Disclaimer: Wie gehabt – die Charaktere gehören nach wie vor der guten JK Rowling – auch wenn ich immer mal wieder mit dem Gedanken spiele, sie zu kidnappen. Auch gehören natürlich alle Inhalte der Harry Potter Bücher niemandem anderen als ihr. Mir gehört nur, was ich hier mit den Personen anstelle – sie möge mir vergeben
A/N: Auch dies ist eine uralte Geschichte, die ich irgendwann einmal für einen lieben Menschen geschrieben habe. Die 'Dateieigenschaften' behaupten, es sei 2003 gewesen. Aus dem Menschen lieben Menschen, damals noch fast ein Kind, ist längst ein erwachsener Mann geworden – an der Geschichte wird sich aber nichts ändern. Ich habe nicht vor, die Inhalte der letzten Harry Potter Bände noch mit einfließen zu lassen – hey, mir ist ein lebendiger Snape ohnehin viel lieber und an den Epilog von Band Sieben wollen wir mal lieber gar nicht erst denken.
Wie auch bei den anderen Geschichten – ständige Wiederholung des Disclaimers ist doof für Leute, die sich Geschichten runterladen und ausdrucken wollen, oder auf dem Smartphone lesen. Von daher: Lernt ihn auswendig, verinnerlicht ihn, schließt ihn meinetwegen in euer Nachtgebet mit ein – ich werde ihn nicht wiederholen.
In diesem Sinne: Lasst die Spiele beginnen!
Chapter 01
„Warum immer ich?", fluchte Harry Potter leise vor sich hin, während er sich an einem der kleinen Tische eines Bistros inmitten der Georgetown Shopping Mall niederließ. Er mochte diese Stadt nicht. Genau genommen mochte er das ganze Land nicht. Washington war, wie der Rest von Amerika, zu groß, zu laut und das Klima war noch unerträglicher als in England.
Seit einem Jahr war er nun quer durch Amerika gezogen. Immer auf der Suche nach einem Zauberer, der sich die letzten sechs Jahre versteckt hatte. Versteckt, auf der Flucht vor dem englischen Zaubereiministerium.
Es war Jahre her, da hatten Voldemort und seine treuen Todesser Hogwarts überfallen. Niemand wusste, wie es ihnen gelungen war, die Schutzmauern zu durchdringen, aber sie hatten es geschafft. Es war ein langer Kampf geworden, mit großen Verlusten auf beiden Seiten. Doch am Ende hatte, entgegen der Erwartung vieler, die sogenannte 'Gute Seite', die Oberhand behalten. Der dunkelste aller Magier, Voldemort, einst als Tom Riddle selbst Schüler von Hogwarts, hatte an diesem Tag sein endgültiges Ende gefunden.
Danach hatten die Aufräumarbeiten begonnen. Und mit ihnen auch die Prozesse gegen Voldemorts zahlreiche Anhänger. Zumindest gegen jene, die man während der letzten Schlacht, in einer dunklen Dezembernacht kurz vor Weihnachten, hatte festnehmen können. Unter ihnen auch einige seiner Klassenkameraden, die den leeren Versprechungen eines Wahnsinnigen nicht hatten widerstehen können. Zugegeben, es hatte niemanden sonderlich überrascht. Die Gerüchte waren Monate vorher unüberhörbar gewesen. Beinahe täglich war die Liste potenzieller Todesser um mindestens einen Namen ergänzt worden. Solange, bis kaum noch ein Slytherin übrig geblieben war, der nicht in Voldemorts Diensten gestanden hatte. Trotz der Gerüchte war es ein Schock gewesen, es mit eigenen Augen sehen zu müssen. Fast geschlossen hatten die Slytherin aus Harrys Jahrgang in diesem letzten Kampf hinter Voldemort gestanden. Aber eben nur fast.
Harry hatte es damals wie heute nicht glauben wollen, als Draco Malfoy, den Zauberstab in der Hand, neben ihm gestanden hatte. Jedoch nicht, um wie in der Vergangenheit auf Harry loszugehen. Nein! Zu Harrys Erstaunen hatten sie damals, nach fast sieben Jahren ständigem Kleinkriegs auf der gleichen Seite gestanden. Draco war dabei gewesen, als Harry den letzten, den Unverzeihlichen Fluch gesprochen hatte. Draco war es damals gewesen, der Voldemort für einen Moment von Harry abgelenkt hatte, für einen Moment, der gereicht hatte, den mächtigen Zauberer endgültig zu vernichten.
