Zu diesem Text, ein Dreiteiler von ca. 15.000 Wörtern Länge, muss vielleicht gesagt werden, dass er zu den etwas Älteren meiner Texte zählt. Er entstand 2012 in einer Zeit, in der gerade wieder Biathlon-Saison war und ich mich mal wieder etwas intensiver mit der Underworld-Filmreihe beschäftigte. Ich denke, das erklärt ein paar Dinge. Viel Spaß beim Lesen!
Elrond hasste Winter, das war nichts Neues. Es war kalt und es war glatt, doch immerhin lag kein Schnee. Vielleicht war aber genau das das Schlimmste an diesem Tag. Irgendwie war dies so oder so nicht sein Tag, alles, was er anfasste, ging daneben. Es hatte damit begonnen, dass er schon kurz nach dem Aufstehen den Türpfosten mitgenommen hatte. Nun trug er einen Verband um den Kopf.
Gil-galad hatte ihn schon in aller Frühe zu sich gerufen. Sie alle wohnten noch in einfachen Behausungen, teils sogar noch in Zelten, was auch für den Hohen König galt, denn sein Palast war noch immer im Aufbau. Gil-galad begnügte sich im Moment mit einem für seine Verhältnisse recht bescheidenen Heim. Und genau dorthin hatte der König Elrond bestellt.
Er zog an einer Schnur neben der Tür, woraufhin im Haus eine kleine Glocke läutete. Kurz darauf öffnete ein Diener die Tür und ließ Elrond sofort hinein, als er ihn erkannte. Elrond war froh, ins warme Haus treten zu können, denn die Straßen waren teils gefährlich glatt.
Gil-galad war (im Gegenzug zu Elrond) ein ausgesprochener Frühaufsteher. Und schon wieder am Arbeiten. „Die Sonne steht noch keine Stunde am Himmel und Ihr sorgt Euch schon um Eure Finanzen?", begrüßte Elrond hin leichthin, als er in das Arbeitszimmer des Königs trat.
Gil-galad seufzte. „Zum wohl tausendsten Mal und dieses Mal befehle ich es dir: Lass die Formalitäten weg!", wiederholte er das, was er schon seit mehreren Jahren Elrond vorbetete. „Abgesehen davon, dass ich zu viele Schulden habe. Die Valar hätten ruhig sanfter mit dem Land umgehen können, so hätte ich nicht bei Null anfangen müssen. Es ist so immens kostspielig, ein Land und eine funktionierende Wirtschaft auf die Beine Stelle zu müssen. Was hast du da eigentlich schon wieder angerichtet?"
„Es ist nichts, die Tür hatte sich mir nur in den Weg gestellt." Elrond trat an den Schreibtisch und besah sich ein vollgeschriebenes Pergament voller Berechnungen und Notizen. „Könnt Ihr ...? Ich meine, zeigst du es mir bitte?", fragte er.
Gil-galad schob ihm den Zettel zu und sah nicht glücklich darüber aus. „Hast du eine Lösung?"
Stirnrunzelnd besah sich Elrond die Rechnungen. „Nicht aus dem Stegreif", gestand er. „Es tut mir Leid."
Gil-galad nahm seine Notizen wieder entgegen. „Lassen wir das", sagte er. „Wie geht es deinem Bruder? Er war doch jüngst so schwer krank."
„Die Nachwirkungen unserer Flucht aus Beleriand machen sich noch immer bemerkbar", sagte Elrond. „Dennoch ist es um seine Gesundheit den Umständen entsprechend sehr gut bestellt."
„Na das hört man doch gern!" Gil-galad wühlte in seinem Pergamentchaos und zückte schließlich einige Blätter. Er reichte sie Elrond. „Sei so gut und bring mir das zum Schmied."
„Was ist das?", wollte Elrond wissen.
„Weitere Aufträge." Ein wenig selbstironisch fügte der König an: „Und somit weitere Schulden."
