Die schwere Eichetür drehte sich quietschend in ihren Angeln, aber Guy schaute nicht auf. Es würde der Wärter sein, der das übliche harte Brot, Wasser und ranzigen Käse brachte. Manchmal war auch etwas Haferbrei dabei und wenn er gute Laune hatte, auch ein Apfel. Die Tür halb öffnen, drei Schritte in den Raum, das Essen absetzen, Keuchen, Grunzen, drei Schritte hinaus, die Tür schließen. Doch diesmal öffnete sich die Tür ganz und dann – Stille. Als Guy langsam hochblickte, sah er einen unbekannten Ritter in der Tür stehen. Hatten sie sich letztendlich doch entschlossen ihn zu hängen, nach vier Jahren?

„Ihr seid frei, Sir Guy."

Guy blinzelte. Frei?

Der fremde Ritter gab die Tür frei und winkte einen Diener herein. „Ich bin Robert of Sangdon und im Auftrag des Königs hier. Walter wird Euch mit allem versorgen, was nötig ist. Ein Bad wird für Euch vorbereitet, ebenfalls neue Gewänder. Wenn Ihr euch erholt habt, dass Ihr eine Reise antreten könnt, werdet Ihr mich zum Hof begleiten; König John erwartet Euch." Ohne weitere Erklärungen zu geben, nickte der Ritter kurz zum Abschied und entfernte sich dann.

Frei…König John….König Richard war also tot. Guy erhob sich schwerfällig und folgte dem Diener. An der Türschwelle blinzelte er in das ungewohnte Licht und blickte kurz auf den Kerkerraum zurück, in dem er gefangen gehalten worden war. Seine Beine waren steif, zu lange hatte er sie kaum gebraucht; auf den Diener gestützt machte sich auf dem Weg ins Badehaus. Guy bemerkte die Bestürzung des Dieners, als dieser ihm die Lumpen, die von seinen Gewändern übrig geblieben waren, abnahm. Der einst muskulöse Mann war abgemagert, seine Haut fahl und eingerissen, seine Haare, die lang auf den Rücken hingen, schmutzig, verfilzt und voller Läuse. Langsam ließ Guy sich ins Badewasser sinken und seine Gedanken wanderten zurück, während er die Augen schloss.

König Richard hatte sich letztendlich doch bequemt wieder in sein Land zurückzukehren. Es war nicht alles so gelaufen, wie er es sich vorgestellt hatte. Auf dem Rückweg vom Heiligen Land war er gefangen genommen worden und Tonnen von Silber Lösegeld gezahlt worden, für einen König, der England gar nicht mochte, sondern sich lieber anderswo aufhielt. Dennoch liebten die einfachen Leute König Richard und hatten ihm einen triumphalen Empfang bereitet. Er hatte seine Getreuen um sich versammelt und die Verräter gejagt. Auch Guy war unter ihnen gewesen. Robin of Locksley hatte dem König berichtet, wer eigentlich für das Attentat in Akra verantwortlich gewesen war und Guy hatte sich seitdem auf der Flucht befunden. Er bereute nichts und würde es wieder tun. Der angeblich so menschenfreundliche König fand nichts dabei, Frauen und Kinder abzuschlachten, wenn es seinen militärischen Zielen diente oder wenn er Rache üben wollte. Er hatte sein Land im Stich gelassen und sammelte Ruhm, während sein Land daniederlag.

Es war Locksley selbst, der Guy gefasst wurde, ein dummer Zufall, der ihn in die Gegend geführt hatte, in der Guy sich versteckte. Locksley hatte ihn unvermutet überrascht und ihn niedergestreckt, ehe Guy die Chance hatte sein Schwert zu greifen. Schwer verwundet wurde er weggebracht und hatte irgendwann sein Bewusstsein verloren; als er es wieder erlangte, befand er sich im Kerker einer unbekannten Burg. Es hatte ihn auch nicht weiter interessiert, denn er wusste, dass es nur eine Frage von Tagen war, bis man ihn hängen würde. Doch die Zeit war vergangen und nichts war geschehen und schließlich hatte Guy verstanden, was Locksley gemeint hatte, als er schrie „Dieser Bastard hat es nicht verdient schnell zu sterben." Er würde in diesem Kerker sterben, in den man ihn geworfen hatte. Es war ein Wunder gewesen, dass er das Wundfieber überlebt hatte. An seinem Bein war eine große Narbe zurückgeblieben, aber das Schlimmste war die lange Narbe, die Locksley ihm im Gesicht zugefügt hatte und die seine ganze Wange überzog. Vielleicht, wenn jemand sich die Mühe gemacht hätte sie zu nähen, aber wozu dies bei einem Verräter, der sowieso im Gefängnis verrotten würde? Guy hatte Essen bekommen, gerade so viel um ihn am Leben zu erhalten. Wie oft war er versucht gewesen es stehen zu lassen und ins Nichts zu sinken, einfach immer schwächer zu werden, aber; irgendetwas hatte ihn zurückgehalten, auch wenn er nicht wusste, was. Und jetzt war er frei.

Ein Barbier schnitt Guys lange Haare ab und wusch sie gründlich, der Diener hatte neue Gewänder bereitgelegt und führte Guy in ein komfortables Gemach. Zum ersten Mal seit Jahren streckte er sich auf einem weichen Bett statt auf Stroh aus und schloss die Augen. Eine junge Magd brachte frisches Brot, Schinken, süßen Haferbrei, Käse und Wein und gab unwillkürlich einen Laut des Schreckens von sich, als sie den Ritter sah, der anscheinend schlafend auf dem Bett lag. Als Guy langsam die Augen öffnete und sie anschaute, floh die Magd verschreckt. Guy wusste, wie er aussah, wie ein hohlwangiges Gespenst. Früher hatte man ihn als gut aussehend bezeichnet und er hatte nie einen Mangel an willigen Frauen gehabt, aber jetzt? Selbst wenn er seine Kraft wiedererlangte, die Narbe würde ihn für immer entstellen.

Vorsichtig kostet Guy von dem Essen; sein Magen war diese Menge Nahrung nicht mehr gewohnt. Dann streckte er sich erneut auf dem Bett aus und schlief sofort ein. In den folgenden Tagen durchstreifte er die Gänge der Burg, um seine Kraft wiederzuerlangen. Es würde lange dauern, bis er wieder kämpfen konnte, wenn es überhaupt dazu kam. Guy wusste nicht, was König John mit ihm vorhatte. Guy hatte niemals verraten, dass eigentlich der damalige Prinz John hinter dem Anschlag in Akra steckte. Es hätte nichts genutzt und vermutlich hätte König Richard ihm auch nicht geglaubt. König John dachte wohl, es sei Loyalität gewesen, die Sir Guy schwiegen ließ, und statt diesen lästigen Mitwisser auszuschalten, ließ er ihn jetzt frei.

Guy sah die Blicke der Diener und sein alter Jähzorn erwachte. Nachdem er mit einem Fausthieb die Nase eines Dieners gebrochen hatte, näherten sie sich ihm nur noch mit gesenktem Blick und waren erleichtert, als dieser fürchterliche Mann mit Robert of Sangdon die Reise zum Hof des Königs antrat.