Achtung: In späteren Kapiteln geht es um SVV (Selbstverletzendes Verhalten), Betroffene bei Triggergefahr bitte nicht lesen. Danke.

Himmel ohne Sterne

Kapitel 01: Nächtliche Dämonen

.::Gondor, Minas Tirith, Manjas Zimmer::.

Nachts, nach ihrer Ankunft

Manja seufzte leise und drehte ihren Kopf in die andere Richtung, um in der Dunkelheit auf die weiße Wand neben ihrem Bett zu starren. Ganz egal wie sehr sie auch versuchte einzuschlafen, es ging einfach nicht. Bilder, Stimmen und Ereignisse geisterten durch ihren Kopf und verwehrten ihr jegliche Form der Erholung. Sie war innerlich zu unruhig und aufgewühlt um heute Nacht Schlaf zu finden.

Als sie sich aufrecht hinsetzte und ihren Kopf an die kühle Steinwand lehnte, zierte ein trauriges Lächeln ihr Gesicht und ihre Augen wanderten ruhelos durch das dunkle Zimmer. Es sah hier so anders aus, als bei ihr zu Hause in Bruchtal und je länger sie die neuen fremden Möbel betrachtete, umso mehr verstärkte sich das Gefühl in ihr, dass sie hier fehl am Platz war.

Gondor war ein Land der Menschen, sie als Elbin hatte hier nichts verloren, sie gehörte zu ihresgleichen und doch erfüllte sie eine stille Zufriedenheit bei dem Gedanke, dass sie hier das einzige Wesen mit elbischem Blut war. Denn das bedeutete Einsamkeit und die gewünschte Ruhe vor Erinnerungen, nach der sie sich schon seit längerem gesehnt hatte. Gondor, das Menschengondor, würde ihr neues Zuhause werden.

Das Mondlicht fiel fahl in den kleinen Raum, der ihr zugewiesen worden war und beleuchtete ihn schwach. Obwohl sie eine anstrengende Reise hinter sich hatte, stieg sie aus dem Bett und erkundete ihre neue Umgebung.

Im angrenzenden Badezimmer fand sie eine Wanne mit genügend Seife und Handtücher, sowie einem Spiegel und allerlei Pflegeprodukte für Haut und Haar. Manja grinste leicht und strich sich eine Strähne aus der Stirn. In diesem Punkt war es eindeutig eine sehr positive Sache, wenn man elbisches Blut in sich hatte: Ganz egal was man tat, man sah so gut wie immer ordentlich und sauber aus.

Sie warf einen kritischen Blick in den Spiegel und zog nachdenklich die Stirn in Falten. Wer ein geübtes Auge für Elben hatte, dem würden sicherlich die dunklen Schatten unter ihren Augen auffallen. Ansonsten erfreute sich ihr Körper bester Gesundheit. Sie lächelte gekünstelt und kniff ihre Augen leicht zusammen, als ihr Spiegelbild es ihr gleichtat. Sie hatte dunkelbraune Haare, leicht gebräunte Haut und ein paar dunkle Augen, die im Mondlicht leicht funkelten.

Hübsch für die Menschen und gewöhnlich für die Elben.", schoss es ihr durch den Kopf. Mit einem stummen Kopfschütteln verließ sie das kleine Badezimmer und legte sich wieder in ihr Bett.

Erst am späten Nachmittag war sie nach ihrer anstrengenden Reise in Minas Tirith angekommen und einer der königlichen Berater hatte sie herumgeführt. Ihr Zimmer lag im Ostflügel des Palastes, zusammen mit den anderen Zimmern für die Angestellten am Hof.

Ab morgen war sie für den kleinen Thronfolger da, um ihm einige elbische Sitten beizubringen, ganz wie es sich sein Vater gewünscht hatte. Eigentlich hatte Manja keine große Lust gehabt diese Aufgabe zu übernehmen, aber Elrond hatte sie persönlich darum gebeten.

.::Flashback::.

Bruchtal, 1 Monat zuvor

Manja, ich bitte dich darum, wenn du es nicht für dich tun willst, so tue es wenigstens für mich. Für einen alten Freund!", bat Elrond seine jüngere Gesprächspartnerin in einem fast flehentlichen Ton und sah sie bittend an.

