Ohta war (und ist) meine ÜbungsFF, in der ich meine (nicht vorhandenen) Fähigkeiten im Quenya und manchmal auch Sindarin übe. Dementsprechend gibt es auch viel Elbisch, die Übersetzungen stehen stets am Ende des Kapitels. Ich gebe keine Garantie auf Richtigkeit, gebe mir aber Mühe.
Für das gesamte Heer verwendete ich die Bezeichnung von Legionen (lat. legio, 1 Legion = ca. 5500 Soldaten) und unterteile sie ebenso in Kohorten (lat. cohors) (1 Legion = 10 Kohorten) und Zenturien (lat. centuria) (1 Kohorte = 6 Zenturien), für die noch Synonyme folgen werden. In späteren Kapiteln wird noch genauer auf den Militärstab eingegangen, vorab kann aber schon gesagt werden, dass Elronds Rang in diesem Kontext dem eines Legaten entspricht (lat. legatus). Sein Stellvertreter ist der Militärtribun (lat. tribunus militaris). Maethor fällt die Rolle des Militärtribuns zu, die rechte Hand des oberkommandierenden Präfekten (Elrond). Daher hier noch einmal eine kleine Grobübersicht über die Strukturen des Heeres und der elbischen Namen, die ich den lateinischen zuordnete:
Heeresstruktur einer Legion (in absteigender Reihenfolge):
1 Legion = ca. 5500 Soldaten, mit Auxiliartruppen (Hilfstruppen) zusammen ca. 11.000 Mann = rimbe
1 Legion = 10 Kohorten; Kohorte = satar
1 Kohorte = 6 Zenturien; Zenturie = témacánië
Befehlskette (in absteigender Rangfolge):
Legatus: Oberkomandierender aus dem Senatorenstand = cáno
Tribunus Laticlavius od. Militärtribun: rechte Hand des Legaten, Senator = ? (muss noch benannt werden, Vorschläge sind gern gesehen)
Praefectus: Lagerkommandant = tírila
5 tribuni Angusticlavii: folgen in taktischer Befehlskette nach Präfekt, aus dem Ritterstand = ? (ebenso noch nicht benannt)
Centurio: Führer einer Zenturie = témacáno
Nebst diesen Leuten gibt es noch gefühlt zwanzigtausend Bannerträger. Stabsoffiziere sind in Summe ca. 250.
I lindi cuileo - Die Melodien des Lebens
Weit im Osten der dunklen Hinnenlande von Mittelerde, fast schon an den Grenzen zu den weiten Ödlanden im Norden, lag ein Land, das dieser Tage die letzte Bastion des alten Glanzes der Noldor war. Sie nannten es das Land der Lindar, denn das war es einst gewesen, bevor die Alte Welt unterging in den Fluten des Meeres, und das Land der Musik, wie die einstigen Bewohner dieses Land genannt hatten. In ihrer Sprache nannte es sich Lindon. Es lag westlich der Berge von Luin, ihr Schutzwall vor den trostlosen Weiten Mittelerdes, in denen Unheil umging, einzig durch die Förde von Lhûn der Welt im Osten offen. Diese Förde teilten das Land in Harlindon im Süden und Forlindon im Norden, die Häfen Harlond und Forlond sowie Mithlond, wo Círdan war, stellten ihre Verbindung und die Bindung zum Reich der Seekönige von Númenor dar.
Lindon war noch weit bis in das Zweite Zeitalter hinein ein blühendes Land, die letzte Heimat der Eldar, bevor all ihre Reiche in Schatten versinken sollten und sie nur noch ein verstreutes und heimatloses Volk waren. Die Wiesen, Felder und Auen waren weit und saftig, die Wälder grün und schattig. Es war ein blühendes Land, ein Land voll Wissen und Weisheit, ein Land, in dem der alte Glanz eines untergehenden Volkes noch nicht völlig verloschen war. Es florierte und war mächtig dieser Tage. Von Forlond aus regierte Ereinion Gil-galad, der Hohe König der Noldor, sein Land mit Güte und Weisheit und bewahrte es vor den Übeln einer kalten, leeren Welt, vor den Schrecken eines namenlosen Grauens fern im Osten Mittelerdes.
Forlond war wie seine Schwesterstadt ein Hafen, angelegt kurz nach Anbeginn des Zweiten Zeitalters, als neue Heimat der heimatlos gewordenen Noldor, die den großen Untergang Beleriands überlebt hatten. Die Hoffnung auf ein – zumindest vorerst – friedliches Leben in Gil-galads Machtbereich trieb sie hierher und in das Gefolge des Hohen Königs. Gemeinsam errichteten sie eine der ersten Siedlungen der Noldor in den noch nahezu völlig unerforschten Landen Mittelerdes, und alsbald blühte wieder das Leben zwischen den weißen Mauern Forlonds. Gil-galads Macht wuchs von Jahr zu Jahr, sein Einflussbereich nahm immer mehr zu. Und schließlich wagte er es, die fremden Länder jenseits der Reste der alten Elbenreiche von Thargelion und Ossiriand zu erkunden. Schiffe fuhren die Küsten auf und ab, Expeditionen drangen weit in das Landesinnere vor, und alsbald hatte sich die Kunde von Gil-galads Herrschaft im ganzen Norden Mittelerdes verbreitet. Die Ländereien wurden urbar gemacht von Elben und Menschen jeglicher Herkunft. Nur der Süden blieb vorerst leer und wild …
Und vielleicht war dies ja ein Fehler. Wer wusste das schon? Denn zunächst schien alles friedlich. Morgoth war vernichtet, gebunden und verbannt, seine Heere zerschlagen, seine Maschinen vernichtet. Sauron, sein treuester Vasall, hatte Reue geschworen und schien zunächst tatsächlich reumütig. Doch dann verschwand er, und eine lange Zeit wusste niemand, dass er das namenlose Dunkel im Süden war. Denn dort befestigte er das Land Mordor und machte es zu einer undurchdringlichen Bastion des Schreckens. Von dort herrschte er als finsterer Gott wilder und grausamer Menschenvölker und mehrte von neuem seine verlorene Macht, ein zweiter, nicht minder schrecklicher Dunkler Herrscher zu sein.
