Anmerkung des Autors: Die Story schließt an meiner ersten "Im Winter" an. Ich habe mich nicht an die Ereignisse der Serie per se gehalten und mir ein paar Freiheiten erlaubt, da ich zu der Zeit noch nicht alle Folgen kannte und mir die Charaktere einfach interessant vorkamen, so dass ich eine allmähliche established relationship zwischen Chase und House aufgebaut habe. Seht mir daher bitte meine OOC nach ...
Verpflichtungen
Zwei Tage war es her, dass Chase vom Tod seines Vaters erfahren hatte. Tage, in denen er wie im Traum gegessen, gearbeitet und sogar geschlafen hatte. Nur sein Chef, mit dem er seitdem die Wohnung teilte, erinnerte ihn durch seine Gegenwart an die grausame Realität: er war mit sechsundzwanzig Jahren Vollwaise geworden.
Das hatte sein natürlich auf den ersten Blick Schlechtes, auf den zweiten Blick jedoch auch etwas Gutes; er und der so unnahbare Klinikgott kamen sich etwas näher. Mitunter hielt er es immer noch für eine Halluzination, dass House bei ihm logierte, mit ihm das Badezimmer teilte und sich gelegentlich sogar um die Mahlzeiten kümmerte.
In der Klinik war er wie immer distanziert, spöttisch und arrogant, doch sobald sich die gläserne Tür des Princeton Plainsboro hinter ihnen schloss, war es, als kippe ein Schalter in House um, und er war ganz anders, als er ihn kennengelernt hatte. Aufmerksam, mitfühlend, verständnisvoll. Nicht dass er das nicht seinen Patienten gegenüber auch wäre, doch vor Chase – dem privaten Chase – zeigte er es gelegentlich ganz offen. Chase wusste, dass es ihn Überwindung kostete, auch er zu lernen hatte. Doch er hielt sich tapfer dabei. In den drei Tagen engeren Kontaktes gewann er nicht nur die Bewunderung des Jüngeren (der er sich seit Beginn ihrer Zusammenarbeit sicher sein durfte), sondern ein Stück weit Vertrauen. Sie waren sich ähnlich, eine Schlussfolgerung, die Chase überraschte. Beide waren verletzt, und beide versuchten, es zu verbergen.
oOo
Als der Wecker schrillte, schrak er hoch. Das Bett neben ihm war leer. Er hatte House angeboten, dort zu schlafen, doch er bevorzugte trotz seiner langen Beine das kleine Sofa im Wohnzimmer. Als Grund nannte er die Treppe, die ihm aufgrund seiner Verkrüppelung einiges abverlangte. Doch Chase mutmaßte, dass ihn seine unmittelbare Nähe verstörte.
Dennoch befiel ihn ein flaues Magengrimmen. Er stand auf und tappte hinunter in den Loft. Sämtliche Räume waren verlassen, das Bettzeug auf dem Sofa zerwühlt und schweißgetränkt, als er mit den Fingern darüber fuhr. Seltsam. Es war nicht warm in der Wohnung, er hatte den Ofen vergessen.
„House?"
Seine Stimme hallte. Vielleicht sollte er sich doch mehr Möbel anschaffen, wie House ihm geraten hatte, um den Hall zu dämpfen. Schließlich sei das kein Arbeitslager mehr.
Meist fuhren sie zur selben Zeit in die Klinik. Houses Wagen stand einige Blocks weiter hinter seinem eigenen Appartement, den konnte er nicht genommen haben. Aber auch Chases Ford parkte noch auf der Straße wie üblich.
In aller Eile kleidete er sich an, putzte die Zähne und machte sich zu Fuß auf den Weg zum Hospital. Frühstücken konnte er in der Cafeteria, sobald er wusste, dass alles in Ordnung war.
Draußen wurde er plötzlich unschlüssig. Vielleicht war House gar nicht unterwegs zur Klinik. Vielleicht hatte er Zuhause etwas vergessen, was er nun holen wollte.
Einem Impuls folgend schlug er die Richtung zu House ein. Den Wagen ließ er stehen.
Eine Sackgasse, die von der Hauptverkehrsstraße abzweigte, erregte seine Aufmerksamkeit. Wie sonderbar, dass sie ihm nie aufgefallen war. Offenbar führte sie zum Hinterhof eines unbewohnten, dem Verfall preisgegebenen Hauses. Vergessene Mülltonnen quollen über und verbreiteten trotz der Kälte einen übelerregenden Geruch.
