You showed me life
1.
Ein leises Seufzen entrann Harry als sein Blick den Kalender fand, der auf seinem Schreibtisch lag und ihn fast schon vorwurfsvoll ansah. Der 1. September. In seinem jetzigen Leben ein Tag wie jeder andere mit Besprechungen, Training, Verhören und dem ein oder anderen relativ sinnlosen Einsatz.
Er hatte gedacht einen interessanten und vor allem aufregenden Beruf zu ergreifen als er zusammen mit Ron die Auroren Ausbildung durchlaufen hatte, doch in diesem Punkt hatte er sich gewaltig getäuscht. Jedwede Effektivität der Auroren Truppe war durch einen Wust von Vorschriften, Paragraphen und Richtlinien im Keim erstickt worden.
Vor jedem Einsatz musste genauestens geplant werden, man musste sich zu hundert Prozent sicher sein, dass niemand in der Zivilbevölkerung dadurch in Gefahr geriet, man musste den Erfolg der Mission versichern, und alles auf einem ellenlangen Formular mit x Durchschlägen eintragen, das dann wiederum von fünf anderen Leuten bearbeitet wurde, an einen zurück gesendet wurde, weil man natürlich immer einen Fehler fand, und das Spielchen begann von vorne.
Eine wirklich angemessene Reaktion auf einen von Voldemorts Anschlägen, die in ihrer Zahl in letzter Zeit deutlich zugenommen hatten, war so gut wie unmöglich, es sei denn man widersetzte sich den Vorschriften und riskierte einen rausschmiss und ein paar Jahre in Askaban.
Es war unendlich frustrierend. Ron war schon vor über einem Jahr ausgestiegen und arbeitete jetzt als Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste an einer Privatschule. Abermals entwich Harry ein leises Seufzen. Er hatte es so verdammt gut. Wie gerne würde er mit Ron tauschen.
Auch wenn die Schüler ihn wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben würden mit ihren Spielchen, dem Gequatsche und ihrer Unaufmerksamkeit, aber man konnte wenigstens etwas besseres tun, als den ganzen Tag nur herumzusitzen und in jeder verdammten Besprechung so zu tun, als wäre man wahnsinnig hilfreich für die Bevölkerung.
Doch so gerne Harry seine Arbeit hier als Einsatzleiter der Auroren auch hinwerfen würde, er konnte es nicht tun. Nicht als Held der Zaubererwelt. Er wollte sich den Aufstand gar nicht vorstellen, der entstehen würde. Die Medien würden sein Haus wochenlang belagern und sein Interesse daran, sich aus seinem eigenen Haus flüchten zu müssen, war eher gering.
Er hatte sich wie er sich eingestehen musste, selbst in diese Lage manöviert. Wenn er nicht so verdammt naiv gewesen wäre, und dem von Idealismus nur so sprotzenenden Reden der anderen kein Gehör geschenkt hätte, dann hätte er jetzt keine Probleme.
Halt, noch einer trug Schuld an seiner Lage: Lucius Malfoy. Trotz seiner Haftstrafe in Askaban und seiner offensichtlichen Gefolgschaft Voldemorts, hatte er es mit einem brilliant durchdachten Wahlkampf geschafft, das Amt des Zaubereiministers zu erringen. Er hatte natürlich alle Verbindungen zu Voldemort geleugnet.
Doch für Harry war klar, dass genau dieser hinter Malfoys Regierung stand. Der ganze Kampf in den entlegenen Dörfern, alle Anschläge, alle Meuchelmorde, sie waren eine Farçe, hatte Voldemort doch schon längst gewonnen. Harry fragte sich ernsthaft, warum er nicht einfach die Karten offen auf den Tisch legte. Was hatte er denn noch zu verlieren?
Der Widerstand in der Bevölkerung könnte nicht größer sein, als ein paar Wochen Empörung. Das Gedankengut der Todesser hatte sich wie Gift ausgebreitet und über die Hälfte der Zauberer eingenommen. Nur der Orden hielt diesem Einfluss stand, doch auch das war nur eine Frage der Zeit.
Irgendwann würde auch dort der erste überlaufen, der zweite würde nicht lange auf sich warten lassen und sobald Voldemort nur genug lockte oder seine Anschläge die wirklich empfindlichen Stellen der Mitglieder, wie Familie oder Freundeskreis, abzielen lies, würde es auch um den kläglichen Rest des Ordens geschehen sein.
Die Schlacht war geschlagen und sie war nicht zu ihren Gunsten ausgefallen, das stand für ihn schon seit über einem Jahr fest. England war längst nicht mehr das, was es einmal gewesen war. Die Morde an Muggeln, die von Zauberern begangen wurden, wurden vom Zaubereiminsterium schon gar nicht mehr verfolgt.
Offiziell natürlich schon, aber offiziell war ein sehr relativer Begriff in Zeiten wie diesen. Beamte schrieben einen kurzen Vermerk über den Vorfall, dann wurde die Akte geschlossen und in irgendein Regal tief in den Eingeweiden des Ministerialgebäudes gestellt, wo sie vergeblich darauf hoffte jemals bearbeitet zu werden, damit dem toten Muggel Gerechtigkeit entgegengebracht würde.
Mit Morden an Schlammblütern verhielt es sich ähnlich, wenn auch mit dem Unterschied, dass man sich dort wenigstens die Mühe machte einen schuldigen zu finden und diesen dann wegen unzureichender Beweise freizusprechen. Die Justiz war ebenso lahm gelegt wie Harrys Abteilung. Natürlich standen nicht alle Richter hinter Voldemort, doch die paar, die es nicht taten, würde den Teufel tun und sich den Weisungen, die sie erhielten widersetzen.
Erst vor ein paar Wochen war ein Richter bei einem bisher ungeklärten Unfall gestorben. Dass dabei Magie mit im Spiel gewesen sein musste, war ein offenes Geheimnis. Doch auch dieser Fall würde in den Akten verschwinden, wie all die anderen, die dem dunklen Lord die Stirn boten. Dass Harry selbst noch lebte, war ein wahres Wunder.