Von all dem nichts wissend oder es unterschätzend, herrschte Gil-galad von Forlond aus über sein erblühendes Reich. Sein Sitz war in einem Palast aus weißem Stein, hoch oben über der Stadt auf einem grünen Hügel, Gwastar Calen genannt, im Licht der Sonne weithin strahlend, stolz und schön. Zahlreiche Türme ragten auf, von ihnen allen wehte Gil-galads Banner. So stand der Palast wachend über der Stadt und sah auf all das geschäftige Treiben der Stadt und des Hafens hinab.
Wohl nicht wirklich wachend, aber doch sehr gelangweilt sah auch Elrond auf die Stadt hinab. Irgendwie hatte er das dringende Gefühl, dass er als Gil-galads Herold permanent das Pech hatte, bei dessen Ratssitzungen der Schriftführer zu sein. Dabei sollte eigentlich jeder der Ratsherren Gil-galads in regelmäßigen Abständen damit an der Reihe sein. Eigentlich. Er hatte da so seinen Verdacht …
Vielleicht sollte er es einfach Erestor nachmachen und Kringel auf sein Pergament zeichnen? Er hatte schon vor einiger Zeit bemerkt, dass dies Erestors bevorzugte Methode zum Zeit totschlagen in solchen Räten war. Aber nein, er hatte Anstand, er musste mit gutem Beispiel vorangehen! Er seufzte unhörbar und versuchte verzweifelt, sich auf Gil-galads Worte zu konzentrieren. Worum ging es nur noch einmal?
Gil-galad und seine Räte … Eigentlich waren sie eine gute Sache! Sie verloren allein dann den Reiz, wenn Elrond der Schriftführer war. Denn der hatte nichts zu melden, er hatte allein die Mitschriften zu führen für die Archive. Die eigentlich mal ausgemistet werden müssten, ging es Elrond durch den Kopf. Und renoviert werden mussten sie auch, dringendst! Schon einmal hätte ihn beinahe Thingols Politik erschlagen, nur weil ein Regal morsch gewesen war. Und abgestaubt mussten sie auch mal wieder werden. Und allgemein völlig neu sortiert. Nur, wann sollte er das alles machen?! Zumindest für den Moment war er ja hier hinter seinem Pergament und Feder und Tinte gefangen. Wenn er doch nur auch einmal zu Wort kommen dürfte! Dann würde es um einiges unterhaltsamer werden. Aber nein, an dem sollte eben nicht sein …
Jetzt zierte doch ein Kringel das Pergament! Wann hatte er den gemalt? Hatte er jetzt schon Aussetzer in seinem Gedächtnis, das soeben abgetötet wurde durch abgrundtiefe Langeweile? Langsam wurde es bedenklich!
Die Möwen vor dem Fenster hatten es gut, dachte er. Sie waren so frei, wie es nur irgend ging, konnten fliegen, wohin sie wollten, und waren niemandem außer sich selbst verpflichtet. Wie die Welt wohl von oben aussah? Der Blick aus dem Palast war ja in dieser Hinsicht nicht unbedingt beispielgebend. Es musste fantastisch sein, wie schwerelos durch die Lüfte zu gleiten! Wie Schwimmen (was er sehr gerne tat, ein letztes und womöglich einziges Relikt seines Vaters), nur über Wasser, womöglich sogar besser.
Er unterdrückte ein Gähnen. Elben gähnten nicht, und er wusste, dass nicht wenige der Anwesenden es hassten, wenn er sich nur eine Winzigkeit anders verhielt als andere Elben, nur weil er eben nicht so reinblütig war wie sie.
Ein paar Tintenmöwen flatterten über das Pergament.
Ihre Schreie hatten eine ganz eigene Melodie, befand Elrond. So klagend und zugleich lockend. Als wollten sie all jenen armen, erdgebundenen Kreaturen zu sich in die Lüfte rufen und mit ihnen weit über das endlose Blau des Meeres fliegen. Ob er versuchen sollte, eine Melodie dazu zu schreiben? Maglor, sein Ziehvater, hatte es ihn ja gelehrt. Ab und zu sollte er ja immerhin doch einmal zur Harfe greifen, um es nicht zu verlernen. Er wollte doch nicht Maglors Andenken verlieren! Auch wenn er der felsenfesten Überzeugung war, noch lange nicht so musikalisch zu sein, wie es Maglor oder gar sein Bruder gewesen waren. Jeder andere, der ihn halbwegs gut kannte, behauptete allerdings das Gegenteil. Es war wohl Ansichtssache. Eventuell. Aus seinem Blickpunkt heraus.
Wo Maglor wohl jetzt war? Ob es ihm gut ging? Elrond vermisste seinen Onkel, wie er und Elros Maglor und auch dessen Bruder Maedhros immer genannt hatten, jene Elben, die ihm die beste Familie gewesen waren, die ihm je hätte widerfahren können. Er vermisste sie so schrecklich, seine wirklichen Väter. Denn das waren sie für ihn gewesen: Väter. Wie sollte er denn auch einen Stern seinen Vater nennen können?!
Die Langeweile hatte vollends gesiegt, seine Gedanken schweiften immer ungehinderter umher und bisweilen bis weit in die Vergangenheit seiner Kindheit in eben diesen Ländern.
