Spielt einige Monate nach "Stolz und Vorurteil"/"Pride and Prejudice". Ich entschuldige mich vorab, wenn ich mit den englischen Titeln ein wenig arg großzügig umgehe und sie munter durch alle Ränge miteinander kombiniere. Weder erhalten z.B. die Whitby-Geschwister das ihnen eigentlich zustehende "Honourable" (das aber auch Jane Austen in vielen Fällen wegläßt), noch verweigere ich ihrer Mutter die Kombination aus "Lady" + Vorname, die ihr eigentlich nicht zusteht. Zum Ausgleich ärgere ich sie aber gelegentlich mit der Kombination "Lady" + Familienname, über die sie als Viscountess eigentlich erhaben wäre. ^_^
1.)
Es ist für eine Familie von Stand und Ansehen selbstverständlich vollkommen unmöglich, während sie Winter oder Frühjahr in London verbringt, nicht wenigstens einige Male das Theater von B. zu besuchen. Ob dies nun daran lag, daß jene Bühne tatsächlich, wie die Direktoren behaupteten, die besten Stücke mit der opulentesten Ausstattung und den großartigsten Schauspielern bot, oder eher daran, daß im Foyer stets die edelsten Weine gereicht wurden und daß die geräumigen und hübschen Logen sich hervorragend dafür eigneten, die neuesten Toiletten der Damen den Augen einer interessierten Öffentlichkeit vorzuführen, das vermögen wir nicht zu entscheiden. Aber auch für Mr. und Mrs. Darcy, die erst in dieser Woche gemeinsam mit Mr. Darcys junger Schwester Georgiana nach London gereist waren, bot sich bereits nach wenigen Tagen die Gelegenheit, sich in den eleganten Sesseln ihrer Loge niederzulassen und, während das Orchester noch die Instrumente stimmte, im Publikum nach bekannten Gesichtern Ausschau zu halten. Für eine Weile erging man sich in den üblichen Betrachtungen zur Größe des Saales, der Menge der Besucher und der von den anwesenden Damen vorgeführten neuesten Londoner Mode, denn besonders für Miss Georgiana Darcy, die bei diesem Aufenthalt ihren ersten Winter in London verleben sollte, war noch immer alles neu und sehr aufregend, und da sie von schüchterner und zurückhaltender Wesensart war, genügten zu viele neue Eindrücke auf einmal, um sie befangen werden zu lassen.
Die junge Mrs. Elizabeth Darcy betrachtete es als ihre Aufgabe, ihrer Schwägerin in freundlichem Geplauder, das nichts als allerlei geistreiche Belanglosigkeiten betraf, darüber hinweg zu helfen. Sie hatte schon während ihrer kurzen Verlobungszeit mit Mr. Darcy ein sehr inniges Verhältnis zu Miss Darcy entwickelt und war von jener mit so viel Wärme und Zuneigung in die Familie aufgenommen worden, wie eine scheue Dame von sechzehn Jahren, die von der Welt trotz ihres jugendlichen Alters bereits einmal schwer enttäuscht worden war, sie überhaupt nur aufbringen konnte und wie es sich leider in so wenigen Familien findet. Nicht selten betrachten ja die noch im Vaterhaus lebenden Töchter eine Schwägerin weniger als Gewinn für die Familie denn als Bedrohung ihrer eigenen Stellung, und die Schmach, an der abendlichen Tafel einen Platz weiter hinab gerückt zu sein und in Zukunft beim Betreten des Hauses einer anderen Dame den Vortritt lassen zu müssen, verwinden viele ihr gesamtes Leben nicht.
Es war dies, wie gesagt, eine Befürchtung, die Miss Elizabeth Bennet bereits vor ihrer Heirat mit gutem Grund zerstreuen durfte. Ihre ehrliche Zuneigung zu ihrem Gemahl hatte ihr das Herz von dessen Schwester ohne Mühe erobert, denn Miss Georgiana liebte und verehrte ihren Bruder, unter dessen Obhut sie aufgewachsen war, zwar sehr, aber doch in einem Maß, das dessen Glück über alles stellte und für egoistische Eifersüchteleien keinerlei Raum ließ. Miss Darcy, die so viele Jahre ohne Gefährtin außer ihrer Gouvernante verbracht hatte, war vielmehr überglücklich, nunmehr das Haus mit einer neu gewonnenen Schwester teilen zu können, die ihrem geringen Selbstbewußtsein durch ehrliches Lob und gute Ratschläge zu Hilfe kam und sich alle Mühe gab, ihre Schüchternheit durch ihr heiteres Wesen ein wenig aufzubrechen. So also war die Lage in Pemberley, als Mr. Darcy sich entgegen früherer Überlegungen doch entschloß, sich nach den Feiertagen in die Stadt zu begeben. Er traute seiner jungen Schwester inzwischen die Seelenstärke zu, sich von den Verlockungen Londons nicht gar zu sehr in Bann schlagen zu lassen, und fand es an der Zeit, sie endlich in die Gesellschaft einzuführen.
Soeben war die Frisur einer überaus elegant gekleideten Unbekannten, die auf dem Weg zu ihrer Loge zu sein schien, von den beiden Damen unter dem nachsichtigen Lächeln Mr. Darcys in allen Details besprochen und bewundert worden, als Mrs. Darcy beim zufälligen Blick auf eine gegenüberliegende Loge, an deren Brüstung ein Diener soeben ein besticktes Banner mit einem Wappen entrollte, zu ihrem Ehemann bemerkte:
"Lieber Darcy, mir scheint, daß deine Tante heute abend auch im Theater ist." Und indem sie seinen Blick darauf lenkte: "Ist das nicht das Wappen der de Bourghs?"
