Hallo zusammen! Diese Darkover-Fanfiction handelt von Elaine Montray, der zweiten Frau von Kennard Alton, die in verschiedenen Darkover-Romanen erwähnt wurde, jedoch niemals persönlich in Erscheinung getreten ist. Wahrscheinlich hat gerade das mich zu dieser Geschichte inspiriert – eine Möglichkeit wie sich die Wiederbegegnung zwischen Kennard Alton und der Mutter seiner Söhne auf Darkover zugetragen haben könnte.
Inhalt
Die junge Elaine Montray hat sich der Raumfahrt verschrieben und betrachtet die Weiten des Weltraums als ihr Zuhause – bis ihr Raumschiff eines Tages auf Darkover haltmacht und sie ihre Liebe aus vergangenen Tagen wiedertrifft. Doch schon ist das Erbe ihrer Domäne in ihr erwacht, und sie begreift schnell, was ihr Bleiben für den Planeten bedeuten könnte. Elaine steht vor der schwierigsten Entscheidung ihres Lebens – aber ist es überhaupt ihre Entscheidung?
Dieser Geschichte liegen die Ereignisse der Romane „Kräfte der Comyn", „Sturmwind", „die blutige Sonne", „Hasturs Erbe", „Sharras Exil" und der Kurzgeschichte „Der Sohn des Falkenmeisters" zugrunde. Sie ist bereits fertiggestellt und beinhaltet sechs Kapitel, die ich in regelmäßigen Abständen hochladen werde.
Disclaimer
Alle bekannten Figuren und Schauplätze dieser Fanfiction gehören Marion Zimmer Bradley. Ich verdiene kein Geld damit. Die Rechte an der Handlung und den von mir erfundenen Charakteren liegen bei mir. Sollten Ähnlichkeiten mit anderen Fanfictions auftreten, sind sie nicht beabsichtigt.
Yllana mea
~ von Yllana ~
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Er eilte durch den Korridor, wobei sein ungleichmäßiger Schritt und sein erregtes Gesicht jene Gefühle verrieten, die er seiner Stimme fernzuhalten versuchte.
„Du bist kein Telepath, Hastur. Es war leicht für dich zu tun, was dein Klan von dir forderte. Die Götter wissen, dass ich versuchte habe, Caitlin zu lieben. Es war nicht ihr Fehler…"
„Ist diese Ehe überhaupt jemals vollzogen wurden, Ken?"
„Diese Frage ist eine Beleidigung und ein Angriff auf meine Privatsphäre. Denkst du etwa, ich wollte keinen legitimen Sohn?", war die hitzige Antwort. „Aber angesichts dessen, was ich nach jenen Jahren in Arilinn über mich selbst herausgefunden habe, wusste ich, dass ich kinderlos sterben würde, wenn mir Elaine keine Söhne gebären würde. Und weil ich beiden Frauen gegenüber fair sein und nicht eine bedeutungslose Ehe fortsetzen wollte, die uns beide an ein Leben ohne Liebe kettete, musste ich diese Last auf meine Söhne abwälzen. Ich hätte Caitlin in meinem Haus festhalten und sie zwingen können, meine Bastarde aufzuziehen. Elaine schenkte der Alton Domäne zwei Söhne, und du hast die Stirn, sie so zu behandeln, als sei sie niemals meine Frau gewesen!"
Aus „Hasturs Erbe" von Marion Zimmer Bradley; zitiert in „Der Sohn des Falkenmeisters" von Marion Zimmer Bradley
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Darkover – nur eine Zwischenstation?
„Miss Montray? Mr. Penn hätte jetzt einen Moment Zeit für Sie."
Elaine Montray schreckte aus ihren Gedanken hoch und sah ein junges Mädchen in der terranischen Standard-Uniform vor sich stehen. „Na wunderbar", erwiderte sie ein wenig ironisch und warf ihr langes dunkles Haar zurück. „Ich sitze hier ja erst seit drei Stunden!"
„Kommen Sie bitte mit?", sagte das Mädchen, ohne darauf einzugehen.
Elaine stopfte die wissenschaftliche Abhandlung über „Gebilde im fünfdimensionalen Raum", welche sowieso nur Alibifunktion erfüllt hatte, in ihre Tasche und folgte dem Mädchen ärgerlich durch die ellenlangen sterilen Gänge des HQ's, wobei sie sich wiederholt fragte, warum man ihr nicht einfach direkt einen Termin bei Mr. Penn gegeben hatte.
