Kapitel 1

Es war ein verregneter Tag. Er saß am Fenster und blickte hinaus in die verregnete und trübe Welt. So ähnlich sah es auch in seinem Inneren aus. Am heutigen Tag vor genau zehn Jahren hatte er seine Eltern verloren. Er war gerade acht Jahre alt gewesen, als sie in dieser furchtbaren Schlacht bei Wolf 359 ihr Leben für die Verteidigung der Erde verloren. Jonathan Tarius wurde von einem Tag zum anderen Waise. Zusammen mit seinem kleinen Bruder Alexander kam er damals in einem Heim für Sternenflotten-Waisen unter. Auch wenn es ihnen an nichts fehlte, so wollte John doch immer lieber selbst für sich und Alex sorgen. Er fragte sich manchmal, so wie auch jetzt wieder, ob es damit zusammenhing, dass er die Sternenflotte indirekt für den Tod seiner Eltern verantwortlich machte. Natürlich war das eine vollkommen unlogische Anschuldigung, basierend auf irrationalen Gedankengängen. So sagte es zumindest immer wieder Lieutenant Commander Sevar, die sich mit für einen Vulkanier ungewöhnlich großen Hingabe um die beiden Jungs kümmerte. Und gerade in diesem Moment betrat die Vulkanierin das Zimmer.

"Jonathan, es ist Zeit für deine Astrophysik-Lektion", sagte sie.

"Ich kann mich heute nicht auf Quasare konzentrieren", erwiderte John. "Wissen Sie nicht, welcher Tag heute ist?"

"Sternzeit 54001.2."

"Es ist der zehnte Jahrestag der Schlacht bei Wolf 359."

"Nur weil sich die letzten Stellen der Sternzeit mit denen dieses tragischen Ereignisses decken, ist das noch lange kein Grund den Unterricht ausfallen zu lassen."

"Sie mögen das vielleicht für irrational halten, aber ich will den heutigen Tag dem Gedenken meiner Eltern widmen", sagte John etwas ungehalten.

Sevar hob eine Augenbraue und sprach dann in einem sehr autoritären Ton, den sie nur selten benutzte: "Jonathan Tarius, wie lange willst du noch in der Vergangenheit stehen bleiben? Willst auch die nächsten zehn Jahre mit Trauern verbringen?"

Sie machte eine kurze Pause um die Fragen auf John wirken zu lassen.

"Du hast deine Ausbildung nahezu abgeschlossen. Du könntest in wenigen Monaten auf die Sternenflotten-Akademie gehen. Ich bin mir sicher, dass deine Eltern das auch gewollt hätten. Und denk auch daran, dass du als gutes Vorbild für deinen Bruder vorangehen musst."

Jonathan dachte über die Worte Sevars nach. Er fühlte, dass sie sich Sorgen um ihn machte, selbst wenn sie es nicht zeigte. In den zurückliegenden Jahren hatte sie sich zu einer Mutterfigur für ihn und Alexander entwickelt, auch wenn sie sicherlich alt genug war um mindestens deren Urgroßmutter zu sein. Ihr genaues Alter war den beiden Jungs unbekannt und so war es die liebste Freizeitbeschäftigung der zwei, Hinweise zu sammeln um es herauszufinden. Zumindest konnten sie es bereits auf einen "relativ engen" Bereich einschränken: Sie musste mindestens 113 Jahre alt sein, da sie sich an Captain Kirks legendäre Fünf-Jahres-Mission erinnern konnte, und sie konnte höchstens 176 Jahre alt sein, da sie immer wieder erzählte, dass sie nicht mehr die Möglichkeit hatte, den ebenso legendären Jonathan Archer kennenzulernen.

Jonathan bewunderte seinen Namensvetter sehr. Von allen Captains, die die Geschichte der Sternenflotte geprägt hatten, war er für ihn der Größte. Dennoch wollte er selbst nie zur Sternenflotte gehen. Wahrscheinlich befürchtete er, dass ihm etwas zustoßen könnte und dass Alexander dann ganz allein wäre.

Als ob Sevar seine Gedanken gelesen hätte, sagte sie: "Ein gewisses Risiko geht immer einher mit Veränderungen. Doch nur durch Veränderungen kann es zu Fortschritt kommen."

Gegen Sevars Logik war mal wieder nichts einzuwenden und natürlich hatte sie Recht. Vielleicht hatte er sich bisher wirklich vor Veränderungen gescheut. Vielleicht war es wirklich langsam an der Zeit, dass er die Vergangenheit hinter sich ließ und in die Zukunft blickte. Doch was würde ihn in dieser für ihn fremden Welt erwarten?

Offenbar bemerkte die Sevar Johns Unschlüssigkeit und überrumpelte ihn sogleich mit einem Vorschlag:

"Ich habe einen Vorschlag, Jonathan. Lass uns den nächsten Shuttleflug nach San Francisco nehmen. Dann kannst du dir vor Ort die Sternenflotten-Akademie ansehen. Ich bin mir sicher, dass es dir dort gefallen wird."

Die Sternenflotten-Akademie besichtigen ... Warum eigentlich nicht? Zumindest ansehen kann man sie sich ja mal, dachte Jonathan.

"Kann Alexander mitkommen?"

"Gewiss", antwortete die Vulkanierin. "Er soll auch sehen, was seinen großen Bruder und vielleicht später auch einmal ihn selbst erwarten wird."