Elrond nickte und machte sich auf den Weg. So früh am Morgen war die Luft besonders eisig, sodass ihm der Atmen in weißen Wolken vor dem Gesicht stand. Leider machte genau das den Boden tückisch und gefährlich. Er sah das Glatteis nicht. Plötzlich riss es ihm die Beine unter dem Leib weg, er strauchelte, die Pergamente flogen im hohen Bogen in die Luft, und dann durfte er äußerst unsanft mit dem Boden Bekanntschaft machen. Er fluchte herzhaft.
Ja, alles, was er an diesem Tag anfasste, wurde nicht so wirklich das, was er wollte. Einige der Bewohner, die er nicht kannte, hatten freilich sein Missgeschick beobachtet. Es waren junge Elben, die in einigem Abstand dastanden und sich herzlich amüsierten. Verlegen senkte er den Blick und versuchte irgendwie, einen Rest Würde zu bewahren.
„Es ist ja so unglaublich glorreich, Tuor und Beren als Vorfahren zu haben", spöttelte einer. „Wenn man nur ein Mischling ist, sollte man lieber Acht geben. Findet Ihr nicht auch, Herr Elrond?"
Weniger spottend und eher verletzend fügte ein anderer an: „Das ist eine Behinderung des öffentlichen Alltags! Ich verstehe nicht, wieso der König sich mit so etwas abgibt. Und sein Bruder soll noch schlimmer sein, da er mehr Mensch als alles andere ist."
„Ich frage mich, wie Earendil so viel erreichen konnte und wie es dann kommen konnte, dass seine Söhne so sehr in seinem Schatten stehen", sagte ein Dritter.
„Das siehst du doch, es ist möglich", sagte der Erste. „Und wenn Earendil genauso war, dann können wir vom Glück reden, dass wir alle noch leben! Lasse dich niemals mit Menschen ein, und schon gar nicht, wie Lúthien und Idril es getan hatten! Da am Boden sieht man ja, was daraus wird."
„He, sag mal, hast du nicht diese Mörder 'Onkel' genannt?", fragte der Zweite.
„Was? Nein!", riefen die anderen aus. „Wirklich?"
„Es wird immer schlimmer", ergänzte der Dritte. „Das ist ja die Krönung vom Ganzen! Das waren elende Bastarde, die den grausamsten Tod verdient haben. Sie haben meine Heimat zerstört! Wegen ihnen wären wir beinahe Morgoth unterlegen gewesen, weil sie alles und jeden ermorden mussten."
„Wie kann man so jemand nur ansatzweise mögen?", wunderte sich der Erste. „Sie haben doch auch deine Heimat zerstört. Wie kannst du ihnen da nur die geringste Sympathie entgegen bringen?"
Das war eindeutig zu viel für Elrond. Er spürte die Wut in sich aufsteigen und musste sehr an sich halten, um die spottenden Elben nicht heftigst anzufahren. Abgesehen davon, wie sehr ihre Worte ihn verletzten. Er sagte nichts, denn sie würden es sowieso nicht verstehen wollen. Also sammelte er nur schweigend die verlorenen Pergamentbögen wieder ein und machte sich auf den Weg zu der Schmiede.
Am liebsten hätte er sich in irgendeine dunkle Ecke verkrochen und wäre wieder der kleine Junge, der über alles weinen durfte. Aber dem war nicht so, und er musste an sich halten. Oh ja, er wusste, warum er den Winter hasste! Warum musste ausgerechnet er so tollpatschig sein, dass er auf dem Eis ausgerutscht war? Warum konnte er nicht wie die anderen Elben sein? Dabei hatte er sich nun schon für ihr Schicksal entschieden! Wahrscheinlich war er wirklich nur halb so viel wert wie sie. Doch wenn es für ihn galt, dann galt das noch lange nicht für seinen Bruder! Und genau das war der Punkt, der ihn am meisten verletzt und wütend gemacht hatte: dass diese Elben sich nicht nur mit ihm begnügt hatten, sondern auch über seine Familie hergezogen waren. Die Bemerkungen über Earendil waren ihm egal, doch seinen Bruder und Maedhros und Maglor waren ihm teurer als jeder andere auf dieser Welt. Es schmerzte ihn sehr, dass sie wegen ihm nun in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Dabei verstanden all diese Elben hier Maedhros und Maglor kein bisschen! Sie alle reduzierten sie auf ihre Taten, die zugegebener Maßen wirklich nicht immer löblich gewesen waren, doch die Elben, die dahinter standen, beachtete niemand.
