempel der Isis zusammentraf. Ich war gerade fünfzehn Jahre alt und unsterblich in den hoffnungsvollsten jungen Heerführer meines Vaters verliebt.
Eigentlich war nichts Besonderes an ihm. Sein Äußeres war ansprechend, aber nicht aufregend, und was seinen Charakter anbelangt, so kann ich rückblickend nur sagen, daß er eine Feigheit beinhaltete, die durchaus nicht seiner Tollkühnheit auf dem Schlachtfeld widersprach. Da mir jedoch durch den Glorienschein des erfolgreichen Heerführers seine Persönlichkeit schwärmerisch verklärt erschien, fiel mir das nicht auf. Hätte er den Mut gehabt, schon früher zu seiner Liebe zu Aida zu stehen, hätte ich sicherlich ein paar Wochen vor mich hingeschluchzt und Rachepläne geschmiedet, ihn aber letztendlich dafür bewundert.
An jenem Tag betrat ich den Tempel der Isis, wo in Kürze der neue Oberbefehlshaber des Heeres bekannt gegeben werden sollte. Beinahe im Moment des Betretens blieb ich wie angewurzelt stehen. Radames stand mitten in der großen Halle. Sein Gesicht hatte einen träumerischen Ausdruck, und instinktiv wußte ich, daß er an jemanden dachte, den er liebte.
Es dauerte eine Weile, bis er mich bemerkte, und als er es tat, wurde mir schlagartig bewußt, daß er nicht an mich gedacht haben konnte, denn sofort veränderte sich sein Gesichtsausdruck und wurde förmlich.
In mir begann die Eifersucht zu brennen, daß ich, die Prinzessin von Ägypten, die zukünftige Königin, nicht in der Lage war, diesen Ausdruck auf sein Gesicht zu zaubern. „Radames," begrüßte ich ihn mit einem huldvollen Kopfnicken, obwohl mein Herz bis zum Halse schlug.
„Tochter meines Königs," erwiderte er ebenso förmlich.
„Es ist ein großer Tag für dich," versuchte ich, unbefangen mit ihm zu plaudern. „Man wird dir heute sicherlich den Oberbefehl für den äthiopischen Feldzug übertragen."
„Glaubt Ihr wirklich?" Seine Augen strahlten, und das Strahlen verstärkte sich noch mehr, als er über meine Schulter hinweg blickte.
Mit einer Heftigkeit, die seiner blinden Verliebtheit entging, wandte ich mich um und erkannte meine äthiopische Sklavin Aida. Schon immer hatte mich ihre bloße Anwesenheit gereizt. Für eine Sklavin war sie viel zu stolz, zu hochfahrend. Und jetzt wagte sie es offenbar, mir den Mann streitig zu machen, den ich in meiner grenzenlosen Arroganz für mich bestimmt hatte.
Die Gelegenheit, Radames und Aida weiter zusammen zu beobachten, war jedoch schnell vorbei, denn in diesem Moment traten mein Vater mit seinem Hofstaat sowie Ramphis und seine Priester ein. Ich versuchte, meine Eifersucht hinunterzuschlucken, und stellte mich auf meinen Platz, um mir die neuesten Nachrichten von der äthiopischen Grenze berichten zu lassen, die ich doch längst kannte.
Endlich verkündete mein Vater die Neuigkeit, daß Radames der neue Oberbefehlshaber des Heeres sei. Radames war überglücklich, Aida deutlich sichtbar zwischen Stolz auf ihn und Angst um ihr Volk hin- und hergerissen, und ich hoffte, daß er sich so auszeichnen würde, daß er für mich einen angemessenen Gatten darstellen konnte, als ich ihm das Kriegsbanner überreichte.
XXX
Die nächste Zeit verbrachte ich zwischen Bangen um Radames, Hoffen auf einem schnellen Sieg und Träumen von einer Zukunft, in der ich und er über Ägypten herrschten, wobei ich durchaus nicht vor Narreteien zurückschreckte, wie dem Üben lasziver Posen, die ich zu Radames' Verführung benutzen wollte.
Dann, endlich, kam die Nachricht, daß unsere Seite gewonnen hatte, und daß die Armee auf dem Weg nach Memphis zurück war. Ich jubelte, und wer überraschenderweise meinen Jubel teilte, war Aida. Ich hatte in den letzten Wochen verdrängt, daß sie Radames die gleichen Gefühle entgegenbrachte wie ich, doch jetzt wurde ich mit der Nase direkt darauf gestoßen. Warum sollte sie sonst jubeln, wenn ihre Heimat den Krieg verloren hatte, wenn nicht wegen Radames' Sieg? Ich beschloß, sie auf die Probe zu stellen.
„Warum zeigst du solche Freude, Sklavin?" fragte ich mit tiefer Trauer in der Stimme. „Befriedigt dich der Tod unseres großen Heerführers Radames so sehr?"
Aida erschrak. „Radames ist tot?" Ihre Miene zeigte ein solches Entsetzen, daß dieses nur von tiefer Liebe hervorgerufen werden konnte.