Eine Erklärung für dieses ungewöhnliche Verhalten hatte Harry nie bekommen. Mit all den anderen Todessern war damals auch Draco Malfoy verhaftet worden. All die Aussagen der Ordensmitglieder hatten nicht ausgereicht, den Zaubereiminister davon zu überzeugen, dass der Schüler kein wirklicher Todesser, sondern ein Spion, gewesen war. Zu eindeutig waren die Aussagen der anderen Todesser gewesen. Cornelius Fudge war überzeugt davon, dass es genau dieser Schüler gewesen war, der es Voldemort überhaupt erst ermöglicht hatte, Hogwarts zu überfallen und der einzige, der Fudge vielleicht vom Gegenteil hätte überzeugen können, war Albus Dumbledore. Doch der alte Schulleiter lebte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr.
Dann, mit einem Mal, war Draco Malfoy verschwunden. Harry hatte nie erfahren, was wirklich passiert war. Lediglich das Lächeln auf dem Gesicht von Nymphadora Tonks, als er von ihr wissen wollte, was passiert war, hatte wenig Zweifel daran gelassen. In welcher Form auch immer, Harry war sich sicher gewesen, dass der Orden seine Finger im Spiel gehabt hatte. Seitdem waren fast sechs Jahre vergangen. Sechs Jahre, in denen er von seinem Klassenkameraden nichts mehr gehört hatte.
In diesen sechs Jahren war viel in Harrys Leben passiert. Längst war er ein ausgebildeter Auror und hatte sich freiwillig einer Spezialtruppe angeschlossen, deren Hauptaufgabe es war, jene Todesser zu jagen, denen es bisher gelungen war, sich einer Verhaftung zu entziehen. Sehr zum Leidwesen der Regierung ihrer kleinen, verschworenen, magischen Welt, gab es davon immer noch mehr als ihnen lieb war.
Bis vor einem Jahr hatte auch Draco Malfoy ziemlich weit oben auf der Liste der gesuchten Todesser gestanden. Bis zu dem Tag, da in Hogwarts Unterlagen aufgetaucht waren. Schnell hatte sich herausgestellt, dass es sich um Unterlagen von Albus Dumbledore handelte. Hauptsächlich Dokumente, die sich mit den Aktivitäten des Orden des Phönix befassten. Diese Unterlagen bewiesen eindeutig, dass Draco Malfoy Dumbledores Spion gewesen war. Wenige Tage darauf wurde Draco Malfoy offiziell vom Ministerium frei gesprochen. Allerdings in Abwesenheit, denn niemand wusste, wo er sich befand. Auch Tonks hatte seine Spur schon früh verloren. Es schien, als sei der Slytherin vom Erdboden verschluckt worden.
Harry war immer noch sauer, dass sie ausgerechnet ihn nach Amerika geschickt hatte. In das Land, aus dem die letzte Nachricht von Malfoy gekommen war. Das war im März 1998 gewesen.
Jetzt sollte ausgerechnet er den Menschen suchen, mit dem er sich nie verstanden hatte. Vom ersten Tag an hatten er und Draco Malfoy sich gehasst. Sie hatten keine noch so kleine Gelegenheit ausgelassen, diese Abneigung öffentlich zur Schau zu stellen. Von ihren Duellen sprach man noch heute in Hogwarts, auch wenn die Feindseligkeiten zwischen Gryffindor und Slytherin längst der Vergangenheit angehörten.
Er konnte noch immer nicht verstehen, warum Tonks ausgerechnet ihn auserkoren hatte. Es wären genug andere Auroren verfügbar gewesen und einige von ihnen waren dem arroganten Schönling gegenüber durchaus fast freundlich gesonnen. Und vice versa. Was sein Verhältnis zu Malfoy betraf, so hatte es sich nie gebessert. Nicht, dass Harry es nicht versucht hätte. Mehr als einmal wollte er den Slytherin besuchen, nachdem dieser verhaftet worden war. Jedes Mal hatte Draco Malfoy sich geweigert. Es war, als wolle er ihm nicht erzählen, warum er die Seiten gewechselt hatte. Etwas, das Harry dem Mitschüler bis heute übel nahm. Er hatte es ihm nie erklärt.