Ja, hier in Lindon, das einst Ossiriand gewesen war, war er aufgewachsen und nicht in Arvernien, das dieser Tage von den Fluten der Belegaer tief begraben und wo er geboren worden war. Die Wälder und Flüsse von Ossiriand waren ihm und seinem Zwillingsbruder Heimat gewesen, das Haus der beiden letzten und ältesten Feanorer auf dem Amon Ereb ein Zuhause. Hier hatten sie gemeinsam gespielt, die Welt erforscht und gelernt, so zu leben, wie es vielleicht das Beste war. Alles, was er an Glück und Frieden in dieser Welt erfahren hatte, verband er mit diesen Wäldern und Auen.
In Gedanken durchlebte er all das noch einmal, wachen Auges und doch träumend, süße Erinnerungen an die schönste Zeit seines Lebens. Das Gras Ossiriands unter seinen Füßen, tiefe Wälder um ihn herum, der Wind in seinen Haaren …
„Elrond. Elrond, hallo?", hörte er eine Stimme sagen.
Er schreckte auf und sah, dass alle Blicke auf ihn gerichtet waren. Gil-galad schmunzelte in sich hinein. Er war es auch gewesen, der Elrond aus seinen Träumereien gerissen hatte.
„Hast du alles?", wiederholte der König seine Frage.
„Was, äh, wie? Oh. Oh, ja. Ja, hab ich", stammelte Elrond. Er erntete ein paar genervte Seufzer und scheele Blicke, doch Gil-galad sah die betreffenden Elben nur finster an. Schon war wieder Ruhe. Elrond beeilte sich, seine lausigen Mitschriften zusammenzuraffen. Er sollte sie dringendst noch einmal in Reinschrift bringen, bevor er sie Gil-galad aushändigte.
„Dann ist ja gut." Gil-galad lehnte sich zurück. „Damit können wir den heutigen Rat also für abgeschlossen erklären."
Stühle schrammten über den Marmorboden, als die Ratsherren sich erhoben und sich vor Gil-galad verbeugten, ehe sie die Ratskammer verließen. Als letzter blieb Elrond mit Gil-galad zurück. Der König schien erheitert.
„Immerhin weiß ich, dass du nicht eingeschlafen bist", tat er seine Erheiterung kund.
Elrond fand den Anstand, entrüstet zu tun. „Woran du nur wieder denkst, Galad!" Auch wenn sie pro forma im Verhältnis von Dienstherr und Untertan zueinander standen, so waren sie doch viel mehr als das mit der Zeit sehr gute Freunde geworden. „Aber woran willst du festmachen, dass ich nicht eingeschlafen bin?", fragte Elrond nach.
„Weil ich weiß, dass du nicht wie ein Elb mit offenen Augen schläfst", schmunzelte Gil-galad.
Elrond hob fragend eine Augenbraue. „Von wem hast du das?"
„Nun", machte Gil-galad ausweichend. „Ich verstehe mich eben auch gut mit Ceomon, musst du wissen."
Nun war Elrond ehrlich entrüstet. „Dieser Elb! Manchmal weiß ich nicht, ob er oder Rethtulu schlimmer ist!"
„Elrond, du tust ihnen Unrecht", hielt Gil-galad entgegen. „Dass du auch einfach nicht lernen willst, dass es auch Elben in dieser Welt gibt, die nur dein Bestes wollen. Eine wirklich schlimme Angewohnheit deinerseits."
„Und du verhält dich viel zu gern wie mein Onkel", konterte Elrond.
„Was? Gar nicht!" Gil-galad winkte ab. „Lassen wir das. Gibst du mir bitte deine Aufzeichnungen von heute?"
Elrond zögerte. „Nun, weißt du … Ich würde sie gern noch einmal ein wenig überarbeiten. Es ist noch nicht alles so sauber, als dass es in die Archive könnte." Er lächelte entschuldigend.
Gil-galad behielt seine fordernde Hand, wo sie war. Elrond seufzte und gab seinem König kleinlaut die Mitschriften. Gil-galad warf einen Blick auf sie und schon alsbald breitete sich ein breites Lächeln über sein Gesicht auf. Er reichte die Pergamente zurück.
„Nun gut, weil du es bist", gestand er Elrond zu, wurde dann aber ernst. „Aber, Elrond, dass mir das nicht noch einmal vorkommt. Ich weiß, dass es dir schwer fällt, dich zu konzentrieren, wenn du einfach monoton mitschreiben sollst, aber es muss sein. Einfach der Gerechtigkeit halber. Ich kann für dich keine Ausnahme machen."
Elrond neigte kleinlaut den Kopf. Es kam nur selten vor, dass Gil-galad ihn rügte, und wenn, dann nur, wenn er einen großen Fehler gemacht hatte. „Verzeih, es wird nicht wieder vorkommen", versprach er. „Ich werde an mir arbeiten."
Gil-galad klopfte ihm wieder freundschaftlicher auf die Schulter. „Nun denn, du weißt, was du zu tun hast", sagte er. „Für den Rest des Tages hast du frei, wenn ich mit der Reinschrift zufrieden bin."
Elrond verbeugte sich dankend und ging.
„Und das lass endlich diese vermaledeiten Verbeugungen!", donnerte Gil-galad hinter ihm.
Elrond lachte nur, denn er wusste, dass dies Ritual – seine Verbeugungen und Gil-galads Wutausbrüche darüber – rein freundschaftlicher Natur war, das sie immer und immer wieder wiederholten, um sich gegenseitig aufzuziehen. Als seien sie kleine freche Jungen.
Für die nächste Zeit begab sich Elrond in seine Gemächer. Irgendwer hatte hier schon wieder für Ordnung gesorgt, bemerkte er unzufrieden, und er wusste ganz genau, welcher Elb schon wieder sein Unwesen getrieben hatten. Dass er Rethtulu auch nichts verbieten konnte! Seufzend setzte er sich an seinen blitzblank geputzten Schreibtisch und musste wieder erst einmal nach seinen Schreibunterlagen suchen. Noch vor dem Rat hätte er ganz genau gewusst, wo sie vergraben waren!
