Die folgende Kurzgeschichte ist das Ergebnis einer Herausforderung durch SoyTryphena, die meine träge FF-Pause mit folgendem recht wildem Begriffsmix aufrüttelte, der in der Geschichte vorkommen soll: Lineal, Gold, schlängeln, Pflaume, Nagellack, niedlich, plump.

Obwohl es dieses Mal kein Pairing geben wird, hoffe ich, liebe Tryphena – und alle, die mitlesen – dass ihr trotzdem ein paar vergnügliche Leseminuten findet.

Die ausgeliehenen Charaktere gehören J. K. Rowling.

Der Zauberlehrling

Kapitel 1 – Eine Aufgabe

Severus Snape saß statuengleich vor seinem Schreibtisch. Nur die Bewegung seiner rechten Hand, die in gleichmäßigen Abständen mit einem Lineal auf die Tischplatte klopfte, verriet seine Anspannung. Das spärliche Licht, das durch die Kerkerfenster drang, trug nur wenig dazu bei, die düstere Atmosphäre des Raumes aufzuhellen. Die Kerzen in den schmiedeeisernen Kerzenhaltern waren heruntergebrannt und der Besitzer machte keine Anstalten, sie zu erneuern. In noch dunklerem Zustand als seine Umgebung befand sich jedoch seine Gemütsverfassung.

Er schaute auf die Uhr. Noch knappe zwanzig Minuten blieben ihm. Wie war er in diese Situation geraten? Hatte er sich nicht geschworen, nach all den Strapazen und Unerträglichkeiten der vergangenen Jahre und nach dem Sieg über Voldemort nur noch sein eigener Herr zu sein und ausschließlich das zu tun, wonach es ihn verlangte?

Er verfluchte Potter und Minerva, die an einem Abend vor zwei Tagen vor seiner Tür gestanden und diese Bitte an ihn herangetragen hatten. Seine erste impulsive Reaktion war reine Empörung gewesen, gut getarnt hinter einer eisigen Fassade aus Zynismus und Abwehr.

Potter hatte er auf Anhieb angesehen, dass dieser mit einem klaren „Nein" rechnete, dass er schon mit der Überzeugung in den Kerker gekommen war, dass der Besuch umsonst sei und jedes Wort eins zuviel. Minerva hingegen plauderte für ihre Verhältnisse geradezu munter, mit größtmöglicher Überzeugungskraft in jedem ihrer Worte - und sein finsteres Gesicht bewusst missachtend.

Er hatte sein „Nein" gesprochen, klar und deutlich - und die Tür vor ihren Nasen verschlossen.

Doch die Resignation auf Potters Gesicht verfolgte ihn. Immer wieder sagte er sich, dass ihn Potters Angelegenheiten nichts angingen, während ihn eine andere beharrliche Stimme irgendwo in seinem Kopf daran erinnerte, dass er Lilys Sohn sein Leben nach dem Schlangenbiss verdankte.

Am nächsten Morgen war ihm Potter beim Frühstück ausgewichen. Sie pflegten zwar auch sonst keine rege Konversation, ihre Dialoge bestanden im Üblichen in Grußformeln und den unvermeidlichen Höflichkeitsworten, die die zivilisierte Gesellschaft im täglichen Umgang auszeichnete. Aber noch nie war ihm sein Kollege in den paar Monaten, die er nun ebenfalls in Hogwarts unterrichtete, aus dem Weg gegangen.

Nach dem Frühstück, als er die Zweitklässler jeweils fünf Würmer und eine Pflaume in winzige Stücke zerteilen ließ, sann er darüber nach, wieso sich Potter in dieser Angelegenheit überhaupt so engagierte. Angesichts der Erinnerungen, in die er während Potters Schulzeit ausgiebig Einblick erhalten hatte, erschien es ihm völlig unbegreiflich.

Zum Mittagessen war Potter nicht anwesend und Minerva nutzte seine Abwesenheit, um erneut auf ihn einzureden. Sie setzte zielsicher an seinem empfindlichsten Punkt an: bei seinen zwiespältigen Gefühlen für Lilys Sohn. Angesichts der Entwicklungen in Potters letztem Schuljahr war er nicht umhin gekommen, Albus Dumbledore nachträglich in einigen Punkten Recht zu geben und Fehleinschätzungen und Vorbehalte zu korrigieren.

Zum Abendessen schließlich ging er widerstrebend auf seinen jüngeren Kollegen zu. „Einen Monat zur Probe, wenn das nicht funktioniert, ist mit meiner Unterstützung nicht zu rechnen."