"Es scheint in der Tat so", antwortete Mr. Darcy. "Ich wußte nicht, daß sie ebenfalls in der Stadt ist. Wir werden dann wohl das Vergnügen haben, Lady Catherine während der ersten Pause in ihrer Loge zu besuchen, anstatt, wie ich eigentlich vorhatte, durch das Foyer zu wandern." Auch wenn seine Miene bei diesen Worten gleichbleibend ruhig erschien, konnte Mrs. Darcy ihr doch entnehmen, daß diese Änderung seiner Pläne ihm nicht wirklich zupaß kam. Auch Georgiana, die sich schon sehr darauf gefreut hatte, all die elegant gekleideten Herrschaften im Foyer mit einem Glas Sekt in der Hand bewundern zu können und vielleicht auch selbst ein wenig bewundert zu werden - denn welche junge Dame der Gesellschaft würde sich das für ihre ersten Auftritte in der Gesellschaft nicht wünschen? - wirkte im ersten Moment enttäuscht, war jedoch einsichtig genug, sich in das Unvermeidliche zu fügen.
Es wäre äußerst unklug gewesen, ihre Tante durch ihr Fernbleiben zu verärgern. Lady Catherine war ohnehin noch erzürnt über die kürzliche Heirat ihres Neffen Mr. Darcy und insbesondere ärgerlich auf die von ihm gewählte Braut, deren untergeordnete Stellung in der Gesellschaft und unbedeutende verwandtschaftliche Beziehungen sie ebenso wenig vergeben konnte wie die Tatsache, daß dadurch ihr eigener Versuch, Mr. Darcy mit ihrer Tochter zu verheiraten, die sich im selben Moment neben ihrer Mutter in der Loge niederließ, zum Scheitern verurteilt war. Sobald Lady Catherines streng forschender Blick die Familie ihres Neffen in der anderen Loge bemerkt hatte, erhoben sich deren Insassen höflich. Lady Catherine erwiderte Mr. Darcys Verbeugung und Georgianas Knicks mit einem huldvollen Kopfneigen und übersah Elizabeth komplett, was letzterer aber kaum Kummer bereitete, da sie sich über die Haltung Lady de Bourghs ihr gegenüber längst keine Illusionen mehr machte. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, daß Ihre Ladyschaft hier in der Stadt, vor den Augen einer Öffentlichkeit, die nach jedem Klatsch lechzte, weit höflicher zu ihr sein würde müssen, als sie bisher gewesen war, und daß ihr diese erzwungene Höflichkeit Verdruß genug bereiten würde.
Nicht lange danach wurde der Gong zum dritten Mal geschlagen, und auf der Bühne begann das Stück. Ein oder zwei Mal machte Mrs. Darcy im Flüsterton spöttische Bemerkungen zu ihrem Ehemann, jedoch ansonsten genoß sie die Aufführung in der Tat sehr. Aufgewachsen in einem Elternhaus auf dem Land, das kaum Vergnügungen bot, die über Spaziergänge, Lesen und den ein oder anderen Hausball hinausgegangen wären, aber gesegnet mit einem wachen Verstand, der die Qualität der Darbietung durchaus zu schätzen wußte, waren ihr derartige Schauspiele noch viel zu neu und fremdartig, als daß sie ihrer schon so überdrüssig geworden wäre, wie es der Großteil der Londoner Gesellschaft geworden zu sein scheint und auch ein guter Teil des Publikums an diesem Abend offenbar war, sofern man das aus dem unaufhörlichen Getuschel und Geflüster auf den Rängen erschließen durfte. Auch Miss Darcy war über dem ersten Akt vollkommen in Andacht versunken und wirkte ganz überrascht, als Mr. Darcy sich bei Beginn der Pause sofort erhob und sie erinnerte, daß sie ihre Tante begrüßen müßten.
Als der Diener sie in die Loge führte, sahen sie zu ihrer Überraschung, daß Lady Catherine bereits einen Besucher hatte. Der Mann mittleren Alters, der vor ihr stand und sich höflich mit beiden Damen zu unterhalten schien, war eine überaus bemerkenswerte Erscheinung, wie Elizabeth nicht umhin konnte zu bemerken. Zwar war er nicht eigentlich groß, und auch seine Gesichtszüge waren zu kantig, zu sonnenverbrannt und zu kühn geschnitten, als daß man ihm wahre männliche Schönheit hätte zusprechen wollen. Dennoch umgab ihn eine gewisse Faszination, deren Grund sich Mrs. Darcy nicht auf Anhieb erschloß. Sie war sich jedoch bewußt, daß auch ihr Ehemann denselben Eindruck hatte, denn sein Blick glitt fast sofort zu dem Unbekannten und blieb eine Weile forschend auf ihm ruhen. Es handelte sich zweifellos um einen Gentleman, denn er war überaus vornehm gekleidet, wenn auch in einem eher schlichten Stil, der Elizabeth ausnehmend gut gefiel. Sein Teint wirkte auffallend dunkel, als hätten Jahre in Wind und Sonne ihre Spuren hinterlassen, während sich um Mund und Augen tiefe Falten gegraben hatten, die von einem nicht minder bewegten geistigen Leben zu erzählten. Entgegen der herrschenden Mode hatte er sich einen dunklen Vollbart stehen lassen, der an Kinn und Wangen kurz gestutzt war und, wie Elizabeth sich in einem Anfall romantischer Ausdrucksweise erlaubte zu phantasieren, möglicherweise dazu dienen sollte, jene überbordenden Gefühle, die in diesem Gesicht sonst nur zu bereitwillig ihren Niederschlag gefunden hatten, dort vor seiner Umgebung zu verbergen, wo Selbstkontrolle und Disziplin es nicht mehr vermochten.
Der Mann drehte sich um, als der Diener ihre Namen nannte, musterte die Eingetretenen einen Augenblick mit sichtlichem Wohlgefallen und trat einen Schritt zurück, um Lady Catherine Gelegenheit zu geben, sich ihren neuen Gästen zu widmen.