Wahrscheinlich hatte er ihn sich für den krönenden Abschluss aufgehoben, der letzte Tropfen, der aus dem Schattenregime eine offene Diktatur werden lassen würde. Vielleicht hatte Voldemort ihn aber auch als zu unwichtig und zu einflusslos erachtet, als dass er ihm noch groß Beachtung zukommen lies.
Wer wusste es schon. Voldemorts Wege waren für Harry genauso unergründlich, wie es die Tiefen des Sees in Hogwarts gewesen waren. Hogwarts. Heute vor sechs Jahren war sein letztes Schuljahr angebrochen. Der 1. September war für ihn immer ein Tag der Freude gewesen, doch an diesem Tag hatte ein Hauch von Trübsinn seinen Gang über die Plattform 9 3/4 begleitet.
Es war das Bewusstsein, dass es das endgültig letzte Mal sein würde, dass er den Zug bestieg. Er hatte versucht sich jeden einzelnen Schritt, jedes Geräusch einzuprägen und für immer in seinem Herzen aufzubewahren, doch jetzt, nach über fünf Jahren, konnte er sich nur noch an das Gefühl der Endgültigkeit erinnern, das ihn damals erfüllt hatte.
Er vermisste diese Tage nach den Sommerferien, die jedes einzelne Mal eine Qual für ihn gewesen waren, an denen das leid endlich ein Ende gefunden hatte und er in ein neues, aufregendes Jahr mit seinen Freunden startete. Es war ein Tag der Hoffnung und des Neubeginns gewesen.
Jeden ersten September in seiner Schulzeit hatte er so sehr genossen, dass es ihm noch heute einen bitteren Stich versetzte, wenn er daran dachte, dass diese Zeit endgültig vorbei war. Tage der Hoffnung, sie waren Geschichte. Der 1. September war zu einem weiteren Tag schrecklicher Routine in einem schrecklichen System versteckter Tyrannei verkommen.
Und egal wie sehr er es sich wünschte, die Spielchen, die er und seine Freunde in der Schule noch getrieben hatten, sie waren vorbei. Damals waren die Kämpfe mit Voldemort ihm wie ein großes Abenteuer erschienen. Dass er bei jedem Mal hätte sterben können, dass war ihm nie bewusst gewesen, zumindest nicht richtig.
Jetzt hingegen, konnte er jede Minute einfach umgebracht werden, und niemand würde dafür bestraft werden. natürlich, die Öffentlichkeit würde empört sein, über diesen Mord, er war immerhin zu einem wichtigen Mitglied der Auroren geworden, doch sein Mörder würde völlig straffrei von Dannen ziehen können, wahrscheinlich noch mit Geleitschutz von Voldemort.
Harry war sich dessen bewusst. Auch war er sich der ausweglosen Lage in der er und der Rest des Landes sich befanden bewusst, doch dennoch weigerte er sich einfach aufzugeben und mit dem Strom zu schwimmen. Denn er war sich sicher, Voldemorts Utopie würde niemals aufgehen. Es war wahnwitzig zu glauben, man könnte hunderttausende Muggel abschlachten ohne, dass die Muggel versuchen würden sich zu wehren.
Trotz Schutzzauber und allem Schnickschnack, gegen ein Gewehr oder einen Panzer konnte auch ein guter Zauberer nicht auf Dauer bestehen, vor allem weil die Muggel ihnen zahlenmäßig weit überlegen waren. Und Muggel machten mit Sicherheit auch keinen Unterschied zwischen weißen und schwarzen Magiern, alleine, weil sie sie nicht auseinander kennen würden.
Er hegte keine besonders große Sympathie für Muggel, nicht nach seiner Kindheit bei drei absolut abscheulichen Exemplaren der Gattung und nicht nachdem er gesehen hatte, wie bestialisch auch sie sein konnten. Ein Mord auf Art der Zauberer war zwar genauso widerwärtig und verachtenswert, aber er wurde wenigstens auf halbwegs humane Art und Weise ausgeführt.
Nicht dass ein Crucio angenehm gewesen wäre. Aber allein der Gedanke nach Muggelart bei lebendigem Leib zerteilt zu werden oder ähnliches, rief in ihm das starke Bedürfnis sich zu übergeben hervor. Noch nicht einmal Voldemort war so niederträchtig wie Muggel es sein konnten. Wenn Dumbledore sie immer als harmlose, leider etwas zurückgebliebene Wesen beschrieben hatte, war er einem gravierenden Irrglauben unterlegen gewesen.
Und gerade deshalb war Harry der Meinung, dass es besser war, die Ordnung, wie sie bis jetzt immer perfekt funktioniert hatte aufrecht zu erhalten, ohne irgendwelche Angriffe auf Muggel auszuführen. Abgesehen davon könnte er es nie mit seinem Gewissen vereinen, wenn hunderttausende starben, nur für irgendwelche aus der Luft gegriffenen Ideale.
Harrys Blick wanderte weiter durch das schmucklose Büro. An der Wand hingen Karten, von wirren Linien und Daten überzogen, die er in den letzten Monaten dort alle aufgehängt hatte um sich die Anschläge und Attentate besser vor Augen führen zu können. Inzwischen sollte er die Karten austauschen, denn es war kaum noch Platz auf ihnen.
Sein Blick huschte kurz über die schwarzen, roten und grünen Linien, mit denen er versucht hatte, die Orte des Geschehens in einen vernünftigen, sinnvollen Zusammenhang zu bringen, doch alles was sie taten war das Auge zu verwirren. Wie es schien gab es keinen Plan, nach dem vorgegangen wurde.
Und selbst wenn er ihn finden würde, was konnte er schon ausrichten gegen jemanden, der bereits das ganze Land in seiner Hand hielt? Nichts, zumindest nicht er alleine, nur mit dem Orden im Rücken.
Durch die beiden Fenster an der Wand neben seinem Schreibtisch viel gedämpftes Licht. Auch draußen auf der Straße war es nicht wirklich hell, auch wenn es bereits nach Mittag war. Scheinbar hatte auch die Sonne an diesem 1. September keine Lust herauszukommen und zog es vor, sich hinter einer dicken, grauen Schicht Wolken zu verbergen.
Wie gerne wäre Harry heute einfach in seinem kuscheligen warmen Bett geblieben und hätte den Tag verschlafen, der ihm jedes Jahr aufs neue zeigte, was er mit seinem letzten Schultag alles verloren hatte. Sogar seine Freunde hatte er mit diesem Tag hinter sich gelassen. Nun ja, nicht genau an diesem Tag, aber er hatte das Ende eingeläutet.