Dir liegt sehr viel daran, nicht wahr?", fragte Manja leise und hob ihren Kopf. Sie saß mit übereinander geschlagenen Beinen auf einer Steinbank im Garten von Lord Elronds Haus, während dieser vor ihr auf- und abging. Die Schönheit des Gartens verblasste völlig in ihren Gedanken, denn sie konzentrierte sich ganz auf das Gespräch. Es war eine schwere Bitte und doch konnte sie nicht nein sagen, weil ihr Elrond als Freund zuviel bedeutete.

Dieser blieb vor ihr stehen und holte tief Luft. „Es geht um meinen Enkel.", stimmte er ihr zu. „Nichts und niemand verlangt von dir, dass du ihm alles beibringst, denn dafür hat er sicher ausgezeichnete Lehrer, aber er lernt nichts oder nur sehr wenig über die elbische Kultur. Wäre es nicht bedauerlich wenn er sich eines Tages für ein unsterbliches Leben entscheiden würde, ohne damit umgehen zu können? Was wenn er nicht begreift, welche Entscheidung er treffen muss?", fragte er mit besorgtem Unterton. Und ihr wurde klar, wie sehr ihn dieser Gedanke plagen musste.

Manja nickte leicht und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Ob sie nun die Richtige dafür war, einem Halbelben zu erklären, welche Vorteile die Unsterblichkeit hatte? Andererseits erschien es ihr sehr verlockend, die nächsten Monate weit weg von Bruchtal zu verbringen. Es wäre zumindest nicht so belastend, wenn sie ein paar Monate so eine Tätigkeit vollbringen würde.

Ich weiß, dass diese Entscheidung nicht leicht ist und ich möchte dich nicht dazu zwingen, aber bei dir weiß ich Eldarion in guten Händen.", fuhr Elrond fort. „Es ist für keinen leicht, dass Arwen diese Entscheidung getroffen hat und auch ich bin zum Teil betrübt darüber." Seine etwas stockenden Worte bewirkten, dass Manja zu ihm aufblickte. Bislang hatte er nur äußerst selten etwas zu diesem Thema gesagt und seine eigenen Gedanken und Gefühle bedeckt gehalten.

Etwas verwirrt blinzelte sie ins helle Sonnenlicht. „Davon habe ich nicht sehr viel mitbekommen und wenn ich ehrlich bin, habe ich mich auch nie sonderlich für diese Gerüchte interessiert, da ich sie für fantasievollen Klatsch hielt... Also, sag, was ist passiert?" Neugierig musterte sie ihren jahrelangen Freund und hoffte, an dieser Stelle etwas mehr in Erfahrung zu bringen. Das Thema schien ihm ziemlich am Herzen zu liegen, sonst hätte er es kaum zur Sprache gebracht.

Elrond zögerte mit der Antwort, dann seufzte er. Es war schwer, die Entscheidung seiner Tochter zu verteidigen, ohne jemand anderen dafür zu beschuldigen. Und auch Arwen selbst, war nicht ganz schuldlos an der Situation von vor einer Handvoll Jahren gewesen.

Er überlegte, wie er es Manja am besten verständlich machen sollte, was Arwen dazu bewegt hatte, Mittelerde nun doch zu verlassen. „Arwen hat sich nach einigen Jahren mehr oder weniger glücklicher Ehe dazu entschlossen, doch in den Westen zu gehen. Der große Verlust von ihrer Familie und ihren Freunden schmerzte sie zu sehr und ich glaube auch, dass ein Teil ihres Herzens noch immer an Glorfindel hing. In einer Nacht packte sie ihre Sachen, verließ ihren Mann und ihren Sohn und segelte mit Legolas nach Valinor. Nachdem ich sie dort gesehen hatte, bin ich zurückgekommen, in der stillen Hoffnung, irgendetwas für Aragorn machen zu können. Aber ich glaube, in dieser Hinsicht bin ich ihm nicht besonders hilfreich, zumal ich eher glücklich bin, meine Tochter nicht verlieren zu müssen. So sehr es mir auch für ihn Leid tut. Es ist schwierig mit ihm darüber zu sprechen, besonders für mich.", gab er schweren Herzens zu.

Es schmerzte ihn, dass er zwar seine Tochter gerettet wusste, aber seinen Ziehsohn gleichzeitig verloren hatte.

Manja biss sich noch immer auf die Unterlippe und schwieg eine ganze Weile, bevor sie einige Fragen stellte. „Ich dachte immer, dass Arwen's Entschluss sterblich zu werden, auch in Erfüllung gegangen war. Wie kann sie dann jetzt wieder unsterblich sein?"