"Ah. Darcy, mein Lieber", bemerkte letztere, sobald alle sich aus ihren Verbeugungen wieder aufgerichtet hatten. "Wie schön, dich zu sehen. Georgiana, mein Kind, wie groß du geworden bist! Wir sind alle entzückt, daß du diesen Winter mit uns verbringen wirst. Und Elizabeth." Sie nickte ihnen in dieser Reihenfolge zu und wendete sich dann wieder an ihren ersten Besucher. "Lord Raymund, darf ich Ihnen meinen Neffen sowie seine Schwester und seine Frau vorstellen? - Darcy, Lord Raymund Whitby, Viscount Durben und Derwentwater, soeben mit seiner Familie aus den ostindischen Kolonien zurückgekehrt."
Die Verbeugungen wiederholten sich, und die üblichen Höflichkeitsbezeugungen wurden gewechselt, ehe der Viscount, an Lady de Bourgh gewendet, bemerkte: "Ich muß Ihnen zu Ihrer Familie gratulieren, Lady Catherine, und Ihnen, Sir, zu dem Umstand, daß Sie Ihre Tage in solch bezaubernder Gesellschaft verbringen dürfen. Sind Sie schon lange in der Stadt, Mr. Darcy?"
"Wir sind diese Woche erst hier eingetroffen, Mylord."
"Sie sind bei Freunden abgestiegen?"
"Nein, in meinem eigenen Haus in der ... Street. Es hat mir bislang wenig genug Nutzen gebracht, da meine Geschäfte mich meist nur kurz, oft nur wenige Tage in London hielten, während ich den Großteil des Jahres auf Reisen oder auf dem Stammsitz der Familie in Pemperley verbrachte. Aber nun wird es wieder einmal auf mehrere Monate bewohnt werden, da ich meiner Ehefrau und meiner Schwester gleichermaßen die Möglichkeit bieten möchte, die Vergnügungen Londons kennenzulernen."
"Und London im Gegenzug das Vergnügen an zwei überaus reizenden Damen", schmunzelte der Viscount, indem er sich noch einmal vor den Damen verneigte. Mrs. und Miss Darcy erwiderten das Kompliment durch einen Knicks, während Lady Catherine, empört darüber, daß die mißliebige Ehefrau ihres Neffen, die ihr ein solcher Dorn im Auge war, vor den Blicken eines anderen Mannes, noch dazu eines Mannes in solch bedeutender Stellung, Bestand haben könnte, hektisch zu ihrem Fächer Zuflucht nahm, was zweifellos den intelligenten Augen des Viscounts nicht entging.
Mrs. Darcy erlaubte sich daraufhin, die an ihren Mann gestellte Frage zurückzugeben und erkundigte sich, wie lange Seine Lordschaft schon in London sei, ob er sich in Begleitung seiner Familie befinde und wo er mit selbiger abgestiegen sei. Es waren nicht mehr als die üblichen Floskeln neu geknüpfter Bekanntschaft, die das Mindestmaß an Höflichkeit unter einander noch völlig Fremden verlangte, und dennoch erschien es Elizabeth, als habe man hier die Möglichkeit, bereits ganz zu Beginn des eigenen Aufenthalts in London eine überaus wichtige neue Freundschaft zu schließen. Denn der Viscount gab seine Antworten überaus entgegenkommend, in plauderndem Tonfall, und ohne jeglichen Anschein von Herablassung, beklagte sich sogar scherzhaft, das Haus, das seine Frau in der Stadt ausgesucht habe, sei groß genug, um halb London zu beherbergen, und sei außerdem so verwinkelt und werde so häufig umdekoriert, daß selbst ein altgedienter Oberst der Ostindien-Armee, der sich durch Gebirge und Dschungel geschlagen habe, vollkommen auf die Hilfe seines Kammerdieners angewiesen sei, um den Weg von seinem Schlafgemach zum Frühstückszimmer zu finden und nicht in seinen eigenen vier Wänden Hungers zu sterben.
Selbiger Kammerdiener, ein junger Inder in heller, orientalisch anmutender Livree, trat im selben Moment aus dem Halbdunkel in einer Ecke der Loge, um seinen Herrn mit einer Verbeugung in leisem Tonfall daran zu erinnern, daß er in seiner eigenen Loge erwartet werde, da Ihre Ladyschaft dort Gäste empfangen wolle. Mit einem leisen Seufzen wendete der Viscount sich wieder Lady de Bourgh zu, um seinen Abschied zu nehmen.
"Ein Tollhaus mehr denn ein Theater. Dabei wäre das Stück so interessant, würde man nicht alle paar Minuten in seiner Betrachtung gestört. Nun, immerhin gibt es mir Gelegenheit, Sie nicht länger von einem trauten Beisammensein mit ihrer Familie abzuhalten, Euer Gnaden." Vielleicht schien es Elizabeth nur so, aber sie hatte den Eindruck, daß er bei diesen Worten ein deutlich spöttisches Lächeln auf den Lippen trug, das er entweder nicht verbergen konnte oder wollte. Mit besten Wünschen für den weiteren Aufenthalt der Familie in London und der Hoffnung, sich bald wieder einmal zu begegnen, verließ Lord Raymund die Loge und trat zurück auf den Flur.
Die Tür hatte sich kaum hinter ihm geschlossen, als es Lady Catherine auch schon entfuhr: "Impertinenter Mensch! Ist es denn die Möglichkeit!"
"Darf ich fragen, worüber Sie sich so erregen, liebe Tante?" erkundigte Darcy sich verwundert, denn ein bloßes Kompliment an seine Ehefrau, wie es die Höflichkeit der Vorstellung von einem Gentleman erforderte, war wohl kaum geeignet, Lady de Bourgh dermaßen zu erregen, selbst wenn das des Viscounts ungewöhnlicherweise ehrlich gemeint gewesen sein sollte.