Ron war zwar noch mit ihm in die Aurorenausbildung gegangen, aber schon damals hatten sie sich auseinander gelebt. Für Ron war das Leben ein großes Spiel. Er konnte über alles lachen und war nie fähig etwas wirklich mit dem nötigen Ernst zu sehen. Wie in der Schule hatte er auch in der Ausbildung versucht sich irgendwie durchzumogeln, doch bei einer Ausbildung dieses Schwierigkeitsgrades war das nahezu unmöglich.
In den praktischen Prüfungen hatte Harry ihm nicht helfen können und in der Theorie wollte er es nach einer Weile gar nicht mehr. Auch wenn er Ron sehr gerne gehabt hatte, es war ihm lieber zu wissen, dass er jetzt in seiner Privatschule unterrichtete, als jeden Tag Angst haben zu müssen, er würde auf einem Einsatz getötet werden, weil er einen Fluch oder eine Verwandlung nicht konnte, die er eigentlich hätte beherrschen sollen.
Nach Rons Abgang hatten sie noch eine Weile den Kontakt gehalten, doch aus Treffen waren Briefe geworden, aus Briefen kurze Botschaften, die schließlich ganz versiegt waren. Nur noch an Geburtstagen und Weihnachten schrieb man sich eine kurze unpersönliche Karte, das war alles, was von ihrer früher so herzlichen Freundschaft geblieben war.
Mit Hermine war das ganze sogar noch schneller gegangen. Sie hatte nach ihrem Abschluss begonnen alte Runen und Verwandlungen zu studieren und war seit dem in akademische Höhen abgedriftet, in denen Harry einfach nicht mit ihr Schritt halten konnte. Alles was sie noch von sich gegeben hatte waren hochwissenschaftliche Dinge, die niemanden außer sie wirklich interessierte und ihre Gesellschaft jedes mal zu einer Zerreißprobe für Harrys Nerven gemacht hatten.
Irgendwann hatte er aufgegeben zu versuchen Kontakt zu halten. Sie lebten alle drei in ihrer eigenen Welt, die sie wohl nie verstehen würden. Er hatte bemerkt, dass es auch so, ohne Freunde, die einen überall hin begleiteten, ganz gut ging, auch wenn ihm die Gesellschaft und die Freude die er in ihr empfunden hatte, natürlich durchaus fehlte.
Doch auch für dieses Problem hatte er eine Lösung gefunden. Sie hieß Sam und war inzwischen mit ihm in eine Wohnung gezogen. Sam war wundervoll. Er kochte herrlich, putzte, machte die Wäsche, räumte hinter ihm her, versuchte ihn aufzumuntern, wenn sein Job ihn mal wieder an die Grenzen der Depression schickte und war rundum ein perfekter Partner, wenn man seine Lage betrachtete.
Wenn er nach Hause kam stand Sam jeden Abend in der Tür und begrüßte ihn mit einem flüchtigen Kuss, bevor er ihn in die Küche führte und ihm sein Abendessen servierte. Täglich das selbe Ritual, das selbe treudumme Lächeln, das selbe Gespräch. "Wie war dein Tag, Schatz?" "Anstrengend, so wie immer." "Oh du Armer, iss erst mal was."
Sam war der Inbegriff all dessen was man sicher unter einer Hausfrau vorstellte, auch wenn Sam männlich war und der arbeitenden Klasse angehörte. Harry hatte keine Ahnung, wie der junge Mann es schaffte, ihn so zu umsorgen und gleichzeitig zur Arbeit zu gehen. Gut, er arbeitete nur halbtags, aber trotzdem.
Einen Haushalt zu führen, das war eine Menge Arbeit, die Harry froh war nicht mehr tun zu müssen. Er würde heillos im Chaos untergehen, genauso wie er es früher vor seiner Begegnung mit Sam getan hatte. Alleine dafür war er Sam so unendlich dankbar, dass er es kaum in Worte fassen konnte.
Allein das Gefühl nach Hause zu kommen und jemand erwartete einen war so viel schöner als in ein dunkles, leeres Haus zu gehen, das man nur zum Übernachten wirklich brauchte. Und doch, irgendetwas fehlte ihm. Jedes mal wenn er in Sams lächelndes Gesicht blickte und dort uneingeschränkte Liebe sah, bekam er es mit seinem Gewissen zu tun.
Sam würde alles für ihn tun. Wenn er von ihm verlangen würde, seinen Job aufzugeben, er würde es ohne Widerworte auf der Stelle tun. Und das wäre erst der Anfang. Er wollte gar nicht wissen, was Sam noch alles bereit wäre zu tun, nur um ihn zu halten.
Es machte ihm Angst einen erwachsenen Menschen so sehr in der Hand zu haben, wie es bei Sam der Fall war. Natürlich, er hatte auch in seinem Beruf viele Leute unter sich, deren Leben er bei jeder Einsatzplanung in der Hand hielt, aber das war etwas komplett anderes. Er empfand viel für Sam. Dankbarkeit, Anerkennung, Zuneigung, aber keine Liebe.
Nicht diese alles verzehrende, leidenschaftliche Liebe, die aus vollem Herzen kam und sich nach keiner Logik richtete. Wahrscheinlich war Harry auch gar nicht mehr fähig solch eine Liebe zu empfinden. dazu war sein Herz zu zynisch und strategisch geworden in den letzten Jahren. Natürlich hatte er am Anfang geglaubt Sam wirklich zu lieben.
Er hatte ihm Geschenke gemacht, ihn zum Essen ausgeführt, leidenschaftliche Nächte in einem durchgelegenen Bett mit ihm verbracht und ihm Liebesbekundungen ins Ohr geflüstert. Doch schon nach ein paar Monaten war ihm aufgefallen, dass etwas nicht stimmte. Wenn Sam ihm sagte, er würde ihn lieben, dann machte sein Herz keinen erfreuten Hüpfer, genauso wenig wie es aufhören würde zu schlagen, wenn Sam von ihm gehen würde.