Der verschanzt sich in seinem Quartier, das ihm gar nicht gehört, wie in einem Elfenbeinturm! Die Zeit hätte ich woanders sinnvoller nutzen können!, dachte sie wütend. Denn davon habe ich weiß Gott zu wenig! Fünf Tage! Noch nicht einmal eine lächerliche Woche ist mir auf meinem Heimatplaneten vergönnt!
Die Medea, das Forschungsraumschiff, auf dem Elaine seit Jahren arbeitete, machte nur eine kurze Pause, um Treibstoff, Lebensmittel, Laborbedarf und sonstiges aufzunehmen. Für sie war Darkover ein strategisch günstig gelegener Stützpunkt zwischen den gähnenden Tiefen des Weltraums.
Für Elaine war es eine Heimat, die sie nicht kannte. Sie war auf Terra geboren und unter Terranern aufgewachsen, doch war ihre Mutter Darkovanerin. Sie hatte keinerlei Erinnerungen an sie, aber ein bohrendes Gefühl war geblieben, das sie immer fremd auf Terra bleiben ließ. Daran konnte auch ihr Vater, den sie erst mit achtzehn kennenlernte, nichts ändern. Sobald es ging, hatte sich Elaine für die Raumfahrt beworben und ihr Leben voll und ganz der Forschung verschrieben. Sie war nun zwischen Raum und Zeit zu Hause, überall und nirgendwo.
Dass Darkover überhaupt existierte, hatte sie fast vergessen, bis sie vor etwa zwei Wochen erfuhr, dass der Planet Ziel ihrer Zwischenstation werden sollte. Elaine war heftig zusammengezuckt, und ab da ließ ihr der zögernd tastende Finger, der ihre Gehirnwindungen wie die Seiten eines Buchs umblätterte, keine Ruhe mehr.
Und nachts kamen die Träume. Entsetzliche Träume, die mit Darkover und ihrer Anwesenheit dort zu tun hatten. Sie handelten von einem verheerenden Feuer, von einer schrecklichen dämonenhaften Frau… und von einer Liebe, wie Elaine sie in Wirklichkeit nicht mehr kannte. Die alles andere bedeutungslos werden ließ.
„Du solltest wohl lieber deine Finger von diesem Planeten lassen", sagte Elaines beste Freundin Lizzy nervös lachend, als sie ihr davon erzählte. Lizzy war ein bisschen abergläubisch, aber auch die nüchtern denkende Elaine konnte sich der Wirkung ihrer Träume nicht entziehen und mußte sich bei der Arbeit zusammenreißen, um nicht ständig abzudriften.
Spätestens als sie den Planeten zum ersten Mal im Landeanflug erblickte, umgeben von seinen kleinen farbigen Monden wie kostbare Diamanten, war ihr klar, dass sie ihre Finger nicht von ihm lassen würde.
Nach der Landung wurde die gesamte Raumschiffcrew durch eine Gangway direkt ins HQ geschleust, dessen Schwerkraft- und Beleuchtungswerte identisch zu denen im Raumschiff waren. Doch hatte Elaine einen kurzen Blick auf eine riesige blutrote Sonne erhaschen können, die hoch am Himmel stand.
Zweimal so groß im Durchmesser wie die Sonne von Terra, schätzte die Wissenschaftlerin in ihr nüchtern ab. Gleichzeitig zog sich eine Gänsehaut über ihren gesamten Körper. Zum ersten Mal während ihrer gesamten Raumfahrerkarriere störte es sie, dass das Quartier, das ihr zugewiesen wurde, kein Fenster hatte. Sie hätte gerne vorm Schlafengehen die geheimnisvollen farbigen Monde betrachtet. Elaine hatte schon viele Welten zu Gesicht bekommen, aber nie war ihr eine so wunderschön erschienen.
Und nachts kamen wieder die Träume, graue Augen blickten sie aus einem vertrauten Gesicht an und zerrissen ihr das Herz.
Der nächste Tag begann mit der Bekanntgabe eines gewaltigen Arbeitspensums für Elaine und die anderen Crew-Mitglieder. Ich werde von morgens bis nachts in dieser verdammten HQ-Bibliothek festsitzen!, stellte sie fest, und plötzlich packte sie die blanke Verzweiflung.
