Hallo ihr Lieben,

dies ist die dt. Übersetzung der Geschichte „Cape of the Sinner's Tongue", die meine Freundin sparrowsupport (bei livejournal) und ich (ladyofthesilent) zusammen verfasst haben.

Inhaltsangabe:

Mehr als 10 Jahre nach den Ereignissen von „Am Ende der Welt" ist der Fluch des Fliegenden Holländers durch Elizabeths anhaltende Liebe und Treue gebrochen, und Will Turner darf endlich zu Frau und Kind zurückkehren.

Zu dritt führen sie ein beschauliches Leben in der Piratenstadt Shipwreck City, doch ihr neu gefundenes Glück ist nur von kurzer Dauer: Ein mysteriöses Phantom überfällt Schiffe der East India Trading Company in der Meerenge am berüchtigten Cape of the Sinner's Tongue, und gefährdet mit seiner Tollkühnheit das bis dato ungestörte Piratenhandwerk. Als die verstärkte Präsenz der Royal Navy die Versorgungslage der Stadt gefährdet, muss ein Freiwilliger gefunden werden, um das Phantom zu stellen.

Und auch der plötzlich schwer verletzt wieder aufgetauchte Jack Sparrow scheint ein Geheimnis zu verbergen …

Bald schon finden sich unsere Helden in einem neuen Abenteuer wieder, dessen Brisanz alles in den Schatten stellt, was sie bisher gemeinsam erlebt haben.

Können Jack, Will und Elizabeth die Vergangenheit hinter sich lassen und gemeinsam gegen das Phantom antreten?

Für Fans von: Altmodischen Abenteuergeschichten, romantischen Verwicklungen und schwarzem Piratenhumor

Charaktere: Jack, Will, Elizabeth, Teague … – kurz: die gesamte FdK-Crew

Pairings: Willabeth, Sparrabeth, Teague/OC

So, sollte was für Euch dabeigewesen sein, wünsche ich Euch viel Spaß beim Lesen. Über Feedback würden meine Co-Autorin und ich uns natürlich sehr freuen! Ich habe schon mehrere Kapitel fertig übersetzt, ihr werdet also nicht lange auf die Fortsetzung warten müssen 

Sympathex

Prolog

Rabenschwarz und bedrohlich brach sich die aufgewühlte See am Bug der Indentured Bride. Der Sturm, den die Seeleute den Bootsmann des Teufels nannten, peitschte das Schiff hin und her, und das Heulen des Windes und das Ächzen der Taue waren die einzigen Geräusche, die die Nacht und den Nebel durchdrangen, der über das Deck des Dreimasters hinweg strich.

Die rauen Gesichter der beiden Seeleute, deren müde Augen den milchig-weißen Horizont absuchten, verkamen im fahlen Licht der Laternen zu geisterhaften Fratzen; wie der Rest der Besatzung sehnten sie sich danach, endlich von den messerscharfen Felsen freigegeben zu werden, die wie riesige Zähne aus diesen Gewässern aufragten. Seit Tagen schon verhinderten die vulkanischen Formationen ein schnelleres Vorankommen des Schiffes. Die Bride hatte dem unbarmherzigen englischen Winter getrotzt, die mannigfachen Wetter des Atlantiks überstanden, und war schließlich in den wohltuenden Schoß der karibischen See heimgekehrt. Die tropische Wärme umschloss sie wie die lang ersehnte Umarmung eines verloren geglaubten Liebhabers, doch die Wiedersehensfreude war nur von kurzer Dauer. Die tiefblaue See, unbewegt und glatt wie Eis, verborg lauernde Gefahren. Das schönste Lächeln trog, wenn sich hinter seinem Glanz die dunkelsten Vorsätze versteckten.

Die holde Karibik zählte eine Meeresenge voll bedrohlicher Felsen zu ihren Waffen, deren Ruf bis weit in die kühlen Gewässer des Nordens reichte. Bekannt als Cape of the Sinner's Tongue war sie berüchtigt für ihre Unbarmherzigkeit; erbarmungslos streckte sie ihre gierigen Finger nach ehrbaren britischen Seefahrern aus, um sie in die Tiefe zu ziehen. Ihre heimtückischen Wasser versetzten selbst die mutigsten Seeleute in Angst und Schrecken. Und es gab Geschichten. Geflüsterte Worte, getragen vom warmen Frühlingswind, die von einem Kapitän mit schwarzem Herzen erzählten, der jedes Schiff dem Unglück weihte, welches die Flagge der Krone trug.