Schließlich wurde er doch fündig und machte sich an die Arbeit. Nur um festzustellen, dass seine Mitschriften erschreckend lückenhafter waren als zunächst geglaubt. Grundgütiger! Ihn erwartete einiges an Arbeit, offensichtlich war das Gil-galads Strafe für sein Säumnis. Eine angemessene, wie er befand, immerhin war es sein Mist, den er hier ausbaden durfte. Er machte sich daran, sein Unterbewusstsein zu bemühen, das zu finden, was vielleicht doch bis in sein Hirn gesickert war.
Nach einiger Zeit und so einigen akrobatischen Denkleistungen hatte er dann doch das Beste aus seinen miserablen Mitschriften gemach. Er hoffte, dass es genügen würde, denn erbaulich war es noch immer nicht wirklich. Er sah ein letztes Mal über die Schriften. Nein, keine Fehler, alles stimmte. Mit den Schriften bewaffnet, begab er sich zu den Archiven.
Wie es der Zufall wollte, traf er dort Gil-galad an, wie dieser gedämpft eine Diskussion mit dem Archivar führte.
„Warum hat er sie denn noch nicht fertig?", hörte er gerade den Archivar gereizt fragen.
„Das geht Euch nichts an", entgegnete Gil-galad. „Er wird die Unterlagen noch einmal überarbeiten, dann könnt Ihr sie haben."
Elrond wurde klar, dass es um ihn und sein Versäumnis ging. Welch Peinlichkeit! Jetzt musste Gil-galad auch noch seinen Kopf für ihn vor diesem knauserigen Elb – den er schon immer furchtbar gefunden hatte, allzeit die Nase zwischen Büchern, noch viel mehr als er selbst – hinhalten. Er sollte sich schleunigst eine Wiedergutmachung einfallen lassen.
„Das ist indiskutabel, aran nîn, Ihr wisst das", konterte der Elb. „Ihr solltet dieses Verhalten nicht länger dulden. Er ist ja nicht einmal reinblütig!"
„Und doch ist er der Nachfahre Turgons sowie Thingols und Melians, vergesst das nicht!" Gil-galad klang verärgert. „Würdiger, diesen Rang zu bekleiden, als viele andere in diesem Land, will ich meinen. Und nun geht und maßt Euch nicht mehr an, Kritik an meinem Umgang mit meinen Untergebenen zu üben."
Der andere sah Gil-galad finster an und schien noch etwas zu sagen haben, ließ es dann aber bleiben und rauschte davon. Dabei kam er an Elrond vorbei, der schleunigst so tat, als habe er nichts gehört, und funkelte ihn bitterböse an. Elrond seufzte und trat zu Gil-galad. Noch immer wirkte der König gereizt, schien sich aber wieder zu entspannen, als er Elrond sah.
„Ich hoffe, du hast nicht alles mitbekommen", begrüßte er ihn.
„Genug, um zu wissen, dass auch er mir meine Stellung hier missgönnt", entgegnete Elrond. „Du siehst müde aus."
„Eher wütend", meinte Gil-galad. „Denn es macht mich wütend, dass es Elben wie diesen gibt, die immer und immer noch nicht verstehen wollen, dass du nun einmal ein wichtiger Teil dieser Gesellschaft bist. Nur weil du irgendwo unter deinen Vorfahren zwei Menschen hast. Eine Maia war immerhin auch dabei!"
Elrond seufzte. „Ich glaube", sagte er, „dass dies eher ein Vorwand ist, nur um nicht offen etwas gegen meine Onkel zu sagen, feige wie sie alle sind, denn dann würden sie ja auch gegen dich sprechen. Immerhin war mein Vater tatsächlich zur Hälfte Mensch und zur Hälfte Elb, und zu ihm blicken alle auf – nicht nur wortwörtlich. Vielleicht hätte ich damals einfach wieder gehen sollen, nachdem es Elros wieder besser ging."
„Elrond!", rief Gil-galad entrüstet aus. „Du sollst nicht immer alles so persönlich nehmen. Dich trifft in dieser Sache keinerlei Schuld, was kannst du schon für deine Vorfahren? Es gab so viele Dinge in deinem Leben, die du nicht hattest beeinflussen können. Jeder hätte wohl Maglor in sein Herz geschlossen, wäre er an deiner Stelle gewesen. Manche wollen es nur einfach nicht verstehen, kennen sie doch nicht die Elben, die die Söhne Feanors waren. Wir beide wissen es besser. Maedhros war meinem Vater ein sehr guter Freund, und so lernte ich auch Maglor gut kennen.
Du hättest nicht gehen sollen, niemals. Ich hätte es auch gar nicht zugelassen, wenn du aus solchen Gründen gegangen wärest. Es war gut, dass ihr nach dem Untergang Beleriands zu mir gefunden hattet. Und was hätte ich auch anderes tun sollen, als euch zu helfen, mehr tot als lebendig, wie ihr wart, verzweifelt und am Ende eurer Kräfte?
Und jetzt hör auf, dich ständig schlecht zu reden, denn diese Strafpredigt halte ich dir definitiv nicht zum ersten Mal. Sei wenigstens einmal dankbar und halt dich an meine Worte. Tust du ja sonst nie."
Elrond sah zu Gil-galad auf, und als er das Glitzern in dessen Augen sah, musste er lachen. „Es ist nur wenige Stunden her, da hielt ich dir vor, du dächtest viel zu oft, mein Vater sein zu müssen, und schon bestätigst du es, Galad!", rief er aus.