Er hatte erkennen müssen, dass alles, was von sie von seiner Seite her verband, eine Lüge und noch nicht einmal besonders tief gehende Freundschaft war. Doch er könnte Sam nicht einfach von sich stoßen. Er wollte dem jüngeren keinen Dolch ins Herzen stoßen. Er tat so viel für ihn. Harry sah sich gezwungen, ihm etwas vorzuspielen, um die Illusion in der der Kleine lebte aufrecht zu erhalten.
Es war alles so verdammt schwierig mit Sam. Einerseits konnte er nicht einfach Schluss machen, weil er ihn nicht verletzen wollte, andererseits aber kam er sich so verdammt egoistisch vor. Als würde er den jungen Mann nur als Putzhilfe benutzen und dafür mit seinem Körper und seiner vorgetäuschten Liebe bezahlen.
Allein beim Gedanken daran heute Abend wieder freudestrahlend in Empfang genommen zu werden, wurde ihm ganz anders. Jede neue Lüge lag schwer auf seinem Magen und es wurden von Tag zu Tag mehr. Irgendwann würde das alles sein Ende finden, das hatte Harry sich schon vor vielen Wochen vorgenommen, doch er wusste weder, wie er die Sache klären konnte, noch hatte er den Mut dazu, die Sache überhaupt anzusprechen.
Denn egal was er tat, es würde Sam tief verletzen. Würde er so weiter machen, würde er Sam weiter belügen und Lügen kamen immer irgendwie ans Licht, man musste ihnen nur genug Zeit dazu geben. Und wenn er von dritter Hand erfahren würde, dass er ihn die ganzen Jahre belogen hatte, würde ihn das wahrscheinlich noch viel mehr verletzten, als alles andere.
Würde er aber die Sache einfach so beenden, würde er ihn ebenfalls verletzen. Und er wollte den Kleinen ja gar nicht verlieren, dazu war er ihm zu wichtig, er wollte nur auf eine andere Basis mit ihm kommen, die nicht auf Liebe beruhte. Aber die würde sich wohl nicht finden lassen.
Denn Freundschaft war für Sam bestimmt keine geeignete Alternative zu einer Beziehung mit ihm. Harry fasste sich an die Stirn und strich ein paar Strähnen, die ihm immer wieder in die Augen fielen aus seiner Sicht. Die Situation in der er sich befand machte ihm mehr zu schaffen, als er es offen zugeben würde.
Das schlimmste daran war wohl, dass er niemanden hatte, mit dem er sich darüber unterhalten hätte können. Normalerweise kam er mit all seinen Problemen zu Sam und sprach mit ihm so lange darüber, bis sie ihm wie kleine Nichtigkeiten vorkamen, die ihn nicht wirklich interessieren sollten. Doch mit diesem Problem könnte er nicht zu ihm.
Ihm fehlte jemand wie Hermine, die früher immer für ihn da gewesen war und sich alle seine dummen kleinen Problemchen angehört hatte, nicht ohne immer einen passenden Rat zur Hand zu haben. Sie war immer neutral gewesen, eine gute Freundin, der man wirklich alles erzählen konnte und wenn es Probleme im Bett waren.
Doch jemanden wie Hermine würde er so schnell nicht finden, vielleicht auch, weil ein Erwachsener niemals so parteilos sein konnte, wie Hermine es immer gewesen war. Und er hätte auch gar keine Zeit dazu sich so etwas Freunde zu suchen. Sein Leben bestand aus Arbeiten, Training und Sam.
Er fragte sich, ob er so etwas wie Freizeit überhaupt wollte, wenn er schon in den Stunden in der Arbeit wo er nichts zu tun hatte, so viel zum Denken kam, dass er sich selbst damit herunter zog. Er konnte es sich nicht leisten, in Selbstmitleid zu versinken, immerhin war er einer der wenigen, die noch nicht von Voldemort korrumpiert worden war. Auch wenn er genau wusste, dass er kaum etwas ausrichten können würde.
Im Moment hatte er keine Chance, etwas zu tun, aber sobald sich eine Gelegenheit bieten würde, würde er zuschlagen und die Todesser enthaupten, so wie sie es verdienten. Voldemort würde mit Sicherheit einen Fehler begehen, doch so wie die Lage zur Zeit war, würde auch der Tod Voldemorts nichts bringen.
Er würde sofort durch einen anderen Todesser ersetzt, vielleicht Malfoy, vielleicht Snape, auf jeden Fall aber einer des inneren Kreises, der die Truppe mit annähernd dem gleichen Geschick lenken würde, wie er selbst es getan hatte. Seine Rache würde also noch warten müssen, solange bis auch die Bevölkerung endlich wieder zur Vernunft gekommen war.
Bis dahin würde aber noch viel Wasser die Themse herunter fließen. Harrys Kopf ruckte herum als er ein helles Klopfen von seiner Tür her hörte. "Herein.", rief er durch die geschlossene Holztür und wartete darauf, dass sie sich öffnete. Eine zierliche Frau mit blonden, zu einem Zopf geflochtenen Haaren und braunen Augen trat in sein Büro.
Sie war Elisa Chartner, eine der drei Sekretärinnen, die die Abteilung für innere Sicherheit im Ministerium beherbergte. "Mr. Potter, Mr. Trebond wünscht sie zu sprechen...", informierte sie ihn mit einem schmalen Lächeln. Ihr kreisrunden Silberohrringe wippten, wohl noch vom Gehen in Bewegung gebracht, hin und her.
Harry nickte und stand seufzend auf. Trebond war Leiter der Abteilung für innere Sicherheit und koordinierte die vier Einsatzleiter miteinander indem er ihnen die Aufgaben zuteilte. Er mochte Trebond nicht besonders, denn er war ein Mann, der nie ein Risiko eingehen würde und im Ernstfall seine gesamte Truppe im Stich lassen würde, wenn er dabei sein eigenes Leben aufs Spiel setzen müsste. Ein Kameradenschwein, wie es im Buche stand.
Die Sekretärin zog sich wortlos aus dem Büro zurück und lies die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Harry durchquerte das triste Büro und folgte dem Beispiel der jungen Frau. Eigentlich hätte sie ihm auch gleich die Tür aufhalten können, aber scheinbar war sie mit ihren Gedanken schon wieder bei der nächsten Aufgabe gewesen.