„Segel einholen, Kurs halten! Wir dürfen unter gar keinen Umständen abdriften. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?" Die knappen, hastig gesprochenen Worte des Kapitäns verloren sich im Nebel, seine Stimme hart und kalt wie Eis. Sie war voller Zorn und Verachtung, ohne eine Spur der Furcht, die längst von der Mannschaft Besitz ergriffen hatte. Er hatte sich noch nie lange mit abergläubischem Unsinn und fantastischem Aberwitz aufgehalten; er konnte es sich nicht erlauben. Geringschätzung überzog seine entstellten Züge als er vortrat, um seine Männer zu betrachten.

Niemand anderer als er selbst hatte sie ausgewählt, hatte sie geholt aus Londons verruchtesten Tavernen, Spielhöllen und Gefängniszellen. Sie waren ein fauliger, langsam verrottender Haufen – schmutzig und im Kern verdorben. Ihr abstoßender Gestank zwang ihn, sein parfümiertes Taschentuch an seine raue, mit Narben überzogene Nase zu pressen; in seiner Eitelkeit war er stets darauf bedacht, die verbrannte Maske, die einmal sein Gesicht gewesen war zu verbergen. Doch während nichts an seinem Körper einen wirklichen Platz zu haben schien, war seine Kleidung stets bis ins kleinste Teil perfekt. Kein Knopf durfte jemals aufspringen, seine Perücke niemals verrutschen. Die gepuderten Locken wurden von einer exakt gebundenen schwarzen Schleife zurückgehalten, die so fest saß, dass die Schlaufen in Eisen gegossen schienen.

"Ich werde mich in meine Kabine zurückziehen. Haltet euch strikt an meine Anweisungen, was auch immer geschieht."

Ein Offizier wagte es, die Ansprache mit einem höflichen Hüsteln zu unterbrechen. Seine dunkelrote Uniform hob sich grell gegen die düstere Umgebung ab und wies den suchenden Augen des Kapitäns den Weg durch den trüben Nebel. „Sir, ich verstehe nicht, warum wir die Straße bei Nacht passieren müssen. Wenn man den Nebel berücksichtigt, wäre es dann nicht vielleicht besser, den Feind bei Tageslicht zu …"

Der Kapitän verschränkte die Hände im Rücken und umrundete seinen Offizier. Die Aufschläge seines Gehrocks flogen im Wind, als er sein mit Spitzen besetztes Taschentuch in einer abfälligen Geste zu Boden fallen ließ. Sein entstelltes Gesicht, kaum mehr als Narben und verbranntes Fleisch, wurde durch das Durchscheinen seines cholerischen Temperaments zu einer dämonischen Fratze verzerrt. Er hielt dem herausfordernden Blick des jüngeren Mannes stand, sah deutlich die Geringschätzung, die sich hinter seiner Unschuld verbarg. Sie alle, die Männer, die er aus den Baracken der Royal Navy geholt hatte, hielten ihn für einen Narren, der ein Phantom jagte – einen Piraten-Mythos. Sie wussten nichts von jener geisterhaften Erscheinung, wussten nicht, wozu sie in ihrem schrecklichen Zorn fähig war.

"Stellt meine Befehle nicht in Frage, Lieutnant Hayes!", knurrte er; sein schneidender Blick ließ seinen Untergebenen eingeschüchtert zurücktreten. Die Maske abgeklärter Gelassenheit war gefallen und enthüllte die kranke Seele eines Mannes, die ebenso vom Feuer der Rache zerfressen war, wie sein trockenes, langsam abblätterndes Gesicht.

"Wir werden nicht von einem gewöhnlichen Mann gejagt." Er packte Hayes am Kragen, und der junge Offizier konnte sehen, wie verzweifelt er versuchte, sein Temperament in Zaum zu halten. Diese offenkundige Zurschaustellung der angespannten Gemütsverfassung ihres Kapitäns zog die neugierigen Blicke der Mannschaft an. Sie hatten vorgegeben weiterzuarbeiten, hatten die Segel eingeholt und fest am Mast vertäut, doch ihre Ohren hingen an jedem einzelnen seiner Worte. Als man sie gemustert hatte, war ihnen nichts erzählt worden. Nichts, außer dem fadenscheinigen Verweis auf einen Beutel mit Geld für jeden von ihnen – gesetzt den Fall, sie erreichten ihr Ziel ohne Zwischenfall.

