1. Die Villa

Al Potter betrachtete zufrieden sein neues Zimmer. Gerade hatte er die letzten Möbel arrangiert und seine Sachen sicher verstaut. Das neue Haus war wirklich gigantisch. Er trat an das große Fenster, das in Richtung Wald blickte. Keine hundert Meter entfernt begann ein dichter Urwald, der sich durchaus mit dem verbotenen Forst bei Hogwarts messen konnte. Er hatte sein Teleskop an das Fenster gestellt und freute sich auf eventuelle Beobachtungen von wilden Tieren.

"Na? Auch schon da?" schnarrte plötzlich eine Stimme hinter ihm. Im Türrahmen lehnte sein Bruder James, das Haar stylish zerwühlt, die Hogwarts-Uniform noch an.

Al zuckte nur müde mit den Schultern. "Seit zwei Stunden. Wie war die Fahrt?". James schürzte verächtlich die Lippen. "Arschlangweilig, wie immer. Seit Aufsichtspersonen mitfahren, kann man sich keinen Gag mehr erlauben."

James' Gags kannte Al zur Genüge. Deshalb nickte er nur. "Schau mal, die Aussicht ist toll." meinte er als Friedensangebot. James kam näher und öffnete die Tür zu dem kleinen Balkon. "Super!" gab er zu. Dann kam er zur Sache. "Ich habe was gehört." erklärte er. "Vater hat die Villa gar nicht gekauft. Sie wurde ihm zur Verfügung gestellt, weil er irgendwas Kriminelles aufspüren soll. Hier in dem Wald. Wenn er es schafft, ist die Villa sein Honorar." Albus schaute ihn verblüfft an. "Na das wird unsere Mutter aber freuen." brummte er sarkastisch. "Sie hatte sich so darauf gefreut, dass Harry aus dem Aurorencorps aussteigt." James schnaufte gereizt. "Eine dumme Idee, wenn du mich fragst. Er hätte schon längst Chef dort sein können. Er ist zu gut für diese böse Welt."

"Du musst es ja wissen, James." knurrte Albus. "Wie war's in Hogwarts?".

James seufzte. "Langweilig. Irgendwie ist so gar nichts mehr los. Vielleicht sollte ich es dir gleichtun."

Albus war nach seinem ersten Jahr nicht nach Hogwarts zurückgekehrt. Schon vier Monate nach seiner Ankunft war er krank geworden und die Ärzte in St. Mungos empfahlen ein Fernbleiben von der altehrwürdigen Akademie. Harry und Ginny Potter schickten ihn schweren Herzens in eine Privatlehre bei einem Hexenmeister in Krakau. Dort war er zwei Jahre geblieben und sollte nach den Ferien zurück nach Hogwarts. Davor fürchtete er sich am allermeisten. Dort fühlte er sich eingesperrt.

Seine Eltern waren entsetzt. Für sie was Hogwarts - die Schule für Zauberei und Hexenkunst - eine zweite Heimat gewesen. Sie konnten nicht aufhören, davon zu erzählen. Albus langweilte sich stets schrecklich dabei. Auch seine Onkel und Tanten schwärmten von dem alten Bau. Albus schauderte jedesmal.

Schließlich hatte Harry Potter nachgegeben und den Aufenthalt in Krakau immer wieder verlängert. Jetzt sollte damit Schluss sein. Albus seufzte leise.

James trat inzwischen hinaus auf den Balkon. Die Aussicht war in der Tag atemberaubend. "Oi!" rief er plötzlich. "Was ist das denn, gehört der dir?"

Albus beeilte sich, um zu sehen, was da wohl war. Dann sah er ihn das erste Mal. Auf dem Geländer des Balkons sass ein Rabe. Und was für einer! Ein seltener magischer Raubrabe, etwa so groß wie ein Adler und sein schwarzes Gefieder schimmerte in der Abendsonne. "Nein. Den sehe ich heute auch zum ersten Mal." erklärte Albus und trat vorsichtig näher. Dabei entdeckte er, dass der Rabe offenbar jemand gehörte, denn er trug einen schicken Ring am linken Fuß. "Tolles Tier." sagte James. "Hätte selbst gern so einen, aber es gibt kaum welche zu kaufen und wenn, dann kosten sie ein Vermögen."

Albus hob den Deckel seiner Eulenverpflegungsschüssel, die in der Ecke stand und über der ein Frischhaltezauber summte. Er suchte ein großes Stück Hühnerleber heraus und hielt es vorsichtig dem großen Vogel hin. Der Rabe zögerte nicht lange und nahm es vorsichtig mit seinem Schnabel auf.