Sekretärin hier in dieser Abteilung würde Harry unter keinen Umständen sein wollen. Allein wenn er daran dachte, wie viele Anträge und Formulare täglich über seinen eigenen Schreibtisch gingen und anschließend den Sekretärinnen zum überprüfen gegeben wurden. Den anderen ging es sicher nicht anders. Und wenn er diese Massen an Papier, die dort an einem Tag anfielen, aufaddierte, dann war ihm jeder andere Job lieber. Und wenn es nur Tellerwäscher war.
Er ging den Gang mit dem hässlichsten blaugrauen Laminat, das ihm in seinem Leben bis jetzt begegnet war, entlang ohne sich sonderlich zu beeilen und hielt schließlich vor einer unscheinbaren weißen Tür, neben der jemand ein metallenes Schild mit der Aufschrift 'Henry Trebond - Leiter der Abteilung für innere Sicherheit' angebracht hatte.
Ohne zu klopfen wurde er herein gerufen. Wahrscheinlich hatte der etwas untersetzte Mann einen Zauber auf seine Tür gesprochen, der ihm meldete, wann jemand vor seiner Tür stand und herein wollte. Ein sehr praktischer Zauber, doch Harry bevorzugte den Überraschungsmoment wenn jemand an seiner Tür klopfte und er die wenigen Sekunden die der Gast brauchte um die Tür zu öffnen und so weit durch die Tür zu treten, dass man ihn sehen konnte, rätseln konnte um wen es sich handelte.
Ohne weiter zu zögern drückte er die metallene Klinke herunter und trat in das Büro seines Vorgesetzten ein. Es war ein wenig größer als sein eigenes, dafür aber ungleich edler eingerichtet und um einiges aufgeräumter. Ordner türmten sich nicht wie bei ihm auf dem Schreibtisch, sondern waren allesamt in ein deckenhohes Regal geschoben.
Ein großes Panoramafenster lies zu, dass das Zimmer in ein helles, klares Licht getaucht wurde. Auch wenn die beiden Büros ähnlich gebaut waren, war die Atmosphäre in diesem hier viel freundlicher, als würde sein Chef durch sein Büro seine Verdrängung alles Schlechten der Welt unterstreichen wollen.
Dieser saß an seinem Buchenholzschreibtisch, augenscheinlich damit beschäftigt eine Akte durchzulesen und ab und zu ein Blatt herauszuziehen um es zwischen zwei andere zu stecken. "Setzen sie sich, Mr. Potter.", wies er ihn an. Harry folgte dem Hinweis sofort und setzte sich auf den dunkelgrauen Stuhl, der auffällig unbequem war.
Vielleicht war es nicht beabsichtigt, dass dieser Stuhl so schrecklich unbequem war, doch wahrscheinlicher wollte Trebond damit einen schnellen Verlauf des Gesprächs herbeiführen, wenn dem Gast der Rücken vom Sitzen weh tat. Er würde es ihm zutrauen.
"Unseren Spionen ist es gelungen an Informationen über eine Versammlung unterer Todesser heranzukommen. Sie wird voraussichtlich nächste Woche auf einer verlassenen Burg in Nordengland stattfinden. Die Aufgabe ihrer Truppe wird es sein, einzudringen und so viele von ihnen wie möglich gefangen zu nehmen.", informierte ihn der braunhaarige Mann.
Natürlich. Es waren nur untere Todesser. Er konnte sich schon denken, woher die Spione ihre Information bezogen. Wahrscheinlich waren die niederen Todesser, die sie gefangen nehmen würden, Gefolgsleute, die ihren Nutzen für Voldemort verloren hatten und die er nun auf diese Art und Weise loswerden wollte.
Es war traurig erkennen zu müssen, dass die Auroren inzwischen mehr für Voldemort als gegen ihn taten. Sie waren so etwas wie eine Müllbeseitigungsfirma geworden, die den Dreck, den Voldemort nicht mehr wollte, beseitigte. Natürlich nur inoffiziell, und noch nicht einmal da sagte man es offen, obwohl es die meisten längst wussten.
"Natürlich gelten für diesen Einsatz die selben Regeln wie für alle anderen. Keine Verbotenen Flüche, keine Toten, kein Risiko, beim ersten Anzeichen von Gefahr Rückzug.", wies er ihn streng an, "Hier die Akte, enthalten sind die Berichte der Spione, eine genaue Karte des Versammlungsortes und eine der näheren Umgebung. Die weitere Planung obliegt ihnen."
Harry nahm die Akte entgegen, die ihm über den Tisch geschoben wurde, und überprüfte kurz den Inhalt. Sie war schmaler als die, die er sonst erhalten hatte. Das hieß nichts besonders gutes für ihn, bedeutete es doch eine Menge Arbeit, noch mehr herauszufinden, um seiner Truppe die Sicherheit bieten zu können, die Trebond verlangte.
"War das alles?", fragte er nach ein paar Sekunden absoluter Stille im Raum. Sein Chef nickte. "Ja, sie können gehen.", meinte Trebond und wedelte mit seiner Hand in Richtung Tür. Harry stand auf und wollte gerade das Büro verlassen, als Trebond noch einmal die Stimme erhob und ihm hinterher rief: "Ach, ja, und nehmen sie sich demnächst mal Urlaub, sie sehen schrecklich aus, Potter."
Irritiert nickte Harry und verlies wortlos den Raum. Er sah schrecklich aus? Nicht dass er viel Wert auf sein Äußeres legen würde, aber eine solche Äußerung war doch etwas, das ihn zum Nachdenken brachte. Er beeilte sich zurück in sein eigenes Büro zu kommen und warf dort einen Blick in den kleinen Spiegel, den sein Vorgänger in der Schranktür eines geschlossenen Aktenschrankes angebracht hatte.
Als er sein Spiegelbild betrachtete, musste er seinem Chef zugestehen, dass er Recht gehabt hatte mit seiner Aussage. Ein bleicher, junger Mann blickte ihm entgegen, dessen Haare längst aus ihrer ursprünglichen Frisur herausgewachsen waren und ihm strähnig ins Gesicht fielen. Sie hatten ihren Glanz verloren, ebenso wie ihre Eigenschaft in jede Richtung abzustehen, wahrscheinlich weil sie zu lang dazu geworden waren.