Potter hatte ihn überrascht angesehen und sich dann mit einem schlichten „Ich danke Ihnen" vom Tisch zurückgezogen.

Und nun saß er hier und seine Stimmung verschlechterte sich mit jeder Minute.


Als es eine Viertelstunde später klopfte, erhob er sich, nahm seinen Umhang und ging zur Tür.

„Die Portschlüssel sind eingerichtet, das Ministerium hat gerade Bescheid gegeben. Sie halten sie bis 11 Uhr aufrecht, bis dahin müssen wir zurück sein."

Er nickte griesgrämig und folgte Harry Potter schweigend zum See.

Eine Gießkanne aus Hagrids Beständen lag auf dem Rasen und beide berührten sie gleichzeitig.


Severus Snape hatte die Umgebung, in der sie sich wiederfanden, im Bruchteil einer Sekunde erfasst: karg, unwirtlich, mit wenigen elastischen jungen Bäume, denen man den häufigen Kampf gegen den Sturm ansah. Er nahm an, dass die einzelne Holzhütte hinter einer künstlich angelegten Hecke das Ziel ihrer Reise war.

Die Tür öffnete sich und ein Mann mittleren Alters trat hervor.

„Professor Snape, Professor Potter, ich bin froh, dass Sie beide gekommen sind. Mein Name ist Carius McNorman, ich arbeite für das Ministerium und habe ihn hierher gebracht und zusammen mit einem Kollegen die letzten beiden Tage im Blick behalten." Ein zweiter, jüngerer Mann erschien im Hintergrund und grüßte mit einem Nicken. Anschließend nahm er seinen Hut und meinte: „Ich verabschiede mich dann mal. Ihr braucht mich jetzt nicht mehr, oder?"

„Nein. Wir sehen uns morgen im Ministerium. Tschüß, Greyflattle." McNorman wandte sich wieder Snape und Harry zu.

Harry sah sich aufmerksam um. „Wo ist er?"

Der Zauberer zeigte auf eine Tür links von ihm und Harry ergriff die Türklinke.

„Er steht noch immer unter Schock. Seit gestern ist er kaum ansprechbar. Am Anfang hat er so gewütet, dass wir ihn mit einem Bindezauber belegen mussten. Er hätte mich fast umgebracht, als er den größten Schrank der ganzen Hütte auf mich niedergehen ließ. Zum Glück konnte ich rechtzeitig meinen Zauberstab ziehen." McNorman schüttelte fassungslos den Kopf. „Und es gab wirklich nie Anzeichen, dass er über magische Fähigkeiten verfügt?"

„Nie!" Harry schüttelte den Kopf. „Ich konnte es gar nicht glauben, als ich die Nachricht von Kingsley erhielt."

„Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf: Er wäre nicht der erste Fall, wo ein Schock diese Kräfte erst freisetzt." Severus Snapes Augen ruhten einen Moment auf Harry, bevor er fortfuhr: „In seinem Alter ist das allerdings ungewöhnlich und potentiell gefährlich für sein Umfeld, da er nie lernte, damit umzugehen."

McNorman seufzte und machte eine vage Handbewegung, die die komplette Hütte einschloss: „Wem sagen Sie das! Hier sah es aus, als hätte ein Orkan gewütet. Wir waren sehr froh, als Sie zustimmten, ihn mit nach Hogwarts zu nehmen."

Snapes Gesicht verdüsterte sich und Harry öffnete die Tür.


Severus Snape war sicher, noch nie einen so dicken Mann gesehen zu haben. Er sah aus wie ein Riesenbaby, plump und unförmig. Er saß in einer Ecke, hatte eine Schachtel mit Nägeln ausgekippt, daneben befand sich eine Flasche, deren Aufschrift er mit „Nagellack" entzifferte. Der Mann hielt einen langen Reißnagel zwischen seinen dicken Fingern - Snape wunderte sich flüchtig, wie ihm das überhaupt möglich war – und begann, ihn mit dem Lack zu streichen.

Snapes Blick wanderte zu Harry Potter, der den Koloss in der Ecke anstarrte und seine abstruse Beschäftigung alarmiert verfolgte. Die nächsten Sekunden wirkten wie eine Ewigkeit. Doch schließlich richtete sich Harry kerzengerade auf und räusperte sich.

„Hallo Big D."


... und im nächsten Kapitel gibt's dann mehr Hintergründe, wie es zu dieser Situation kommen konnte...