"Ich werde meinem Hexenmeister schreiben." meinte Albus. "Er ist Kryptozoologe aus Leidenschaft und kann mir sicher ein paar Fakten über den Corvus rapio scotia erzählen. Vielleicht kann ich ihn behalten." James grinste und wies auf den Vogel, der gerade seine Flügel ausbreitete und davonflog. "War wohl nix." Albus zuckte mit den Schultern. "Er kommt wieder, da bin ich mir ziemlich sicher."

In dem Augenblick öffnete sich die Tür und Kreacher rief sie zum Abendessen.

Die Familie versammelte sich um den großen Esstisch, den sie schon in Godrics Hollow so geliebt hatten. Außer den Potters waren noch Tante Hermine, Onkel Ron und Rose nebst Hugo anwesend. Albus begrüßte sie freudig, er hatte seine Lieblingstante lange nicht gesehen.

"Also..." eröffnete Harry die Tafel, "Dann wollen wir mal auf das neue Haus anstoßen. Es gibt allerdings noch ein paar Dinge zu sagen." So begannen bei Potters immer die Schwierigkeiten. Ginny seufzte kaum hörbar und verdrehte die Augen. "Die Villa wurde mir vom Ministerium zur Verfügung gestellt und ist sozusagen eine Zielprämie für meinen letzten großen Fall als Auror. Ja - ihr habt richtig gehört - ich werde aufhören und mich schöneren Dingen widmen. Vorher soll ich diesen Urwald da draußen" er wedelte mit der Gabel in Richtung Wald, "von dunklen Elementen säubern. Und deshalb meine Bitte, geht da nicht rein. Da drinnen sind im letzten Jahr fünf Jäger spurlos verschwunden. Der Minister wurde vom Muggelminister ausdrücklich gebeten, sich das mal anzusehen. Er vermutet natürlich ein Todesser-Nest. Ich persönlich glaube eher an wilde Tiere. Aber Ron und ich werden das herausfinden. Und zum Lohn kriege ich die Villa und Ron wird Senior Chief Auror. Ist das was?".

Albus blickte verstohlen in Richtung Hermine. Sie ließ sich nichts anmerken, aber wer genauer hinschaute, sah ihr Missbehagen. "Todesser schließe ich eigentlich aus, es gibt kaum noch welche, die überhaupt dabei waren." sagte sie. "Ich meine, das sind hauptsächlich urbane Legenden inzwischen. Schon allein die dauernden Snape-Sichtungen, einfach lachhaft!".

Albus nagte an seinem Hühnerbein und blendete die weiteren Gespräche aus. Er rätselte, ob er mit Hermine über das Hogwarts-Problem reden konnte. Sie war als einzige aufgeschlossen genug, um seine Partei zu ergreifen. Er beschloss, auf einen geeigneten Moment zu warten.

Leider kam der Moment nicht. Aber ein anderer aufschlussreicher Vorfall. Er stieg gerade die Treppe hinauf, als er die Stimmen seiner Eltern im Salon hörte. Da er nie eine Möglichkeit zur Informationsgewinnung ausließ, blieb er stehen und lauschte. "Will er immer noch nicht nach Hogwarts?" hörte er seine Mutter sagen. "Glaube nicht. Wie James erzählte, möchte er zurück nach Polen. Und er scheint sehr entschlossen." brummte sein Vater. "Das wird langsam peinlich. Was hat er nur? Wir waren alle dort und es hat uns nicht geschadet. Es war doch schön, oder? Abgesehen von den Carrows. Und Snape. Und Filch. Okay, aber sonst. Was sollen die Leute denken? Manchmal komme ich mir vor, als hätte ich ein behindertes Kind!" "Aber, aber!" Harry konnte sie verstehen, trotzdem reagierte er entsetzt. "Hat jemals einer was darüber gesagt?" Ginny lief im Zimmer hin und her. "Nein - ja. Meine Mutter." Harry lachte gereizt. "Deine Mutter! Also wirklich, Gin!"

Albus hatte genug gehört. Seine eigene Mum hielt ihn für behindert, weil er nicht in einem Schlafsaal mit mehreren schnarchenden, furzenden Jungs pennen wollte? Na toll!

Er schloss sich in seinem Zimmer ein und ging mit seinem Teleskop auf den Balkon. Die Nacht war lau und mondhell, er blickte genau in den Wald. Einmal meinte er sogar ein Einhorn zwischen den Bäumen zu sehen. Als er jedoch das Teleskop neu ausrichtete, sah er zwischen zwei fahlen Birkenstämmen einen Mann stehen, der zum Haus aufsah. Er erschrak und schaute genauer hin. Der Mann war weg. Albus zweifelte, ob er nicht einem Spiel des Mondlichts aufgesessen war. Er packte zusammen und schloss das Fenster. Lange lag er wach und starrte an die Decke.