„Manche kleinen Bengel wollen ihre Lektion eben nicht lernen", scherzte Gil-galad. „Aber nun sag, was führt dich her? Hast du deine Unterlagen beendet?"
„Ja, dem ist so", bestätigte Elrond, nun ebenfalls wieder ernst, und reichte ihm die Mappe mit den Mitschriften. „Ich verspreche, es –" Doch bevor er zu Ende sprechen konnte, wurde er von einem Wink Gil-galads unterbrochen.
„Ich will's gar nicht hören", meinte dieser und besah sich die Aufzeichnungen. „Du entschuldigst dich viel zu oft für irgendwelches unnütze Zeug."
„Zweifelst du hier an Onkel Maglors und Onkel Maedhros' Erziehung?", fragte Elrond scherzend.
„Könnte man so sagen", warf Gil-galad ein. „Manchmal erkenne ich einige ihrer schlechten Eigenschaften in dir wieder, das solltest du dir abgewöhnen. Und das meine ich ernst, es ist immerhin zu deinem besten, glaub mir.
Aber nun gut, was das hier angeht", er wedelte mit dem Pergament, „das ist in Ordnung. Ein paar Lücken sind immer noch vorhanden, aber die haben niemanden zu stören. Es war sowieso nichts Wichtiges. So, und nun ab, geh spielen."
„Bitte, was?!", rief Elrond lachend aus. „Ich bin doch kein kleiner Junge mehr."
Gil-galad grinste schief. „Aber immer noch jünger als ich", mahnte er scherzhaft. „Ich will dich heute nicht mehr arbeiten sehen. Ich warne dich." Er drohte ihm spielerisch mit dem Finger.
Elrond lachte. „Wenn das ein Befehl sein soll, muss ich mich wohl daran halten", ging er auf das Spielchen ein. „Aber dann halt du dich wenigstens selbst einmal an deine Worte und arbeite einmal nicht so viel."
„Wer ist hier der König, frage ich?", konterte Gil-galad.
„Gut, du hast gewonnen", räumte Elrond ihm ein. „Dann werde ich mich also darum bemühen, mich für den Rest des Tages von Arbeit fern zu halten."
„Braver Junge."
Elrond verkniff es sich, ihm in die Seite zu knuffen. Irgendwo war Gil-galad ja nun doch der Hohe König, auch wenn er sich selten so benahm. Er verabschiedete sich und ging. Auf dem Weg zu seinen Gemächern passte er Ceomon ab, seinen Diener, Mädchen für alles und eigentlich viel mehr besten Freund.
„Mae govannen, Ceomon", begrüßte er ihn, der den Gruß erwiderte. „Sag mal, seit wann plauderst du mit Gil-galad über meine Schlafgewohnheiten?"
Ceomon legte eine Engelsmiene auf. „Wir waren eben ins Gespräch gekommen", meinte er nur, als sei es das normalste der Welt. „Der Hohe König ist ein sehr anständiger Herr, aber da erzähle ich Euch sicher nichts Neues."
Elrond schüttelte schmunzelnd den Kopf. „So lange kennen wir dich nun schon und noch immer verstehe ich weder dich noch Rethtulu. Wo ist er eigentlich? Ich sah ihn heute noch nicht."
„Er wird seine Arbeit verrichten – auf seine Art, Ihr kennt das ja", sagte Ceomon. „Kaum sieht man einmal nicht hin, richtet er schon wieder sein Unheil an."
„Ha! Dann siehst du das also genauso!", triumphierte Elrond.
„Nein, ich zitiere Euch lediglich." Die Engelsmiene wurde noch unschuldiger als ohnehin schon.
Elrond brummte missmutig und schwieg.
Was könnte er nur mit dem Rest des Tages anfangen? So viel Zeit! Das hatte er nur selten, meist arbeitete er von früh bis spät und nahm sich lediglich am Abend die Zeit für sein Tagebuch, das er seit Kindesbeinen an führte. Nun, wie war das vorhin mit den Möwen? Er beschloss, tatsächlich mal wieder ein wenig zu musizieren. In seinen Gemächern angekommen, bat er Ceomon, doch bitte seine Medizinvorräte zu sichten, zu sortieren und neu einzuordnen, was fehlte. Dann griff er zu seiner großen Harfe, die ihm einst Maglor geschnitzt hatte, nahm einige Notenblätter und etwas zu schreiben und begab sich damit in den Schlosspark.
Der Park war sehr groß, locker bewaldet, aber auch mit Blumenwiesen, Arkadengängen aus Efeu und Wein und zahlreichen Brunnen und Wasserspielen. Alles in allem generell ein wenig verspielt, jedoch in dieser Verspieltheit elegant und schön. Gil-galad hatte gute Außenarchitekten.
Elrond setzte sich unter einer alten Linde ins Gras, stellte die kostbare Harfe vor sich ab und schloss die Augen. Er liebte es, in der Natur zu sein. Alles war hier so frei, so grenzenlos, so bar jeglichen Zwangs. Es war, wie es nun einmal gewachsen war, allein dem Willen der Mutter Natur unterworfen. Ihn beeindruckte das zutiefst.
Langsam fanden seine Finger eine Melodie an den Harfensaiten, ganz wie von selbst. Maglor hatte ihn und seinem Bruder gelehrt, dass nur so die besten Melodien entstanden, Melodien, die aus einem selbst kamen und von keinem nüchternen Verstand beeinflusst worden waren. Maglor hatte sich nie wissenschaftlich mit Musik beschäftigt, er hatte ihnen keinerlei Fachtermini nennen können. Und er sagte, das bräuchte er nicht, Wissenschaft würde das Gespür für Kunst zerstören. Er hatte Recht.