"Ach, mein lieber Neffe, weißt du nicht, wer dieser Whitby ist, liest du denn keine Zeitung? - Aber nein, davon kannst du ja gar nichts mehr wissen, du warst noch zu jung damals. - Dennoch. Läßt sich hier anmelden unter dem Vorwand freundschaftlicher Beziehungen zwischen seinem Vater und Bruder zu meinem verstorbenen Mann, und da mir somit keine andere Wahl bleibt, als ihn in die Loge zu bitten, macht er mir tatsächlich seine Aufwartung und betreibt Konversation, als sei ich nicht in der Lage, mich an den Skandal zu erinnern, der auf ewig mit dieser erbärmlichen Familie verknüpft ist."
"Da mir die Hintergründe Ihrer entschiedenen Ablehnung in der Tat völlig unbekannt sind, Tante, kann ich mich kaum dazu äußern. Aber wenn Sie die Bekanntschaft mit jenem Herrn für derart unerfreulich halten, wundere ich mich, weshalb Sie ihn nicht rundweg abgewiesen haben?"
"Abgewiesen!" wiederholte Ihre Ladyschaft erschrocken. "Darcy, hast du deinen Verstand verloren? Er ist seit dem Tod seines Bruders im letzten Sommer der rechtmäßige Viscount Durben. Ich kann doch ein Mitglied des Hochadels nicht derart brüskieren, nicht einmal unter irgendeinem Vorwand, wie er mir auf die Schnelle ohnehin nicht eingefallen wäre. Aber nun steh hier nicht länger herum, dann will ich dich auch über alles ins Bild setzen, so daß ihr eine nähere Bekanntschaft, so denn von seiner Seite eine solche angestrebt werden sollte, tunlichst vermeiden könnt. - Georgiana, Liebes, setz dich doch ein wenig zu meiner lieben Anne hinüber und unterhalte dich mit ihr, denn ich befürchte, ich muß einige Themen anschneiden, die für sittsame junge Damen schwerlich geeignet erscheinen." Sie wartete, bis Georgiana, enttäuscht aber folgsam in dem Wissen, daß sie zweifellos von ihrem Bruder oder spätestens ihrer Schwägerin ins Vertrauen gezogen werden würde, diesem Befehl nachgekommen war, und bemerkte dann:
"Anne geht es heute gar nicht gut, wie ich auch zu dem Viscount sagte, denn ihre ungewöhnliche Blässe mußte ihm zweifellos auffallen, und ich wollte trotz allem nicht, daß er einen falschen Eindruck erhält. Und was, denkst du, hat dieser unverschämte Mensch für einen Ratschlag, nachdem er sein Bedauern zum Ausdruck gebracht hatte? Frische Luft und Spaziergänge. Spaziergänge zur Kräftigung der Konstitution und einfache, nahrhafte Kost seien seiner Ansicht nach die beste Medizin für eine schwächliche Gesundheit; und darüberhinaus habe er bei der einheimischen Bevölkerung Ostindiens festgestellt, daß ein geregelter Tagesablauf und die simple Notwendigkeit, nicht krank zu werden, um den zum Lebensunterhalt erforderlichen Tätigkeiten nachzugehen, die dortigen Frauen zu körperlichen Leistungen befähigten, die man für unmöglich halten wolle." Erneut mußte Lady Catherine sich in äußerster Erregung mit ihrem Fächer Kühlung verschaffen. "Wirst du das glauben? Vergleicht dieser Mensch doch tatsächlich Miss de Bourgh mit irgendeinem halbwilden indischen Bauernmädchen. Eine geregelte Tätigkeit! Ha! Soll sie etwa Kochen, Waschen und Putzen wie eine gewöhnliche Dienstmagd? - Natürlich widersprach ich ihm entschieden. 'Mein Herr', sagte ich, 'derlei Ratschlage mögen bei kleineren Unpäßlichkeiten ja durchaus angebracht sein, jedoch auf eine durchgehend angegriffene Gesundheit wie die meiner Tochter würden sie sich verheerend auswirken.' Was er dann auch zugab und wenigstens die Höflichkeit hatte, sich nach den angewendeten Behandlungsmethoden und den zugezogenen Ärzten zu erkundigen. Aber dennoch! Diese Impertinenz!" Ihr Blick glitt in äußerster Geringschätzung über den Rand ihres Fächers zu Elizabeth, die stumm abwartete, daß Lady de Bourgh ihre Brandrede beendete und zum eigentlichen Thema kam. "Freilich soll es ja Leute geben, die Spaziergänge derart schätzen, daß sie mehrere Meilen weit durch Schmutz und Schlamm waten würden, nur um eine Verwandte zu besuchen."
Es war nicht schwer zu erraten, woher Ihre Ladyschaft dieses Detail erfahren hatte, und ebensowenig schwer zu erraten, daß sich auch Miß Bingley in der Stadt befinden mußte und mit Lady Catherine zusammengetroffen war.
"Zweifellos lag es nicht in der Absicht Seiner Gnaden, Ihnen Kummer zu bereiten, liebe Tante", sagte Darcy inzwischen. "Da er um die wahre gesundheitliche Verfassung meiner Cousine ja nicht wissen konnte, wenn er, wie Sie sagten, soeben erst aus Indien zurückgekehrt ist. Ich gehe davon aus, daß es sich um einen längeren Aufenthalt handelte?"
"In der Tat, lieber Neffe, in der Tat. Er hat die letzten zweiundzwanzig Jahre dort verbracht, denn er ging zum Heer der Ostindien-Kompanie, als er gerade einmal achtzehn geworden war. Und damit hängt auch jener Skandal zusammen, den ich vorhin andeutete." Sie lehnte sich ein wenig zurück und machte eine kurze Pause, um die Spannung ihrer Zuhörer zu erhöhen, was vollkommen unnötig war, da sowohl Mr. als auch Mrs. Darcy die Geschichte gerne zügig zu hören wünschten, um es noch zeitig zum nächsten Akt in ihre Loge zurück zu schaffen. Freilich verhießen die Worte Ihrer Ladyschaft zunächst nichts Gutes.
