Überleben ist alles
Summary: Wie ist es eigentlich dem Daroga gegangen, nachdem er aus Persien verbannt wurde? Wie hat er Erik wiedergefunden? Wie hat er den Krieg 1870/71 überlebt? Basiert hauptsächlich auf Leroux, allerdings nehme ich den Namen "Nadir Khan" von Kay.
Verbannung
Der ehemalige Daroga wurde in Ketten aus dem Kerker geführt, es wurde ihm, obwohl er ein Prinz war dem Namen nach, nicht die Ehre zuteil, von dem Schah persönlich oder einem der hochrangigen Richter verurteilt zu werden. Man hatte sich entschieden, einen völlig unbedeutenden kleinen Richter damit zu beauftragen, um ihn weiter zu demütigen. Was war geschehen? Er hatte einem Verräter zur Flucht verholfen, das machte ihn automatisch auch zum Verräter. Er wusste nicht einmal, ob sein Opfer irgendetwas gebracht hatte, wusste er doch nicht, ob Erik überhaupt noch am Leben war. Sein einziger Trost war, dass seiner engsten Familie nichts geschehen würde, denn er war mit dem Schah verwandt und seine Frauen auch, eine davon sogar noch viel näher als er, sodass seine Familie keine Repressalien fürchten musste. Er wäre der Einzige, der bestraft werden würde. Ihm war bereits mitgeteilt worden, dass seine Brüder ihn verstoßen hatten und seine Frauen nach der Scheidung heiraten würden. Das war nichts, was er seinen Brüdern übel nahm, im Gegenteil, dadurch, dass sie sich von ihm abwandten, retteten sie seine Frauen und Kinder.
So stand er nun in Ketten vor dem Richter in dem schmutzigen Gefängnishof. Es gab keine Anhörung und keine Möglichkeit, sich zu verteidigen. Er konnte nur das Urteil entgegennehmen. "Nadir Khan, du hast einem Verräter zur Flucht verholfen, darauf steht der Tod", begann der Richter und Nadir zuckte zusammen. "Deine Besitztümer sind beschlagnahmt und fallen an den Schah, der damit tun kann, wie ihm beliebt. Deine Brüder haben sich von dir losgesagt, deine Frauen haben die Scheidung verlangt, da es ihnen nicht zuzumuten ist, mit einem Verräter verheiratet zu sein und deine Brüder haben deine Kinder aufgenommen und als Vormund deiner Kinder verlangt, dass du auch von ihnen als Abtrünniger verstoßen wirst. Allerdings hat unser allergnädigster Herrscher geruht, dich zu begnadigen, die Strafe wird daher in lebenslange Verbannung umgewandelt. Du wirst in Ketten zur Grenze gebracht und dort deinem Schicksal überlassen. Solltest du je wieder einen Fuß auf persischen Boden setzen, wirst du enthauptet." Nadir Khan nickte. Das war in etwa die Strafe, die er erwartet hatte. Der Richter fuhr fort: "In Anbetracht deiner königlichen Abstammung kann nicht geduldet werden, dass du im Ausland niedrige Arbeit verrichten musst, das wäre eine Schande für das Herrscherhaus, daher wirst du eine monatliche Appanage erhalten, die dir das Überleben sichert. Du musst dich in jedem Land bei der persischen Botschaft melden, wo du dir das Geld auszahlen lassen kannst."
Nadir Khan akzeptierte. Was blieb ihm auch anderes übrig, sollte er seine Hinrichtung verlangen? Es war demütigend, in Ketten außer Landes geschafft zu werden, es würde auch in Zukunft erniedrigend sein, bei der jeweiligen Botschaft um das Geld bitten zu müssen, aber es gab keinen Ausweg. Einer der Soldaten, die ihn zur Grenze eskortierten, war ihm treu ergeben und so erfuhr der ehemalige Daroga, warum er begnadigt worden war: Man hatte am Ufer des Kaspischen Meeres eine Leiche gefunden, die mit Eriks Sachen bekleidet war. Die Leiche war bereits stark verwest und von Tieren angefressen worden, sodass die Identifizierung nur noch anhand der Kleider möglich war. Da der Verräter nunmehr als tot galt, hatte der Schah sich entschieden, Gnade vor Recht ergehen zu lassen und die Strafe in eine lebenslängliche Verbannung zu verwandeln. Wenn der ehemalige Daroga nicht genau gewusst hätte, dass die Leiche nicht Erik war, wäre er nun wohl verzweifelt - lebenslanges Exil, ein unnötiges Opfer. Aber es war seine Idee gewesen, eine Leiche mit Eriks Sachen zu bekleiden und finden zu lassen, in der Hoffnung, dass ihm das die Todesstrafe ersparen würde.