"Wenn wir die Küste von Abessinien erreichen wollen, müssen wir zuerst die gerissenen Pläne des Phantoms durchkreuzen. Wir müssen unseren Kurs beibehalten. Wenn es uns nicht gelingt, unsere Fracht aufzunehmen …" Er schnalzte mit der Zunge. Bereits jetzt bereute er, dass der verhasste Namen seinen geschwollenen, roten Lippen entschlüpft war. Alle Arbeit an Deck schien plötzlich stillzustehen, und obwohl die Nacht über ihre Kinder wachte, hätte er schwören können, dass einer der blonden Kabinenjungen von Panik erfasst wurde und nach Luft rang. Der Kapitän und seine Crew blickten einander voller Skepsis an. Mühsam unterdrückte er ein leidvolles Stöhnen, als er den verwirrten Ausdruck auf ihren Gesichtern sah.

Oh wie er diesen hohlen Blick doch hasste. Er erinnert ihn an die Schafe, die auf den Wiesen seines Landsitzes weideten; geboren, um zur Schlachtbank geführt zu werden, aber ohne ihr unabwendbares Schicksal auch nur im mindesten zu begreifen. Ihre grenzenlose Dummheit machte ihre Gegenwart auf seinem Schiff beinahe unerträglich, aber sie waren ein notwendiges Übel. Sie sahen ihn weiterhin mit ihren dumpfen Augen an, die ohne Zweifel nach der starken Hand eines Führers lechzten, und er brüstete sich für einen Moment mit dem Gedanken, dass er ihrem verschwendeten Leben endlich einen Sinn zuerkennen würde. Er brauchte ihnen lediglich die richtige Mischung aus Lügen und Wahrheit zu servieren. Auf dem Webstuhl seiner Gedanken arrangierte er die korrekten Silben in einer ordentlichen Reihe, bis er mit dem Ergebnis zufrieden war; er würde alle ihre Bedenken zerstreuen.

"Ja, es ist wahr; heute Nacht werden wir dem Phantom begegnen, einem Geisterwesen, getrieben von Hinterlist und Grausamkeit. Seine Männer werden euch keine Gnade schenken; sie werden euch nicht verschonen, selbst wenn ihr bis zum letzten Atemzug auf den Knien darum bettelt." Seine Lippen zuckten, als er die Ironie seiner Situation bemerkte; er war nahe daran, sich in seinem eigenen Netz aus Lügen und Betrug zu verfangen.

"Ihr müsst der englischen Krone Ehre machen. Kämpft, als würde euer Leben vom Erfolg dieser Mission abhängen! Wir müssen dem Phantom zeigen, dass wir es mit ihm aufnehmen können; die Ziele der britischen Krone können nicht vor einer Gespenstergeschichte halt machen. Der Fortschritt, Gentlemen, macht keine Kompromisse. Man kann ihn unmöglich aufhalten. Haltet eure sieben Sinne zusammen, oder Luzifers giftige Zunge wird euch einfangen." Er glaubte nicht an die alte Geschichte von Himmel und Hölle. Er war stets ein vernünftiger Mann gewesen, und Logik war die einzige Religion, der er anhing. Diese Männer allerdings waren unfähig, sich etwas anderes außer dem vorzustellen, was ihnen eingebläut wurde. Gutgläubige Männer waren leicht zu führen; zweifellos war es von Vorteil, dass sie das Phantom für ein Wesen mit übernatürlichen Kräften hielten.

Ihre Ignoranz würde ihren Hass schüren und ihm gute Dienste leisten, wenn es daran ging, dem geisterhaften Unruhestifter den Garaus zu machen. Endlich würden sich die beträchtlichen finanziellen Wunden schließen, die seine Überfälle der Company beigebracht hatten. Die Worte des Kapitäns hallten in den Höhlen wider, die die Felsen an zahlreichen Stellen durchsetzten und verloren sich schließlich irgendwo im Nebel. Langsam erschien Verständnis auf den argwöhnischen Gesichtern. Abergläubische, ungewaschene Seeleute waren durch die Macht der Worte zu mutigen Soldaten geworden; sie standen geeint hinter ihrem Führer, um ihr Leben für ein formloses Gespenst zu lassen.