Eigentlich war ich in diesem Moment schon sicher, daß sie ihn liebte, aber ich wollte es noch weiter treiben in meiner Wut. „Das war eine Lüge, Sklavin. Radames lebt."
„Er lebt?" Aida sank vor lauter Dankbarkeit in die Knie. „Danke, ihr Götter."
„Du wagst es, ihn zu lieben," sagte ich mit bebender Stimme.
„Verzeiht mir," sagte sie nur.
„Du wagst es, ihn zu lieben," wiederholte ich lauter. „Du, eine Sklavin, wagst es, mir, der Königstochter, den Geliebten streitig zu machen?"
„Ich wage es!" Sie sprang auf. „Schließlich bin auch ich..." Sie biß sich förmlich auf die Zunge, um nicht weiterzusprechen, doch sie zitterte am ganzen Körper.
„Was bist du?" fragte ich sie mit aller Verachtung, zu der ich fähig war.
„Nichts, Tochter der Pharaonen, ich bin nur eine Sklavin." Sie klang so demütig, wie ich es noch nie zuvor von ihr gehört hatte.
„Das will ich auch gemeint haben." Ich wandte mich um und verließ vor Wut tobend den Raum. Noch nie hatte es eine Sklavin auch nur ansatzweise gewagt, gegen mich aufzubegehren, und diese äthiopische Hure...
Abrupt blieb ich stehen. Sie würde ihre Hände niemals wieder auf Radames legen, wenn ich die Idee, die ich gerade gehabt hatte, in die Tat umsetzte. Mit schnellen Schritten begab ich mich zu meinem Vater.
Mein Vater war ein sehr schwacher Pharao. Es kam selten genug vor, daß er eine eigene Entscheidung traf; normalerweise soufflierte Ramphis sie ihm. Doch immerhin war ich seine Tochter und Erbin, und warum sollte er ausnahmsweise nicht einmal auf mich hören?
„Meine Tochter," begrüßte mein Vater mich, nachdem er mich endlich zu bemerken geruhte, „was führt dich hierher?"
„Oh, gottgleicher Pharao," begann ich; es konnte nicht schaden, ihm zu schmeicheln, „Ihr dachtet schon länger über meine Verheiratung nach."
„Das ist wohl wahr," bestätigte er. Natürlich dachte er schon seit Jahren über meine Verheiratung nach, doch bisher war er noch zu keinem Ergebnis gekommen. Wie hätte er das auch tun sollen? Ramphis riet ihm in diesem Punkt nicht, denn mein Gemahl würde für ihn und seine Machtposition eine große Gefahr bedeuten.
„Ich würde gerne einen Vorschlag machen, Pharao," sprach ich weiter. „Euer Heerführer Radames kehrt siegreich heim. Er hat bewiesen, daß er Ägypten treu dient, und es wäre vielleicht angebracht, ihn zu belohnen."
„Mit deiner Hand und damit mit dem Thron?" fragte mein Vater.
„Ich würde niemanden mehr vertrauen, der neben mir auf dem Thron sitzen könnte." bekräftigte ich.
„Du hast recht, Amneris." Er nickte langsam und schien sehr erleichtert, daß ich ihm die Entscheidung abgenommen hatte. „Radames hat bewiesen, daß er deiner Hand würdig ist."
„Ich danke Euch, Pharao." Innerlich machte mein Herz schmerzhaft Freudensprünge, während ich mich entfernte.
Radames und die Armee ließen nicht mehr lange auf ihren Einzug nach Memphis warten. In einem wahren Triumphzug betraten Soldaten, Priester, Sklaven und gefangene Äthiopier den Festplatz. Als Krönung dazu dann Radames auf einem von acht Pferden gezogenen Prunkwagen, auf dem er einfach unglaublich prächtig aussah. In diesem Moment bewunderte ich ihn, betete ihn geradezu an, und daß er in meine Richtung sah, machte mich noch euphorischer. Ich hätte mir wahrscheinlich denken müssen, daß seine Blicke Aida galten, die drei Schritte hinter mir stand.
Es dauerte Ewigkeiten, bis alles Beteiligten vorbeigezogen waren, und dann verkündete Radames auch noch, daß er jetzt die äthiopischen Gefangenen vorführen wollte. Mein Vater, schwach wie immer, ließ ihm seinen Willen.
Die abgerissenen Verlierer dieses Krieges zogen an uns vorbei, als plötzlich Aida auf einen von ihnen zustürzte, an dem ich nichts besonders entdecken konnte. „Vater," stieß sie hervor, „du, hier, als Gefangener?"
Ich sah, daß er ihr etwas zuraunte, was außer ihr niemand verstehen konnte.
„Wer bist du?" fragte mein Vater den Gefangenen neugierig.