Teils aus Neugier, teils aus Besorgnis und vielleicht einer Spur Intuition, die House so an ihm imponierte, schritt er die Gasse entlang bis zum erwarteten Hinterhof. Auch dort standen Mülltonnen dicht an dicht, einige ausgebrannt und achtlos umgekippt. Müll stapelte sich überall, Fliegen surrten in ihrem Paradies. Er musste sich ein Taschentuch vor den Mund halten.
„House!" rief er schrill. „Sind Sie hier?"
Eine frische Blutlache hinter einer Tonne ließ ihn aufkeuchen. Er lief darauf zu und erkannte an dem Stock, dass House in Schwierigkeiten steckte.
Der Anblick seines Chefs ließ ihn zurückprallen. Unvermittelt stieß er einen entsetzten Schrei aus, der Gott sei Dank ungehört verklang. Wutverzerrt stieß er die im Weg stehenden Tonnen beiseite und kniete neben House nieder.
Sein linkes Bein blutete stark, am Kopf hatte er eine Platzwunde, und er sah wächsern aus, mit dunklen, bläulichen Schatten unter den Augen und auf den Lippen. Seine Kleidung war zerknittert und voller Schweißflecken. Rasch prüfte Chase den Puls an der Halsschlagader. Er war nicht da! Das Herz schlug nicht!
Sofort startete er eine Herzmassage, hieb regelrecht auf den leblosen Brustkorb ein, bevor er zur Atemspende überging. Er kämpfte so verzweifelt um Houses Leben, dass ihm schwummrig und schwarz vor Augen wurde.
Nicht aufhören, sagte er sich. Komm, House! Komm wieder!
Gerade als er glaubte, ihn verloren zu haben und ein verzweifeltes Stöhnen von sich gab, bewegte sich Houses verwundetes Bein reflexartig in einer Art Muskelkrampf.
Wasser strömte Chase übers Gesicht und aus allen Poren. Er hatte weder Kraft noch Atem mehr, aber er zwang sich, das Herz erneut zu stimulieren und blies House seinen stoßweise austretenden Atem in den Mund. Er hatte nur noch so wenig, dass seine Lungen brannten. Endlich, endlich spürte er eine Reaktion. Houses Lippen umschlossen seinen Mund, als wollten sie ihn auffordern, ihm noch mehr Luft zu geben.
Er mühte sich, weinte erleichtert, als er auf Houses unregelmäßige Atemzüge lauschte.
Nach ein paar weiteren Augenblicken kam House zu Bewusstsein und schlug die Augen auf. Zitternde, feuchte Finger streiften über sein Gesicht und den Hals bis hinunter zur Brust.
„Das hat aber nur medizinische Gründe, hoffe ich?"
Dünn und fremd klang seine Stimme, er erkannte sie selbst nicht wieder.
„Oh!" Chase brach fast über ihm zusammen. „O Gott!"
„Liegt nicht vor Ihnen, obwohl mich das ehrt."
Ihm war nicht nach flotten Sprüchen, doch der Junge war völlig durch den Wind und musste beruhigt werden. Am besten dadurch, dass er sich die Schmerzen nicht anmerken ließ.
Die Augen unverwandt auf House, zog Chase sein Mobiltelefon aus der Jackentasche. House richtete sich mühsam auf und schlug es ihm aus der Hand. Mithilfe seines Stocks hätte es eleganter gewirkt, aber der lag zu weit weg von ihm.
„Ich rufe in der Klinik an", erklärte Chase konsterniert. „Sie sind verletzt."
„Und Sie sind Arzt. Ich brauche die Klinik nicht. Ich habe doch Sie." Mit zusammengebissenen Zähnen griff er nach Chases Arm, um sich in die Vertikale helfen zu lassen.
„House … wenn ich dort nicht anrufe, verlieren Sie womöglich Ihr Bein! Ihr -" er stockte und schluckte hart – „gesundes."
„Dann helfen Sie mir, zum Henker noch mal!"
„Ich bin kein Sanitäter", wandte Chase winselnd ein, Houses Griff tat ihm weh.
House sah ihn an, seine Lider flackerten. „Sie kriegen das hin, Chase. Nur Mut. Ziehen Sie Ihre coole Jacke aus. Sie müssen das Bein abbinden. Danach wird sie nicht mehr so cool sein, aber Sie können sie ja als Andenken hinter Glas hängen. Kommen Sie, nicht träumen! Das ist Notfallmedizin erste Lektion. Das können Sie."
Beherzt entledigte sich Chase der Lederjacke, schien es sich dann aber anders zu überlegen. „Ich drücke die Arterie gleich ab. Ohne Hilfsmittel", sagte er mit fliegendem Atem.