Er schenkte seinem ersten Offizier einen frostigen Blick aus eisgrauen Augen, mit dem er ihn wortlos daran erinnerte, was auf dem Spiel stand – und an die Folgen eines möglichen Scheiterns. Dann verschwand sein abstoßendes Antlitz in der Dunkelheit. Alles, was von der Gegenwart des Kapitäns blieb, waren langsam leiser werdende Schritte und das mechanische Klicken einer Pistole. Er hatte seine Bauern auf dem Spielfeld platziert; jetzt galt es, auf den Eröffnungszug zu warten.

xxx

"Warum fahr'n wir denn nicht schneller? Wenn du mich fragst, der sucht nach Ärger, das sag ich dir! Ein schlechtes Omen ist das … eingeschlossen in diesen verdammten Gewässern, und auch noch am Freitag dem Dreizehnten. Und der Nebel … du kennst die Geschichten … über … IHN …" Der Matrose, ein vierschrötiger Mann mit dicken Händen und einem noch dickeren Hals bemühte sich, seine Stimme gesenkt zu halten, als fürchte er, belauscht zu werden. Er saß auf einem Pulverfass, den Rücken gegen den Mast gelehnt, während seine schwieligen Hände mit bewundernswerter Geduld die ausgefransten Enden eines zerborstenen Taus zusammenknüpften. Die Anspannung der vergangenen Tage hatte an seinen Nerven gefressen, bis sie dem faserigen Tau glichen, an dem er arbeitete. Er hatte einen starken Magen, der es ihm ermöglichte, eine raue See, gemeingefährliche Banditen, und sogar seine keifende Ehefrau weitgehend schadlos zu überstehen. Alle diese Schrecken verblassten jedoch vor dem Grauen, das ihrem Schiff aufzulauern schien.

Sein Gefährte, ein hagerer Mann der auf den Namen Willis hörte, sah besorgt auf seine von Schüttellähmung gebeutelte Hand. Zweifellos hatte seine Vorliebe für hochprozentigen Alkohol dafür gesorgt, nun jedoch stellte er fest, dass sein gesamter Körper vor unkontrollierbarer Furcht zitterte. "Kein Wort mehr darüber, Jonsey. Man sagt, dass es ausreicht, den Mann zu erwähnen, um ihn von seinem Ruheplatz in den dunkelsten Tiefen aufzuschrecken .." Er strich mit seiner zitternden Hand über den dünnen Haarflaum, der seinen sonnenverbrannten Schädel zierte. In seiner Grausamkeit hatte der Kapitän die nächtliche Rumration mit der lächerlichen Begründung gestrichen, er wolle eine Mannschaft mit klarem Kopf. Willis hielt es für unbarmherzig, einer Horde sterbender Männer eine letzte Stärkung gegen den aufkommenden Sturm vorzuenthalten. Es war nicht das entstellte Gesicht ihres Kapitäns, es war der brennende Hass in seinen Augen, der ihm ein monströses Erscheinungsbild verlieh, und hätte er nicht befürchten müssen, Opfer seiner Raserei zu werden, Willis hätte die Crew in die Meuterei geführt.

Jonsey unterbrach seine Arbeit und sah zu seinem Freund auf.

"A – a- am Besten, wir reden nicht mehr über ihn – wag es ja nicht, seinen Namen auszusprechen! Er wird dir die Kehle aufschlitzen, wenn er hört, wie du seinen Namen mit deiner Stimme befleckst." Ein Flaschenzug ächzte unter der Last von Rost und Alter und ein nasses Tau wurde über das gesamte Vorderdeck geschleudert. Beide Männer sprangen wie von der Tarantel gestochen auf, alarmiert von dem lauten Knall, der es gewagt hatte, die erdrückende Stille zu durchbrechen, doch einer ihrer Mannschaftskollegen hatte bereits damit begonnen, das entflohene Tau zu seinen Füßen aufzurollen. Im Nebel konnte Jonsey ihn nur schwer erkennen, aber seine abgewetzten Stiefel wiesen ihn deutlich als Kameraden aus.