„Nur ein einfacher Kämpfer und Aidas Vater," antwortete dieser. „Oh, großer Pharao, laßt Gnade walten für diese armen Menschen." Er deutete auf die anderen Gefangenen, und mir drängte sich die Frage auf, ob er nicht doch mehr war als ein einfacher Krieger. „Ich sah Amonasro, unseren Kriegskönig, fallen, Pharao," sprach er weiter. „Niemand wird jetzt mehr gegen Euch und Ägypten Krieg führen können oder wollen."
Mein Vater nickte langsam und wandte sich dann an Radames. „Retter des Vaterlandes, erbitte dir eine Gunst."
Für ein paar Momente hoffte ich in all meiner Eitelkeit, Radames würde um meine Hand bitten, aber er tat es nicht.
„Oh, Pharao, ich wünsche mir, daß Ihr in Eurer unendlichen Weisheit die äthiopischen Gefangenen und Sklavin freiließet," bat er mit fester Stimme.
Fast alle Anwesenden auf der Festtribüne erschraken. „Das könnt Ihr nicht wagen, oh, Pharao," verkündete Ramphis. „Unsere Feinde werden sofort versuchen, Rache an uns zu üben."
„Ohne ihren Kriegskönig Amonasro?" erwiderte Radames sarkastisch. „Wir haben der Schlange den Kopf abgeschlagen. Jetzt ist sie wehrlos."
Ramphis biß sich für alle deutlich sichtbar auf die Lippe. Wieso schlich sich bei mir das Gefühl ein, daß er um seine Stellung fürchtete? „Pharao, wir müssen uns absichern," erklärte er mit flacher Stimme.
„Wie soll das gehen, Priester?"
„Behaltet Aida und ihren Vater als Geiseln hier und laßt die anderen gehen," schlug Ramphis vor.
Während in mir der Ärger auf ihn tobte, weil ich so gehofft hatte, Aida auf diese Weise loswerden zu können, sah ich, wie auf Radames' Gesicht gleichzeitig Wut und Freude miteinander stritten. Er haßte es, wenn seine Wünsche so mißachtet wurden, aber gleichzeitig konnte er auf diese Weise Aida bei sich behalten.
„So sei es," entschied mein Vater, der sich vor einem offenen Streit zwischen seinem Heerführer und seinem Oberpriester, den er augenscheinlich vermeiden wollte, fürchtete. „Dein Wunsch, Radames, sei erfüllt. Die Gefangenen sind außer Aida und ihrem Vater frei. Deine wirkliche Belohnung sei jedoch noch größer. Es ist die Hand meiner Tochter Amneris."
Ich sah, wie Ramphis zusammenzuckte, wie Aidas Gesicht Entsetzen zeigte - und wie für einen Augenblick lang bei Radames ein deutliches Zeichen von Gier in seinen Augen lag, doch sehr schnell verschwand dieser Ausdruck wieder. Vielleicht war es dieser Moment, in dem er einen Thron und meine Hand gegen Aidas Liebe abwog, und wenn es so war, dann war dies der Moment, in dem ich ihn verlor.
An diesem Abend kam Ramphis in meine Gemächer. „Ich glaube, ich kann Euch gratulieren," sagte er kühl.
„Wozu?" fragte ich abwesend. Noch war ich zu sehr in meiner Euphorie gefangen, daß Radames vor der ganzen Welt jetzt mir gehörte.
„Zu dem einfach zu lenkenden Gemahl, den Ihr bekommt," antwortete Ramphis. „Radames wird Euch keinerlei Probleme machen, abgesehen natürlich von seiner törichten Vorliebe für dieses Sklavenmädchen."
„Ihr habt ja auch glorreich dafür gesorgt, daß diese Vorliebe nicht erlöschen kann," fuhr ich ihn an, während mir unter seinem intensiven Blick ein Schauer über den Rücken lief. Er war ein durchaus attraktiver Mann, dessen Nähe jede Frau unruhig werden lassen konnte.
„Das war eine rein politischen Entscheidung, um Ägyptens Grenzen zu schützen," erwiderte er unbewegt.
„Um Eure Position zu schützen," verbesserte ich ihn wütend. Meine Eitelkeit war der festen Überzeugung, daß ich Radames ganz für mich gewonnen hätte, wäre Aida erst wieder in ihrer Heimat. Sie mußte fort aus Memphis, und das auf freundliche Art, denn sonst würde Radames bestimmt mir die Schuld an ihrer Verbannung oder gar ihrem Tod geben.
„Ihr seid ungerecht, meine Liebe," Ramphis' Stimme klang überaus sanft. „Radames ist nicht der richtige Mann für Euch. Er würde Euch so unterlegen sein wie der geringste Sklave. Ihr braucht einen Gemahl, der Euch ebenbürtig ist."
„An wen denkt Ihr?" wollte ich mit kühler Stimme wissen. „An Euch selbst?"
„Warum nicht?" Plötzlich erschien die Luft zwischen uns erotisch aufgeladen. Sein Blick sorgte dafür, daß sich in meinem Magen ein Brennen ausbreitete. Daß ich ihn verabscheute, tat diesem Brennen genausowenig Abbruch wie das Wissen, daß er nicht an der Frau Amneris interessiert war, sondern nur an der Pharaonentochter.