Vermutlich würde er es auch nie erfahren, denn Harry war sich mittlerweile sicher, dass Draco Malfoy entweder nicht gefunden werden wollte, oder aber längst nicht mehr am Leben war.
Schließlich waren noch genügend Todesser auf freiem Fuß und jeder von ihnen, der damals in Hogwarts gewesen war, wusste von dem Verrat des Slytherin. Einschließlich seines Vaters, dem ebenfalls damals die Flucht geglückt war.
Lucius Malfoy, einer der engsten Vertrauten von Voldemort, würde selbst seinem eigenen Sohn einen solchen Verrat niemals verzeihen. Harry war sich sicher, dass Malfoy Senior nichts unversucht lassen würde, seinen Sohn zu finden. Wenn er ihn nicht schon längst gefunden hatte. Immerhin war auch er hier in den Vereinigten Staaten gesehen worden. Wohl einer der Hauptgründe für die Chefin der Auroren, endlich aktiv zu werden.
Und im Moment sprach vieles dafür, dass Draco Malfoy nicht mehr am Leben war. Niemand hatte ihn in den vergangenen fünf Jahren gesehen. Die letzten Spuren verliefen sich in der Zaubererwelt Washingtons, die nicht weit von Georgetown entfernt lag.
Während Harry auf seinen bestellten Kaffee wartete, griff er nach einer der Zeitungen, die überall in diesem Bistro herumlagen. Ohne großes Interesse blätterte er durch die Zeitschrift und warf hin und wieder einen Blick auf die Bilder. Seine Gedanken waren in England, bei Tonks. Er suchte immer noch nach einer Möglichkeit, seine Vorgesetzte davon zu überzeugen, dass diese Suche zu nichts führen würde.
„Scheiße", entfuhr es Harry plötzlich und er starrte auf ein Bild, das ihn geradezu anzuspringen drohte. Das Bild zeigte einen Mann mit blonden Haaren und einem Paar grauer Augen, die Harry verdammt bekannt vorkamen. Schließlich hatte er sie sieben Jahre lang fast täglich gesehen. Der Mann, der ihn da mitten aus der Zeitung heraus anlächelte, war niemand anderes als sein ehemaliger Klassenkamerad und er hatte sich noch nicht einmal sonderlich verändert. Bis auf eine Sache. Der junge Mann auf dem Bild lächelte. Etwas, das Harry sieben Jahre lang nicht ein einziges Mal gesehen hatte.
Schnell überflog Harry den Artikel. Es war der Bericht einer Modenschau, die erst vor wenigen Tagen hier in Washington stattgefunden hatte. Angeblich hieß der Mann auf dem Photo John Doe und war der neue Top Dressman irgendeines Modedesigners den Harry nicht mal kannte.
„John Doe, so ein Blödsinn", murmelte er vor sich hin, als eine junge Kellnerin ihm einen Becher Kaffee auf den Tisch stellte. „Kann ich die haben?", fragte er die junge Frau und hielt die Zeitung hoch. Die Kellnerin sah auf die Zeitschrift und nickte. „Klar, die ist eh von gestern ..." Bevor sie ihren Satz beenden konnte, war Harry aufgesprungen und hatte ihr Geld für den Kaffee in die Hand gedrückt. „Engländer", stellte sie nur kopfschüttelnd fest, als sie dem jungen Mann hinterher blickte, der längst durch die Tür verschwunden war.
Draußen vor der Tür blickte Harry noch einmal auf das Foto in der Zeitung. Es gab keinen Zweifel, der Dressman war niemand anderes als Draco Malfoy. Harry musste lachen. Dressman, das passte. Jetzt musste er ihn nur noch finden. Und vor allem musste er ihn vor Lucius Malfoy finden. Harry wusste, dass einige Todesser nach Amerika geflüchtet waren und es gab wohl kaum einen unter ihnen, der nicht zumindest Lucius Malfoy kannte. Und nur ein Blinder würde die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn nicht erkennen. Selbst wenn Lucius Malfoy das Bild nicht sehen würde, er würde ganz bestimmt davon erfahren.