Elaine stellte einen Antrag auf Stationierung, obwohl sie die geringen Erfolgsaussichten kannte. Aber ihr Wunsch, auf dieser Welt zu bleiben und sie kennenzulernen, war übermächtig. Die nun verbleibenden drei Tage würden nicht ausreichen.
Und deshalb hatte sie den Großteil ihres einzigen freien Nachmittags demütig wie eine Bittstellerin auf diesem unbequemen Plastiksessel zugebracht, während ihre Freundinnen sich in der terranischen Handelsstadt vergnügten!
Als das Mädchen die Konsole neben der holzgetäfelten Tür zu Mr. Penns Büro drückte, fing Elaines Herz unbeherrscht an zu klopfen. Bleib sachlich!, ermahnte sie sich und holte tief Luft, als das Mädchen sie eintreten ließ und die Tür wieder von außen schloss. Elaine war alleine mit ihrem Arbeitgeber, der an einem blitzblanken Schreibtisch, der ihm auch nicht gehörte, in aller Seelenruhe ein Buch las und eine Zigarette rauchte. Vor sich hatte er demonstrativ die zwei Hälften eines zerrissenen Papiers drapiert. Elaine stiegen die heißen Tränen in die Augen, als sie ihren Antrag erkannte.
Mr. Penn hob den Kopf und blickte Elaine an. „Abgelehnt", sagte er kalt und vertiefte sich wieder in sein Buch.
Elaine reckte trotzig das Kinn vor, ihre dunklen Augen funkelten. Natürlich hatte sie damit gerechnet. „Darf ich wissen, warum?", hörte sie sich mit viel zu hoher Stimme fragen. Wie ein kleines verängstigtes Mädchen klang sie, nicht wie eine Frau in den Mittzwanzigern! Aber es gab kaum jemanden, der keine Angst vor diesem Diktator hatte.
„Ganz einfach", sagte Mr. Penn ohne aufzusehen, „wir heben in drei Tagen ab. Also können Sie keine drei Jahre hierbleiben! Klingt doch logisch, oder?" Genervt blätterte er eine Seite seines Buches um. Elaine verspürte den dringenden Wunsch, es ihm um die Ohren zu schlagen.
„Mr. Penn! Das hier ist mein Heimatplanet! Mein Bruder lebt hier irgendwo, wissen Sie? Es wäre meine letzte Möglichkeit, ihn zu sehen!", sagte Elaine mit erstickter Stimme.
Nun blickte Mr. Penn sie direkt an. „Miss Montray! Sie wissen, wie relativ die Zeitbegriffe in unserem Beruf sind! Er kann längst gestorben sein!", erklärte er mit einer Stimme, die so emotionslos klang wie die eines Roboters.
„Sie meinen also, ich soll hier abreisen, ohne einen Versuch, es herauszufinden…", sagte Elaine langsam und fühlte ihre Beine taub werden.
„Sie kennen die Vertragsbedingungen", wies Mr. Penn sie zurecht. „Wenn alle solche Ansprüche stellen würden wie Sie, würden wir ständig Leute verlieren!"
Elaine merkte, wie sie verzweifelt die Hände rang. Wie sollte sie es diesem Eisblock begreiflich machen, dass sie von dieser Welt unmöglich in drei Tagen abreisen konnte? Denn es wäre eine Abreise für immer, verschwunden auf Nimmerwiedersehen in den Tiefen des Alls, um viele Lichtjahre entfernt wieder aufzutauchen. Die Medea besuchte keinen Planeten ein zweites Mal.
„Gut, dann muss ich leider kündigen!", erklärte Elaine entschieden und erschrak gleich darauf vor ihren eigenen Worten. Gleichzeitig fragte sie sich jedoch, was sie sonst tun sollte.
Mr. Penn warf den Kopf in den Nacken und stieß ein raues freudloses Gelächter aus. „Das wird ja immer besser! Selten so gelacht, Miss Montray, wirklich! So, und nun haben Sie wirklich genug von meiner wertvollen Zeit gestohlen!"
Als er begann, sich in weiteren hämischen Bemerkungen zu ergehen, verließ Elaine totenbleich und ohne ein Wort zu sagen den Raum.
„Oh Gott! Was hat er gesagt?", fragte Lizzy ahnungsvoll, als Elaine tränenüberströmt in ihr gemeinsames Quartier gewankt kam und sich auf ihr Bett sacken ließ.