„Musterschüler Chase erinnert sich an sein Medizinstudium. Alle Achtung. Ich dachte, das überfordert Sie im Moment. Außerdem – auf was warten wir dann, wenn ich Ihre Hand im Bein habe? Den Weihnachtsmann? Ich plädiere für den Druckverband. Der ist sinnlicher und – man höre und staune - steriler. Hier wimmelt es von Bakterien. Und ich mag Ihre Jacke."
Seufzend gehorchte Chase. Seine Jacke würde er später nicht einmal der Altkleidersammlung vermachen können.
Seine Hände umfassten Houses Bein und drückten auf den Oberschenkelkopf. House zog scharf die Luft durch die Zähne. Der Junge hätte die Arterie sofort lokalisiert. Vielleicht wäre das doch der weniger peinigende Weg gewesen. Nur ein kurzer Schmerz statt mehrere Wellen hintereinander.
„Fester", knurrte House, Schweiß lief über sein Gesicht, er sah jetzt grau aus, seine Augen waren blutunterlaufen. „Viel fester."
„Das Gewebe stirbt ab, wenn ich fester ziehe!"
Mit energischer Demonstration zerrte House an den Ärmeln, bis er fast ohnmächtig an die Wand kippte und die Nähte der Jacke nachgaben. Der Schmerz hatte ihn aufbrüllen lassen, und Chase machte Anstalten, seine Ohren zuzuhalten, nahm die Hände jedoch rasch wieder hinunter.
„Ich telefoniere mit der Klinik", sagte er.
„Nichts da! Ich bin Ihr Patient, verstehen Sie das nicht? Ich habe oberste Priorität, nicht die Klinik!"
„Ohne chirurgisches Werkzeug ist der beste Arzt machtlos! Außerdem hatten Sie einen Herzstillstand und sind ein unverbesserlicher Querulant! Sie wollen mich bloß demütigen, bevor Sie sterben, denn das werden Sie, wenn ich niemanden anrufe!"
Respektvoll nickte House. Er war beeindruckt. Nicht nur von Chases Rede, sondern auch von seiner Nervenstärke, die ihm – House – allmählich entglitt. Die Schmerzen, nicht nur äußerliche, zermürbten ihn. Er bat um seinen Stock. Chase rutschte auf dem Boden herum und reichte ihn ihm.
„Ich demütige Sie nicht. Das wäre fruchtlos. Ich will Sie fordern. Ich bin kein komplizierter Fall, Chase. Mich können Sie ohne Differentialdiagnose behandeln. Glauben Sie, den Cowboys - und Indianern stand eine medizinische Ausrüstung zu Verfügung? Und trotzdem haben zumindest die Cowboys überlebt."
Er lallte bereits. Kein gutes Zeichen. Der Blutverlust hatte ihn geschwächt. Trotzdem unternahm er den Versuch, aufzustehen. Der Stock flog unter ihm weg. Geistesgegenwärtig federte Chase Houses Sturz mit seinem Körper. Beide schrien auf und lagen minutenlang keuchend und ächzend auf dem Asphalt, ehe Chase seinen Chef hochstemmte und ihn unter der Achsel stützte.
„Ich bin nicht weit gekommen, oder?"
Noch schockgezeichnet schüttelte Chase den Kopf. „Es ist nur ein Block bis zum Haus."
„Dann los!"
Sie hätten einen komischen Anblick geboten, wenn das Blut nicht gewesen wäre, das nun nicht nur von Houses Kleidung tropfte, da Chase die harmlose Platzwunde zunächst vernachlässigt hatte.
Wie zwei Saufbrüder torkelten sie die Straße entlang. Chase hoffte auf Hilfe, doch Passanten begegneten ihnen nicht; die wenigen wechselten angewidert die Straßenseite, und die Autos brausten schneller als es in der Stadt erlaubt war, an ihnen vorbei.
Chase knirschte mit den Zähnen. Mit jedem Schritt wurde House schwerer. Unterwegs hatten sie den Stock verloren, den House nicht mehr hatte festhalten können. Stattdessen umklammerte er jetzt Chases Taille und seine Schulter, er hing quasi über ihm und drückte ihn zu Boden.
Ununterbrochen redete Chase mit House. Auf ihrem kurzen Weg erkundigte er sich bestimmt an die hundert Mal, ob er noch da war. House war zäh. Er antwortete schwach, aber bei klarem Verstand.
oOo
Die Wohnung empfing sie mit wohltuender Kühle. Chase fühlte sich fiebrig und elend, als er das Tröpfeln auf dem Boden hörte. Parkettboden. Er war so stolz darauf.