So wurde Nadir Khan, ausgestattet nur mit der notwendigsten Bekleidung und einer Geldbörse mit der Pension für ein Jahr, in ein Schiff Richtung Rußland gesetzt. In dem Moment sah er, dass ein junger Mann, fast noch ein Knabe, ebenfalls das Schiff betrat. "Darius?" fragte er ungläubig, als er seinen jungen Diener erkannte, "Was machst du denn hier?" Darius war kein Sklave sondern ein freier Mann, der auch in andere Dienste hätte treten können. "Wenn sie Sie verbannen, Herr, will ich auch nicht hierbleiben", sagte Darius, "Ich habe all meine Ersparnisse zusammengekratzt, um eine Passage auf diesem Schiff zu bezahlen. Wo Sie hingehen, gehe ich auch hin." Nadir Khan war gerührt von der Treue seines Dieners. "Ich kann dir aber nichts bezahlen", sagte er, "Ich bin nicht mehr reich." "Das macht nichts. So lange ich zu essen habe, bin ich zufrieden", gab Darius zurück und Nadir umarmte ihn mit Tränen in den Augen.
Als Darius fragte, in welches Land der Daroga sich nun zu begeben gedenke, entschied dieser, dass er in ein Land gehen müsse, dessen Sprache er verstehen könne. "Frankreich klingt gut. Erik hat mir Französisch beigebracht und in Paris gibt es eine persische Gesandschaft, ich glaube, wir sollten es einmal dort versuchen." Die Reise nach Frankreich mit Zügen und Postkutschen war langwierig und mühsam. Der Daroga konnte die Reise nicht genießen, denn er hatte schreckliches Heimweh nach Persien, nach seiner Familie, seinen Freunden. Nun hatte er nur noch den treuen Darius, der nicht von seiner Seite wich.
In Paris angekommen, nahm Nadir Khan wie befohlen zunächst Kontakt mit der Botschaft auf. Der Botschafter war bereits informiert, allerdings machte er von den Möglichkeiten, Nadir Khan zu demütigen, keinen Gebrauch sondern trat ihm freundlich entgegen und bot ihm sogar für die erste Zeit ein Zimmer in der Botschaft an, bis er eine Wohnung in Paris gefunden hätte. "Wir sind in Paris, da herrschen andere Sitten als in Persien", meinte er augenzwinkernd, "Ich persönlich habe ja keinen Streit mit Ihnen und dass ausgerechnet Sie einem Verräter zur Flucht verholfen haben, das habe ich niemals geglaubt. Sie sind wohl irgendjemand aus Versehen auf die Zehen gestiegen, nicht wahr? Manche Verbrechen sollte man in seinem eigenen Interesse eher ungeklärt lassen..."
So kam es, dass Nadir Khan sich zunächst eine Wohnung suchte und dann, mit Hilfe des Botschafters, ein kleines Haus kaufen konnte. Die Einrichtung war spärlich und bestand aus gebrauchtem Hausrat, den die Botschaft aussortiert hatte. So konnte er mit dem Geld, das er von der Botschaft regelmäßig bekam, die Schulden vom Kauf des Hauses - natürlich hatte er sich das Geld ausborgen und eine Hypothek aufnehmen müssen - bezahlen und ein bescheidenes Leben führen, wobei seine hauptsächliche Beschäftigung aus Lesen und Spazieren gehen bestand. So vergingen Jahre, in denen sich außer der Jahreszeit für den ehemaligen Daroga nicht viel änderte. Er lebte sehr zurückgezogen, hatte mittlerweile zwar ein paar Bekannte, mit denen er sich ab und zu traf, aber wirkliche Freunde hatte er, außer seinem treuen Diener Darius, der inzwischen auch sein Vertrauter war, keine.
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Das erste Kapitel ist natürlich traurig, aber wie sonst soll man eine Verbannung schrieben? Ich glaube Kay ja nicht, dass der Daroga sowieso ohne Familie dagestanden ist, denn damals wurden die Menschen einfach verheiratet, ob sie wollten oder nicht und deshalb gehe ich davon aus, dass er mehrere Frauen und Kinder hatte. Umso größer das Opfer, das er bringen musste, um Erik zu retten.
