Professor Snape, Zaubertränkeprofessor und Haulehrer von Slytherin an der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei, schreckte von den Aufsätzen der Viertklässler hoch, die er gerade korrigierte, als es klopfte. Selbstverständlich hatte er ihnen noch einen ellenlangen Aufsatz über den Trunk des Friedens, einen starken Schlaf-Trunk, aufgegeben. Dass es nur noch zwei Tage bis zu den Feien waren interessierte ihn nicht.
Diese Extraarbeit war eine strikte Konsequenz der Handlungen der Schüler gewesen. In einem gewissen Maße konnte er verstehen, dass nach den Prüfungen kein Schüler mehr den Unterricht für sinnvoll befand, dennoch gehörten explodierende Kessel nicht mehr innerhalb der Toleranzgrenze des Tränkemeisters.
Zu seinem eigenen Ärgernis war er jedoch über den Aufsätzen eingeschlafen. Nicht, dass es ihn wunderte, denn jeder Aufsatz war schlechter als der davor. Snape machte sich gedanklich eine Notiz für das nächste Schuljahr bezüglich dieser Klasse.
Erneut klopfte es leise und er seufzte entnervt und sah zur Uhr. Kurz nach Mitternacht, also weit nach Ausgangssperre.
Er glaubte nicht, dass es Dumbledore war. Dieser würde das interne Flohnetzwerk benutzen und das selbstverständlich ohne eine Ankündigung. Seine Kollegen würden ihn durch einen Hauselfen holen lassen, da sie die Kerker verabscheuten, doch die Elfen klopften normalerweise und kündigten an, wer sie waren.
Zu müde um einen einfachen Zauberspruch auszuführen um zu erfahren wer es war, streckte der Professor sich und öffnete die Türe mit einem leichten Schlenker seines Zauberstabes. Er erblickte Potter. Und Potter war mit Abstand die letzte Person, die er erwartet hätte, nachdem was an diesem Tag passiert war!
Dumbledore hatte ihn, per Flohnetzwerk natürlich, darum gebeten in sein Büro zu kommen, da er etwas wichtiges mit ihm, Severus, zu besprechen habe. Da Albus nunmal der Schulleiter war, hatte er keine große Wahl gehabt und war eine halbe Stunde später tatsächlich in Dumbledores Büro erschienen. Allerdings auf natürlichem Weg, an dem Wasserspeier vorbei. Snape mochte es nicht besonders unangekündigt in anderen Kaminen aufzutauchen. Zu viele Szenen, die er niemals hatte sehen wollen, hatte er dadurch schon erblickt.
Nachdem er also das Passwort „Erdbeerschnüre" gesagt hatte, war er wenige Minuten später in dem Büro des Schulleiters gewesen. Der besorgte Blick des Schulleiters gefiel ihm jedoch nicht. Severus hatte sich auf Dumbledores Bitte hin gesetzt und abgewartet was nun kommen würde. Er hatte ihm erklärt, dass er sich um den jungen Potter sorge. Der Goldjunge sprach nämlich nicht mehr seitdem Sirius gestorben war. Weder mit ihm oder einem anderen Lehrer noch mit seinen Freunden oder anderen Ordensmitgliedern, die ein gutes Verhältnis zu ihm hatten. Der Schulleiter hatte ihn also gebeten, etwas aus dem Jungen heraus zu bekommen.
„Wenn du es nicht hinbekommst, mein Junge, dann weiß ich auch nicht mehr weiter. Alle Personen mit denen er vielleicht sprechen würde haben es versucht." Snape war im ersten Moment sehr perplex gewesen, hatte Dumbledore verwirrt angeschaut und mühsam einen Kommentar zurückgehalten, der beinhaltete, dass vielleicht gerade das das Problem sei. Er persönlich würde auch nicht gerne von allen Leuten angesprochen und umsorgt werden, wenn gerade sein letztes Familienmitglied gestorben wäre. Das war wohl oder übel etwas was sie gemeinsam hatten.
Auf Snapes verwirrten Blick hin, hatten Albus' Augen amüsiert geglitzert.