Am liebsten wäre Elrond zu seinem Bruder gegangen. Dieser hatte hin und wieder ebenfalls über seine Tollpatschigkeit gespöttelt, doch umgekehrt galt dasselbe, und stets hatten sie sich gegenseitig mit ihren Worten zum Lachen gebracht. Doch um ehrlich zu sein, es war Elrond peinlich, so vor seinen Bruder oder gar irgendjemand anderen zu treten. Elros brauchte nicht auch noch mit seinen Nöten belastet zu werden.
Was machte er überhaupt noch hier? Langsam wurde ihm Gil-galads Entscheidung, ihm und seinem Bruder zu helfen und sie bei sich zu beheimaten, tatsächlich unerklärlich. Er war doch wirklich zu nichts nütze! Er war ja noch nicht einmal fähig, sein Gleichgewicht zu halten, geschweige denn gerade aus laufen zu können. Dabei hatte doch auch er sehr wohl elbisches Blut, sogar viel mehr als der menschliche Anteil. Aber das Schicksal wollte es anscheinend böse mit ihm meinen.
Derlei Gedanken nachhängend, erreichte er schließlich die Schmiede. Es war laut, warm und rußig und erinnerte ihn an seine alte Heimat in Ossiriand. Maglor weniger, doch Maedhros hatte auch da noch hin und wieder in der Schmiede gearbeitet, auch wenn er es mit nur einer Hand stets sehr schwer gehabt hatte. Aber er war sehr erfindungsreich gewesen und hatte sich kurzerhand allerlei Hilfsmittel gebastelt. Wehmütige Erinnerungen kamen in Elrond auf, wie er noch als kleiner Junge oft beinahe ehrfürchtig seinem Onkel beim Arbeiten zugesehen hatte, auch wenn Maedhros ihm nie erlaubt hatte, die Schmiede zu betreten. Es sei zu gefährlich für einen kleinen Jungen, hatte er gesagt.
Er fand den Schmied an der Esse, wie er das Feuer neu entfachte. Der stämmig gebaute Elb unterbrach zwar nur ungern seine Arbeit, doch ganz gleich, was Elrond an diesem Tag denken mochte, er war bei weitem nicht bei allen unbeliebt. Der Schmied ließ vom Blasebalg ab und wandte sich zu ihm um, die rußigen Hände an seiner Schürze abwischend.
„Was verschafft mir die Ehre?", begrüßte er ihn.
Elrond hielt ihm die von seinem Sturz ein wenig mitgenommen Pergamente hin. „Der König lässt dies ausrichten", sagte er.
Aufmerksam besah sich der Schmied die Aufträge und seufzte. „Kann das nicht warten?", beschwerte er sich. „Ich habe auch so schon zu viel zu tun und mir gehen die Rohstoffe aus; wir haben kaum noch welche."
„Mach einfach, was man dir aufträgt", erwiderte Elrond ein wenig unwirscher als gewollt. Die Begegnung mit den jungen Elben hatte ihn sehr gereizt. „Wir alle haben kaum etwas zur Verfügung und müssen damit zurechtkommen wie jeder andere auch. Irgendwie wird es schon vorangehen."
Der Schmied neigte den Kopf. „Verzeiht", entschuldigte er sich.
Elrond nahm es schweigend hin und machte sich auf den Weg, um seinen eigenen Aufgaben nachzugehen. An diesem Tag rief Gil-galad ihn nicht noch einmal zu sich, und Elrond glaubte auch zu wissen, warum: Wer wollte schon solch einen ungeschickten Untertan?
Wenn er also nichts anderes zu tun hatte, half er dem Heiler, denn während sich sein Bruder eher für die Politik und die Historie begeistern konnte, lag seine Passion in der Heilkunst. Er hatte noch viel zu lernen und war froh, dass sich der Heiler seiner angenommen hatte. Wenigstens einer, der es mit ihm aushielt ... An diesem Tag jedoch war er nicht wirklich bei der Sache und seine Gedanken waren zerstreut.