„Warum ich meinen Vertrag nicht gleich als Toilettenpapier benutze, wenn ich zu blöd sei, ihn zu lesen", antwortete Elaine tonlos, und Lizzy hielt sich schnell die Hand vor den Mund.
„Du Arme!", presste sie heraus und legte einen Arm um ihre Freundin. „Aber es war doch klar, dass er dich nicht gehen lässt! Wir haben uns alle verpflichtet, auf Lebenszeit. Es gibt kein Zurück, Elaine!"
„Ich weiß!", sagte sie rau und verfluchte den Moment, als sie in ihrer achtzehnjährigen Naivität die erstbeste Gelegenheit ergriffen hatte, von Terra zu fliehen, kaum dass sie die Schule beendet hatte. „Es ist die reinste Sklaverei, Lizzy!"
„Aber wir bekommen die beste Ausbildung, die man sich nur wünschen kann", wandte Lizzy ein. „Auf Terra hättest du sofort heiraten oder Teller waschen müssen! Du hättest nie einen Studienplatz bekommen!"
Geschweige denn, dass ihn mir jemand bezahlt hätte, gab Elaine ihrer Freundin stillschweigend recht. Ihre Adoptiveltern hatten es kaum geschafft, ihr Schulgeld aufzubringen. Nein, auf Terra war nie Platz für mich!, dachte sie. Dieser Planet war eng und überfüllt und zu drei Vierteln arbeitslos, und ich hasste ihn wirklich. Ausserdem – nachdem Kennard abgereist war …
Elaine hatte seit Jahren nicht mehr an Kennard gedacht, den einzigen Darkovaner, den sie je kennen gelernt hatte. Wo er wohl war? Wie alt er wohl war? Denn es stimmte: Zeit konnte im Weltraum absonderliche Formen annehmen…
„Komm, wir machen noch mal einen Abstecher in die Handelsstadt!", schlug Lizzy mit munterer Stimme vor und riss Elaine aus ihren trüben Gedanken. Als sie einen zweifelnden Blick auf ihre Armbanduhr warf, machte Lizzy eine wegwerfende Handbewegung. „So großen Ärger kann es doch nicht geben, wir sind schließlich unkündbar, oder?", sagte sie mit schiefem Lächeln. „Außerdem ist der Tag hier vier Stunden länger… Zieh dich warm an, Eli! Die nennen das hier Sommer, aber es ist knapp über dem Gefrierpunkt!", plapperte Lizzy. „Und lass die Sonnenbrille hier! Ich habe nie einen Planeten in so einem schummrigen Tageslicht gesehen!"
***
Lizzy hatte recht. Sobald sie die schale aufgewärmte Luft und das künstliche gelbe Licht des HQ's hinter sich gelassen hatten, ging Elaines Herz auf. Die kalte würzige Luft von Darkover stach in ihre Lungen, und das Licht der großen Sonne hauchte einen rosigen Schimmer auf das kalte Weiß der Gebäude der Handelsstadt. Weiter hinten standen im krassen Gegensatz dazu dicht aneinander gedrängte Holzhäuser mit roten Schindeldächern. Thendara Altstadt.
„Schau, diese große Burg da hinten! Ist die nicht eindrucksvoll? Das ist die so genannte Comynburg", erklärte Lizzy, und die Ehrfurcht in ihrer Stimme war nur halb gespielt.
Elaine schluckte schwer, und die Gänsehaut an ihren Armen kam nicht von der Kälte. Tatsächlich wurde ihr gerade ziemlich warm unter ihrem synthetischen Allwettermantel.
Comyn? Hatte Kennard nicht mal was darüber erzählt? Elaine versuchte sich zu erinnern. Sie waren wohl auf Darkover so etwas Ähnliches wie die Adligen, die es früher in ihrer Welt gegeben hatte, lange bevor das Imperium gegründet wurde. Diese Burg sah aus wie von Riesen erbaut, ebenso der hohe schlanke Turm, der daneben in den Himmel ragte. Einen Augenblick meinte Elaine, etwas darüber zu erkennen – starke Emotionen, die sich in dunklen rotglühenden Farben visualisierten… Doch nach einem erschreckten Kopfschütteln sah alles aus wie zuvor.