„Ich glaube nicht, daß ich daran Interesse hätte," brachte ich mit trockenem Mund hervor.
„Wie schade." Ramphis ließ mich nicht aus den Augen. „Dann bleibt Euch also nur noch, für diese Vermählung zu beten." Das Begehren war aus seinen Augen verschwunden. Jetzt schienen sie nur noch lauernd zu sein. „Ich werde Euch zum Tempel begleiten."
Ich war mir auf keinen Fall klar darüber, was diesen Sinneswandel hervorgerufen haben mochte, aber auch wenn ich nicht übermäßig religiös war, konnte ein Gebet um Radames' Liebe nichts schaden. Außerdem wollte ich mir Ramphis nicht vollends zum Feind machen, und so stimmte ich zu, den Oberpriester zum Tempel der Isis zu begleiten.
Wir gelangten mit einer Barke dorthin, und schon bald taten Ramphis und ich so, als seien wir tief ins Gebet versunken, obwohl das weder bei ihm noch bei mir der Fall war. Ich wußte ganz genau, daß er mich aus einem bestimmten Grund hierhergebracht hatte, aber ich hatte keine Ahnung, was dieser Grund sein mochte.
Plötzlich sprang Ramphis auf, und mir wurde klar, weshalb er mich hierher gebracht hatte. „Hört Ihr das?" fragte er.
Ich lauschte und konnte Stimmen vor dem Tempel hören. Mit ein paar schnellen Schritten war ich beim Ausgang. Was ich sah und hörte, raubte mir den Atem. Aida stand dort mit traurigem Gesichtsausdruck, ihr Vater schien zu triumphieren, und Radames wirkte wie vom Donner gerührt. Ich wollte dazwischenfahren, doch Ramphis hielt mich mit einem fast unmerklichen Kopfschütteln zurück.
„Du bist Amonasro?" stieß Radames hervor. „Du bist der König unserer Feinde?"
Auch ich zuckte zusammen. Wenn Aidas Vater der König der Äthiopier war, dann war auch sie eine Prinzessin.
Radames war vollkommen verstört. „Ich habe dem schlimmsten Feind meines Vaterlandes unsere Geheimnisse ausgeliefert," murmelte er und starrte Aida beinahe feindselig an. „Deinetwegen habe ich mein Vaterland verraten."
Gleichzeitig begannen Aida und Amonasro, auf ihn einzureden, um ihn dazu zu bewegen, sie nach Äthiopien zu begleiten.
Das war zuviel für mich. Ich trat vollständig aus dem Tempel heraus, und diesmal konnte mich Ramphis nicht aufhalten; wahrscheinlich jedoch wollte er es auch gar nicht. „Verräter!" schleuderte ich Radames entgegen.
Er starrte mich voller Verzweiflung an, während in Aidas und Amonasros Gesichtern Entsetzen und Haß zu lesen war. Im nächsten Moment hatte der äthiopische König sein Messer herausgerissen und stürzte auf mich zu. „Stirb!" brüllte er.
Radames erwachte aus seiner Starre, packte Amonasro, entwand ihm das Messer und rettete mir so das Leben. „Hör auf, du Wahnsinniger!"
Amonasro starrte ihn an, riß sich los, griff nach Aidas Handgelenk und verschwand mit ihr in die Nacht.
Ramphis machte eine lässige Geste, und aus dem Dunkel tauchte eine ganze Reihe von Soldaten auf. Woher kamen sie, wenn nicht Ramphis sie dort postiert hatte? Das deutete daraufhin, daß er Radames absichtlich eine Falle gestellt hatte. „Verfolgt sie!" befahl der Priester. „Und verhaftet diesen Verräter."
Zwei Soldaten ergriffen Radames' Arme, während die anderen die Verfolgung aufnahmen. Radames blickte erst den Soldaten links von sich, dann den rechts an, deren Oberbefehlshaber er eigentlich noch immer war. Mit einem sehr arroganten Gesichtsausdruck löste er ihre Hände von seinen Schultern. „Priester," sagte er stolz und voller Verachtung, „ich bleibe bei dir."
Er zeigte eine solche bewundernswerte Haltung, daß ich ihn trotz seines Verrats nur noch mehr liebte. Mit hoch erhobenen Kopf ließ er sich abführen.
„Was wird mit ihm geschehen?" fragte ich Ramphis und versuchte, dabei sehr gleichgültig zu klingen.
„Wir werden ihm einen Prozeß machen, ihn verurteilen und hinrichten," sagte er kalt.
„Das wißt Ihr jetzt schon?" Mir war übel vor lauter Entsetzen. Ich wollte nicht, daß er starb. „Aber er wird doch die Chance haben, sich zu verteidigen?" Verzweifelt klammerte ich mich an diesen letzten Strohhalm.
„Sicherlich." Ramphis spielte seine ganze Überlegenheit aus. „Aber ich denke nicht, daß es ihm viel nützen wird."
