Hartes Leben
Das Leben ist schwer. Das ist ein Fakt. Man wird geboren und man wird weinend geboren. Ich bin mir sicher, dass hat eine Bedeutung. Eine Vorahnung, ein Vorgeschmack auf unser Leben. Vielleicht weinen wir alle weil wir unser Leben im Voraus sehen, wir sind da nur so jung, dass wir uns nicht mehr daran erinnern können wenn wir älter werden. Es ist völlig normal. Unnormal ist es wenn Babys nicht weinen, dies deutet darauf hin, dass sie krank sind oder etwas in ihrer Entwicklung nicht stimmt. Genauso ist es wenn wir älter sind. Wie die Babys reagieren wir auf äußere Reize. Emotionen und unüberlegte Handlungen sind diese Reaktionen. Dies ist ebenfalls vollkommen normal. So wie bei den Babys ist es unnormal, wenn jemand keine Reaktion hat, oder besser gesagt diese nicht zeigt. Das Leben ist also genau genommen eine Folge von Handlungen, die wir beeinflussen können oder nicht, und unserer Reaktionen darauf. Nun reagiert jeder Mensch anders auf verschiedene Situationen, aber es gibt eine Sache in der sich ich denke alle von uns einig sein können: Das Leben ist kein Zuckerschlecken!
Leben ist hart und kompliziert und manchmal auch scheiße. Es gibt sogar Episoden im Leben in denen es eben nur scheiße ist und man das Gute oder das Schöne des Lebens nicht sieht. Das geht jedem manchmal so. Nun stellt euch mal vor ihr erlebt diese ganzen Gefühle eintausend Mal verstärkt. Sicher wenn man gerade glücklich ist und sich dieses Gefühl in pure Euphorie verwandelt und man am liebsten die ganze Welt umarmen möchte ist das herausragend. Wenn man praktisch fühlt wie die Endorphine durch das Blut pulsieren und man sich berauscht fühlt von den ganzen Glücksgefühlen, wenn die Wirklichkeit besser ist als zu träumen und man deswegen nicht schlafen will und die ganze Zeit wach bleibt, nur um nichts von seinem unglaublichen Leben zu verpassen und ja keine Minute an unnötige Schlaf zu vergeuden. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn sich das Leben besser anfühlt als verliebt zu sein, wenn sogar ein bissen trockenes Brot genauso gut schmeckt wie Schokolade und wenn nichts braucht um sich high zu fühlen, diese Gefühl kennen die wenigsten. Doch so schnell wie es gekommen ist kann es sich verwandeln in ein tiefes schwarzes Loch, dass einen verschlingt. Auf die vorherige Euphorie folgen Tage, Wochen oder sogar Monate an denen es schon zu viel ist die Augen auf zu machen. Momente an denen man sich nicht einmal dazu aufringen kann aus dem Bett auszusteigen, nicht mal um zu Essen oder Trinken. Momente an denen jeder verdammte Atemzug zu anstrengend ist und es sich leichter anfühlt einfach nur in der Dunkelheit zu liegen und nichts zu tun. Es sind grauenhafte Stunden an denen man die ganze Welt hasst, jeden Menschen, besonders die, die versuchen mit einem zu kommunizieren. Doch diese ganz besondere Person, die man dann doch am meisten verabscheut ist man selbst. Das Loch, in das man reinfällt, wird immer schwärzer und tiefer, man hasst sich dafür, dass man sich so fühlt, man hasst sich dafür, dass man den Rest der Welt hasst und man hasst sich dafür, dass man sich selbst so sehr hasst. Man hasst diese Krankheit.
Diese Momente, egal ob es nur die euphorischen oder die tiefdepressiven sind, kann keiner verstehen, der sie nicht selbst schon durchlebt hat. Deswegen ist es auch so schwer darüber mit jemandem darüber zu reden, wenn man darüber redet und merkt, dass der Gegenüber nicht die leiseste Ahnung davon hat wovon man wirklich spricht, dass der Gegenüber diese Gefühle nicht nachvollziehen kann, zieht es eine nur noch mehr runter. Man fühlt sich so als würde man verrücktes Zeug reden, was die ganze Sache noch schwieriger macht.
Womit ich wieder bei meinem anfänglichen Punkt bin, jeder Mensch ist verschieden und nimmt alles unterschiedlich wahr. Eigentlich ist dies ein tröstlicher Gedanke, da dies ja Vielfalt schafft, doch nicht für mich. Für mich macht es die Interaktion und Beziehungen zu Menschen nur unendlich kompliziert.