Von ihrem Standpunkt aus hatten sie tatsächlich einen Blick über die ganze Stadt. In weiter Ferne konnte Elaine sogar ein paar Bergketten in sanften Violett-Tönen erkennen, die sich am Horizont im Nebel verloren. Elaine kam sich auf dieser Welt plötzlich kleiner vor, als sie sich fühlte, wenn sie aus dem Raumschiff in die schwarzen Tiefen des Weltraums starrte.
„Elaine, du weinst ja wieder!", stellte Lizzy besorgt fest und kramte nach einem Taschentuch. „So kenne ich dich gar nicht!"
„Ich war auch noch nie zu Hause", gab Elaine ruppig zurück und wischte sich schnell die Augen trocken. „Denk mal dran, wie du dich vor fünf Jahren aufgeführt hast, als wir auf Megara halt machten! Nur weil du dich in diesen Mann verliebt hattest!"
„Und? Bin ich vielleicht da geblieben?", fragte Lizzy herausfordernd. „Nein, ich war brav!"
Elaine erwiderte nichts mehr. Gemeinsam verließen sie das HQ-Gelände und spazierten danach beieinander eingehängt durch die breiten Straßen der Handelsstadt, um sich von den Auslagen in den Schaufenstern begeistern zu lassen.
Schließlich gingen sie in ein Geschäft und kauften sich eng anliegende Synthetik-Oberteile in schillernden Farben. Auch auf Forschungsraumschiffen gab es hin und wieder Gelegenheiten, so etwas zu tragen. Und irgendwann würde sie vielleicht doch einmal ein männliches Wesen mit ihren Reizen bezaubern wollen, auch wenn das bis jetzt sehr selten vorgekommen war. Während ihre Freundin schon einen beachtlichen Teil der Crew näher kennen gelernt hatte, verteidigte Elaine hartnäckig ihren Ruf als unnahbare Schönheit.
„Jetzt sollten wir wieder umkehren!", verkündete Lizzy schließlich. „Hier fängt die Altstadt an, da haben wir nichts verloren, Eli!", insistierte sie beim Anblick von Elaines entrückter Miene.
Nein, umkehren kam jetzt für sie gar nicht in Frage. „Nur ein paar Straßen, Lizzy", bettelte sie. „Das kannst du mir nicht abschlagen!"
Bei der hoffnungslosen Traurigkeit in Elaines Stimme wurde Lizzy weich. „Aber es ist schon spät", gab sie trotzdem zu bedenken.
„Ich habe es aber satt, mich herumkommandieren zu lassen! Du sagtest doch selbst, wir sind unkündbar – oder?" Elaine puffte Lizzy spaßhaft in die Seite, und sie machten sich auf in das Stadtviertel, das für sie verboten war, und in dem von Pferden gezogene Kutschen und Fuhrwerke die terranischen Gleitfahrzeuge ersetzten.
„Mach den Mund zu", mahnte Lizzy ihre Freundin mehrmals besorgt, während sie durch die engen gepflasterten Gassen gingen und schließlich einen großen runden Marktplatz erreichten. „Die Leute schauen schon herüber!"
Elaine hatte tatsächlich große Mühe, ihre Bewegtheit zu verbergen. Sie spürte mit jeder Faser ihrer Seele, dass sie hierher gehörte und konnte gar nicht genug von all den neuen Eindrücken bekommen.
Die Sonne hing inzwischen unvorstellbar groß wie ein blutrotes Auge dicht über den Dächern, und nach wenigen Minuten war sie verschwunden. Die Dunkelheit fiel auf sie herab wie ein großes schwarzes Tuch, und das war sprichwörtlich zu nehmen. Die Altstadt war nicht beleuchtet, und Elaine konnte kaum die Hand vor den Augen erkennen.
„Auf die Gefahr hin, dass ich unromantisch bin – aber ein bisschen Strom hat noch keiner Kultur geschadet!", zischte Lizzy. Sie packte Elaines Hand und zog sie zu den Lichtern der Handelsstadt.
Elaine spürte die Angst ihrer Freundin, und als sie leise Schritte hinter sich hörte, bekam sie ebenfalls Angst. Um diese Zeit blieb anscheinend jeder vernünftige Darkovaner in seinem Haus! Dennoch wußte sie: Ihnen würde nichts geschehen, obwohl es wie verhext war. Sie fanden den Weg nicht, und die Lichter der Handelsstadt waren weiter weg als zuvor. Lizzy zitterte inzwischen unkontrolliert und stand kurz vor der Panik. Solche Ausflüge waren sie beide nicht gewöhnt. Ihr Verfolger rief etwas in einer Sprache, die sie nicht verstanden.