Ein verächtliches Schnauben hallte in der Stille wider; jemand wagte, sich über ihre Geschichten lustig zu machen! Jeder Seemann, der die Reise von England zu den Westindischen Inseln gemacht hatte wusste, dass die vermeintlichen Legenden auf unumstößlichen Tatsachen basierten; sie waren von Männern erzählt worden, die den Angriff des Phantoms überlebt hatten. Man hatte ihnen nichts gelassen, außer ihrem Leben - und einem gewachsenen Mitteilungsbedürfnis.

Jonsey und sein ausgemergelter Gefährte starrten in die Dunkelheit, die den unbekannten Zuhörer verbarg. Er zog die Nase hoch und ignorierte den wortlosen Kommentar. Sollte er nur lachen! Er, Jonsey, hatte einen Cousin, der einen jener Überfälle überlebt hatte; allerdings musste er zugeben, dass der arme Ben danach nie mehr derselbe gewesen war.

"Ich habe gehört, dass seine Augen ein Loch in deinen Kopf brennen können; er hat auch nur einen Arm. Den anderen hat er sich selbst abgebissen, als der Teufel persönlich ihn festketten wollte. Und das ist noch lange nicht alles – ich habe auch gehört, dass er sein Bein durch eine Kanonenkugel verloren hat. Man erzählt sich, dass er lachte, sich umdrehte und den armen Teufel mit seinem Schwert durchbohrte. Er hat auch einen von seinen eigenen Männern erstochen – grausam, wenn du mich fragst", faselte Jonsey, während seine zitternden Finger erneut nach dem Tau griffen, als wolle er sich daran festhalten. Missmutig stellte er fest, dass das glucksende Lachen des Unbekannten kein Ende finden wollte.

"Lach nur! Ich hoffe, er stiehlt dir deine Zunge", giftete er, während er die Enden verknotete. Das spöttische Gelächter schwoll in der Dunkelheit an, beschritt ein stetiges Crescendo und verlor sich schließlich in der Stille.

"Hört euch nur mal zwitschern, ihr beiden. Ein hübsches Vogelpärchen, muss ich sagen … also gut, ich erzähl euch die wahre Geschichte – sie wird euch das Blut in den Adern gefrieren lassen, und wenn ich fertig bin, werdet ihr halbwahnsinnig sein vor Angst." Die Stimme des Mannes schien von weit herzukommen, bewegte sich wie von Geisterhand getragen von ihrer Rechten zu ihrer Linken, und überrollte sie schließlich wie eine Welle.

Jonseys Finger kamen zur Ruhe. Das Tau rutschte ihm aus der Hand und fiel achtlos zu Boden.

"J – j – jonsey …" Willis wurde von Grauen geschüttelt, als er versuchte, dem Nebel eine geisterhafte Form abzupressen. Endlich gelang es ihm. Er sah das schreckliche Antlitz einer deformierten Gestalt mit einem Geschwulst von der Größe eines kleinen Felsens auf der Schulter. Neben ihm bewegte sich ein Kind geisterhaft über das Deck des Schiffes; in jeder seiner kleinen Hände hielt es ein Entermesser. Jonsey stieß einen leisen Schrei aus. Bei seinem Versuch zu entkommen stolperte er über das Tau, das er hatte fallenlassen. Auf schmerzenden Knien kroch er zu dem Pulverfass, auf dem er vor wenigen Augenblicken noch gesessen hatte und hielt sich daran fest wie ein Ertrinkender. Seine Lippen formten tonlos die Silben des Rosenkranzes, den er seit seiner Kindheit nicht mehr gesprochen hatte. Oh, wollte Maria ihn doch beschützen! Schon bald konnte er keinen klaren Gedanken mehr fassen, und so entschloss er sich zu dem einzigen Laut, zu dem er noch fähig war: Ein Schrei, um die anderen zu warnen, bevor es zu spät war.