„Elrond, was ist los mit dir heute?", wollte der Heiler wissen und zeigte Anteilnahme.
Doch Elrond war nicht der Typ, der gern über seine Probleme sprach, sondern fraß sie lieber in sich hinein. Mit dieser etwas schwierigen Angewohnheit Elronds hatte Elros schon lange Bekanntschaft machen dürfen und hatte so seine Probleme, sie ihm auszutreiben. Bislang mit nur wenig Erfolg.
„Es ist nichts", sagte Elrond nur und wich dem Blick seines Ausbilders aus.
Ebenjener runzelte fragend die Stirn, beließ es aber dabei beruhen.
Elrond machte sich wieder daran, Kräuter zu zermahlen und sie schließlich zu einer schmerzlindernden Salbe zu verarbeiten. Doch noch immer war er nicht so wirklich bei der Sache, seine Bewegungen bei weitem nicht so automatisiert, wie sie sollten. Der Heiler sah sich das eine ganze Weile nur schweigend an. Dann trat er auf Elrond zu.
„Lass mich machen", sagte er sanft. „Ich stelle dich für heute frei, denn egal, was du sagst, irgendetwas beschäftigt dich."
Elrond sah ihn unwillig an. „Ich sagte schon, es ist nichts."
Der Heiler seufzte zwar, zuckte aber dennoch mit den Schultern.
Just in diesem Augenblick kam ein weiterer Elb in den streng nach Kräutern riechenden Raum, dem Heiler eine längere Diskussion ersparend. „Herr Elrond?", begann er. Besagter horchte auf und trat auf ihn zu. „Am großen Tor stehen einige fremde Elben, die nach Euch und Eurem Bruder fragen."
Elrond runzelte die Stirn. „Haben sie gesagt, was sie wollen?", wollte er wissen.
„Nein, aber einer von ihnen trug den Stern der Feanorer und war schwer bepackt", entgegnete der Neuankömmling.
Elrond sah fragend zu dem Heiler.
„Ich habe dir gesagt, du bist für heute freigestellt, also geh und sieh, was sie von dir wollen", sagte dieser.
Also machte sich Elrond auf dem Weg, dieses Mal allerdings wesentlich vorsichtiger als noch vor einigen Stunden. Er wollte nicht schon wieder den Boden von nahem sehen. Während er noch durch die Ansiedlung ging, kam ihm der Gedanke, dass es doch eine sonderbare Ansammlung von Gebäuden war. Am Ende des ersten Zeitalters hatte Gil-galad alle um sich gesammelt, die er nur hatte finden können, und war mit ihnen über die Ered Luin gezogen. Elrond und Elros waren da noch irgendwo in Beleriand auf der Suche nach Maglor, der noch in diesen Tagen als verschollen galt, doch auch sie mussten ihre Suche schließlich abbrechen und waren unter vielen Mühen über die Ered Luin gezogen, auch wenn dies beinahe Elros' Tod gewesen wäre. Doch sie hatten es geschafft und waren zu ihrer Rettung schon alsbald auf Gil-galad gestoßen, der sie bei sich aufgenommen hatte. Gemeinsam mit seiner Gefolgschaft waren sie weitergezogen, sobald Elros wieder kräftig genug dazu gewesen war, und waren mit ihm zurück über die Berge nach Ossiriand gezogen, oder besser dem, was davon über war und nun Lindon hieß. Círdan hatte seine Anfurten gegründet, ein neues Zeitalter hatte begonnen, und Gil-galad hatte sich in Lindon niedergelassen. Man hatte seine Zelte aufgeschlagen, nach und nach wurden Wege und Befestigungen errichtet und schließlich auch die ersten Häuser. Noch immer war es eine bunte und etwas rustikale Mischung an Behausungen und Gebäuden. Elrond wünschte sich, Maglor könnte dies sehen, was sie hier beharrlich leisteten.
Maglor ... Sie hatten ihn schon einmal gesucht, er und sein Bruder, kurz nachdem sie erfahren hatten, Maedhros habe den Tod gefunden und Maglor sei spurlos verschwunden. Doch dann hatten sie die Suche aufgeben müssen, denn große Gefahr nahte vom Westen und aus dem Meer. Beleriand brach auseinander und versank in den Fluten. Sie mussten fliehen. Seitdem hatten sie Maglor nicht weiter suchen können. Vielleicht war es ja wieder an der Zeit dafür.