Seine grünen Augen lagen tief in ihren Höhlen und waren von dunklen Rändern umgeben, die auf viele schlaflose Nächte zurückzuführen waren, die Harry mit sich und seinen Gedanken verbracht hatte. Zusammen mit seiner ungesund bleichen Haut sah er aus, als wäre er irgendwo auf dem Weg vom Leben zum Tod stecken geblieben.
Vielleicht würde es ihm ganz gut tun, sich einmal ein paar Tage Ruhe zu gönnen, doch zu Hause hatte er noch weniger seine Ruhe als hier im Büro. Arbeit war ihm lieber als sich mit Sam zu umgeben, denn sie führte ihm nicht jede Minute seine Schuld vor Augen. Der schwarzhaarige wischte sich kurz über die Augen.
Die Schranktür wurde mit etwas mehr Kraft als nötig zurück in ihre Ursprungsposition gestoßen, wo sie mit einem Krachen gegen den Rahmen knallte. Er sollte den Spiegel abhängen und das nächste mal nicht auf die Worte von Trebond hören. Was er sagte war sowieso nur dummes Gewäsch. Ein Wunder, dass jemand wie er überhaupt so hoch herauf hatte kommen können.
Aber das fragte Harry sich bei so vielen Leuten, obwohl er im Hinterkopf die Antwort bereits wusste. Es gab nur einen, der alle Fäden bereits in der Hand hielt und dem es zum Vorteil gereichte, wenn alle hohen Positionen mit kuschenden Trotteln besetzt waren. Aber so offensichtlich wie bei Trebond war es bei keinem anderen.
Mit der dünnen graugelben Akte in der Hand lies er sich an seinen Schreibtisch fallen und begann die Lage zu sondieren. Besonders üppig waren die Informationen nicht, die Trebond ihm geliefert hatte, doch nach der Lektüre der beiden Berichte, musste er feststellen, dass Trebond ihm alles gesagt hatte, was in ihnen steckte.
Mehr als den Ort, das Datum und eine ungefähre Zeitangabe stand nicht in den beiden Texten, umfasst natürlich von viel Geschwafel, das keine wirkliche Aussage trug. Das hieß viel Arbeit für ihn in den nächsten Tagen und wenig Zeit mit Sam. Glück im Unglück also. Und auf jeden Fall besser als die Langeweile die ihn beschlich, wenn er hier auf der Arbeit nichts zu tun hatte.
Die Mappe war schnell inspiziert und wurde wieder zur Seite gelegt. Jetzt war es an ihm, den Rest herauszufinden. Harry öffnete eine Schublade und zog ein einzelnes Blatt hervor, zusammen mit einer geschwungenen Adlerfeder, die er einmal von Sam zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte und schwarzer Tinte.
Er schraubte das schmucklose Tintenglas auf, tunkte die Tinte ein und schrieb in seiner ordentlichen aber ziemlich uneleganten Schrift auf das blütenweiße Blatt Papier 'an Leon Happner, Ferdinand Skull, Andrea Reign' er überlegte kurz, ob er noch einen vierten Namen auf das Blatt schreiben sollte, entschied sich jedoch dagegen. Drei würden vollkommen genügen.
Die Feder huschte wieder über das Blatt und in schwarzer feucht glänzender Schrift reihten sich schon bald weitere Worte unter den drei Namen. 'Heute Nacht, 2 Uhr, Treffpunkt Foyer, zieht euch warm an.' Er murmelte einen Spruch und deutete mit dem Zauberstab, den er aus seiner Umhangtasche gezogen hatte auf das Papier.
Sofort verblassten die Buchstaben und ließen ein leeres Blatt Papier zurück. Harry atmete tief durch und sortierte seine Gedanken. Zuerst sollten sie sich die Örtlichkeiten genauer ansehen um mögliche Fallen einschätzen zu können und die Menge an Leuten, die Harry mitzunehmen hatte. Das würden sie heute Nacht tun. Die weitere Planung würde auf den Ergebnissen der heutigen Nacht basieren.
Er hatte zwar einen Plan der Burg und ihrer näheren Umgebung, doch man wusste nie, ob sich nicht doch noch der eine oder andere Geheimgang, die eine oder andere Falltür oder ein versteckter Weg der Karte entzogen hatte. Auch wenn sein Chef das für einen Spleen hielt, er musste den Einsatzort gesehen haben, bevor er damit beginnen konnte, die Aurorengruppen über das Gebiet zu verteilen und zu bestimmen von welcher Richtung sie zugriffen.
Jeder Angriff den er bis jetzt gestartet hatte war ihm wie eine Schlacht in einem großen Krieg vorgekommen, in dem er wie ein Feldherr über seine Auroren verfügte und für ihr Überleben garantieren musste. Bis jetzt waren erst zwei Männer bei seinen Einsätzen gestorben, doch die beiden waren schon zu viele in Harrys Augen.
Er wusste noch wie gestern wie fertig er nach ihrem Tod gewesen war. Er hatte sich die Schuld daran gegeben und wenn er ganz ehrlich zu sich war, dann musste er eingestehen, dass er noch immer daran glaubte, er selbst hätte ihren Tod verursacht. Denn er hatte den Einsatz geleitet, er hatte das Kommando gegeben, er hatte sie ausgewählt und er lebte noch, im Gegensatz zu ihnen.
Doch wenn er in Selbstbeschuldigungen den Sinn fürs Wesentliche verlor und noch einen Einsatz in den Sand setzte, würden nur noch mehr ihr Leben lassen, deshalb hatte er seine Schuldgefühle weit von sich in die Untiefen seines Bewusstseins geschoben und versuchte nicht mehr an die beiden zu denken, deren Blut er an den Händen kleben hatte.
Wahrscheinlich gehörte es zum Job dazu, den Tod von anderen zu verantworten, zumindest wenn man den Berichten von anderen zuhörte, denen es nicht anders ging als ihm selbst. In Gedanken zog er die etwas größere Karte der Umgebung aus der Akte und stand mit ihr zusammen auf um sie an die Wand neben die anderen Karten zu hängen.