Lizzy rannte los und zerrte Elaine hinter sich her. „Los, wir stellen uns dort unter!", keuchte sie schließlich und wies auf den offen stehenden Eingang eines stattlichen Steinhauses.
Aber Elaine hielt dagegen und starrte schockiert das Haus an. „Bist du wahnsinnig? Das brennt!" Tatsächlich sah sie die Flammen lodernd aus dem verschmorten Dachstuhl schlagen, spürte die sengende Hitze ihre Kleidung durchdringen.
„Du spinnst doch!", schluchzte Lizzy. „Komm endlich!" Sie ließ Elaine los und rannte auf das Haus zu, das plötzlich wieder unversehrt war.
Kopfschüttelnd stolperte sie hinter Lizzy in den Hausflur und sah sich im nächsten Moment einer stattlichen Frau in den mittleren Jahren gegenüber, die sie zuerst wortlos anstarrte und schließlich etwas fragte. Elaine verstand sie nicht, fühlte sich jedoch sofort zu ihr hingezogen.
„Wir werden verfolgt!", berichtete Lizzy aufgeregt und wies wild gestikulierend nach draußen. Noch immer liefen ihr Tränen übers Gesicht, sie stand völlig unter Schock. Elaine dagegen sah sich interessiert in dem geräumigen Hausflur um, von dem eine breite Treppe mit kunstvoll verziertem Geländer in das darüber liegende Stockwerk führte.
Schließlich fasste die Frau leicht die Fingerspitzen von Lizzys Hand und führte die Frauen in einen großen Raum, der Ähnlichkeit mit einer Wohnküche aufwies. Sie forderte sie auf, auf einer gepolsterten Bank Platz zu nehmen und fragte: „Terranan?"
„Ja", antwortete Elaine. „Mein Name ist Elaine Montray, das ist Elizabeth Parkinson."
Die Frau runzelte leicht die Stirn, doch im nächsten Augenblick lächelte sie, und entblößte dabei große hervorstehende Schneidezähne. „Caitlin Lindir-Lanart", stellte sie sich vor.
Ob die hier keine vernünftigen Zahnärzte haben? überlegte Elaine und rief sich das mittelalterlich erscheinende Bild der Altstadt vor Augen. Andererseits war ihr die Sauberkeit der Straßen aufgefallen, ebenso machte Caitlin einen sehr gepflegten Eindruck. Von den Zähnen abgesehen war sie bestimmt mal hübsch gewesen. Doch jetzt hatten sich tiefe Falten in ihr Gesicht gegraben, und das im Nacken kunstvoll verschlungene rötliche Haar war dünn und mit grauen Strähnen durchsetzt. Ohne es wissen zu können, fühlte Elaine, dass diese Frau vieles entbehren musste, und ihr Herz zog sich mitfühlend zusammen.
Caitlin bot ihnen eine Tasse mit einem warmen Getränk an, das leicht nach Kamille schmeckte, rief dann ein Hausmädchen herbei und erteilte ihr eine Anweisung. Das Mädchen verneigte sich und eilte wieder hinaus. Caitlin stand auf und sagte in einem sehr gebrochenen Terra-Standard: „Leibgarde… Euch bringen HQ."
„Vielen Dank!", sagte Lizzy erleichtert.
„Vielen Dank, domna", sagte Elaine und neigte leicht den Kopf. Dabei fragte sie sich, woher sie auf einmal diese Redewendung hatte. Wahrscheinlich habe ich sie irgendwo in der Altstadt aufgeschnappt. Auf jeden Fall passt sie.
Wieder runzelte Caitlin die Stirn, dann führte sie Elaine und Lizzy in den Flur. Ich würde gerne wieder kommen!, schoss es Elaine durch den Kopf. Doch sie wußte, dass es unmöglich war. Und eine andere Stimme in ihr schrie: Nein, komm nie wieder! Du wirst nur Flammen und Unglück bringen!
Die Frau sagte etwas in ihrer Sprache, und Elaine wusste, dass es Lebwohl hieß.
Elaine berührte leicht Caitlins Fingerspitzen und neigte ihre Stirn darüber. „Lebt wohl, domna", sagte sie leise.