Es waren die Schreie der Möwen, die da an den Saiten zu Musik wurden, das Rauschen des Meeres, die grenzenlose Freiheit, von den eigenen Flügeln bis zu den Sternen getragen zu werden. Mal langsamer, mal schneller, mal laut, mal leise.
Der letzte Ton erscholl, leise und fern, lange nachhallend, wie der Ruf der Möwen, die über da weite Meer zu fremden unerreichbaren Gestaden flogen, alle Geheimnisse der Welt mit sich nehmend. Was sie wohl finden würden? Welche Wunder der Welt entdecken?
Elrond bemerkte verwundert, dass jemand neben ihm saß. Es war Gil-galad. Wo kam er so plötzlich her?
Als hätte er Elronds Gedanken gelesen, schmunzelte Gil-galad. „Nun, ich dachte mir, du bist mein Berater, also halte ich mich einmal an deinen Rat und mache für heute nichts mehr", sagte er. „Ist ja auch ein wunderschöner Sommertag." Er streckte sich genüsslich, lehnte sich gegen den Baumstamm und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Einfach nur wir selbst sein, das tun wir alle viel zu selten", bemerkte er. „Du ebenso. Du solltest öfters musizieren. Ich habe dich beobachtet, du warst wie ausgewechselt."
„Ach, das … Das war doch nichts Besonderes", schwächte Elrond verlegen ab. „Nur ein paar wirre Gedankenfetzen, nichts weiter."
„Nichts Besonderes? Elrond, du untertreibst! Du untertreibst permanent, und das ist ebenso schlimm, wie eine zu hohe Meinung von sich selbst zu haben. Das war ein Meisterwerk! Aber was sollen wir auch anderes erwarten von dir, der du vom Besten der Besten gelernt hast."
„Ja, Maglor war der Beste", sagte Elrond. „Und er wusste das auch. Du hättest ihn mal erleben sollen, wenn irgendwer in seiner weiten Umgebung Daeron von Doriath erwähnte! Zu lustig!"
„Nun, ich nehme an, für den betreffenden Elben nicht", warf Gil-galad erheitert ein.
„Ja, das war wohl die andere Seite", räumte Elrond ein. „Aber wir konnten uns immer prächtig darüber amüsieren. Selber haben wir solches freilich unterlassen. Unsere Onkel ärgern, niemals!"
„Das glaube ich dir nicht", konterte Gil-galad. „Jeder hat als Kind anderen Streiche gespielt, bevorzugt den eigenen Eltern."
„Nein, wir waren brav, wir waren gut erzogen." Elrond schlug einen gespielt hochnäsigen Ton an.
Gil-galad sagte keinen Ton und sah ihn nur mit hochgezogener Augenbraue an.
„Dein bevorzugter Blick." Elrond seufzte. „Na gut, hin und wieder waren auch wir nicht ganz so wohlerzogen – wenn auch nie mit bösen Absichten. Einmal schlichen wir uns in Onkel Maedhros' und Onkel Maglors Werkstatt (sie waren eben auch bloß Söhne ihres Vaters). Wir wollten nur ein wenig für Ordnung sorgen, weil wir doch wussten, dass es Onkel Maedhros mit nur einer Hand schwer hatte in der Werkstatt, auch wenn er sich mit zahlreichen kleinen Gerätschaften Abhilfe zu verschaffen wusste. Selten haben sie uns so gerügt wie an diesem Tag."
„Das kann ich mir vorstellen", sagte Gil-galad. „Zwei kleine Jungen in einer Werkstatt, das kann übel ausgehen."
„Uns ist zum Glück nichts geschehen, mir wäre nur beinahe der schwere Schmiedehammer auf den Fuß gefallen. Danach hielten wir uns allerdings wirklich Meilen von der Schmiede fern."
Gil-galad schmunzelte. „Man muss sich eben erst die Finger verbrennen, um nachhaltig zu lernen, dass ein Herd heiß ist", sagte er. „Ich beneide dich um deine Kindheit."
Elrond sah ihn erstaunt an. „Wie meinst du das? Wie ist etwas an meinem Leben beneidenswert?"
„Du hattest eine behütete Kindheit, einen liebenden Vater, nein, sogar zwei", sagte Gil-galad. „Du lebtest in Frieden und frei von den Sorgen und Nöten dieser Welt. Wie kann ich dich da nicht beneiden? Von Kindesbeinen an wusste ich, dass ich eines Tages diese Krone würde tragen müssen. Dieser Tag war viel zu schnell gekommen mit der Nirnaeth Arnoediad und dem Fall Gondolins. Ich war ein kleiner Prinz, ein Erwachsener mit dem Alter eines Kindes. Mein Vater bemühte sich zwar, meine Kindheit so behütet wie nur irgend möglich zu gestalten, so ganz konnte er das wirkliche Leben aber nie von mir fernhalten. Nicht, dass er versagt hätte in seiner Erziehung, es ging nun einmal nicht anders, aber doch wünschte ich, ich hätte eine normalere Kindheit gehabt.
So früh schon musste ich ins Exil gehen, noch kaum dem Kindesalter entwachsen. Ich hatte eine feste Bindung zu Círdan, die noch heute anhält, das weißt du, doch er war mir nie das, was Maglor und Maedhros für dich und deinen Bruder waren. Viel zu früh erhielt ich diese Krone … Sie ist mir tatsächlich eine Last, erinnert sie mich doch allzeit daran, warum ich sie erhielt.
Und dann hörte ich, was in Arvernien geschah, dass sich Maglor eurer angenommen hat. Noch heute bin ich tief in meinem Herzen froh, dass die Schiffe von Balar zu spät kamen. Wer weiß, wie sonst alles geendet wäre?"
„Du bist froh darüber?", wunderte sich Elrond. „Das verstehe ich nicht. Meine Onkel haben dich verraten, sie haben ganz Beleriand dem Untergang preisgegeben, wäre Earendil nicht in den Westen gelangt."