"Das Phantom! Das Phantom ist da!" Unsagbares Grauen überkam ihn, und als es ihm endlich gelingen wollte, seiner Kehle die Worte zu entlocken, klangen sie leise und leer. Willis verharrte bewegungslos und mit weit geöffnetem Mund. Seine Gliedmaßen schienen mit Eis überzogen, als die Mannschaft des Phantoms ein Heulen ausstieß, tausendmal schrecklicher als der Schrei der Todesfee. Die Indentured Bride war verloren! Einige Männer schlugen Alarm, doch als die Glocke erklang, war es bereits zu spät. Sie waren umzingelt, besiegt bevor sie einen einzigen Schuss hatten abfeuern können. Die ehemals stille Nacht war plötzlich mit den verzweifelten Schreien sterbender Männer erfüllt.

Eine verkrümmte Hand huschte durch die Dunkelheit, Silber blitzte auf, und plötzlich schien sie die Form einer Schlange anzunehmen, die ihre schrecklichen Augen auf Willis richtete. Jonsey wollte ihn warnen, doch der Schrei blieb ihm im Halse stecken. Direkt vor seinen Augen wurde sein Freund von der geisterhaften Schlangenhand in die Dunkelheit gezerrt; ein schriller Schrei hallte in seinen Ohren wider, dann war Stille – die bedrohliche Stille, die stets dem endgültigen, tödlichen Stoß vorausging. Vor seinem inneren Augen erschien der blutgetränkte Leichnam seines Freundes; er war noch immer damit beschäftigt, der Vision Herr zu werden, als sich das Phantom langsam näherte.

"Weißt du, was er mit den Männern anstellt, die ihm in die Hände fallen? Mit diesen verräterischen Schurken, die sich an einem abscheulichen Geschäft bereichern? Weißt du das?"

Jonsey schüttelte seinen Kopf und presste die Lippen zusammen. So sehr er es auch versuchte, er konnte auf die Frage des Phantoms keine Antwort finden. Er schlang seine Arme noch fester um das tröstlich erscheinende Pulverfass und schloss die Augen. Seine Gedanken wanderten zu dem Leben, das er in England zurückgelassen hatte, und er kam zu dem Schluss, dass er eine Ewigkeit mit seiner scharfzüngigen Ehefrau und seiner zänkischen Schwiegermutter diesem entsetzlichen Ende bei Weitem vorzog.

„Er nimmt die Männer, die für die Company arbeiten als Bezahlung und zieht sie mit sich in die Tiefe. Die Company stielt Leben, mein Freund …" Jedes Wort wurde von einem im Nebel widerhallenden Schritt des Phantoms bekräftigt. Das Deck des gebeutelten Schiffes schien sich unter seinen enormen Füßen zu biegen; Jonsey war überzeugt, dass der Mann von gigantischer Größe sein musste. Sein Herz schien beständig tiefer zu sinken, während er seine Augen noch fester schloss, damit das Phantom sie ihm nicht aus dem Schädel schneiden konnte. Das also waren seine letzten Momente; verfolgt von einem blutrünstigen Monster und begleitet vom lauten Pochen seines Herzens und dem klickenden Geräusch einer eben entsicherten Pistole.

Das Phantom hielt inne, nur wenige Zentimeter von Jonseys kauernder Gestalt entfernt. Ein Luftzug strich über sein angstverzerrtes Gesicht, dicht gefolgt von dem unirdisch klammen Material, aus dem die Rockschöße der geisterhaften Erscheinung gefertigt zu sein schienen. Langsam öffnete er ein tränennasses Auge. Er hasste sich selbst, weil er das Verlangen nicht unterdrücken konnte, seinem eigenen Sterben entgegenzublicken, doch ein Teil von ihm war wie hypnotisiert von der Faszination des herannahenden Todes. Als Jonsey aufblickte, sah er das Phantom vor sich aufragen; es trug einen Mantel aus schimmerndem weißen Nebel und seine Pistole war direkt auf seinen Scheitel gerichtet.

"B-b-bitte – zeigt doch Erbarmen! Ich flehe Euch an …"

Die Zähne des Phantoms blitzten im Fahlen Licht der Laternen auf, als sich sein Mund zu einem widerwärtigen Grinsen verzerrte.

Als das Geräusch von explodierendem Pulver die Nacht zerriss, begleitet von einem Blitz aus Zinnober und Gold fühlte Jonsey, wie ihm die Luft aus den Lungen gesogen wurde. Ein dumpfer Aufschlag war zu hören; Nebel verschleierte seinen Blick, dann wurde alles um ihn herum schwarz.