"So gerne ich mich kurz fasse bei solch unerfreulichen Themen, kann ich doch nicht umhin, ein wenig weiter auszuholen. Die Whitbys sind, wie zumindest du wissen dürftest, Darcy, guter alter englischer Adel, und der Großvater von Lord Raymund wurde aufgrund seiner der Krone geleisteten Verdienste schließlich sogar zum Viscount erhoben. Leider waren seine Söhne nicht vom selben Format, der jüngere ein Spieler, der das väterliche Erbe schneller durchbrachte, als man zusehen konnte, und der ältere, der den Titel erbte, ein weichherziger Dummkopf, der sich eine ebensolche Frau nahm, mit ihr ein Kind nach dem anderen in die Welt setzte und, statt dem zügellosen Treiben seines Bruders ein Ende zu setzen, ihm ganz im Gegenteil aus purer Gutmütigkeit und falsch verstandener Bruderliebe immer wieder beisprang und seine Schulden tilgte. Unter den fünf Kindern, die die Volljährigkeit erreichten, waren drei Töchter, die alle vom Vater mit einer großzügigeren Mitgift ausgestattet wurden, als er sich leisten konnte. Kurzum, zu dem Zeitpunkt, als Lady Whitby starb, war bereits kaum noch genug Geld für ein Begräbnis vorhanden, und es kam tatsächlich so weit, daß Lord Cedric mit seinen beiden Söhnen den Stammsitz Durbany Hall vermieten und in ein weit kleineres Gebäude auf dem Land umziehen mußte.
In seiner Not sann Lord Cedric auf das einfachste Mittel, zu Geld zu kommen, und suchte seine Söhne gut zu verheiraten. Bald fiel seine Wahl auf eine gewisse Miss Caroline Shearer (oh, wie gut ich mir den Namen gemerkt habe!), die einzige Tochter und alleinige Erbin eines Händlers, der mit allerlei zwielichtigen und anrüchigen Geschäften ein gewaltiges Vermögen angehäuft hatte. Allerdings kam die Tochter eines Mannes, der in seiner Jugend angeblich mit einem Bauchladen von Tür zu Tür gezogen war, um Schnürsenkel zu verkaufen, naturgemäß nicht als Frau des Erben und zukünftige Lady Whitby in Frage. Soviel Achtung vor dem Namen der Familie besaß man trotz allen Geldsorgen noch immer. Und so wurde der jüngere, Raymund, als Opferlamm auserkoren, dessen Selbstachtung auf dem Altar einer erzwungenen Zweckehe geschlachtet werden sollte. Allein, das Lamm wehrte sich nach Kräften, wollte von der Heirat mit einer Krämerstochter nichts wissen und flüchtete, als Vater und Bruder ihm mit immer neuen Argumenten, mit Drohungen, Flehen und Bitten auf den Pelz rückten, so weit, wie er nur irgend konnte: Er ging zur Armee und schloß sich dem Heer der Ostindien-Kompanie an."
Wie seltsam, dachte Elizabeth an dieser Stelle, daß von irgendwelchem Standesdünkel gegenüber uns nichts zu bemerken war. Freilich, er hatte uns noch nie gesehen und wohl noch nie von uns gehört, er kann daher unmöglich wissen, wie es um meine eigene Herkunft bestellt ist und daß ich nicht minder Verwandte unter den Händlern und Arbeitern habe. - Sie konnte diesen Gedanken aber nicht weiter verfolgen, weil Lady Catherine bereits fortfuhr.
"Das allein war schon Skandal genug, um die Gesellschaft auf Wochen hinaus mit Gesprächsstoff zu versorgen, denn man war, seines Erfolges sicher, wenig diskret gewesen bei dem Versuch, diese Heirat zu Wege zu bringen. Jedoch, die Geschichte endet hier noch nicht. Denn kaum war Lord Cedric Whitby nur wenige Monate später gestorben, als sein Erbe Lord Reginald bei Prüfung der Bücher feststellen mußte, daß seine finanzielle Lage in der Tat vernichtender war als je zuvor. Und so wurde die Sache, die durch die überstürzte Abreise seines jüngeren Bruders vorübergehend beendet schien, nach einem Jahr Unterbrechung wieder aufgenommen und eifriger betrieben denn je. Auf Seiten der Familie Shearer bestand, wie ihr euch wohl vorstellen könnt, nach wie vor großes Interesse an dieser Verbindung. Möglicherweise wäre Lord Reginald sogar verzweifelt genug gewesen, um selbst in den sauren Apfel zu beißen und das Mädchen zu ehelichen. Dem stand jedoch der entschiedene Wunsch der eigenwilligen jungen Dame entgegen. Bei ihr handelte es sich um ein verzogenes, starrköpfiges Geschöpf, das gewohnt war, von Kindheit an zu bekommen, was auch immer es sich wünschte, und dem man bei allen Launen stets nachgegeben hatte. Woran auch immer es lag, ob sie sich bei ihren früheren Begegnungen ernsthaft in den jüngeren Bruder verliebt hatte oder ob einfach nur ihr verletzter Stolz aus ihr sprach, in jedem Fall bestand sie darauf, nur Mr. Raymund Whitby zu heiraten, was für Reginald zweifellos eine gewisse Erleichterung darstellte, für ihren Vater jedoch eine Enttäuschung, denn natürlich wäre ihm der Titel des Viscounts für seine Enkel sehr zupaß gekommen. Gemeinsam beratschlagten sie nun, was in dem Fall zu tun sei, und sie kamen auf die denkbar einfachste Lösung: Miss Shearer ließ öffentlich behaupten, sie sei im Besitz eines schriftlichen Heiratsversprechens aus der Hand Mr. Whitbys."
"Daß sie das tatsächlich war, erscheint nach Lage der Dinge höchst unwahrscheinlich", warf Elizabeth etwas spöttisch ein, und Lady de Bourgh ließ sich herab, die Bemerkung durch ein Kopfnicken zu honorieren.