Mittlerweile hatte Elrond das Tor erreicht und nur kurz darauf erschien sein Bruder. Eine Gruppe von Elben stand dort. Einer, der ein Stück größer war als die anderen, trug auffallend deutlich den Stern der Feanorer auf seiner Kleidung, führte ein großes Schwert bei sich und trug schwer an allerhand Gepäck. Als er nun die Zwillingsbrüder erblickte, erfüllte Erleichterung sein Gesicht. Er trat auf sie zu und umarmte sie kurzerhand. Die Zwillinge wirkten überrascht, zumal sie den Elben aus ihren Kindertagen kannten.
„Erinnern sich die jungen Herren noch an mich?", begrüßte er sie glücklich. „Ich bin Ceomon, Prinz Maglors Diener. Oder zumindest war ich das einmal."
„Ceomon, ja!", riefen die Zwillinge aus. Besagter Ceomon stand früher immer des Nachts vor ihrer Türe Wache, als sie noch in Maedhros' Haus in Ossiriand gewohnt hatten, und war ihnen schon da ein guter Freund gewesen. Sie hätten niemals damit gerechnet, ihn wieder zu sehen, doch es freute sie nun umso mehr.
„Was führt dich denn hierher?", wollte Elros wissen.
Ceomon lud sein Gepäck ab und präsentierte es den Zwillingen. Oben auf saßen ein Stoffbär und ein kleiner geschnitzter Hund. Die Zwillinge machten große Augen. „Dies ist Prinz Maglors letzter Befehl an mich gewesen", erklärte Ceomon. „Er trug mir auf, in sein Haus zurückzukehren, Eure Habseligkeiten zusammenzusuchen und sie Euch dann zu überbringen. Hiermit ist der Auftrag hoffentlich zu Eurer Zufriedenheit ausgeführt." Er verbeugte sich. „Gleichsam aber stelle ich mich nun in die Dienste der jungen Herren als ihr Diener und Leibwächter. Ich werde Euch überall hin folgen, so wie ich einst Prinz Maglor in jedwede Gefahr folgte."
Die Zwillinge waren sprachlos und das wohl zu Recht. Freilich bemerkte Ceomon die Verwirrung der Zwillinge. „Es ist nicht nur, weil Prinz Maglor in Euch seine Kinder sah (auch wenn ich glaube, Euch wäre es lieber, er sei selbst hier erschienen, was, wie ich vor wenigen Augenblicken erst vernahm, nicht der Fall ist)", erklärte er, „sondern vor allem um Eurer selbst willen. Ich glaube, eines Tages werdet Ihr es noch sehr weit bringen, Ihr werden für die Geschicke dieser Welt nicht unerheblich sein. Solchen Persönlichkeiten diene ich nur allzu gern."
Elrond hatte es noch immer die Sprache verschlagen. Er wusste nicht so recht, mit der Situation umzugehen, und wurde daraus einfach nicht schlau.
„Wollt Ihr nicht wissen, was ich Euch mitbrachte?", fragte Ceomon leichthin.
Elros hatte sich als erster wieder beisammen. „Ja, freilich! Komm mit, unser Heim ist nicht fern." Es war tatsächlich eine der ersten Amtshandlungen Gil-galads gewesen, für die Zwillinge ein kleines Haus bauen zu lassen, nicht ganz so groß wie seines, aber immerhin. Darin wohnten sie, solange sich der Palast noch im Aufbau befand.
Dorthin führten sie nun Ceomon. Er hatte wieder sein Gepäck geschultert und folgte den Zwillingen. Im Haus angekommen, setzten sie sich im Wohnbereich an einen Tisch. Während Ceomon begann, die mitgebrachten Habseligkeiten der Zwillinge auszupacken, eilte Elrond noch einmal davon und kehrte kurz darauf mit einem Tablett wieder, auf dem eine Teekanne und drei kleine Tassen standen. Er schenkte jedem von ihnen ein und setzte sich dann ebenfalls.