XXX
Verzweifelt wartete ich auf den Beginn des Prozesses. Durch Diener, die ich dazu anhielt, die Augen und Ohren offenzuhalten, erfuhr ich, daß Amonasro bei der Verfolgung getötet worden war, Aida jedoch augenscheinlich entkommen sein mußte.
Es war mir gleichgültig, ob sie lebten oder starben, mir ging es nur um Radames. Sein drohender Tod ließ mich so verzweifeln, daß ich mich sogar meinem Vater zu Füßen warf. „Oh, Pharao, ich flehe Euch an," flehte ich weinend. „Laßt Radames am Leben."
„Das liegt nicht in meiner Macht," sagte er. „Ich weiß, du hast ihn geliebt, aber er ist ein Verräter."
„Aber er hat doch nichts getan, was Auswirkungen auf Ägypten hat" flehte ich weiter. „Amonasro ist tot, er kann sein Wissen gegen uns nicht mehr benutzen."
„Ich habe keine Macht," wiederholte mein Vater. „Es liegt jetzt in Ramphis' Händen."
„Ihr seid der Pharao. Wenn Ihr Radames begnadigt, kann Ramphis nichts mehr tun," widersprach ich.
„Ich kann nicht," sagte er.
„Was für ein Pharao seid Ihr?" fuhr ich ihn an. „Wenn Ihr so gottgleich seid, wie es der Welt verkündet wird dann könntet Ihr mit einem einfachen Priester fertigwerden, aber Ihr seid ja nur ein gewöhnlicher Mensch."
„Du weißt nicht, was du redest, Tochter," entgegnete er mit resignierter Stimme.
„Ich weiß sehr wohl, wovon ich spreche," tobte ich. „Ihr habt die Macht, ihn zu retten, aber Ihr tut es einfach nicht. Ihr seid nichts weiter als ein Feigling! Ein erbärmlicher, verachtenswerter Feigling!"
„Oh, Amneris," seufzte er, „es ist doch alles so viel schwieriger, als du dir das denkst."
„Ja, es ist schwierig, weil Ihr Ramphis alle Macht überlassen habt, die er wollte." Vielleicht hatte ich ja Erfolg, wenn ich meine Taktik änderte. „Wäre jetzt nicht der Zeitpunkt, um der Welt zu zeigen, wer Ägypten wirklich regiert?"
„Es ist zu spät," sagte er nur kopfschüttelnd.
„Oh, ja, es ist zu spät." Ich hatte nur noch Verachtung für den Mann übrig, der mein Vater war. „Zu spät für dich, einmal im Leben Mut zu zeigen."
Ich wandte mich ab und verließ den Raum. Was sollte ich jetzt tun ? Oder vielmehr, was konnte ich jetzt noch tun ? Radames war doch so gut wie tot. Ich sah nur noch eine Möglichkeit: Ich mußte ihn dazu bringen, sich selbst so gut zu verteidigen, daß man ihn möglicherweise nur verbannte, ja, ich war sogar entschlossen, alles aufzugeben, um mit ihm fortzugehen...
Aber dafür mußte ich zuerst mit ihm sprechen. Ich machte mich auf den Weg zu dem Gewölbe, in dem man ihm gefangen hielt. Dort befahl ich der Wache, ihn mir vorzuführen. Der Wächter befolgte meinen Befehl, ohne mit der Wimper zu zucken, doch ich bildete mir ein, einen Hauch von Verachtung darüber in seinen Augen zu lesen, daß ich, die Tochter der Götter, mit einem Verräter sprechen wollte.
Der Wärter begleitete Radames aus dem Gewölbe heraus und kehrte dann auf meinen Wink dorthin zurück.
Erst jetzt gestattete ich mir den Luxus, den Mann, den ich liebte, anzusehen. Er wirkte blaß, und aus seiner Erscheinung war jene Arroganz gewichen, die er früher an sich gehabt hatte. Er schien müde zu sein, doch diese Müdigkeit bezog sich nicht auf mangelnden Schlaf, sondern eher auf das ganze Leben. Offenbar wollte er sterben, aber das konnte ich nicht zulassen.
„Die Priester sind bereit und entschlossen, dich zu verurteilen," begann ich. „Wenn du dich verteidigst, kann ich vielleicht ein Pardon für dich erreichen."
Er unterbrach mich. „Sie würden mich nicht anhören," widersprach er. „Obwohl ich nur deshalb schuldig bin, weil meinen Lippen das Geheimnis durch eine List entrissen wurde. Meine Ehre bleibt mir."
„Dann verteidige dich," beschwor ich ihn erneut.
„Nein." Die Haltung, die er bewies, ließ meine Liebe zu ihm wachsen, und im gleichen Maß wuchs auch meine Verzweiflung über sein Verhalten. „Du wirst sterben," brachte ich hervor.
„Ich bin am Leben nicht mehr interessiert," antwortete er mit ersterbender Stimme. „Ich wünsche mir zu sterben."