Behutsam legte er House auf das Sofa. Der Transport war nicht gut gewesen für ihn. Trotz der Kraft, mit der House das Bein abgebunden hatte, schleifte die Jacke halb um seinen Knöchel.
„Sie hätten nicht laufen sollen", warf ihm Chase vor. „Ich habe Sie doch fast getragen!"
„Dachten Sie. Ich bin kein Unmensch. Sie sind – so zart gebaut, so gutaussehend – und Sie – Sie riechen gut … nach Zitrone und Kampfer und Melasse …"
Guter Gott, er redete wirr!
Sein Kopf sackte nach hinten auf das Polster.
„House! Was soll ich denn jetzt tun?"
Houses Hand umfasste hart sein Handgelenk. „Keine Klinik. Sie sind mir verpflichtet, vergessen Sie das nicht. Ich ziehe aus, wenn Sie's tun. So oder so."
„Aber was kann ich denn tun?"
„Warten. Wir warten. Und wenn ich Ihnen etwas wert bin, dann beten Sie zu Ihrem Herrgott. Aber erst, wenn ich bewusstlos bin."
Ich muss die Blutung stillen, dachte Chase. Er darf das Bein nicht verlieren.
Entschlossen ging er zum Badezimmer und wusch sich die Hände.
oOo
Er war einiges gewöhnt und gewiss nicht zimperlich, hatte schon bei mehreren OPs assistiert, aber das Bein erschreckte ihn. Vielleicht weil es House gehörte. Die Arterie war nicht zu erkennen, stetig sprudelte Blut über die von Chase gewaltsam aufgerissenen Hosen.
„Ich drücke die Arterie jetzt ab", ließ er House wissen. „Das wird wehtun."
House schrie auf. Er bekam Chases Haar zu fassen und zerrte daran, während er laut ausatmete. Chase spürte Blut und Schleim an seiner Schläfe hinunter rinnen, doch er presste die Arterie so fest zusammen, wie er nur konnte. Aus reiner Selbstverteidigung schloss House die Beine. Erstaunlich, dass das rechte da mitmachte. Davor hatte Chase sich gefürchtet. Er steckte fest. Zwischen Houses Schenkeln.
Wenn nun bloß keiner hereinkam, der einen Zweitschlüssel besaß. Cameron zum Beispiel. Chase würde seines Lebens nicht mehr froh werden.
„House." Er zwang sich, ruhig zu bleiben, doch seine Stimme bebte, und sein Herz raste. „Ich hab sie. Es blutet nicht mehr. Sie können loslassen. Bitte."
Aufstöhnend lockerte House die Muskeln. Am liebsten hätte Chase ihn in die Arme genommen und ihn gewiegt wie ein Baby, so fertig wie er war.
„Möchten Sie – ein Schmerzmittel? Vicodin?"
Wie unkontrolliert schaukelte Houses Kopf hin und her. „Ich wollte es holen, heute Morgen. Hab's vergessen gehabt. – Ich hab es gar nicht gebraucht übers Wochenende", setzte er ein wenig verblüfft hinzu.
„Ich kann gehen!" sagte Chase, erleichtert, dass er ihm mit irgendetwas Linderung versprechen konnte. „Ich beeile mich."
„Nein. Chase. Das war gelogen. Ich hab's mir anders überlegt. Als die Kerle mir eins überbrieten, da dachte ich, wenn er mich durchkommen lässt, Ihr Gott, dann schwör' ich dem Zeug ab."
Er sprach langsam und undeutlich, aber Chase verstand ihn.
„Sie wurden überfallen."
„Hab mir das Messer selber ins Bein gerammt und den Schädel eingeschlagen. Stehen Sie nicht auf so was?"
Ehe er wusste, was er tat, legte er die Finger auf Houses Mund, aus dem der Atem pfeifend entwich. Er schien ruhiger, sobald er mit Chase in physischer Verbindung stand. Von dem Abdrücken der Arterie einmal abgesehen. Aber das hätte jeder alles andere als lustvoll empfunden.
„Nicht soviel reden. Ich find's ja ganz großartig, dass Sie entziehen möchten, aber hier – bei mir? Das muss doch jetzt nicht sein. Reicht es nicht, dass ich mich als Wundarzt bewähre?"
House stieß ein gurgelndes Geräusch aus, das ein Lachen sein mochte. Chase zuckte zusammen.