„Ich erwarte nicht, dass er mit dir redet, Severus. Ich hatte nur gehofft, dass wenn du ihn reizen würdest Harry sein Temperament doch nicht so zügeln kann und dir etwas nicht allzu freundliches an den Kopf wirft. Vielleicht hilft es, wenn er sein Schweigen einmal durchbrochen hat." Severus hatte Dumbledore ziemlich deutlich seine Meinung zu seinem Plan gesagt, dass es Harry gut tun würde etwas Ruhe zu haben, doch letztendlich hatte Dumbledore es wieder geschafft sehr überzeugende Argumente darzulegen und ihn schließlich doch zu überreden.
So war er Potter nach dem Mittagessen bis zu dem See auf dem Schlossgelände gefolgt und hatte ein wenig gewartet, bis er hinter Harry getreten war und ihn mit seiner üblichen kalten Stimme angesprochen hatte:
„Mr. Potter?" Der Angesprochene zuckte zusammen, sah jedoch nur stumm zu ihm auf. „Ich würde Sie gerne kurz sprechen." Natürlich erhielt er auch hierauf keine Antwort.
„Es hört sich nicht so an, als könnten Sie sprechen ohne die Lippen zu bewegen, Potter!", spöttelte er, doch Harry ließ sich nicht reizen. Harry sah ihn nur weiterhin stumm an und zuckte mit den Schultern. Für so was hatte der Hauslehrer Slytherins nun wirklich keine Zeit! Wenn schon sollte sich McGonagall um ihn kümmern, schließlich war sie Hauslehrerin von Gryffindor und nicht er.
Snapes Stimme war zu einem gefährlichen Zischen geworden:
„Mir mag es egal sein, ob Sie sprechen oder nicht, Potter! Dann muss ich mir jedenfalls nicht immer Ihre Lügengeschichten anhören, aber es gibt Personen die es interessiert. Ganz besonders Mr. Weasley und Miss Granger kommen fast um vor Sorge. Aber das scheint den Jungen der lebt ja nicht zu interessieren. Haben Sie sich wenigstens bei Ihren Freunden dafür bedankt, dass sie beinahe ihren Kopf riskiert haben, damit Ihnen nichts passiert? Wissen Sie, auch Granger und Weasley hatten eine Beziehung zu Black und trauern. Aber ich habe Dumbledore schon immer gesagt, dass Sie zu verwöhnt sind!"
Mit einem Satz stand der schwarzhaarige Junge, der bis gerade auf einem Stein gesessen hatte, auf und funkelte ihn an:
„Nur weil Sie herzlos sind, heißt das nicht, dass ich keine Gefühle habe, Sir! Es ist nicht mal eine Woche her und Sirius war die einzige Familie die ich noch hatte. Darf ich nicht um ihn trauern? Nur weil Sie ihn nicht mochten, Professor? Und glauben Sie mir eines: Ich werde ganz bestimmt nicht verwöhnt. Da würde eher noch Voldemort auftauchen, mich umarmen und sagen er gibt seine Pläne zu Gunsten seiner Ballettkarriere auf!" Bevor Snape auch noch etwas darauf antworten konnte, war Potter schon auf dem Weg zum Schloss. Er konnte jedoch nicht das kleine Lächeln verhindern, was auf seinen Lippen erschien, da Potter erstens gesprochen hatte und zweitens wegen dem ausgesprochen amüsanten Vergleich mit Voldemort. Dennoch glaubte er nicht, dass er schlecht behandelt wurde.
Trotzdem hatte der Tränkemeister erwartet, dass Potter ihm die letzten drei Tage in Hogwarts aus dem Weg gehen würde. Doch nun stand Harry dort nervös auf seiner Unterlippe kauend und deutlich müde und wartete die Reaktion seines Zaubertrankprofessors ab.
„Mr. Potter, Sie sind sich im Klaren, dass es weit nach Ausgangssperre ist?" Der Junge trat immer noch nervös von einem Fuß auf den Anderen und wandte den Blick ab.
„nun, ja ich weiß, Sir. Aber Dumbledore wollte mich sprechen und es hat wohl etwas länger gedauert. Er meinte, ich solle Ihnen noch das hier geben", erklärte er leise und reichte Professor Snape zögernd den Brief.