„Nein!" stieá ich wie verrückt geworden aus. „Du darfst nicht sterben. Du mußt leben, leben für mich. Ich bin bereit, alles für dich aufzugeben, das Leben, den Thron, mein Land."
„Für sie habe ich auch mein Land verraten und meine Ehre," sagte er, mich mit Mitleid für meinen Ausbruch betrachtend.
„Sprich nicht von ihr," sagte ich sehr heftig.
Er schüttelte den Kopf, und merkwürdigerweise war er mir niemals stärker vorgekommen als in diesem Moment. „Mein Schicksal ist die Schande, und Ihr bittet mich zu leben? Ausgerechnet Ihr, die mich in all dies hineingebracht habt, weil Ihr nicht wolltet, daß ich sie liebe? Ihr, die möglicherweise schuld an ihrem Tod seid?"
Die Ungerechtigkeit dieses Vorwurfs traf mich sehr hart. „Aida starb meinetwegen? Sie lebt," stieß ich hervor.
„Sie lebt!" rief er aus.
„Nur ihr Vater starb auf der Flucht."
„Und sie?" Es schien wieder Leben in ihn zu kommen.
„Sie entkam," antwortete ich. „Niemand weiß, wo sie sein mag."
„Mögen die Götter ihr den Weg nach Hause zeigen," seufzte er. „Und mag sie nie erfahren, was mit mir geschah."
Er konnte doch nicht so einfach resignieren! Jedenfalls war ich nicht bereit, ihn so einfach aufzugeben. „Aida lebt, und ich werde dir das Leben retten, wenn du schwörst, nicht zu versuchen, sie wiederzusehen." Vielleicht brachte ihn das ja zur Vernunft. Aida lebte, da gab es doch keinen Grund mehr, warum er sterben sollte. Und wenn er lebte, warum dann nicht mit mir?
„Ich kann nicht," sagte er mit fester Stimme.
„Du wirst leben, wenn du sie vergißt."
„Ich kann nicht," wiederholte er.
„Zum letzten Mal, vergiß sie," flehte ich.
„Es ist umsonst." Es lag fast ein Lächeln auf seinem Gesicht.
„Wahnsinniger, willst du denn unbedingt sterben?" schrie ich ihn an.
„Ich bin dazu bereit." Es war einfach verrückt. Hätte er mein Angebot angenommen, hätte ich ihn vermutlich verachtet, aber wenigstens hätte er dann gelebt. So jedoch wurde er endlich zu dem Mann, für den ich ihn immer gehalten hatte, der meiner Liebe wert war - und er wurde zu einem Mann, der so gut wie tot war. „Sterben ist für mich die letzten Wonne, die ich noch habe," erklärte er und griff nach meinem Kinn.
„Wenn das dein Wunsch ist." Hemmungslos liefen die Tränen über mein Gesicht. „Aber... aber ich werde dafür sorgen, daß die Verantwortlichen für deinen Tod büßen werden."
„Ich will keine Rache, Prinzessin," sagte er, drückte mir einen sanften Kuß auf die Stirn und ging zurück in das Gewölbe.
„Ich werde dich rächen," wiederholte ich fest entschlossen. Irgendwie mußte ich die Schuld doch abtragen, die ich dadurch auf mich geladen hatte, daß ich Radames nicht zugestand, eine andere Frau als mich zu lieben. Diese Last lag schwer auf meinen Schultern. Ich sank auf die Knie, um zu beten. Vielleicht hatten ja wenigstens die Götter ein Einsehen mit meinen Qualen.
Ich lag noch auf den Knien, als die Priester mit Ramphis an der Spitze an mir vorbei ins Gewölbe gingen. Ich kann es nicht beschwören, aber ich bin fast sicher, daß er mir einen triumphierenden Blick zuwarf.
Ich folgte den Priestern bis zum Eingang des Gewölbes, von wo aus ich alles sehen konnte, doch ich ging nicht hinein. Radames' großartige Haltung sollte nicht durch einen Zusammenbruch meinerseits geschmälert werden.
„Radames," tönte Ramphis' mächtige Stimme aus dem Gewölbe, „du verrietest Geheimnisse an den Feind. Verteidige dich!"
Radames schwieg, und ich flehte um ein Wunder.
Ramphis war das nur ein sardonisches Lächeln wert. „Radames, du bist am Vorabend der Schlacht desertiert. Verteidige dich!"
Radames blickte mit starrem Gesicht zu Ramphis herüber und schwieg.
„Nun, gut, Radames, du hast dein Land, deinen König und deine Ehre verraten. Verteidige dich!"
Diesmal biß sich Radames auf die Lippen, aber auch diesmal gab er nicht einen Ton von sich.
„Gut, du hast es nicht anders gewollt." In Ramphis' Stimme war nicht die geringste Spur von Bedauern zu hören. „Dein Schicksal ist entschieden. Du wirst den Verrätertod sterben und lebendig begraben."
Radames zuckte für die Dauer von zwei Wimpernschlägen zusammen, zeigte ansonsten jedoch keine Reaktion.