"Ganz recht. Wir haben uns damals alle gefragt, wie man dieses Schreiben wohl aufgetrieben hatte. Aber der Brief existierte; Lord Reginald identifizierte die Handschrift als die seines Bruders und erkannte somit seine Echtheit an, und man sorgte überaus gründlich dafür, das Gerücht öffentlich zu machen, ehe man den nichtsahnenden Raymund in Ostindien darüber in Kenntnis setzte. Zwar zeigte jener nicht mehr Neigung, die Dame zu ehelichen, als vor einem Jahr, zwar bestritt er vehement die Echtheit des Dokuments und die Existenz eines Verlöbnisses, aber die Sache war in der Öffentlichkeit inzwischen viel zu weit gediehen, um sich ohne einen gewaltigen Skandal noch aus der Welt schaffen zu lassen. Mr. Whitby kehrte also wider Willen nach England zurück, um mit Miss Shearer vor den Traualter zu treten. Die Trauungszeremonie, wiewohl sie eigentlich wohl hätte geheim gehalten werden sollen, war das allgemeine Gespött der Stadt, und wer Ort und Zeit herausfinden konnte, der stellte sich ein, um das Brautpaar zu beglückwünschen. Und in der Tat, so war zu hören, hat man wohl selten einen Mann, als er seiner Braut das Ja-Wort gab, so sehr vor unterdrückter Wut zittern gesehen wie Mr. Whitby. Unmittelbar nach der Trauung kehrte er mit seiner jungen Gemahlin nach Indien zurück und lebte auch bis vor einem Jahr dort."
"Ich bin nun gewiß kein Freund von Vernunftehen", bemerkte Mr. Darcy. "Aber dieses Verhalten treibt bei Gott selbst das bloße Wort auf die Spitze. Ich frage mich, wie Lord Reginald weiterleben konnte, nachdem er das Lebensglück seines Bruders derart seiner eigenen Bequemlichkeit geopfert hatte."
"Überaus komfortabel, nehme ich an", antwortete seine Frau in einem Anflug von Bitterkeit. "Denn ich nehme doch an, daß der Vater der glücklichen Braut für alle Verbindlichkeiten der Familie aufkam?"
"Das tat er allerdings. Es ist anzunehmen, daß zwischen ihm und Lord Reginald diesbezüglich eine weitgehende Abmachung getroffen wurde, denn binnen kürzester Zeit konnte selbst der Stammsitz, Durbany Hall, wieder bezogen werden. Und wer weiß, wie weit diese Abmachungen gingen?" Lady de Bourgh lächelte spitz. "Lord Reginald hat nämlich, aus unerfindlichen Gründen, denn nach Sanierung seiner Finanzen fehlte es nicht an Angeboten, niemals geheiratet, weswegen der gesamte Besitz, und auch der Titel, bei seinem Tod im vorigen Jahr an seinen Bruder fiel. Und das macht aus der ehemaligen Miss Shearer heutigentags Lady Durben."
"Eine schreckliche Geschichte", sagte Mrs. Darcy ergriffen. "Man fragt sich, was die jetzige Lady Whitby sich davon versprach, einen Mann, der sie um ihres Verhaltens willen doch nur noch mehr verachten mußte, als er das vorher tat, derart zur Ehe zu nötigen. Ihr Glück kann sie in dieser Verbindung doch kaum gefunden haben."
"Dafür einen Titel, der sie in die höchsten Schichten der Gesellschaft einführt, womit bei ihrer niedrigen Herkunft ansonsten niemals zu rechnen gewesen wäre", gab Lady Catherine zu bedenken. "Wobei ich Ihre Bedenken teile, ob diese Vorteile die Nachteile aufwiegen. Allerdings messen Menschen den Dingen unterschiedliche Wertigkeiten zu, und man kann wohl nicht erwarten, daß jemand, der dafür geboren wurde, mit der Kundschaft um einzelne Shillinge zu schachern, dieselben hohen Maßstäbe an moralische Tugenden legt wie jemand von Stand."
Einer längeren Antwort wurde das Ehepaar Darcy enthoben durch die Notwendigkeit, nun wirklich schleunigst wieder die eigene Loge aufzusuchen, denn der vorletzte Gong war bereits verklungen. Sie verabschiedeten sich hastig von Lady Catherine und Miss de Bourgh und eilten, so schnell die Sitte erlaubte, Arm in Arm zurück zu ihren eigenen Sitzen. Jedoch blieb trotz des hastigen Schritts genügend Atem, um Miss Georgiana, die ungeduldig auf Neuigkeiten wartete, über den Inhalt der Unterredung mit Lady Catherine ins Bild zu setzen. Miss Darcy war entsprechend entsetzt, und dem nächsten Akt wurde bedauerlicherweise weit weniger Aufmerksamkeit zuteil als dem ersten. Stattdessen entspann sich in der Loge, während die Schauspieler auf den Brettern ihr Bestes gaben, ein eifriges Geflüster.
"Ist es denn ganz sicher, daß es sich nicht nur um ein Gerücht handelt?" wisperte Miss Darcy mitten unter dem dramatischen Monolog der Hauptdarstellerin. "Möglicherweise handelt es sich nur um ein Mißverständnis, oder um eine böswillige Verleumdung, auf die die Tante hereingefallen ist. Ich kann und will nicht glauben, daß jemand zu solcher Schlechtigkeit fähig sein soll."
"Wir werden der Sache wohl kaum auf den Grund gehen können", raunte ihr Bruder zurück, "da die Ereignisse sich vor über zwanzig Jahren zutrugen."
"Und doch wirkte der Viscount so heiter, so gelöst, und er erwähnte seine Frau ohne alle Vorbehalte", beharrte Georgiana. "Sollte ein Mann, der sein Heim unter solch entsetzlichen Umständen und auf solch vergiftetem Fundament gegründet hat, nicht weit deutlichere Spuren der Verbitterung tragen? Nein, ich kann nicht glauben, daß er wirklich derart unglücklich sein soll."