„Sie sind clever. Und klug. Wissen Sie, was man in der Klinik über Sie sagt? Dass ich Sie gut erzogen habe. Nun haben Sie die Chance, es zu beweisen. Ich konnte es nämlich nie glauben."
Trotz seiner Bewunderung für House hasste Chase ihn in diesem Moment. Selbst zwischen Leben und Tod manipulierte er seine Leute. Und nannte das Fordern. Beinahe hätte Chase gelacht. Doch der Ärger ebbte genauso schnell ab, wie er gekommen war. Das ausgezehrte Gesicht war ihm zugewandt, doch die Augen blieben geschlossen. Auf unheimliche Weise hatte es Ähnlichkeit mit dem Schmerzensmann oben in seinem Zimmer.
„Okay", ging er auf den Handel ein, der eher ein Pakt war. Was lag ihm eigentlich an House, dass er ihn nicht gehen lassen wollte? Er konnte es nicht sagen und wusste doch, dass sein Chef Recht hatte. Als Vaterfigur, die Chase auf ihn projizierte, hatte er die Trümpfe in der Hand. Um House würde Chase kämpfen, erbitterter als er um seinen eigenen Vater gekämpft hätte. House wusste das und nutzte es zu seinen Gunsten.
„Dann müssen Sie aber tun, was ich Ihnen sage."
House riss die Augen auf. Sie waren jetzt glasig, aber immer noch scharf. „Ich tue nichts. Ich bin Ihr Patient."
„Daran erinnern Sie mich jetzt schon zum dritten Mal. Der Arzt ist aber auf die Kooperation seiner Patienten angewiesen, und sagen Sie nicht, Sie würden mich belügen wie alle anderen auch. Ich habe nämlich einen entscheidenden Vorteil: ich kenne Sie besser als jeder Patient."
Houses schmale Lippen verzerrten sich zu einem Lächeln. Er klang wie aus dem Lehrbuch, der Junge. Ein nichtexistentes, das House selbst verfasst hatte.
„Eins zu Null für Sie. Ich werde brav sein. Und jetzt ohnmächtig. Nicht erschrecken, Chase. Das ist ganz normal. Nur tun kann ich dann natürlich nichts für Sie."
Tatsächlich ertappte sich Chase dabei, wie er den Kopf senkte, um für Houses Bewusstlosigkeit zu beten. Es würde ihm Schmerzen ersparen und Chase zahlreiche Nerven, die ohnehin empfindlich flatterten, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ.
House kannte seinen Körper gut; nach etwa zwei Minuten sank er in sich zusammen und atmete fast gleichmäßig. Jetzt hätte Chase Dr. Cuddy informieren können, aber als er House betrachtete, befielen ihn Skrupel.
Er hockte sich zu ihm ans Sofa, überprüfte Puls und Herzschlag und machte sich schließlich daran, sorgfältig die Wunde am Kopf auszuwaschen, um sie dann mit einer abgekochten Nadel und Nähfaden zu nähen, wobei er leise vor sich hinsummte. Für das Bein konnte er vorerst nichts tun, aber es war fachgerecht verbunden und würde – wenn nichts Unerwartetes geschah – nicht wieder zu bluten anfangen.
Die fast meditative Tätigkeit und das Gefühl, House zu Diensten zu sein, beruhigten ihn ein wenig.
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Als House kurz zu atmen aufhörte, griff er in einer Schrecksekunde doch nach dem Telefon.
Dr. Cuddys Stimme klang vertraut und so mütterlich, dass er sich nicht geschämt hätte, sich bei ihr auszuheulen.
„Ich bin's, Chase." Er schaute zu House hinüber, dessen Brustkorb sich wieder hob. Auch die Atemgeräusche waren vernehmbar.
„Dr. Chase. Ich habe Ihnen noch gar nicht – Herzliches Beileid."
Wie wahr!
„Ich kann heute nicht kommen."
„Nehmen Sie sich soviel Zeit wie Sie brauchen." Sie hatte ihn seit dem Trauerfall nicht persönlich in der Klinik gesehen. „Ich höre, House nimmt sich ein bisschen Ihrer an." Ein humorvolles, etwas rauchiges Lachen rauschte über den Äther. „Wahrscheinlich ist es eher umgekehrt der Fall. Passen Sie für mich auf ihn auf, ja?"
„Das tu' ich, Dr. Cuddy." Beinahe hätte er sie Ma'am genannt.
„Chase? Ist alles in Ordnung?"
„Alles bestens", log er.
„Fein. Sie sind ein guter Junge."
Damit legte sie auf. Die Verantwortung lastete wie ein Elefant auf ihm.
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