„Beleriand wäre so oder so gefallen, ob mit oder ohne Arvernien", sagte Gil-galad. „Vielleicht war dieser Angriff ja sogar nötig, dass Earendil überhaupt in den Westen fand, nun, da ihn nichts mehr in Beleriand hielt, weder Frau noch Söhne? Aber darum geht es hier ja nicht. Ja, ich bin tatsächlich froh darüber, doch das muss unter uns bleiben. Denn ich wusste, dass Maglor Erbarmen für euch haben würde, und irgendwann einmal auch Maedhros. Ich kannte ihn wohl besser, als er vielleicht ahnte, Vater hatte viel von ihm erzählt; ich liebte die Geschichte, wie er ihn vom Thangorodrim befreite."
„Wie mein Bruder und ich, auch wenn wir lange nicht wussten, wer Maitimo und Findecáno waren", sagte Elrond.
„Und ich wusste, dass sie euch eine bessere Familie sein würden als Earendil und Elwing", fuhr Gil-galad fort. „Dass Earendil schlussendlich ein schlechter Vater war, konnte jeder sehen, auch wenn es niemand aussprach. Immerhin muss man ihm tatsächlich zu Gute halten, und das beherzige, Elrond, dass er sich bemühte. Wenn er einen Fehler hatte, dann war es der, seine Familie seinem Volk unterzuordnen; Vater hatte immer gesagt, dass man sich bemühen soll, es niemals so weit kommen zu lassen. Freilich habe ich das nie vor Elwing oder sonst irgendwem verlauten lassen, es wäre Elwing gegenüber nicht gerecht gewesen, denn sie hingegen war wirklich eine gute Mutter. Sie liebte euch von ganzem Herzen. Welche Mutter würde ihre Kinder nicht lieben? Ich weiß, was du jetzt sagen willst, dass sie euch zurückließ für einen Stein. Ja, das tat sie, und das war ihr einziger großer Fehler. Ich verstehe selbst nicht, warum sie es tat. Aber wir sind keine Frauen und erst recht keine Mütter – was vielleicht auch ganz gut ist."
Elrond schmunzelte. „Wer will schon permanent nicht verstanden werden?", meinte er.
„Als ich also hörte, dass sich Maglor Eurer erbarmte und ich mir all dies durch den Kopf gehen ließ", sagte Gil-galad, „da wusste ich, dass ich nichts tun würde. Ich würde die beiden letzten Söhne Feanor in keiner Weise bestrafen, denn euch bei sich aufzunehmen, wog für mich jeden Mord auf, den sie begangen haben. Ich schrieb ihnen lediglich einen mahnenden Brief, nur allein für die Elben, die vielleicht sonst gesagt hätten, ich hätte mich sehenden Auges blind gestellt für die Gräuel, die in Arvernien geschehen waren. Ich hätte die Feanorer verbannen müssen, verfluchen und ausstoßen aus meinem Volk, zur Heimatlosigkeit verdammen, zu Sklaverei und Tod. Doch nichts dergleichen. Es war gut, ihr Mitleid mit euch, und gesühnt hatten sie ohnehin schon genug, das wusste ich; sie hatten schon immer ein zu starkes Gewissen für ihre hitzigen Gemüter, eine ungesunde Mischung."
„Ja, eine ungesunde Mischung", stimmte Elrond dem zu. „Wie oft nur haben wir versucht, ihnen einzureden, dass sie das Beste waren, was uns je widerfahren ist, dass sie keine schlechten Elben sind! Aber darum beneidest du mich? Dass ich schlussendlich ohne meine leiblichen Eltern fern meines Geburtslandes aufgewachsen bin?"
„O ja, das tue ich", bestätige Gil-galad. „Denn du redest dich gerade selbst nur wieder schlecht. Deine Eltern waren Maedhros und Maglor und deine Heimat Ossiriand. Es sind nur Wortspielereien, die du hier mir entgegen hältst."
Elrond gab sich lächelnd geschlagen, denn Gil-galad hatte Recht. Seine Väter waren Maglor und Maedhros und seine Heimat Ossiriand. Und wenn Gil-galad ihn darum beneidete, dann bitte, sollte er doch.
„Es ist schön, dass wenigstens dieser Teil der alten Welt noch existiert", sagte er. „Ossiriand und Thargelion, ein Teil von Onkel Maglors Lücke und sogar der Himring. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie erstaunt wir waren, als wir die Insel fanden und Ceomon sagte, die Ruinen seien Onkel Maedhros' alte Festung gewesen. Es war schön, dort gewesen zu sein, und das obwohl ich schlechtes Wetter hasse. Ein Stück Heimat und Kindheit …"
„Steht eigentlich noch das Haus der Feanorer?", wollte Gil-galad wissen. „Oder das, was davon übrig ist?"
„Ja, aber es sind nur noch grasüberwucherte Ruinen", antwortete Elrond. „Bei den großen Beben und Umbrüchen am Ende des Ersten Zeitalters stürzte es in sich zusammen. Ich war seitdem immer wieder mal dort gewesen. Es ist mir, als wäre das alles noch gar nicht so lange her, als würde ich wieder mit Elros in den Wäldern spielen, die Laiquendi besuchen gehen, als würde Maglor mit uns picknicken gehen und uns all die Waldpflanzen zeigen und erklären. Vor meinem inneren Auge steht noch alles genauso, wie wir es damals verlassen mussten. Ein Jammer nur, dass mir allein Erinnerungen geblieben sind an glücklichere Zeiten."
