Kapitel 1
In der Nacht war Schnee gefallen. Ganz San Francisco war in eine wunderbare weiße Decke eingehüllt. Jonathan liebte es, wenn sich die Welt im Wechsel der Jahreszeiten verwandelte. Zusammen mit seinen Freunden, Steve McCloud und T'Pok, schlenderte er über den Campus der Sternenflotten-Akademie. Die drei hinterließen nahezu parallele Spuren im Schnee. Genauso parallel war ihre bisherige Laufbahn verlaufen. Vor drei Jahren und acht Monaten - T'Pok hätte es sicherlich noch genauer angeben können - hatten sie gemeinsam ihre Ausbildung an der Akademie begonnen. Seitdem waren sie unzertrennliche Freunde geworden. Sie hatten sich bereits vorgenommen, nach ihrem Abschluss auf dasselbe Schiff versetzt zu werden. Natürlich würden sie in verschiedenen Abteilungen landen. Steve war unter den dreien der Technikbegeisterte und wollte auf jeden Fall die goldene Uniform der technischen Abteilung anziehen. T'Pok interessierte sich für Medizin und hatte die Absicht, eine blaue Uniform zu tragen. Jonathan dagegen war sich noch nicht sicher, welche Farbe er wählen sollte. Einerseits interessierte er sich sehr für Wissenschaft, andererseits war er fasziniert vom Warp-Antrieb. Aber auch die Vorstellung ein elegantes Sternenflottenschiff zu steuern hatte ihren Reiz. Das einzige, was er definitiv nicht werden wollte, war Sicherheitsoffizier. Sein Vater war ein solcher gewesen und deshalb wusste Jonathan, welche Gefahren dieser Job mit sich brachte. Seine Freunde wollten ihn überreden in ihre jeweilige Wunsch-Abteilung zu kommen, doch Jonathan wollte die Entscheidung alleine treffen. Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass er noch in diesem Jahr eine Entscheidung treffen würde.
Eine andere Entscheidung stand ebenfalls vor der Tür. Der alljährliche Weihnachtsball der Akademie stand an und keiner der drei hatte bis jetzt eine Tanzpartnerin. In den letzten zwei Jahren hatten sie sich erfolgreich gedrückt. Doch in diesem Jahr wurde von allen Kadetten aus dem dritten und vierten Ausbildungsjahr erwartet, dass sie vollzählig antraten, um den jüngeren Jahrgängen ein gutes Beispiel zu geben. In diesem Jahr würden sie sich nicht vor ihrer "Verantwortung" drücken können.
"Ich habe vor zwei Tagen eine hübsche junge Kadettin getroffen", sagte Steve. "Ich glaube, ich werde sie fragen, ob sie mit mir zum Ball geht."
"Dazu musst sie aber erst einmal wiederfinden", erwiderte Jonathan. "Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte Kadettin an der Akademie ein zweites Mal zu treffen?"
"Eins zu zwanzigtausend etwa", antwortete T'Pok.
"Das ist doch gar nicht so schlecht", sagte Steve. "Und mit ein bisschen Hilfe von Boothby dürften meine Chancen noch ein bisschen besser werden."
Der Gärtner der Akademie war bekannt dafür, dass er jeden Kadetten kannte. Auch John und seine Freunde kannten den alten weisen Mann sehr gut und sie mochten ihn sehr. Besonders Jonathan hatte eine sehr enge Freundschaft mit Boothby entwickelt, denn dem Gärtner hatte er es zu verdanken, dass er damals auf die Akademie gekommen war. Er hatte ihn mit Maria Ayala bekannt gemacht, welche ihn durch ihr eigenes Beispiel überzeugt hatte, dass die Sternenflotten-Akademie der richtige Weg für ihn war. Und gewiss würde er auch drei Kadetten helfen eine passende Tanzpartnerin zu finden.
"Wie sieht es denn bei dir aus", fragte Steve T'Pok.
Der Vulkanier hob die rechte Augenbraue - ein typisch vulkanischer Gesichtsausdruck, den Jonathan schon von seiner Adoptivmutter Sevar kannte und der bei Vulkaniern schon fast den höchsten Grad an emotionalem Ausdruck darstellte. In diesem Fall wollte T'Pok wohl zum Ausdruck bringen, dass er nicht genau wusste, was er von der Frage halten sollte.
"Steve meint, ob du schon eine Tanzpartnerin gefunden hast", erklärte John schmunzelnd.
