TITEL: Hylax & Lykodes
GENRE: Drama
CHARAKTERE: Gillian, Cal, Ria, Eli, Emily
PAIRING: Gillian/OC, Cal/Gillian
RATING: PG-13
SPOILER: keine
WÖRTER: 35.300
ZUSAMMENFASSUNG: Es war ein frommes Lamm, das er so eifrig beschützte, und er ahnte, dass es irgendwann schiefgehen würde. Weil er nun einmal er war und diese Welt nicht die, die sie sich vielleicht wünschte.
Der Hase
"Mein Gott, Cal, wo steckst du?", fragte sie atemlos, ohne ein Wort von ihm gehört zu haben. Ein kleines Schnaufen am anderen Ende der Leitung allein verriet ihn und ihre Hoffnung, dass er sich nach all den quälenden Stunden des Wartens endlich melden würde, war größer als ihr Glaube an eine weitere, bittere Enttäuschung. Und so sank sie erleichtert auf dem Sofa ihres Büros nieder, bevor er sie überhaupt mit ein, zwei simplen Worten beruhigt hatte. Manchmal reichten eben die ganz kleinen Dinge.
"Gefängnis, würde ich sagen", antwortete er lapidar und auch in seiner Stimme schwang ein wenig Erleichterung mit, die er mit Nonchalance zu überspielen versuchte. Er war ein guter Lügner und er war es auch nicht. Manchmal verschwamm die Linie dazwischen so sehr, dass man sich nicht mehr sicher sein konnte, ob eine gekonnte Lüge vielleicht seine Wahrheit war, oder ob die harsche Wahrheit gar eine Lüge verkaufte.
Er war kompliziert und verschlungen. So auch jetzt.
"Was ist passiert?", wollte sie wissen und schnappte kurz nach Luft. Gefängnis klang zumindest besser als Krankenhaus oder gar kein Lebenszeichen, doch es klang noch lange nicht gut. Sie betrachtete kurz ihre freie Hand, die angestrengt den Saum ihres Kleides umklammerte und dabei leicht zitterte. Es erinnerte sie daran, dass sie noch nichts zu Abend gegessen hatte, weil sie seit Stunden das Gefühl hatte, dass sich das flaue Gefühl in ihrer Magengegend nicht mit Thai Curry oder Dim Sum bekämpfen ließ. In der Tat konnte nur er es ihr nehmen.
"Kleine Rauferei zwischen Jungs, Foster", versuchte er sie zu beruhigen und klang dabei ein bisschen zu bemüht. "Kannst du mich vielleicht abholen?"
"Klar", sagte sie rasch und hatte Probleme, den ersten Teil seines Satzes zu verarbeiten. "Bist du in Ordnung?"
"Ein paar Schrammen, aber das ist ja nichts neues."
In der Tat, dachte sie sich und wollte es auch sagen, doch vielleicht war dies nicht unbedingt der allerbeste Augenblick dafür. Sie schluckte die drei Worte hinunter, doch es waren sogleich andere, die ihr in den Kopf sprangen. Worte, die nicht weniger unpassend waren. Das bedrückende Gefühl der Ungewissheit hatte einen Moment lang für die darunter lauernde Wut Platz gemacht; Wut darüber, dass er sich nicht gemeldet und sie in ihrer schmerzenden Hilflosigkeit sitzen gelassen hatte.
Er schien es irgendwie zu spüren, durch die Telefonleitung hindurch und über Kilometer hinweg. "Hey, tut mir leid, aber die haben mich hier nicht vorher telefonieren lassen."
Sie seufzte und versuchte erst gar nicht, es zu verbergen. "Wir haben den ganzen Tag nach dir gesucht. Das FBI ist informiert, wollte aber nichts machen, bevor 24 Stunden verstrichen sind. Verdammt, Cal", klagte sie und war doch eigentlich nur froh, seine vertraute Stimme zu hören. Vielleicht war es eine kleine Träne, die sich in ihrem Augenwinkel festsetzte, doch sie ließ nicht zu, dass sie sich den Weg in ihre Realität bahnte. Mit einer schnellen Bewegung wischte sie den Hauch der Flüssigkeit weg und atmete tief durch.