„Es heißt immer noch Professor Dumbledore! Und ich soll Ihnen jetzt glauben, dass Sie bis eben bei ihm waren, Potter?" Nervös nickte der Angesprochene und warf seinem Zaubertranklehrer einen kurzen Blick zu. Er sah ziemlich müde aus! Trotzdem wartete Harry immer noch auf seine Bestrafung für sein mehr oder minder respektloses Verhalten ihm gegenüber an diesem Nachmittag.
„Nun, wenn das so ist, würde ich Ihnen raten, schnellst möglich in Ihren Schlafssaal zu gehen, ehe ich mir doch noch eine Bestrafung für Sie ausdenke!" Eiligst nickte der Junge.
„Danke, Sir! Gute Nacht und entschuldigen Sie bitte mein Verhalten von heute Nachmittag!", murmelte er ehe er verschwand.
Severus sah ihm verwirrt hinterher. Was war heute bloß für ein Tag? Erst war Minerva ungewöhnlich nett ihm gegenüber gewesen, dann hatte Albus ihm mal nicht seine Brausebonbons angeboten und nun entschuldigte sich Potter wegen seinem Verhalten!
Trotzdem stieß Snape genervt die Luft aus. Hätte Dumbledore ihm nicht einfach persönlich sagen können, was auch immer in diesem Brief drinnen stand anstatt ihm Potter zu schicken?
In seinen Augen war er einfach nur arrogant und verwöhnt, genau wie sein Vater damals. Und genau da lag seit einer Woche das Problem!
Seit Potters Pate tot war, war nichts mehr von dem Stolz oder der Arroganz zu sehen. Es waren schlicht Lilys Augen, die ihn ansahen ohne Potters Trotz. Er hatte sich am Nachmittag zusammen reißen müssen, als er in diese grünen Augen gesehen hatte. Und ganz besonders wegen diesen Augen verwünschte er den Jungen regelmäßig! Der Ausdruck darin, den er in der letzten Woche gesehen hatte, erinnerte Severus sehr an Lilys Augen, als er sie Schlammblut genannt hatte.
Der Tränkemeister zwang sich dazu, nicht daran zu denken. Er hatte lange genug an diesem Schmerz gelitten, war lange genug ein Schatten seiner Selbst gewesen, wurde lange genug in seinen Träumen davon verfolgt. Es war ohnehin zu spät. Lily war tot. ER hatte sich nie bei ihr entschuldigt und würde nie die Chance dazu haben.
Leise seufzend öffnete er den Brief und brachte genug Konzentration auf, um ihn zu lesen.
Lieber Severus,
auf Grund wichtiger Informationen, denen ich unmittelbar nachgehen muss, werde ich die gesamten Ferien abwesend sein. Ich bitte dich dem Orden mit zu teilen, dass ich auf Grund von Recherchen abwesend bin. Wenn etwas Unaufschiebbares auftreten sollte oder etwas passiert wird Fawkes mich finden.
Und noch eine Bitte an dich:
Ich weiß, dass du keine sprühende Zuneigung zu Harry hast, dennoch bitte ich dich sein Wohlbefinden bei den Dursleys in den Ferien zu überprüfen. Ich habe keine richtigen Informationen, aber ich habe Grund zur Vermutung, dass er nicht besonders gut behandelt wird.
Ich würde der Sache selber nachgehen, aber ich werde mich sofort nach dem Gespräch mit Harry auf den Weg machen. Informiere bitte Minerva, dass sie die Jahresabschlussrede halten muss.
Pass auf dich auf, mein Junge.
Albus
Was für Informationen hatte der Schulleiter erhalten, dass er den Orden nicht informierte und nicht einmal zwei Tage warten konnte, bis die Ferien anfingen? Und natürlich ... Der Goldjunge würde nicht gut behandelt ... Aber wenn Albus wünschte, dass er sein Wohlbefinden kontrollierte, würde er das tun. Auch wenn die Aussicht Potter in seinen Ferien zu sehen, nicht unbedingt Snapes Wünschen entsprach. Aber das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Severus blickte noch einmal zur Uhr und löschte die Kerzen in seinem Büro. Eilig schritt er den Gang entlang zu seinen Räume um sich schlafen zu legen. Den Brief steckte er in seinen Umhang.
Snapes Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. Wahrscheinlich musste er sein Essen selber holen, anstatt es serviert zu bekommen und musste sein Zimmer selber aufräumen.
Von Harrys wirklicher Situation konnte er ja nichts ahnen ...