Sodann überreichte Ceomon ihm den Bären und der geschnitzte Hund, Huan, um genau zu sein, ging an Elros. „Ich habe noch zahlreiche andere Dinge retten können", sagte er. „Doch vieles ist verloren gegangen oder zerstört. Bei den zahlreichen Erdbeben war das Haus eingestürzt und später hat eine Erdlawine es teils unter sich begraben."
Elrond besah sich mit Begeisterung den Bären. „Den hat mir Onkel Maglor genäht, als ich einmal in meiner Kindheit Zahnschmerzen hatte, wisst ihr noch? Ich habe ihn Herr Bär genannt", sagte er. „Hab dank, dass du diese Gefahren allein für uns auf dich genommen hast, Ceomon."
„Es war mir eine Selbstverständlichkeit", versicherte Ceomon.
Noch eine ganze Weile besahen sie sich das, was Ceomon ihnen da gebracht hatte, und schwelgten in Erinnerungen an glücklichere Tage, als sie noch ihre Onkel hatten. Ein besonderes Stück war hierbei ein Bild, das Maedhros einst gemalt hatte. Es zeigte eine frühlingshafte Morgenlandschaft mit den Kindern Elrond und Elros und all den Dingen, die sie in Ossiriand gemocht hatten und jetzt noch mit ihrer alten Heimat verbanden. Das Bild war so naturgetreu und detailreich gemalt, das man denken konnte, mitten im Wald Ossiriands zu stehen.
„Wir leben hier auf demselben Grund und Boden und doch ist es nicht dasselbe", sagte Elros mit einem Male wehmütig.
Sie verfielen in Schweigen, hatten sie sich doch bis zu diesem Augenblick noch angeregt unterhalten. Elrond starrte seinen Plüschbären an und dachte an das, was einst war und was hätte sein können. Wäre nur nicht der Eid gewesen. Schlussendlich hatte er alle zerstört, die an ihn gebunden waren, und noch viele mehr.
„Wir sollten Onkel Maglor suchen gehen", sagte er unvermittelt.
Elros horchte auf. „Meinst du? Es ist mitten im Winter."
„Na und?", erwiderte Elrond. „Gerade das ist doch ein Grund. Unser Onkel ist irgendwo da draußen und ist dem Wetter schutzlos ausgeliefert. Onkel Maedhros hat uns doch erzählt, dass nicht einmal ein Noldo solche Wetterbedingungen ohne Weiteres aushält, und er sprach ja aus Erfahrung. Noch ist nicht alle Hoffnung vergebens, ihn wieder zu finden."
„Ihr habt also nicht aufgegeben, nach ihm zu suchen?", fragte Ceomon, dem die Zwillinge während ihres Gesprächs von ihrer Flucht aus Beleriand berichtet hatten.
„Wir wurden gezwungen, unsere Suche für's Erste einzustellen, doch aufgeben werden wir niemals", sagte Elrond.
„Aufgeben ist ein Verbrechen!", pflichtete Elros ihm bei. „Onkel Maedhros hat das immer gesagt, aber ich glaube, er bezog es nie auf sich selbst. Ich zumindest werde dir folgen, Bruder. Wir werden Onkel Maglor schon finden."
„Und auch ich werde Euch folgen, Herr Elrond", bekräftigte Ceomon.
Elrond wirkte verlegen ob der förmlichen Anrede. „Kannst du das bitte lassen, Ceomon? Wir sind doch Freunde."
„Aber Ihr seid nun mal jetzt ein Herr, also müsst Ihr wie einer angeredet werden", konterte Ceomon das erste Mal in einer noch lange währenden Freundschaft. „Geht lieber zu Eurem König und bittet ihn um Erlaubnis, Euch für ein paar Wochen oder vielleicht gleich Monate freizustellen."
Elrond ließ sich das keine zwei Mal sagten. Sodann machte er sich auf den Weg zu Gil-galad. Es war schon recht spät am Nachmittag und allmählich beruhigte sich der Verkehr auf den Straßen. Unterbewusst hielt Elrond nach den Elben des Vormittags Ausschau, konnte sie aber zu seiner Beruhigung nicht entdecken. Dennoch beeilte er sich erneut nicht übermäßig, denn das mit der Glätte war noch immer ein Problem.