~~ooOoo~~
Keine zwei Stunden später stand Harry Potter vor der Sekretärin der Model-Agentur, die ihm das Büro des Modedesigners genannt hatte. Das Schild auf dem Schreibtisch verkündete, dass er es mit Karen Rentron zu tun hatte. Er hielt der blonden Sekretärin das Foto unter die Nase. „Wo finde ich diesen Mann?", fragte er nach einer kurzen Begrüßung, in der er sich lediglich mit seinem Namen vorgestellt hatte. Harry wurde das Gefühl nicht mehr los, dass er Draco Malfoy so schnell wie möglich finden musste. Und wenn es etwas gab, worauf Harry sich immer hatte verlassen können, dann war das sein Gefühl. Zumindest, solange es um seinen Job ging.
„Das darf ich Ihnen nicht sagen", erwiderte die Sekretärin freundlich aber sehr bestimmt, während sie sich den jungen Mann vor sich genauer ansah. „Sie werden doch wohl verstehen, dass wir nicht einfach so Adressen herausgeben können. Aber Sie können gerne eine Nachricht für John hinterlassen. Ich werde mich darum kümmern, dass er sie so schnell wie möglich bekommt."
Harry seufzte leise. Wie sollte er der jungen Frau klar machen, dass es dann schon zu spät sein könnte. „Sie könnten ihn doch anrufen. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Er wird sich ganz sicherlich an mich erinnern." Harry konnte nur hoffen, dass Draco nicht gleich wieder die Flucht ergreifen würde, wenn er seinen Namen hörte. Bis jetzt wusste er immer noch nicht, warum Draco Malfoy von heute auf morgen den Kontakt zu Tonks abgebrochen hatte. Vielleicht wollte er ja von seiner Vergangenheit nichts mehr wissen.
„Sie sind mit John zusammen zur Schule gegangen? Sie kennen ihn?", fragte die Sekretärin jetzt mit großen Augen und Harry konnte nicht verstehen, was daran so außergewöhnlich war. Jeder war schließlich mit anderen Menschen zusammen zur Schule gegangen.
„Ja, wir sind zusammen zur Schule gegangen", wiederholte er seine Aussage. „Rufen Sie ihn doch einfach an und fragen Sie ihn. Er wird es Ihnen sicherlich bestätigen. Auch wenn wir nicht die besten Freunde waren. Es gibt da ein paar Dinge, die er dringend erfahren muss", forderte er die Sekretärin noch mal auf zum Telefonhörer zu greifen. Ganz egal, was Draco Malfoy in der Zukunft vorhatte, er sollte doch zumindest erfahren, dass das Zaubereiministerium ihn nicht mehr suchte. Und vielleicht sollte ihn jemand warnen, dass dafür andere auf der Suche nach ihm waren, die wesentlich ungemütlicher werden konnten, als die Mitarbeiter des Ministeriums für Zauberei. Allen voran sein eigener Vater.
Aber die Sekretärin griff nicht zum Telefonhörer. „Sie kennen ihn also wirklich von damals? Sie wissen, wie er heißt?" Die Stimme der Sekretärin klang ungläubig und verwirrte Harry nur noch mehr.
„Natürlich! Das sage ich doch die ganze Zeit." Er wurde langsam ungeduldig. Was sollten diese ständigen Fragen. Sie tat ja geradezu so, als sei es etwas Ungewöhnliches, dabei gab es in England durchaus noch mehr Leute, die Draco Malfoy kannten. Die wenigsten davon mochten ihn. Zugegeben. Harry war da keine Ausnahme. Aber zumindest kannten sie ihn. Obwohl kennen vielleicht doch das falsche Wort war. Sie wussten, wie er hieß, wo er herkam und wer seine Eltern waren. Wirklich gekannt hatte wohl niemand den Slytherin. Dabei war Harry sich sicher gewesen, ihn zu kennen. Er hatte ihn fast sieben Jahre lang beobachtet. Er wusste, dass Draco Malfoy keine Erbsen mochte, am liebsten Vanilleeis aß und er hatte damals die Launen seines Erzfeindes an dessen Schritt erkannt. Nur, dass Draco ein Spion war, das hatte er nicht gewusst.