Ich hingegen begann zu toben. „Ihr Verbrecher!" schrie ich. „Ihr werdet eurer Strafe nicht entgehen, dafür, daß ihr einen Unschuldigen tötet."
Während Radames nicht reagierte, blickte Ramphis zu mir hinauf, sah mich eine halbe Ewigkeit lang an und besaß dann die Unverschämtheit, eine höhnische Verbeugung in meine Richtung zu machen.
In diesem Moment wußte ich, daß er früher oder später durch meine Hand sterben würde. Doch jetzt mußte ich fort, ich konnte hier nicht bleiben. Nur mühsam gehorchten mir meine Beine, doch ich kam fort von dem Gewölbe und lief. Ich weiß nicht wie lange, doch als ich wieder klar denken konnte, befand ich mich am Ufer des Nils unweit des Tempels der Isis und der Stelle, an der man Radames verhaftet hatte.
Ich sank auf dem nackten Boden zusammen und ließ den Tränen ihren Lauf. Ich glaube, ich weinte fast eine Stunde so vor mich hin, um Radames, mein persönliches Glück und wegen meiner Ohnmacht, nichs unternehmen zu können.
Plötzlich schrak ich zusammen. Irgendwoher war ein Geräusch zu hören, das mich aufmerksam werden ließ, denn auch wenn ich verzweifelt war, hatte meine Verzweiflung noch nicht solche Ausmaße angenommen, daß ich vorhatte, einem Raubtier als Abendessen zu dienen.
Aus dem Gestrüpp löste sich eine Gestalt, und als ich sie erkannte, mußte ich nach Luft schnappen. „Aida!" brachte ich mühsam hervor. „Du?"
Sie nickte, und das gab mir Zeit, sie zu betrachten. Ihre Kleidung war an einigen Stellen zerrissen, ihr Haar hing wild herunter, und ihr Gesicht starrte vor Schmutz.
„Ja, ich," erwiderte sie schließlich. „Ihr hattet nicht mit meiner Rückkehr gerechnet, nicht wahr, Pharaonentochter?"
„Nein, ich habe geglaubt, du...," ich erinnerte mich, daß ja auch sie eine Königstochter war, „... Ihr wäret bereits auf dem Weg zur Grenze. Warum seid Ihr noch hier?" Ich ließ sie nicht einen Moment aus den Augen. „Wollt Ihr etwa das vollenden, was Euer Vater begonnen hat, und mich umbringen?"
„Was sollte mir das nützen?" fragte sie zurück.
„Vielleicht wollt Ihr Rache üben?
„Vielleicht, aber dann wäre es ziemlich dumm von mir, Euch hier aufzulauern, wo ich gar nicht erwarten konnte, daß Ihr kommen würdet. Außerdem, ein Schrei von Euch, und der ganze Tempel würde hierher stürmen."
Ich nickte langsam. Früher war mir niemals aufgefallen, daß sie mindestens so weitsichtig war wie ich. „Weshalb seid Ihr dann zurückgekommen?" wollte ich wissen.
„Meint Ihr wirklich, ich hätte es übers Herz gebracht, davonzulaufen, ohne zu erfahren, was aus ihm geworden ist?" Ihre Stimme klang sehr ruhig. „Ist er noch am Leben?"
„Noch," erwiderte ich niedergeschlagen. „Die Priester haben ihn zum Tode verurteilt."
„Ich habe es befürchtet."
„Er wird bei lebendigem Leibe eingemauert. Ich habe alles versucht, um ihn zu retten, aber vergeblich. Ramphis hat viel zu viel Macht, um Radames' Rettung zuzulassen." Für einen Augenblick lang sahen wir uns an und waren uns so nahe, wie wir es in all der Zeit, in der sie in meiner unmittelbaren Nähe gelebt hatte, nie gewesen waren.
„Wenn er stirbt, dann will ich auch nicht mehr leben," sagte sie, als sie den Blick abwendete.
„Aida...," murmelte ich hilflos.
„Sagt nichts, Amneris, ich könnte in einer Welt nicht mehr leben, in der es keine Hoffnung gibt, ihn jemals wiederzusehen." Sie machte eine abwehrende Handbewegung. „Ich wünschte, ich könnte mit ihm zusammen sterben."
Ich betrachtete sie forschend. War sie nun dadurch, daß sie mit ihm sterben wollte, mutiger als ich oder feiger, weil sie sich nicht traute, ohne ihn zu leben? „Wenn Ihr wirklich mit ihm sterben wollt," begann ich unsicher, ob ich ihr diesen Vorschlag tatsächlich machen sollte, „dann kann ich Euch in sein Grab bringen."
„Das würdet Ihr tun?" Ihr Erstaunen kannte keine Grenzen. „Obwohl Ihr ihn genauso liebt wie ich?"
„Nun, welchen Zweck könnte es haben, wenn ich mit ihm stürbe?" fragte ich traurig. „Ihm würde es wohl kaum etwas bedeuten, wenn ich es täte. Mit Euch zusammen aber würde er glücklich sterben."