Wenn ich in meiner manischen Phase bin, denn offiziell heißt diese zeitweise Euphorie „manische Phase" genannt, fällt es mir leichter mit Menschen umzugehen. Es ist logisch, dann bin ich ja unglaublich glücklich und liebe jeden. Und doch kann diese Liebe jedem Gegenüber auch zum Problem werden, wenn ich in einer romantischen Beziehung bin. Wie soll ich es sagen, wenn ich eben so gut drauf bin ist es schwer mich zurück zu halten. Dies hat einige meiner Beziehungen mit Frauen und Männern in die Brüche gehen lassen. Überhaupt diese Krankheit hat unglaublich viele Beziehungen in die Brüche gehen lassen. Im Moment nehme ich Medikamente, die mir meine Psychologin verschrieben hat, um meine manischen und depressiven Phasen zu unterdrücken. Diese Medikamente sollen mir helfen ein geregeltes Leben führen zu können, stabile Beziehungen zu Mitmenschen aufbauen zu können und ein gesundes Arbeitsverhältnis zu schaffen. Wenn ich mich so zurück erinnere hatte ich diese Phasen schon als kleiner Junge doch sobald ich in die Pubertät kam nahmen die depressiven Phasen die Überhand. Dies ist wahrscheinlich der Grund weshalb meine Krankheit erst so spät entdeckt wurde. Es ist nicht schwer eine Depression zu diagnostizieren, aber eine Manische-Depression erfordert längere Beobachtung und gutes Fachwissen in diesem Gebiet. Es ist nicht ungewöhnlich, dass diese Krankheit erst spät erkannt wird, wenn man es genau nimmt wurde sie bei mir sogar früh erkannt, mit 23 Jahren. Doch obwohl sie so früh erkannt wurde, war es immer noch nicht früh genug um mich vor bleibenden Schäden zu bewahren, wie eine gestörte Beziehung zu meinen Eltern und Großeltern… Naja, man kann Eltern und Großeltern eigentlich auch gleich auf Familie generell erweitern. Was soll ich sagen, mein Leben ist kompliziert, aber das ist ja nichts Neues. Meine Therapeutin sagt mir immer man soll das Positive zuerst sehen und da ich jetzt hier schon von so viel Negativem geredet habe kommen wir mal zu meiner ersten positiven Errungenschaft heute Morgen. Ich war im Coffeeshop und habe dort ein Vorstellungsgespräch gehabt um dort zu arbeiten. Entgegen aller bösen Vorahnungen habe ich es geschafft tatsächlich aufzutauchen und zu meiner Verwunderung habe ich die Stelle sogar bekommen. Ich bin immer noch nicht überzeugt, dass dies der richtige Beruf ist wenn man meine wenig gut ausgeprägte soziale Kenntnisse betrachtet, aber meine Psychologin sieht dies wiederum als Möglichkeit an mir als Person zu arbeiten und diese Fähigkeiten zu bessern. Dass ich diese Medikamente nehme verunsichert mich, da ich wenn ich eine manische Phase habe ein viel höheres Selbstbewusstsein habe. Verdammt ich kann sogar flirten, richtig gut flirten (was dazu beigetragen hat meine romantischen Beziehungen zu zerstören)! Ist es nicht traurig wie sehr diese Krankheit mein Leben kontrolliert. Jetzt ehrlich ich bin intelligent, das haben diverse Tests bei meiner Psychologin bewiesen, ja sogar hoch intelligent, aber meine psychische Lage lässt nicht zu, dass ich irgendwas zu Ende bringe. Ja es war ein Wunder, dass ich meinen Schulabschluss geschafft habe. Ich schätze ich bin eine echte Enttäuschung für meine Familie. Ich meine als ich noch ein kleiner Junge war hat man schon gemerkt, dass ich sehr intelligent bin, sie hatten große Pläne für mich, aber dann wurde meine Diagnose gestellt und ihre ganzen Hoffnungen für mich mit einem mal zerstört. Ich weiß gar nicht was schlimmer für sie war die erste Diagnose der Depression oder meine erste manische Phase und die darauffolgende Richtigstellung und neue Diagnose der Manischen-Depression. Es hat sich wahrscheinlich nicht so viel genommen.
Heute Nachmittag fängt meine erste Schicht an und ich bin schon so verdammt aufgeregt, ich bin am Überlegen ob ich nicht eine kurzfristige Sitzung bei meiner Psychologin einlege, vielleicht auch nur mal zehn Minuten anrufen, sie ist immerhin der einzige Mensch der mich auf Dauer ertragen kann, oder zumindest ihre wahren Gefühle mir gegenüber gut verstecken kann. Vielleicht sollte ich es mir aber doch verkneifen um diese Beziehung nicht auch zu gefährden…
Ihr hört später nochmal von mir,
Spencer Reid.