Aber offensichtlich schien diese Karen Rentron ihn noch weniger zu kennen. Sie wusste ja nicht einmal, dass der Slytherin nicht John, sondern Draco hieß. Was hatte Draco bloß dazu veranlasst, seinen Namen zu ändern? Er konnte nicht wirklich auf der Flucht sein, sonst hätte er alles versucht, das Bild in der Zeitung zu verhindern, auf dem ihn jeder erkennen würde, der ihm je begegnet war. Harry war aber auch nicht bereit, Dracos Geheimnis preiszugeben. Es musste einen Grund geben, warum die Sekretärin seinen Namen nicht kannte und den würde er gerne von Draco Malfoy selbst erfahren.
„Können Sie es beweisen?", fragte ihn jetzt die Sekretärin und brachte Harry endgültig aus der Ruhe. Wie sollte er es beweisen?
„Ich könnte Bilder aus England kommen lassen, aber das würde ein paar Tage dauern", sagte Harry nachdenklich. Es würde dauern und vor allem hatte Harry keine Ahnung, wie er der Sekretärin erklären sollte, dass die Bilder sich bewegten.
„Er hat eine Tätowierung auf dem linken Unterarm", stellte Harry dann leise fest. Harry hatte damals das Dunkle Mal auf Draco Malfoys Arm gesehen. Es war bei ihrem letzten Quidditch Match gewesen und Harry hatte hoch oben in der Luft das Gleichgewicht verloren, als er es mit eigenen Augen gesehen hatte. Nach dem Krieg war Harry überzeugt gewesen, dass dieses Mal irgendwann verschwinden würde. So wie ein Fluch endete, wenn der Zauberer, der ihn ausgesprochen hatte, starb. Das Dunkle Mal war das Werk Voldemorts gewesen. So wie auch die Narbe, die Harry auf der Stirn trug. Doch Narbe und Mal überdauerten den Dunklen Magier. Sehr zu Harrys Leidwesen, gab es doch immer wieder Menschen, die seine Narbe sehen, ja sogar berühren wollten
„Das stimmt", bestätigte die Sekretärin erstaunt und riss Harry aus seinen Gedanken. „Er versteckt es immer. Ich glaube nicht, dass mehr als eine Handvoll Menschen diese Tätowierung kennen." Sie zögerte einen Moment und zeigte dann auf eine Tür am anderen Ende des Raumes. „Darf ich Sie bitten, einen Moment zu warten, während ich ein paar Telefonate erledige?"
Harry nickte und ging auf die Tür zu. Er betrat den gemütlichen, hell eingerichteten Raum und ließ sich in einem der bequemen Sessel nieder. Durch die geschlossene Tür konnte er zwar die Stimme der Sekretärin hören, verstand aber nicht, was sie sagte. Missmutig betrachtete er die Bilder an der Wand und entdeckte darunter einige von Draco Malfoy.
Harry stand auf und sah sich die Bilder genauer an. Obwohl diese Bilder ganz eindeutig Draco Malfoy zeigten, waren sie anders. Draco hatte sich zwar äußerlich kaum verändert, aber sein Gesichtsausdruck, seine Haltung, seine ganze Ausstrahlung hatten sich verändert. Das war nicht mehr der kalte, arrogante Draco Malfoy, mit dem er sieben Jahre lang zur Schule gegangen war. Der Mann auf den Bildern hatte ein freundliches, warmes Lächeln und Harry musste zugeben, dass er sogar richtig gut aussah. Harry schüttelte den Kopf und erinnerte sich an den alten Draco. Schon damals war er der Meinung gewesen, dass der Slytherin wirklich gut aussah, aber das hatte er nie jemandem erzählt. Schließlich war er sein Erzfeind gewesen.
Plötzlich fiel ihm etwas ein, was Hermione zu ihm gesagt hatte. Er war direkt von Tonks Büro zu seiner besten Freundin gestürmt, um ihr von der Ungerechtigkeit zu berichten. In seinen Schimpftiraden hatten weder Tonks noch Malfoy sonderlich gut abgeschnitten. Hermione hatte ihn nur angesehen und etwas gemurmelt, was sich für ihn verdammt nach 'Was sich liebt, das neckt sich' angehört hatte. Daraufhin war er erst richtig sauer geworden. Hermione hatte ihn schließlich gefragt, ob er denn noch immer glaube, dass es wirklich Zufall sei, dass ausnahmslos alle seine Affären blond gewesen waren. Harry hatte ihr damals nur noch an den Kopf geworfen, dass ihr wohl die Schwangerschaft nicht bekäme, und war aus dem Haus gestürmt, wobei er fast Ron umgerannt hatte. Einen Tag danach war er nach Amerika geflogen.