Erneut wurde er ohne große Zeremonie zu Gil-galad vorgelassen. Rasch war von Ceomon berichtet (worüber sich Gil-galad für ihn erfreut zeigte) und von dem Gedanken, der ihm dadurch gekommen war. „Wir werden gewiss einige Monate fern bleiben", sagte er. „Ich weiß, Ihr, ich meine, du brauchst mich hier, aber dennoch bitte ich darum, uns für diese Zeit freizustellen."
„Als würde ich dich absolut nicht entbehren können, obwohl du deinen Onkel suchen willst!", sagte Gil-galad. „Freilich wird dein Antrag bewilligt." Er kritzelte etwas hastig auf ein Pergament und reichte es Elrond. „Reine Formsache, dass du es auch schriftlich hast. Mir liegt viel mehr etwas ganz Anderes am Herzen, denn mir kamen so einige Dinge bezüglich einiger Ereignisse diesen Morgen zu Ohren. Warum bist du nicht gleich zu mir gekommen?"
Elrond stutzte. Woher wusste sein König davon? Er hatte es schließlich niemandem erzählt. Hatten die jungen Elben getratscht? Oh weh! Bald würde die ganze Welt von seinem Missgeschick wissen!
„Das ... das war doch nichts, nur eine Lappalie", versuchte er auszuweichen. Ob Gil-galad ihn jetzt von seiner Seite schicken würde?
Gil-galad hingegen wusste genau, was in Elrond vor sich ging. Er sah ihn mitfühlend an. „Es ist ganz und gar keine Lappalie", hielt er sanft dagegen. „Du kennst Thingol und Melian die Maia, denen einst das Reich von Doriath gehörte und die vor der Ankunft der Noldor Herrscher über ganz Beleriand gewesen waren. Und du kennst Tuor und Idril Celebrindal, die die Fliehenden sicher aus dem gefallenen Gondolin führten. Ebenso hörtest du von Beren und Lúthien, die Sauron und Morgoth höchstselbst die Stirn boten, sie niederrangen und bestohlen. Sie waren es, die einen Silmaril aus Morgoths Krone brechen konnten, niemand sonst.
Elrond, darauf solltest du stolz sein und nichts Anderes! Ich meine, wer in der Welt außer du und dein Bruder kann behaupten, in sich drei Völker zu vereinen? Und darunter ist kein Geringeres als das der Maiar! Lass diese spöttelnden Jungspunde reden, was sie wollen, sie wissen es doch nicht besser. Was soll es dich kümmern? Steh über den Dingen. Einmal ganz davon abgesehen, dass die Betroffenen schon längst von mir persönlich zur Resonanz gerufen und ihrer gerechten Strafe zugeführt worden sind."
Elrond war wieder einmal sprachlos und doch auch gleichsam froh, Gil-galad zu kennen. Er wusste in solchen Momenten, warum Maedhros Fingon so sehr geschätzt hatte, denn Gil-galad war wie sein Vater. Elrond war froh und dankbar, solch einem Elben, König und Lehnsherren folgen zu können. „Hab dank", sagte er leise und doch lächelnd.
Gil-galad musste schmunzeln. „Geht doch", meinte er. „Und jetzt mach dich ab, lass deinen armen Bruder nicht allein packen!"
Nun mit deutlich besserer Laune eilte er zurück zu dem kleinen Haus, um freudig zu verkünden, seine Bitte sei genehmigt worden. Es wurde also doch besser.
Sie begannen noch an diesem Abend mit dem Packen, hatten die Abreise aber erst für den nächsten Morgen vorgesehen. Über Nacht war aber nun zu ihrem Leidwesen erstaunlich viel Schnee gefallen, was die Sache mit dem Reisen zumindest für die Peredhil ein wenig komplizierter machte. Doch Elros hatte einen Plan, der sodann dem Bruder und Ceomon vorgestellt wurde.
„Seht mal hier", sagte er beim Frühstück und schob ihnen ein Pergament mit einigen Kohleskizzen zu.