„Siehst du, genau das meine ich!", rief auf einmal Gil-galad aus. „Das mit den schlechten Angewohnheiten, die du von Maglor und Maedhros hast. Auch sie hatten den Hang zu solchen Gedankengängen. Und jetzt sag nicht, ich wüsste nicht, wovon ich rede. Nachdem ich ihnen wegen Arvernien meine Abmahnung hatte zukommen lassen, schrieb mir Maglor eine äußerst reumütige Entschuldigung. Er hätte wirklich alles getan, um sich bei mir wieder gut zu stellen – was er gar nicht hatte brauchen müssen. Maedhros hatte gar nicht erst den Mut aufbringen können, dem Sohn seines besten Freundes auch nur brieflich unter die Augen zu treten. Danach aber hatten wir noch einige Briefkonversationen unter der Hand, von der kaum einer etwas weiß, dadurch weiß ich ganz gut, wie es, als es auf das Ende zuging, in ihren Köpfen zuging."
„Und das war keine schöne Angelegenheit, das glaub mir …" Elrond seufzte.
Sie verfielen in Schweigen.
Nachdenklich glitten Elronds Finger über die Saiten der Harfe. Gil-galad rutschte ein wenig am Baumstamm hinter ihm herab und starrte zur Krone hinauf. Seine eigene saß unachtsam schief auf seinem Kopf. Über ihnen flatterten ein paar Vögel umher, jagten sich gegenseitig und zwitscherten dabei munter. Ein Blatt segelte zu Boden.
„Wenn du das Leben malen würdest – und ich weiß, dass du malst, Elrond –, welche Farbe würdest du ihm geben?", fragte Gil-galad.
Elrond sah den König verwundert an und hielt inne in seinem Harfenspiel. „Wie meinst du denn das?", fragte er.
„Wie ich es sagte", meinte Gil-galad. „Aber bitte spiel weiter, es war so schön."
Elrond kam dem nach und überlegte. Welche Farbe würde er dem Leben geben? Seinem? „Ich würde es grün malen", sagte er. „So grün wie die Wälder Ossiriands, so saftig wie seine Felder und so smaragden wie seine sieben Flüsse. Ich würde so viele Grüntöne hineinmischen, wie ich nur kann. Grün ist die Farbe der Hoffnung, und bei allem, was wir tun, dürfen wir doch nie die Hoffnung verlieren, selbst wenn das Ende nahe ist. Das Leben ist für mich grün."
„Eine gute Antwort", sagte Gil-galad. „Und welche Melodie hat das Leben für dich? Wie klingt es?"
Da brauchte Elrond nicht lange zu überlegen. „Wie Onkel Maglors Musik", sagte er. „Er hatte immer von den Dingen gespielt, die wir am meisten mochten. Er hatte so meisterlich spielen können, dass er das Rauschen des Windes im Laub und das leise Ächzen der Äste perfekt nachahmen konnte, das zarte Singen der Vögel, ja sogar das Meer hatte er so perfekt gespielt, dass ich es so genau vor mit sehen konnte wie jetzt, lange bevor ich es das erste Mal bewusst sah. Ohne Onkel Maglors Musik ist die Welt so viel ärmer."
„Doch du tust ihr einen großen Gefallen, denn du bist nicht viel schlechter als Maglor." Gil-galad setzte sich auf. „Ich glaube, du brauchst eine Frau", sagte er unvermittelt.
„Äh … was?", brachte Elrond verwundert hervor.
„Du träumst den ganzen Tag vor dich hin, auch wenn es dir nicht mal mehr selbst immer bewusst ist, bist furchtbar eigenbrötlerisch und hast so deine Macken", sagte Gil-galad trocken. „Eine Frau würde dir sicher gut tun. Soll ich mich einmal für dich umsehen, wer in Frage käme? Meine erste Wahl würde ja auf Celebrían fallen. Es heißt, die Tochter Galadriels und Celeborns sei von unvergleichlicher Schönheit. Wäre doch was für dich, wo du schon Lúthiens Nachkomme bist."
Elrond schnappte nach Luft. „Galad!", entrüstete er sich. „Wohin denkst du?! Was soll ich mit einer Frau? Ich habe schon genug mit meinen Pflichten zu tun!"
„Genau das meine ich, du unverbesserlicher Exzentriker." Gil-galad zwinkerte verschmitzt.
„Und außerdem solltest du dich zuerst einmal selbst um deinen Erben kümmern, bevor du mir eine Frau an den Hals jagen kannst", konterte Elrond.
„Ach, weißt du, das Leben als alleinstehender König hat doch auch so seine Vorteile", meinte Gil-galad gelassen. „Mir gefällt es so besser."
Elrond seufzte und verdrehte die Augen. Gerade setzte er an, etwas hinzuzufügen, als er sah, wie Erestor auf sie zuhielt. Er erhob sich und half dann auch Gil-galad auf die Beine. Erestor blieb vor ihnen stehen und verbeugte sich. Einer der wenigen, die Elronds höhere Stellung anerkannten; tatsächlich waren sie durchaus gute Freunde.
„Aran Meneltyalda, heru Elrond", begrüßte er sie.
„Sprecht, Erestor, was treibt Euch zu uns?", forderte Gil-galad ihn auf.
„Celebrimbor von Eregion lässt Euch brieflich Nachricht zukommen", sagte Erestor. „Der Bote sprach von äußerster Dringlichkeit, der Brief sei allein von Euch zu öffnen."
Gil-galad runzelte die Stirn und nahm den Brief entgegen. Er brach das Siegel und las.
Ohta ercassenóresse - Krieg in Eregion (unter Missachtung, dass eine Stechpalme kein Stechginster ist, fand aber ansonsten kein synonymes Wort im Quenya); Quenya
I lindi cuileo - Die Melodien des Lebens; Quenya
mae govannen - Wohl getroffen (Begrüßung); Sindarin
Aran Meneltyalda - Eure Majestät; Quenya
tornin - mein König; Sindarin
heru - Herr, Meister; Quenya