"Ich habe meine Aufmerksamkeit meinen Studien zugewandt", sagte der Vulkanier. "Da hatte ich keine Zeit mich mit solchen nebensächlichen Angelegenheiten zu befassen."
"Oder kurz gesagt, du hast auch noch keine", sagte Steve ebenfalls schmunzelnd.
T'Pok hob erneut seine Augenbraue. Selbst nach drei Jahren war es ihm noch nicht gelungen seinen Freunden das typisch menschliche Besserwisserische abzugewöhnen. John versuchte die Situation etwas zu entschärfen.
"Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir diese Angelegenheit zu unserer Top-Priorität machen. Es könnte sonst passieren, dass wir die einzigen Kadetten sind, die ohne Tanzpartner erscheinen."
"Oder schlimmer noch", fügte Steve hinzu, "Wenn alle weiblichen Kadetten vergeben sind, müssen wir miteinander tanzen."
"Das ist doch nicht wirklich dein Ernst?" fragte T'Pok irritiert.
"Du kennst die Admirals nicht. Wenn es um die Ehre der Akademie geht, kennen sie keine Gnade."
"Steve kennt sich da aus", sagte John zur Bestätigung. "Sein Großvater ist ein Admiral."
T'Pok blickte von einem seiner terranischen Freunde zum anderen. Nach kurzer Überlegung blickte er in die weiße Ferne.
"Wenn das so ist", sagte er, "dann sollten wir schleunigst Mr. Boothby aufsuchen."
"Ich bin ganz deiner Meinung", sagte Steve.
Sie mussten den Gärtner auch nicht lange suchen. Er war gerade in seinem Wintergarten beschäftigt, in dem die Pflanzen standen, die die winterliche Kälte nicht so gut vertrugen. Ihm leisteten zwei Sternenflotten-Offiziere - einer in goldener, der andere in roter Uniform - Gesellschaft. Boothby zeigte seinen beiden Gästen gerade seine Sammlung exotischer Blumen. Als er die drei Kadetten bemerkte, winkte er sie näher heran. Da sah Jonathan auch, wem Boothby die Ehre gab, seine größten Schätze zu bewundern. Der Offizier in der goldenen Uniform entpuppte sich als jene junge Frau, die ihm vor fast vier Jahren im Quantum Cafe von ihrem im Delta-Quadranten verschollenen Bruder erzählt hatte. Es war Maria Ayala. Der Mann in der roten Uniform neben ihr wies dieselben dunklen Haare und denselben südländischen Teint wie sie auf. Er hatte sogar dieselben dunklen Augen wie sie. Für Jonathan war sofort sonnenklar, dass dies Juan Ayala sein musste, Marias Bruder. Auch Maria erkannte ihn und winkte ihm zu.
"Ah, da sind Sie ja", wurden sie von Boothby begrüßt. "Gerade haben wir über Sie gesprochen, Mr. Tarius. Maria Ayala kennen Sie ja bereits", sagte er mit einem gutmütigen Lächeln. Dann wies er auf den Mann in rot und sagte: "Das ist Marias Bruder Juan."
"Das habe ich mir schon fast gedacht", sagte Jonathan freudig und schüttelte Juan Ayala die Hand.
"Es freut mich, Sie endlich kennenzulernen", erwiderte Juan ebenso freudig. "Maria hat mir schon viel von Ihnen erzählt."
"Wir dachten uns, dass wir dir einen kleinen Weihnachtsbesuch abstatten", sagte Maria.
"Das ist eine schöne Überraschung", erwiderte John. "Darf ich euch meine Freunde vorstellen? Das sind Stephen McCloud und T'Pok."
Wieder wurden Hände geschüttelt. Von Steve wurden die Ayalas mit den Worten: "Nennen Sie mich Steve" begrüßt. T'Pok beschränkte sich auf einen stummen Gruß.
Nachdem die formelle Vorstellung beendet war, kamen die Kadetten auch gleich wieder zu ihrem eigentlichen Anliegen zurück.
"Boothby, wir brauchen Ihre Hilfe", sagte Steve zu dem Gärtner. "Es geht um den Tanzabend."
"Ah, ich verstehe", sagte dieser weise nickend.
"Redet ihr ruhig schon mit Boothby", sagte John zu seinen beiden Freunden. "Ich möchte mich ein wenig mit Maria und Juan unterhalten. Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen."
"Mach das, John", antwortete Steve. "Wir sehen uns dann nachher im Quantum Cafe."