Mit einem gemurmelten Spruch, der die Karte an ihrem Platz hielt, ohne dass er dazu die Wand hätte verletzen müssen durch etwas wie einen Nagel oder ähnliches, befestigte er sie und trat vor die benachbarte Karte, die ganz England zeigte. Er zog seinen Zauberstab, setzte die Spitze auf den Ort, den die andere Karte zeigte, und sagte mit gedämpfter Stimme 'Versammlung'.
Sofort erschien das Wort in geschwungener, grüner Schrift neben dem Punkt auf der Landkarte zusammen mit dem Datum. Eine grüne Linie begann sich von dem Punkt aus zu einem anderen, in dem die letzte Versammlung stattgefunden hatte auszubilden und verband so die beiden Orte miteinander.
Eigentlich hätte sich Harry die Mühe auch sparen können, aber es war ihm zu einer Gewohnheit geworden, ein Muster in den Versammlungsorten zu finden. Es gab keines, das wusste er inzwischen genau. Noch nicht einmal die Art der Orte war ähnlich, es konnten verlassene Burgen sein, Ruinen, Höhlen, Herrenhäuser, Keller, einfach alles, es musste noch nicht einmal überdacht sein.
Voldemort machte es ihnen nicht besonders leicht, es sei denn er wollte es, dass sie einige fingen. Aber das war selten genug der Fall. Während Harry sich wieder an seinen Schreibtisch setzte erschienen mit blauer Tinte geschriebene Worte auf dem weißen Blatt. Sie schienen hektisch darauf geschrieben worden zu sein, als hätte die Nachricht, die Harry gesendet hatte, den Empfänger in seiner Tagesplanung durcheinander gebracht, so dass derjenige nun wieder alles umschmeißen musste.
'Geht klar, werde da sein. Andrea.', las er. Harry musste unwillkürlich schmunzeln. Andrea war eine junge Aurorin, die ihre Abschlussprüfung mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, auch wenn sie meistens so zerstreut wirkte, dass man ihr noch nicht einmal zutraute, in der Früh aus ihrer Wohnung zu finden.
Auch wenn sie eine heillose Chaotin war, war sie eine warme, offenherzige Person, auf die man sich in Notfällen und Stresssituationen absolut verlassen konnte, und ein Genie, wenn es um Verwandlungen ging. Sie hatte ihm schon oft im Kampf an der Seite gestanden und war so etwas ähnliches wie eine Freundin geworden, wenn die Freundschaft mit ihr sich auch nur auf kollegialer Basis erstreckte.
Leons Antwort, die wenige Sekunden später auf dem Blatt erschien, fiel ähnlich knapp aus. Dass er einmal mehr als einen oder zwei kurze Sätze antworten würde, hatte Harry in seiner gesamten Zeit im Ministerium sowieso noch nie erlebt, weshalb es keine große Überraschung war. Leon war kein besonders gesprächiger Mensch, konnte dafür umso besser kämpfen.
Seine magischen Fähigkeiten ließen jedoch zu wünschen übrig, was nicht hieß, dass er deshalb ein wenig intelligenter Mensch war. Er stammte aus einer alteingesessenen Zaubererfamilie, war dort wegen seiner Schwäche jedoch nicht besonders gerne gesehen, da sie der Meinung waren, ein Mensch wäre nur dann etwas wert, wenn er auch richtig Zaubern konnte.
Es war nicht so, dass ihm die Kräfte dazu ganz fehlen würde, einfache Zauber wie etwas leichtes zum Schweben zu bringen, oder herbeizurufen, stellten kein Problem für ihn dar, doch wenn es an die komplizierteren Dinge ging, musste er passen. Die Prüfungen hatte er deshalb nur mit Hängen und Würgen bestanden. Er war dennoch zu einem unentbehrlichen Bestandteil von Harrys Team geworden.
Leon war seit etwas über einem Jahr mit einer überaus sympathischen jungen Muggel Frau verheiratet, die er auf einer Urlaubsreise kennen gelernt hatte. Wahrscheinlich war das und sein Unvermögen komplizierte Zauber auszuführen der Grund, warum er immer noch zu den normalen Auroren zählte und nicht schon längst in der Hierarchie aufgestiegen war, so wie es Harry getan hatte.
Auch Ferdinand Skull antwortete ihm zügig und bekundete seine Bereitschaft heute Nacht mit ihm zu kommen. Etwas anderes hätte er auch nicht erwartet. Niemand sagte seinem Vorgesetzten, dass er nicht mit auf Mission kam, wenn er wusste, um wie viel es meistens bei ihnen ging, erst recht nicht Ferdinand. Er war der jüngste im Team und hatte erst vor ein paar Monaten die Prüfung abgelegt.
Auch wenn Harry mehrere ernste Gespräche mit Trebond über sich hatte ergehen lassen müssen, um diesen von der Richtigkeit seiner Entscheidung, den jungen Ferdinand in sein Spezialteam zu nehmen, zu überzeugen, waren mittlerweile alle zu der Überzeugung gekommen, dass Ferdinand mit seiner eifrigen, stets korrekten und frischen Art eine Bereicherung darstellte.
Die drei Antworten verblassten auf seinen Wink hin wieder und er räumte das Blatt wieder in die Schublade, aus der er es geholt hatte. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er sich mit den Formularen, die er für heute Nacht auszufüllen hatte und denen für den Einsatz nächste Woche, etwas beeilen sollte, wenn er noch vor Dienstschluss fertig sein wollte.
Früher war er an solchen Tagen immer länger im Büro geblieben, doch seit der neuen Überstundenregelung durfte er nicht mehr als 250 Überstunden pro Viertel Jahr ansammeln und diese Grenze stellte eine größere Herausforderung für Harry dar, als jeder Todesser es hätte sein können. Wenn man die Grenze überschritt, konnte man das Gebäude so lange nicht mehr betreten, bis die Stundenzahl unter das Limit gefallen war, eine Konsequenz, die weder Harry, noch seinen Chef mit sonderlicher Begeisterung erfüllt hätte.
Wer sich diesen Schwachsinn hatte einfallen lassen, wusste niemand so recht, denn jeder ärgerte sich grün und blau darüber, verhinderte die Vorschrift doch jedes wirklich engagierte Arbeiten. Angeblich diente sie zum Schutz der Arbeiter, doch niemand hatte Harry je gefragt, ob er überhaupt auf diese Art und Weise geschützt werden wollte.