Ich schätze da hatten die Valar ihre Hände im Spiel.", erklärte Elrond etwas hilflos. Nicht einmal Arwen selbst hatte es ihm genau erklären können und er war zu schnell zurückgekommen, um die Lösung zu erfahren. „Anders kann ich es mir nicht erklären. Das Schicksal scheint andere Pläne mit den beiden zu haben. Aber was aus Aragorn geworden ist, ich schätze, das musst du selbst heraus finden."

Wie meinst du das?", fragte sie und betrachtete das sorgenvolle Gesicht ihres Freundes. Die Sorgen der letzten Jahre hatten selbst bei einem Elben wie ihm Spuren hinterlassen. Diese Geschichte schien ihn wirklich noch immer zu quälen.

Ich habe seit meiner Rückkehr erst einmal mit ihm geredet und von unserer früheren Vertrautheit ist nichts mehr übrig. Arwen hat sein ganzes Vertrauen in unsere Familie und vielleicht sogar in unser ganzes Volk mit ihr genommen. Ich verstehe ja selbst nicht wieso sie ausgerechnet mit seinem besten Freund fortgehen musste.", erklärte Elrond bedauernd.

Und je länger er seinen eigenen Worten lauschte, umso schmerzhafte erschien ihm diese Wahrheit. Es tut immer weh, wenn man ein Kind verliert, egal ob es das eigene ist oder eines, das wie das eigene für einen ist.

Obwohl sie seine Sorgen verstehen konnte, wurde Manja doch etwas unruhig. Wie sollte sie das Kind eines Mannes unterrichten, der keinerlei Vertrauen mehr in ihr Volk hatte? Oder plante Elrond etwas etwas anderes?

Kann es sein, dass du dir mehr davon erhoffst, als nur eine Art Lehrerin für Eldarion? Dann sag mir bitte, was du noch von mir erwartest!", verlangte Manja bestimmend.

Elrond schwieg und wich ihrem fragenden Blick aus. Erst als sie nach seiner Hand griff, sah er auf und lächelte etwas. „Du warst damals die einzige, die meinem Sohn helfen konnte, als er unglücklich verliebt war und ich hatte gehofft, dass du mit deiner Art und Weise vielleicht sowohl Eldarion als auch Aragorn über den Verlust von Arwen hinweg helfen könntest...", gab er leise zu.

Sie seufzte und nickte dann. „Gut, ich werde für ein halbes Jahr nach Gondor gehen, aber Elrond, ich verspreche dir nichts!", erklärte sie mit einem ermahnenden Zeigefinger.

Danke, du bist ein Engel.", dankte Elrond ihr erleichtert und drückte sie innig.

Sie löste sich aus seiner Umarmung und grinste. „Ich weiß. Und jetzt hopp, ich habe Hunger, was gibt's zu Essen?"

Er lachte bloß und stand auf, um wieder ins Haus zu gehen. Gut gelaunt folgte sie ihm und wenig später steckten sie schon in Mitte der Planung für ihre Reise nach Gondor.

.::Flashback ende::.

Seufzend drehte sie sich von der Wand auf die andere Seite und blickte auf die Gardiene, die im Mondlicht ein feines Lichtmuster an der Wand hinterließ. Wie kleine Sterne funkelten die hellen Lichtpunkte an der Wand... Genauso hatte sie das Funkeln in Elladans Augen in Erinnerung.

In einem verzweifelten Versuch ihre Gedanken zu verdrängen, schloss sie ihre Augen und öffnete sie dann wieder, doch sein Gesicht blieb beständig vor ihr. Diese kleine Erinnerung an sein Lachen spielte sich immer wieder und wieder von vorne ab und sie konnte nicht anders, als ihm mit den Augen zu folgen und traurig zu lächeln.

Jeder hat seinen nächtlichen Dämonen, der einen unbarmherzig quält und nicht einschlafen lässt. Der einem Tränen in der Dunkelheit entlockt und leise, fast stumme Seufzer. Und ganz egal wie viel Zeit auch verging, Manja's Dämon war und blieb Elladan.

Sie blinzelte heftig und wickelte sich fester in ihre Decke, während ihre Augen bewegungslos an der Decke ruhten. Einige Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln und rollten anschließend lautlos über ihre Wangen, um ungesehen im Kissen zu versinken. Sie hatte sich an die nächtliche Anwesenheit des quälenden Dämons gewöhnt, auch wenn er ihr noch immer Schmerzen bereitete.