"Gewiß werden die Zeit, und wohl auch der Reichtum, den seine Frau mit in die Ehe brachte, manche Wunden gelindert haben", vermutete ihr Bruder. "Und vergiß nicht, daß wir den Viscount nur sehr kurz gesehen haben, während eines Gesprächs, in dem beinahe jeder Satz und jede Geste von Höflichkeit diktiert war. In privaterem Rahmen benimmt er sich möglicherweise ganz anders. Denn daß aus solcher Eheschließung etwas anderes als großes Unheil erwächst, vermag ich mir nicht vorzustellen."
"Und doch ist etwas recht Eigentümliches an diesem Mann", sprang Mrs. Darcy ihrer Schwägerin in ebenso leisem Tonfall bei. "Er ist zweifellos klug, und seine Art, mit uns zu sprechen, erschien zumindest äußerst natürlich und liebenswürdig. Es fällt mir nach diesem ersten Eindruck selbst schwer, ihm jenen Stolz und jene Standesdünkel zuzusprechen, die in der Lage wären, einen Mann außer Landes und selbst bis nach Ostindien zu zu treiben."
"Ah", schmunzelte ihr Mann. "Ich habe mir schon gedacht, daß er dir gefiel. Bitte sag mir, daß du nicht schon nach solch kurzer Dauer unserer Ehe zu jenem abgeschmackten Mittel Zuflucht nehmen willst, mit dem Ehefrauen sich die Aufmerksamkeit ihrer Ehemänner sichern zu müssen glauben, und es darauf anlegst, mich eifersüchtig zu machen!"
"Diesen Gefallen werde ich deiner Eitelkeit gewiß nicht tun, mein lieber Darcy", neckte ihn seine Frau. "Du hast ganz recht, derartige Mittel sind zu abgenutzt und fragwürdig, als daß wir uns damit abgeben sollten. Ich gedenke, sie mir bis in etwa zehn Jahren aufzuheben, wenn wir dann wie jedes alte Ehepaar dazu übergehen können, uns gegenseitig vorzuwerfen, wieviel bessere Partien wir doch hätten machen können: ich werde dir die Vorzüge von Mr. Collins ins Gedächtnis rufen, und du darfst Miss de Bourghs Großartigkeit vor mir ausbreiten."
Der letzte Gedanke löste in Mr. Darcy eine etwas schwermütige Empfindung aus, und er seufzte, wenn er die Regung auch zu unterdrücken suchte. "Die arme Cousine Anne", flüsterte er. "Sie sah in der Tat recht leidend aus heute, und umso mehr, als man offenbar solch gewaltige Anstrengungen gemacht hatte, sie herauszuputzen. Der reiche Schmuck und das teure Kleid ließen ihre Kränklichkeit nur noch deutlicher erscheinen. Und so wenig sie mich jemals als Braut reizen könnte, so ist sie doch eine enge Verwandte. Es betrübt mich, sie so zu sehen."
"Ich war überrascht, sie in Begleitung deiner Tante zu finden", erwiderte Elizabeth. "In Rosings hatte ich den Eindruck, daß Lady Catherine darauf verzichtet hätte, sie in die Gesellschaft einzuführen, eben jener Kränklichkeit wegen, und daß sie folglich nie in die Stadt käme."
"Das war möglich, solange ihre Mutter sicher war, sie angemessen verheiraten zu können", nickte Mr. Darcy, während er die Augen unverwandt zur Bühne gerichtet hielt. "Doch diese Option existiert nicht mehr. Lady de Bourgh wird also einen anderen Schwiegersohn finden müssen, und so wird ihre Tochter sich nun, soweit sie dazu in der Lage ist, in Gesellschaft begeben müssen."
"Die Arme", wisperte auch Miss Darcy mitleidig. "Sie wurde nie darauf vorbereitet und hat nie gelernt, sich auf Bällen und Empfängen zu bewegen. Schon mir wird bange bei dem Gedanken, zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zu plaudern, zu musizieren und zu tanzen, und doch hatte ich für alle diese Dinge exzellente Lehrer, und habe heute einen Bruder und eine Schwester, die mich lieben und mir mit ihrer Ermutigung zur Seite stehen. Miss de Bourgh hat nichts von alledem, und ich fürchte, selbst wenn ihre Wesensart von Natur aus vielleicht nicht unfreundlich wäre, so ist durch Erziehung doch viel zum Negativen verändert worden, und ihre schwächliche Konstitution ist ein noch ärgeres Übel."
"Weiß man denn, woran sie eigentlich leidet?" erkundigte Mrs. Darcy sich, nachdem man einige Augenblicke schweigend dem Theater gefolgt war, flüsternd bei ihrer Schwägerin. Miss Georgiana hob leicht die Schultern. "An allem und nichts, wie es hieß. Jeder Herbst und jedes Frühjahr werfen sie mit Erkältungen aufs Lager, und der Winter vergeht mit beständiger Krankheit der einen oder anderen Art, von nervösen Anfällen bis Magenleiden, während sie im Sommer die Hitze schlecht verträgt und über große Kopfschmerzen und Mattigkeit klagt."
Mrs. Darcy ließ sich diese Auskünfte ein wenig durch den Kopf gehen und dachte bei sich, daß an den Ratschlägen von Viscount Whitby möglicherweise etwas Wahres sein könnte und sich vielleicht einige dieser Leiden durch ein wenig Anleitung zu sinnvoller Betätigung wirklich am einfachsten kurieren ließen. Sie selbst war groß geworden neben einer Mutter, die ihr größtes Vergnügen darin fand, unter den eigenen überreizten Nerven zu leiden, wann immer die Langeweile ihr nichts Besseres zu tun eingab, und jemand, dessen Interessen so eingeschränkt waren wie die von Mrs Bennet, mußte stets Langeweile haben. Außer dem örtlichen Klatsch und dem Wunsch, ihre Töchter gut zu verheiraten, gab es nichts, was sie wirklich beschäftigt hätte, und doch war sie gegenüber Miss de Bourgh in der besseren Lage, denn immerhin hatte sie diese beiden Themen, an denen ihr Herz hing.