Die Sekretärin riss ihn aus seinen Gedanken, als sie den Raum betrat und auf einem Sessel neben ihm Platz nahm. Harry sah ihr an, dass sie nervös war. Sie spielte mit einer der langen blonden Strähnen, die ihr ins Gesicht hingen.
„Und? Wie geht es jetzt weiter?", fragte Harry ungehalten. Er wusste nicht, was er von dem merkwürdigen Verhalten der jungen Frau halten sollte. Etwas schien ganz und gar nicht in Ordnung zu sein und er wusste nicht, was es war. Ein Zustand, der ihm nicht sonderlich gefiel.
„Er möchte Sie sehen, aber ich soll Ihnen zunächst ein paar Dinge erklären." Sie stand auf, ging auf den kleinen Tisch zu, der in der Ecke neben der Tür stand und griff nach einem der Kaffeebecher. Sie hielt ihn hoch und sah Harry fragend an. Harry nickte widerwillig. Wenn er schon unnötig viel Zeit hier verbringen sollte, dann wenigstens mit Kaffee.
Sie kam mit einem Tablett, auf dem zwei Becher Kaffee, Sahne und Zucker standen, zurück und stellte es auf den kleinen Beistelltisch zwischen den Sesseln. Karen setzte sich, schlug die Beine übereinander und stützte den rechten Arm auf die Sessellehne.
„Sie sagten, dass John sich an Sie erinnern würde. Nun, er tut es nicht. So wie er sich an gar nichts erinnert, das vor dem 10. April 1998 passiert ist." Sie machte eine Pause und nahm einen Schluck Kaffee. Harry sah sie erstaunt an und wollte gerade etwas sagen, als die Sekretärin weiter sprach. „Keiner weiß wirklich, was damals genau passiert ist. Die wenigen Zeugen sprachen von einem Mann mit langen, blonden Haaren, den sie nur noch von hinten gesehen haben, als er weglief. Tatsache ist jedoch, dass jemand John schwer verletzt und vermutlich auch umgebracht hätte, wenn nicht diese Zeugen, eine Gruppe französischer Touristen, plötzlich erschienen wären. Danach lag John fast zwei Monate im Koma, und als er aufwachte, konnte er sich an nichts erinnern. Weder an das, was passiert war, noch an seinen Namen oder wo er herkam. Das Krankenhaus und die Polizei haben wochenlang versucht, etwas über ihn herauszubekommen. Man hatte auch die englischen Behörden eingeschaltet, weil sein Dialekt eben sehr britisch klang. Aber auch dort schien ihn weder jemand zu kennen, geschweige denn zu vermissen. Irgendwann hat die Polizei aufgegeben."
Harry sah Karen erschrocken an. Also hatte Lucius Malfoy seinen Sohn schon damals gefunden. Zumindest passte die Beschreibung eines Mannes mit langen, blonden Haaren durchaus auf das Familienoberhaupt der Malfoys. Dass man in England nichts über Draco Malfoy herausgefunden hatte, war nicht weiter erstaunlich. Die Familie Malfoy hielt nicht viel von Muggeln und ihrer Welt. Man kannte sie dort schlicht und ergreifend nicht.
Harry atmete tief durch und versuchte, ruhig zu bleiben. „Ich möchte im Moment noch nicht allzu viel sagen, bevor ich nicht mit Mal ... äh, Draco selber gesprochen habe. Könnten Sie bitte versuchen, in der Zwischenzeit keine Bilder mehr von ihm zu veröffentlichen?", bat er die Sekretärin, die ihn nur fragend anschaute. Harry wusste, dass er eine Erklärung liefern musste und nun nannte er auch den Namen des Slytherin. Draco hatte ihn ihr nicht verheimlicht, er kannte ihn selbst nicht mehr. „Der blonde Mann, von dem die Zeugen gesprochen haben, gehört zu einer Gruppe von Verbrechern, die hinter ihm her sind und die nichts unversucht lassen werden, ihn zu töten. Draco hat als verdeckter Ermittler gearbeitet und ist am Ende aufgeflogen. Dieses Foto in der Zeitung wird sie wieder auf seine Spur bringen." Harry sah Karen an und hoffte, dass er es ihr abkaufte. Es war ja noch nicht einmal gelogen. Innerlich dankte er seinem letzten Liebhaber dafür, dass er sich mit ihm immer irgendwelche Muggelkrimis hatte anschauen müssen. Er war sich sicher, dass Karen ihm die Wahrheit ganz bestimmt nicht abgenommen hätte. Erfahrungsgemäß reagierten erwachsene Muggel ein wenig sonderbar, wenn man ihnen von Hexen und Zauberern erzählte.