In dem Moment ertönten schwere Schritte hinter ihr, und eine vertraute Stimme sagte: „Wir haben Besuch?"
***
Elaine fuhr herum und starrte in das Gesicht aus ihrem Traum. In dem Moment fiel ihr ein, wem es gehörte, noch bevor er seinen Namen nannte. „Meine Ladies. Ich bin Kennard Lanart-Alton und heiße Euch in meinem Haus willkommen", sagte er auf terranisch.
„Elaine Montray, z'par servu", erwiderte sie und merkte, wie Lizzy sie erstaunt von der Seite musterte, bevor sie sich selber vorstellte.
Caitlin sagte etwas zu ihm, und Kennard antwortete förmlich, zu Elaine gewandt: „Ich habe lange nicht mehr mit Terranern gesprochen, und würde mich geehrt fühlen, Euch noch eine Weile als Gast zu haben. In unserem Haus legen wir viel Wert auf den Austausch zwischen den verschiedenen Völkern."
Seine Miene blieb undurchdringlich, und Elaine starrte in seine grauen Augen, unfähig den Blick zu senken oder eine Antwort zu geben. Es war Kennard. Der Kennard, den sie vor Jahren auf Terra gekannt hatte. Er war bloß viel älter, und sein Gesicht hatte einen verschlossenen, fast zynischen Ausdruck, den sie von damals nicht kannte.
Lizzy neben ihr wand sich. „Entschuldigen Sie, Sir, wir würden Ihre Einladung gerne annehmen", sagte sie schließlich mit hoher kindlicher Stimme. „Aber wir werden Schwierigkeiten im HQ bekommen, wenn wir uns nicht bald zurückmelden. Wir hatten uns bloß verlaufen." Lizzy verstummte errötend, und Elaine fand es peinlich, dass sie nicht ein bißchen freier über ihre Zeit verfügen durften. Wir sind wirklich das genaue Gegenteil von frei, dachte sie.
„Dann wird es mir eine Ehre sein, Euch persönlich zum HQ zu bringen", antwortete Kennard. „Lady Caitlin? Ihr braucht mit dem Essen nicht zu warten", sagte er an seine Frau gewandt.
Ob er sie im Bett wohl auch siezt? dachte Elaine belustigt und wusste, dass Lizzy jetzt ungefähr das gleiche denken musste. Dann erst ging ihr bestürzt auf, dass Kennard seine Lady bestimmt nicht auf Terranisch angesprochen hatte.
Aber ich habe jedes Wort verstanden. Von einer Sprache, die ich nicht kenne! Oder habe ich sie als kleines Kind gekannt?
Noch völlig verwirrt folgte sie Lizzy und Kennard auf die Straße. Als Begleitung hatte er einen jüngeren Mann mitgenommen, denn anscheinend konnte es nicht einmal ein kräftiger Mann wie er wagen, nachts allein durch die Straßen von Thendara zu laufen. Elaine fiel auf, dass beide Männer mit kurzen Schwertern bewaffnet waren, die unter ihren dicken Fellmänteln hervorragten.
„Nun bist du also nach Hause gekommen, Elaine Montray", sagte Kennard nach wenigen Metern, jede Förmlichkeit vernachlässigend.
Er erkennt mich tatsächlich wieder! dachte Elaine und suchte nach Worten.
„Du hast dich kaum verändert", stellte er fest, als habe er ihre Gedanken gelesen. „Dabei habe ich Terra vor achtzehn Jahren verlassen!"
„Für mich sind seitdem erst neun Standardjahre vergangen. Das liegt daran, dass wir die meiste Zeit mit Überlichtgeschwindigkeit reisen", erklärte Elaine. „Das perfekte Mittel, um sich jung zu halten", wagte sie einen kleinen Scherz, angesichts von Kennards ernster Miene. Dabei war sie selbst schockiert. Sie wußte, dass die Zeit nicht immer zwangsweise einer Geraden folgen musste, auch zwischen den Welten selbst existierten unterschiedliche Geschwindigkeiten der zeitlichen Abläufe. Aber eine solche Diskrepanz am eigenen Leib zu erleben war etwas anderes.
Lizzy stand der Mund offen. „Moment mal, Elaine. Ihr kennt euch??"
„Ich habe sieben Jahre auf Terra gelebt", sagte Kennard zu ihr. „Elaine und ich trafen uns erst kurz vor meiner Abreise." Leider nicht eher, fügte er hinzu und versenkte seine Augen in Elaines.