Offenbar hatte Mr. Darcy, so sehr er sich auf das Geschehen auf der Bühne zu konzentrieren schien, doch die letzten Sätze Georgianas gehört, denn sein nächster Satz bewies, daß er im Stillen ähnliche Überlegungen angestellt hatte wie seine Frau.
"Vielleicht wäre es eine gute Idee", raunte er, "wenn du dich ein wenig deiner Cousine annehmen könntest, Georgiana, solange wir in der Stadt sind. Für dich wäre es angenehm, eine Gefährtin bei deinen Unternehmungen zu haben - oder doch noch eine weitere, außer meiner Gemahlin. Und für sie könnte es hilfreich sein, dem direkten Einfluß ihrer Mutter zu entkommen, und sie könnte womöglich wertvolle Lehren daraus ziehen, sich an dir und deinem Benehmen zu orientieren. Ich fürchte, bisher hat sie nur gelernt, die Tochter von Lady de Bourgh zu sein. Von jetzt an wird sie aber lernen müssen, außerdem auch höflich, liebenswürdig, umgänglich und gefällig zu sein, und ich wüßte nicht, wer ihr dabei ein leuchtenderes Beispiel sein könnte als du."
Dieser Vorschlag mußte gleich in doppelter Hinsicht bei Miss Darcy Beklemmung hervorrufen: einmal, weil sie mit ihrer Cousine bisher bestenfalls oberflächlich bekannt war und zum zweiten, weil die Vorstellung, sie solle einer anderen als Vorbild dienen, ein so schüchternes Wesen geradezu ängstigen mußte. Jedoch fügte sie sich dem Vorschlag, wie sie sich mit allem anfreundete, das ihr Bruder für gut hielt.
Allerdings machte sie die Aussicht nicht derart beklommen, daß sie nicht aufs eigentliche Thema zurück gekommen wäre, das man an diesem Punkt aus den Augen verloren hatte. Und so begann sie nach einer Weile erneut zu flüstern.
"Ich kann dennoch nicht gutheißen, daß meine Tante uns derart grob die Augen über die peinliche Vergangenheit der Familie Whitby geöffnet hat, wiewohl sie gewiß in bester Absicht handelte. Und noch weniger kann ich ihrem Ratschlag folgen, wegen einer Sache, die so lange zurückliegt, oder wegen der Herkunft der jetzigen Lady Whitby jeden Kontakt mit der Familie zu meiden. Es erscheint mir dünkelhaft und herablassend."
"Zumal Ihre Ladyschaft ihren eigenen Ratschlag so wenig befolgt", konnte Mrs. Darcy sich nicht enthalten zu bemerken, und sie empfing einen kurzen Seitenblick spöttischer Rüge von ihrem Gemahl dafür. Davon unbeeindruckt, fuhr sie fort: "Sehr wahrscheinlich werden wir dem Viscount ohnehin nur in solch öffentlichem Rahmen begegnen wie hier, falls überhaupt, denn seine Familie wird sich gewiß in anderen Kreisen bewegen als wir, und daß ihm an einer näheren Bekanntschaft zu uns gelegen sein sollte, ist zweifelhaft, denn wir haben einem Angehörigen des Hochadels nichts zu bieten. Aber sollte sich die Gelegenheit ergeben, und sollten wir ihn als den Mann von Verstand und Freundlichkeit finden, der er zu sein schien, so wäre es eine Torheit, wegen des zwanzig Jahre alten Klatsches der Stadt auf das Vergnügen einer neuen Bekanntschaft zu verzichten."
"Liebste Lizzy, laß uns nur die erste Woche hier in der Stadt verbringen, und du wirst die Macht des Londoner Klatsches bald zu fürchten lernen", lachte Mr. Darcy erheitert, beinahe ein wenig zu laut. "Aber ich stimme dir zu. In dieser Frage müssen persönliche Tugenden entschieden höher bewertet werden als die öffentliche Meinung, zumal mir an letzterer, mit der Einschränkung der Meinung einiger weniger teurer Freunde, nicht viel liegt."
"Und da ist er wieder, der Stolz der Darcys!" spöttelte Elizabeth. "In einem Atemzug rühmst du mir die Gefährlichkeit des Londoner Tratsches und stellst dich selbst als erhaben darüber hin. Und ich kann mir nicht vorstellen, daß der Viscount, der zweifellos, wenn wir vom Verhalten Lady de Bourghs auf das der restlichen Gesellschaft schließen dürfen, im Moment der hauptsächliche Gegenstand des städtischen Klatsches ist, deine Ansicht teilt."
"Oh, ich hatte nicht den Eindruck, er sei besonders befangen", sinnierte ihr Mann. "Wie sehr es ihn auch innerlich quälen mag, zu wissen, was man in der Gesellschaft über ihn spricht - denn er müßte ein ausgemachter Narr sein, könnte er es sich nicht vorstellen -, anzumerken war es ihm gewiß nicht. Vielleicht hat er sich längst mit der Tatsache abgefunden."
"Oder was der Klatsch zu berichten weiß, trifft nicht oder doch nicht zur Gänze die Wahrheit", fügte seine Frau hinzu, und sie lächelte über sich selbst. "Ich gestehe freimütig, der Mann scheint ein köstliches Rätsel, und ich hätte nichts dagegen, es zu lösen."
"Ganz ebenso geht es mir auch", nickte Georgiana eifrig, und Mr. Darcy schüttelte lächelnd den Kopf.
"Ich sehe, ich bin überstimmt in meiner eigenen Familie und ganz und gar überwältigt von der Gewalt weiblicher Neugierde. Aber wenn ihr darauf besteht, so können wir uns ja nachher im Foyer ein wenig umhören - es steht zehn zu eins zu wetten, daß der Name Whitby auch dort die Runde machen wird."