Er klang geknickt, als er wieder sprach. "Sorry. Wirst du mich trotzdem abholen oder mich hier meiner gerechten Strafe zuführen?"
"Wo bist du?", wollte sie wissen und verkniff sich das kleine Lächeln, das sich unvermeidlich auf ihren Lippen formte. Manchmal hasste sie ihn dafür, aber diese Momente waren flüchtiger als jeder Wimpernschlag. "City Jail?"
"Baltimore."
"Baltimore?", wiederholte sie perplex und ging sogleich jeden Fall in ihrem Kopf durch, der sie auch nur im entferntesten an die Stadt erinnerte. Das Ergebnis war dürftig. "Was zur Hölle machst du in Baltimore?"
"Die haben hier eine tolle Kneipentour." Die Stille danach verriet, dass es vielleicht keine Lüge, aber eben auch nicht die Wahrheit war. Es war seine Art zu sagen, dass dieses Telefonat nicht der richtige Zeitpunkt war, um die Hintergründe des Geschehenen zu erörtern und vielleicht hatte er recht.
Sie stand auf, strich immer noch leicht nervös ihr Kleid ein wenig glatt und lief hinüber zum Schreibtisch. "Wie ist die Adresse?"
"401 East Eager Street."
Sie kritzelte die Information hastig auf einen Notizzettel und stopfte das kleine Stück Papier in ihre Handtasche. Dann drehte sie sich um und nahm die Lichter des nächtlichen Washington in sich auf, das sich ihr vor dem Fenster offenbarte. Irgendwo da draußen hatte sie ihn vermutet. Verletzt, verwirrt, verschleppt. Sie hatte zu viel gesehen, zu viel mit ihm durchgemacht, um noch daran zu glauben, dass es eine ganz beruhigende Erklärung für sein plötzliches Verschwinden gab.
"Hast du das?", fragte er vorsichtig am anderen Ende, als er sich wahrscheinlich über ihr plötzliches Verstummen zu wundern begann.
"Ja", bestätigte sie abwesend und merkte erst gar nicht, dass die einzelne Träne sich nun doch durch die Barriere ihres Willens gekämpft hatte. Lautlos kullerte sie über ihre Wange und verschwand dann im Nirgendwo. Sie wischte mit der Hand über die vage Erinnerung, die von ihr geblieben war; nichts weiter als ein feuchter Streifen, den sie nun eliminierte. Doch Gefühle ließen sich nicht einfach wegwischen. Und die für ihn schon gar nicht.
"Hast du Emily und Zoe angerufen?", hakte er hörbar nervös nach und sie stellte sich vor, wie er mit einer Hand in der Hosentasche ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat.
"Nein. Ich dachte mir, es reicht, wenn wir uns hier alle Sorgen machen, solange wir nichts genaues wissen." In Wirklichkeit war das vielleicht nicht die ganze Wahrheit. Sie hatte das Szenario in ihrem Kopf durchgespielt—einmal, zweimal, dreimal. Doch letztendlich hörte sie jedes Mal nur ihr Herz leise brechen, wenn sie in ihrer Vorstellung nach den richtigen Worten suchte. Sie sollte gut darin sein, die richtigen, tröstenden Worte zu finden, hatte es studiert, dem Ganzen einen Teil ihres Lebens gewidmet. Aber manchmal versagte sie einfach nur und sie wollte es nicht, wenn es um ihn ging. Nicht, wenn es um Emily ging.
"Ja", bestätigte er verhalten. "Danke."
In den Momenten, die folgten, waren es nur die Atemzüge des jeweils anderen, denen sie lauschten wie einer beruhigenden Brise draußen am Meer. Sie drückte den Hörer noch ein wenig fester an ihr Ohr, bis sie dieses kleine Schmatzen seiner Lippen vernahm, das darauf hindeutete, dass er etwas sagen würde.