„Was soll das sein?", fragte Elrond und besah sich die Zeichnungen genau. Sie zeigten lange, schmale Bretter, die in der Mitte eine seltsame Vorrichtung aufwiesen.
„Ich nenne sie Schneebretter!", verkündete Elros stolz. „Einfach aber effizient. Hier, ich habe schon ein paar geschnitzt und auch schon getestet." Er ging kurz aus dem Raum und kehrte sodann mit zwei langen Brettern und zwei fast ebenso langen Stöcken wieder. „Es funktioniert wirklich gut, zumal man wesentlich schneller vorankommt. Da an dieser Stelle werden einfach die Schuhe befestigt und mit den Stöcken drückt man sich ab. Einfacher geht es kaum. Ich kann schnell noch zwei weitere Paare schnitzen, dann können wir aufbrechen."
Elrond besah sich die Stöcke. „Gib die mal mir", sagte er. „Ich bringe sie zum Schmied und lasse Stahlspitzen an ihre Enden schlagen. Dann dürften sie länger halten."
Gesagt, getan. Elros hatte rasch noch zwei weitere Stockpaare geschnitzt, die Elrond sodann zum Schmied gebracht hatte. Dieser hatte sich zwar zunächst wieder pikiert, war dann aber doch neugierig geworden, als Elrond ihm erklärt hatte, was ihr Plan war. Der Schmied hatte sogar etwas ergänzt und runde Scheiben aufgesetzt, die kurz über den Spitzen saßen. Er meinte, es würde vielleicht beim Anschieben helfen, damit man nicht zu tief einsänke, wenn der Schnee weich wäre.
Nachdem Elros die weiteren Schneebretter fertig hatte, probierten sie es an einer etwas abgelegenen Stelle aus. Ceomon schien mit diesen „Dingern", wie er sie nannte, allerdings auf Gedeih und Verderb nicht Freund werden zu können. Tatsächlich schaffte er es als einziger, sich so zu verhaken, dass er strauchelte und der Länge nach in den Schnee fiel. Elrond musste sich eingestehen, dass es durchaus beruhigend war, dass auch Elben so etwas geschehen konnte.
Fluchend rappelte sich Ceomon wieder auf. „Eindeutig eine dumme Idee", schimpfte er.
„Stimmt nicht!", riefen die Zwillinge im Chor, eine alte Angewohnheit von ihnen.
„Da war eine Wurzel, Ceomon", fügte Elros an.
Ceomon betrachte unwillig die Bretter unter seinen Füßen. „Wenn's sein muss ...", maulte er.
„Ja, muss es." Wieder im Chor.
Ceomon sah sie erstaunt an. „Wussten die jungen Herren, dass auch die Prinzen Amrod und Amras dieselbe Angewohnheit hatten?", fragte er. „Mir ist das bei Euch früher nie so sehr ins Auge gefallen."
„Wirklich, hatten sie?", wunderte sich Elros.
„Dann erklärt das Onkel Maglors seltsamen Blick in manchen Momenten", schloss Elrond und wechselte dann das Thema: „Aber sie laufen noch ein wenig stumpf. Vielleicht sollen wir es mit Wachs probieren."
„Meinst du?", fragte sich Elros.
Sie probierten es aus, und siehe, schon ließ es sich viel angenehmer. In der Folge kamen sie auf die Idee, verschiedene Wachse und Kombinationen auszuprobieren, bis sie schließlich ein Optimum gefunden hatten.
Ceomon besah sich noch einmal die Schneebretter unter seinen Füßen, seufzte ein letztes Mal uns sagte dann: „Wir sollten aufbrechen. Ich hoffe, Euch wird mein Können im Spuren lesen zugutekommen."
Sie schulterten ihr Gepäck, hingen sich ihre Bogen auf den Rücken und machten sich also auf den Weg. Selbst Elrond war mit Feuereifer dabei, denn diese Art des Vorankommens sagte ihm tatsächlich sehr zu. Und das sagte er, der Winter wie die Pest hasste! Wenn nicht gar mehr.
So machten sie sich also auf den Weg, Maglor zu finden, und hofften sehr, es würde ihnen dieses Mal gelingen. Noch waren ihre Hoffnungen hoch.