Seufzend zog er einen Stoß Formulare aus einem Schieber, der sich vor ihm auf dem Schreibtisch befand und kurz vor dem Platzen stand. Verknitterte Zettel hingen aus ihm, steckten zwischen Stößen von verschiedenfarbigem Papier und mehreren Blöcken, die er für seine Arbeit benötigte. Niemals hätte er gedacht, dass seine Arbeit derart schreibintensiv sein würde.
Das war ein Punkt, den er bei seiner Berufswahl eindeutig nicht beachtet hatte. Vielleicht hätte er bei Moody oder Tonks anfragen sollen, wie das mit der Büroarbeit aussah, doch auf die Idee war er natürlich nicht gekommen. Dazu war er viel zu naiv und zu tief in seiner Vorstellung von einem heldenhaften, abenteuerlichen Beruf verhaftet gewesen.
Wie dumm sie damals alle gewesen waren. Die drei Seiten, die er für die Aktion heute Nacht auszufüllen hatten, waren schnell in dem Wust von Zetteln, die er hervorgezogen hatten gefunden. Sie auszufüllen, war zeitaufwendig, aber nicht besonders kompliziert, reine, stupide Schreibarbeit, offensichtlich dazu geschaffen, jeden Einsatz noch einmal ob seiner Notwendigkeit zu prüfen.
An manchen Stellen verfärbte sich seine Schrift sofort rot, um anzuzeigen, dass seine Angabe nicht regelkonform war. Er besserte seine Fehler mit einem Murren und las sich alles noch einmal durch. Wenigstens war der Einsatz heute Nacht vollkommen ungefährlich, sonst würden noch ein dutzend Seiten zusätzlich anfallen.
Als auch die letzte Zeile zur Zufriedenheit des Formulars ausgefüllt war, kopierte er es mit einem Wink seines Zauberstabes fünf Mal und legte alles auf einen Stapel neben die Schreibfläche. Mit dem nächsten Formular verfuhr er ähnlich. Er war heilfroh, dass ihm diese Mission von seinem Chef zugeteilt worden war, wenn nicht, müsste er sie er anmelden, ein bürokratischer Akt von bestimmt einer Woche Bearbeitungszeit.
Eine Stunde später hatte er alles erledigt und rief mit einem magischen Stimmentransporter, der so ähnlich wie ein Muggeltelefon funktionierte nach einer der Sekretärinnen, die sofort zu ihm ins Büro kam und die Formulare entgegen nahm. Sie würde sie noch einmal prüfen und schließlich an die zuständigen Stellen versenden.
Er war sich fast sicher, dass Voldemort selbst eines davon in den Händen halten würde, ein Gedanke, der ihn zum schmunzeln brachte. Vielleicht sollte er das nächste mal eine kleine Botschaft auf den Zetteln hinterlassen, nur für ihn lesbar, und auf eine Antwort warten. Aber viel wahrscheinlicher war, dass die Formulare kurz überflogen wurden, und nach lieblosem Abstempeln in einem Ordner ihr weiteres tristes Leben, tief unten in den Eingeweiden des Ministeriums fristeten.
Noch eine Viertelstunde und er hätte Feierabend. Sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen beim Gedanken daran, Sam in weniger als einer Stunde wieder sehen zu müssen, wieder die alte, schreckliche Lüge vorzuspielen, die sein Gewissen im Dreieck springen lies. Er wünschte sich manchmal genauso kalt und hart sein zu können, wie Malfoy junior es in ihrer Schulzeit immer gewesen war.
Malfoy. Seltsam, er hatte Ewigkeiten nicht mehr an ihn gedacht, obwohl er für die meisten dunklen Stellen seiner Schulgeschichte verantwortlich war. Ausgenommen natürlich jene, die Voldemort verursacht hatte. Seit sie sich auf dem Bahnhof in Hogsmead am allerletzten Schultag ein letztes Duell geliefert hatten, für das sie von Mc. Gonagall garantiert einen Verweis kassiert hätten, wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch ihre Schüler gewesen wären, hatte er nichts mehr von ihm gehört.
Nicht dass ihn das stören würde, ganz im Gegenteil. Er war froh, ihn nicht mehr sehen zu müssen und seine dummen und extrem kindischen Beleidigungen nicht mehr über sich ergehen lassen zu müssen. Bestimmt war er in den Todesserreihen schon weit aufgestiegen und rangierte unter Voldemorts Lieblingen, zusammen mit seinem Vater und Severus Snape.
Irgendwie beneidete er ihn fast schon. Entweder der Junge war ohne jegliche Gefühle geboren worden, oder er beherrschte es so perfekt, sie zu verbergen, dass es exakt so wirkte. Bestimmt hatte er auch keine Probleme damit einen anderen schamlos auszunutzen und ihm Liebe vorzuheucheln. Es war bestimmt viel einfacher ohne Gefühlsregung zu leben.
Gedankenverloren malte Harry mit seiner Feder Kringel auf die Schreibunterlage, die sich sofort wieder selbst reinigte. Mit der angebrochenen Viertelstunde konnte er kaum noch etwas produktives anfangen, alles was er noch tun konnte war zu warten, dass endlich der magisch verstärkte Gong durch das Gebäude hallte und damit den Feierabend verkündete.
Zwölf ziemlich lange Minuten später schrillte endlich der ersehnte Klang durch sein Büro. Harry sprang von seinem Stuhl auf, tauschte den leichten schwarzen Umhang, den er zur Arbeit anhatte gegen ein Modell aus etwas dickerem Stoff aus und faltete den abgelegten zu einem Paket, das er verkleinerte und in seine Aktentasche steckte.
Er verlies das Gebäude durch den Haupteingang, in dem gerade reger Betrieb herrschte und trat hinaus in das trübe Herbstwetter. Auch wenn es ein wenig kühl war, die frische Luft tat ihm gut wieder einen etwas klareren Kopf zu bekommen. Gierig sog er sie in Lungen, schloss kurz die Augen.
"Welch angenehme Überraschung, dich hier zu treffen, Potter.", drang eine wohl bekannte Stimme an sein Ohr. Harry öffnete die Augen. Sein Herzschlag setzte vor Schreck ein paar Schläge aus.