"Bist du in Ordnung?", erkundigte er sich und wiederholte damit ihre Frage von vorhin. Und plötzlich kam es ihr tatsächlich so vor, als wäre die Frage aus seinem Mund viel angebrachter.
Der ersten Träne folgte eine zweite.
"Nein", gab sie ehrlich zu, doch es war auch Anlass genug, um sich wieder zusammenzureißen. "Aber ist schon okay."
"Klingt nicht so."
"Ich war nur in Sorge, das ist alles." Sie versuchte ein kleines Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern, das er hören würde. Es hatte wenig Sinn, wenn er sich jetzt auch noch Sorgen um sie machen musste. Also streckte sie die Glieder wieder durch und brachte etwas Würde zurück in ihre Haltung. Sie war Gillian Foster, versuchte sie sich in Erinnerung zu rufen.
"An deiner Stelle wäre ich auch ernsthaft in Sorge gewesen", räumte er ein, doch sie konnte hören, dass da etwas in seiner Stimme lag. "Erst ruiniert der Bastard die Finanzen der Firma und dann macht er sich auch noch aus dem Staub. Und womöglich hat er vorher noch die Kaffeekasse geplündert."
"Ich hab noch nicht nachgesehen", erwiderte sie schmunzelnd.
"Wirklich? Wäre meine erste Reaktion gewesen."
"Ich muss anscheinend noch einiges von dir lernen."
"Und genau deshalb musst du mich auch abholen."
Sie nickte, auch wenn er es nicht sehen konnte. "Sieht so aus, als bleibt mir nichts anderes übrig."
"Ja, sieht leider so aus."
"Ich denke, ich brauche ungefähr eine Stunde", sagte sie und sah auf ihre Uhr, auf die sie heute bereits so viele Blicke geworfen hatte. Mit jedem Mal war ihr Herz ein kleines Stück weiter nach unten gesackt, hatte sich ihr Magen erneut schmerzvoll zusammengekrampft. Und bei jedem Mal musste sie kurz danach feststellen, dass sie sich an die Zeit nicht wirklich erinnern konnte. Nur daran, dass sie ihnen davonlief.
"Fahr langsam, Foster. Keine Eile", mahnte er. "Ich habe hier die Luxussuite und werde es wohl noch ein bisschen aushalten. Vielleicht schicken sie ja noch ein paar nette Zimmermädchen vorbei."
"Sicher, Cal, sicher", gab sie amüsiert zurück.
"Ein Mann kann träumen, oder?"
"Soll ich dir etwas zu Essen mitbringen oder hast du auch inklusive Vollpension gebucht?"
Er zögerte kurz. "Bring lieber eine Kreditkarte für die Kaution mit."
"Firmenkreditkarte?", hakte sie nicht ganz ernstgemeint nach.
"Hast du vielleicht auch noch eine andere?"
Sie konnte sich sein Grinsen bildlich vorstellen und trotzdem ließ all das hier ein mehr als komisches Gefühl in ihr zurück, das sie im Moment nicht einmal greifen konnte. Vielleicht würde es sich in Luft auflösen, wenn er wirklich vor ihr stand, doch eine leise Stimme in der hintersten Ecke ihres Kopfes sagte ihr, dass die Geschehnisse womöglich größer waren, als das, was sie momentan in ihnen sah.
Manchmal fühlte sie sich freier durch ihn. Außer Kontrolle, mitgerissen, zwanglos, entglitten. Es war das Gefühl, das sie liebte, seitdem sie das erste Mal gemeinsam in einem Raum standen. Und manchmal würde sie lieber den festen Boden unter ihren Füßen spüren, den sie kannte und schätzte. Sie wusste, dass es mit ihm nicht immer beides sein konnte.
Sie nahm ihre Tasche und machte sich auf den Weg nach draußen, wo die klamme Luft der an Sternen armen Nacht schon auf sie wartete. "Bis gleich."