Aida schluckte deutlich sichtbar. „Ich habe immer nur geglaubt, Ihr wäret hart gegen andere," sagte sie. „Aber das ist gar nicht wahr. Ihr seid viel härter gegen Euch selbst."
„Nur durch die Umstände," wehrte ich ab. Ich wollte um keinen Preis soetwas wie Freundschaft mit Aida schließen, denn dadurch würde das Ganze für mich noch unerträglicher, als es eh schon war. „Sobald es richtig dunkel ist, werde ich Euch in den Tempel des Ptah bringen, wo sich das Grab befindet. Morgen soll das Urteil vollstreckt werden. Ihr werdet also nicht allzulange allein ausharren müssen."
Sie nickte nur, und wortlos setzten wir uns auf den Boden und warteten.
Als die Nacht hereingebrochen war, erhob ich mich, und auch sie stand auf. Noch immer schweigend, dabei aber durchaus bedacht, von niemandem gesehen zu werden, machten wir uns auf den Weg zum Tempel des Ptah. Es gelang uns, ihn zu erreichen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
Am Tempel bedeutete ich Aida stehenzubleiben und trat ein, um mich umzublicken. Vor dem Eingang in die unterirdische Kammer stand ein Wächter. Er sah mich und verbeugte sich.
Innerhalb von Augenblicken traf ich eine Entscheidung darüber, was ich jetzt tun sollte. „Du hast einen verantwortungsvollen Posten," begann ich.
„Verantwortungsvoll?" fragte er nach, und das zeigte mir, daß seine geistigen Gaben nicht unbedingt die größten zu sein schienen.
„Nun, ja, du bist dafür verantwortlich, daß das Urteil gegen diesen Verräter Radames morgen ohne große Probleme vollstreckt werden kann."
„Nun, ja," der Posten kratzte sich am Kopf, „das ist schon eine verantwortungsvolle Aufgabe, aber auch eine ziemlich langweilige."
„Immerhin gibt uns diese langweilige Aufgabe die Gelegenheit, uns n„her kennenzulernen." Mir wurde bei dem Gedanken an mein Verhalten beinahe übel, aber eine andere Möglichkeit schien es nicht zu geben, um Aida zu ermöglichen, unbemerkt in das Grab hinabzusteigen. „Ich habe dich schon häufiger beobachtet."
„Wirklich?" Er machte große Augen.
„Ja, während ich dem Verräter Radames versprochen wurde, lagen meine Augen auf dir," log ich schamlos. „Komm, zeig mir, daß ich dir nicht vollkommen gleichgültig bin."
„Oh, Prinzessin," in seinen Augen flackerte Begehren auf, nicht unbedingt nach mir, sondern durch seine Eitelkeit hervorgerufen, daß jemand von meinem Rang sich für ihn interessierte, „ich kann es kaum glauben..."
Ich auch nicht, dachte ich und legte ihm die Arme um die Taille, um ihn dichter an mich heran zu ziehen. Als er mich küßte, spürte ich, wie seine Erregung wuchs. Gleichzeitig sorgte ich dafür, daß er die Tür im Rücken hatte. Während er mich überall berührte und reichlich unsinnige Worte in mein Ohr stammelte, schlich Aida hinter uns durch den Tempel zur Öffnung des Grabes.
Kaum war sie darin verschwunden - übrigens keinen Moment zu früh, da der Wärter gerade dabei war, mich unter meinem Gewand zu berühren - riß ich mich los, packte den Speer des Wärters und richtete die Waffe auf ihn. „Nichtswürdiger, du hast es gewagt, deine unwürdigen Hände auf mich, die Tochter der Pharaonen, zu legen!" schrie ich ihn an und fuchtelte mit dem Speer gefährlich nahe vor seinem Körper herum.
„Aber...," wagte er zu stottern.
„Und wage es nicht noch einmal, das Wort an mich zu richten," schrie ich weiter. Der arme Kerl schien nicht nur vollkommen verwirrt von meinem Verhalten zu sein, er hatte offenbar auch Todesangst, denn er fiel vor mir auf die Knie.
Mit einem ironischen Grinsen betrachtete ich erst den Speer in meiner Hand, dann den Wärter und holte mit der Waffe weit aus.
„Bitte, Gottgleiche!" flehte er, doch ich kannte kein Erbarmen.
Ich ließ den Speer niedersausen, durchstieß dabei sein Gewand und nagelte ihn auf diese Weise am Boden fest. „Das wird dich lehren, deine H„nde auf Frauen zu legen, die dir im Rang weit überlegen sind," fuhr ich ihn an.
„Danke, Prinzessin, Ihr seid zu gütig!" brachte er hervor, weil er augenscheinlich der Meinung war, gerade einer Geisteskranken entkommen zu sein.
Es gelang mir nicht, ein zynisches, sehr befriedigtes Lächeln zu unterdrücken, als ich den Tempel verließ.