Beim letzten Satz hatte er die Lippen nicht bewegt, doch hallte er schmerzhaft in Elaines Gedanken wider.
Ob er mich auch so vermisst hat wie ich ihn? überlegte sie, und ihr Bauch tat wieder weh wie damals, als sie wochenlang nichts essen konnte.
Ich habe dich immer vermisst, sagte Kennards Stimme in ihrem Kopf, und seine Augen ließen sie nicht los.
Er liest wirklich meine Gedanken!, dachte Elaine fassungslos und versuchte krampfhaft, die Antwort darauf zu unterdrücken: Und ich habe dich immer gesucht.
Kennard lächelte nur, sein trauriges Lächeln, das Elaine nie vergessen hatte.
„Tja, und diesmal reisen wir in drei Tagen ab", meldete sich Lizzy, die das lange Schweigen zwischen ihnen seltsam fand. „So ein Pech!"
Kennard wiederholte daraufhin in aller Form seine Einladung, bei ihm Gast zu sein. Der Weg durch die Stadt war nicht lang, und schneller als es Elaine lieb war, waren sie an der Pforte zum HQ angelangt.
„Sehen wir uns wieder?", fragte Kennard ohne Umschweife und nahm Elaines Hand leicht in seine sechsfingrige.
„Ja", sagte sie, ohne zu überlegen.
„Wann denn?", rief Lizzy neben ihr aus. „Meinst du, der Penn lässt uns nach dieser Aktion noch einmal allein raus??"
Elaine ignorierte sie und lächelte Kennard an. Er lächelte zurück und drückte ihre Finger. Und ich lasse dich so schnell nicht gehen, sagte er, unhörbar für andere.
„Na, ihr könnt was erleben!", sagte der Pförtner genüsslich, nachdem Kennard gegangen war, und sie ihre Namen genannt hatten. „Ihr werdet schon sehnsüchtig erwartet! Und wenn Mr. Penn mitkriegt, dass seine Crew-Mitglieder Kontakt zu Einheimischen suchen, kriegt er einen Herzanfall! Was habt ihr eigentlich mit den Comyn zu schaffen, he?"
Nachts, in ihrer fensterlosen Unterkunft kamen die Träume wieder, diesmal in einer nie dagewesenen Schärfe. Elaine sah sich selbst in Kennards Haus mit ihrem kleinen Kind auf dem Arm, deutlich erkannte sie die sechs Fingerchen an jeder Hand. Sie erblickte weite grüne Ebenen, hinter denen sich sanfte Hügelketten erhoben, noch weiter weg schließlich ein monumentales Gebirge, das noch nie ein Mensch überquert hatte; alles erschien ihr so vertraut…
Dann befand sie sich in einem großen stabilen Holzhaus, und wusste, dass sie darin wohnte, sah einen älteren Kennard vorm Kamin sitzen, das Gesicht in gramvolle Falten gelegt, neben ihm ein Junge mit verschlossenem Gesicht und ein Mädchen mit weichem braunen Haar.
Ein Teil von ihr wusste, dass sie träumte und Dinge sah, die in der Zukunft liegen könnten. Unerbittlich wurde sie durch den Zeitsog noch weiter nach vorne getrieben, sie roch die Flammen schon, bevor sie sie lodern sah, Flammen, die eine ganze Stadt niederbrannten und ihren Söhnen Tod und Verderben brachten…
Schreiend fuhr sie in die Höhe und knipste die Lampe auf ihrem Nachttisch an. Lizzy lag in ihrem Bett und schlief ungerührt weiter, offensichtlich verdaute sie die Aufregung des vergangenen Abends und die Aussicht auf die Strafe, die Mr. Penn ihnen aufgebrummt hatte: Hausarrest, besser gesagt Schiffsarrest. Schon die folgende Nacht sollten sie wieder an Bord verbringen und ihren Fuß nicht mehr auf Darkover setzen, bis das Schiff abhob.
Vielleicht ist das auch besser so, dachte Elaine, bevor sie wieder in einen unruhigen Schlummer fiel. Diesmal träumte sie von Kennard, der ihren Kopf in seinen großen Händen hielt und sie küsste, wie noch kein Mann sie geküsst hatte.
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Ich hoffe, das erste Kapitel hat Euch gefallen! Über Reviews würde ich mich sehr freuen!
LG
Yllana