„Oh Gott! Sie meinen, er ist wirklich in Gefahr?" Karen schlug die Hand vor den Mund und Harry sah, dass ihre Sorge echt war. Scheinbar bestand zwischen den beiden mehr als nur ein kollegiales Verhältnis. Harry versuchte, den Stich in seinem Herzen zu ignorieren.
„Ja, und diese Leute schrecken wirklich vor nichts zurück. Wenn jemand nach ihm fragt, erzählen Sie meinetwegen etwas von einer Reise nach China, aber geben Sie auf keinen Fall seine Adresse weiter." Harry wusste, dass Lucius Malfoy sicherlich nicht höflich fragen würde. Der blonde Todesser hatte keinerlei Skrupel, Muggel zu verhexen und zu töten. Es gab mehr als nur einen Weg, an Informationen zu kommen. Harry musste Draco wegbringen, und das so schnell wie möglich.
„Ich glaube, Sie sollten jetzt besser zu ihm gehen." Karen schien seine Gedanken lesen zu können und Harry nickte nur stumm, während die blonde Sekretärin aufstand und zu ihrem Schreibtisch ging.
Einen Augenblick später stand sie mit ihrem Mantel über dem Arm in der Tür. „Kommen Sie, ich bringe Sie zu ihm", forderte sie Harry auf ihr zu folgen. Harry stand auf und verließ gemeinsam mit ihr das Büro.
Sie gingen hinunter in die Tiefgarage. Keiner der beiden sprach ein Wort, während sie in einen grünen Pontiac stiegen. Während der kurzen Fahrt dachte Harry an den Draco Malfoy, den er gekannt hatte. Konnte es wirklich sein, dass Malfoy nicht einmal mehr wusste, wie er hieß.
Der Wagen hielt vor einem kleinen Haus in der N Street. Harry wurde bewusst, dass er vor wenigen Stunden nur zwei Querstraßen weiter in einem Bistro gesessen hatte und er fragte sich, ob es Zufall war, dass Draco Malfoy so dicht an dem Ort wohnte, der das Washington der Muggel von dem der Zauberer trennte.
Auf einmal durchschoss es Harry wie ein Blitz. Zaubererwelt. Wenn Draco Malfoy sich an nichts erinnern konnte, wusste er dann überhaupt, was er war? Und wenn er es nicht wusste, wie sollte er es ihm dann bitte erklären? Wieder einmal verfluchte er Tonks dafür, dass sie ihn hier hergeschickt hatte.
Harry stieg aus dem Pontiac und schaute sich das Haus genauer an. Es sah friedlich aus, fast schon unscheinbar. Auch das passte so überhaupt nicht zu dem Draco Malfoy, den er gekannt hatte. Er ging auf die Eingangstür zu. Als er merkte, dass Karen ihm nicht folgte. Blieb er stehen und drehte sich um. Er sah sie fragend an. Sie schüttelte nur mit dem Kopf und stieg wieder in ihr Auto ein. Harry sah dem Wagen noch nach, bis dieser in die Wisconsin Avenue abgebogen war. Dann drehte er sich um und ging auf das Haus zu. Vor der Tür zögerte er einen Moment. Er wusste nicht, was er Draco Malfoy sagen sollte. Er wusste nicht, wie er ihn begrüßen sollte. Sie waren nie Freunde gewesen, ganz im Gegenteil. Aber von all dem wusste Draco nichts mehr.
Entschlossen hob er seine Hand und wollte gerade auf die Klingel drücken, als die Tür geöffnet wurde.
