»Ich bin ein Dieb, aber ich bin kein Mörder!«, schrie sie aus voller Lunge in die Menge.
Taube Ohren, fürchtete sie, nur taube Ohren. Rasselnd atmete Hermine daraufhin schwer auf. Die Luft schmeckte salzig-metallisch.
Die sonst stechende Sonne hatte sich mit Wolken bedeckt, und der kalte Schweiß brachte sie zum Erschaudern.
»Sind das deine letzten Worte?«, fragte der Henker dumpf.
Hermine schüttelte würgend den Kopf. Der Wunsch sich zu übergeben, überkam sie in Wellen.
Sie jagte nach innerer Ruhe, und drückte die zitternden Knie durch:
»Nieder mit all den Schweinen des Adelshauses!«
Zwischen den Buhrufen und dem Kopfschütteln hallte vereinzelt ihre Hoffnung.
Das Klatschen und Pfeifen nahm den Takt ihres dröhnenden Herzens auf.
Es entwuchs eine mächtige Sinfonie, die sie am liebsten in die Zukunft getragen hätte. Für sie gab es jedoch kein Morgen. Trotz klappernder Zähne wollte sie noch einen letzten Gruß aussprechen.
Er ging an die hungrigen Schweine, die an den Zitzen des Adelshauses nuckelten - sie musste diese Hinrichtung ihnen widmen. Niemand sollte denken, sie sei aus einem anderen Grund hier.
Der Henker legte die Hände an den Hebel. Sie schluckte ihre Worte, keuchte und suchte verzweifelt nach einem vertrauten Blick.
Es passierte zu schnell. Wo war ihre Zeit?
»Du bist tot, Mädchen«, flüsterte der Henker.
Hermine schluckte trocken vor Verzweiflung - und plötzlich war es ihr klar:
»Das bin ich lange schon«

»Ungerechtigkeit an irgendeinem Ort bedroht die Gerechtigkeit an jedem anderen.« - Martin Luther King

- England, 1799 - Herbst -

Klingen auf Klingen. Der Klang hallte durch die schwach erleuchteten Gassen. »Haltet sie auf!«
»Ihnen nach, ihr nutzlosen Hunde!«
In den Pfützen spiegelten sich vier Gestalten, die durch die verzweigten Straßen der Stadt huschten.
An ihren Fersen klebte die Wache, dessen purpurne Mäntel vom Nebeldunst durchdrungen bei jeder Kurve gegen die jeweiligen Rücken klatschten. „Verdammt.", schnaubte ein gut gebauter Mann. Sein Gesicht strahlte unter dem flackernden Licht einer Straßenlaterne hoch rot, und dicke Schweißperlen rannen ihm über die Stirn. Das Atmen viel ihm schwer. Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte er, wie seine Männer von der Dunkelheit verschluckt wurden. Die nächtlichen Verfolgungsjagden zehrten an ihm. Sämtliche Gelenkte brannten unter seiner Uniform. Plötzlich hallten die Schritte schwerer Stiefel auf dem Steinweg durch die leere Straße. Es war Henry Bishop, ein junger, aufstrebender Mann; einer seiner besten. Mit Hoffnung hob der Alte zum Gruß die Hand.
»Und?«, brummte er.
»Wir haben sie verloren, Sir«, meldete Bishop mit einem bedauerlichen Blick.
»Schöner Mist«, zischte der Alte. Mr. Malfoy würde einem von ihnen dafür wieder den Finger abschneiden.
»Geht es Ihnen gut, Sir?«
Der Bishop war ein guter Junge, dachte er sich und schüttelte den Kopf.
»Ich glaube nicht«
Je älter er selbst wurde, desto kleiner war die Angst um sich. Wenn er nun auch Mumm heranwachsen lassen könnte, würde er als glücklicher Mann sterben.

Die vier Schatten rannten, bis sie ihre Verfolger verloren. Dann schlichen sie aus der Stadt und fanden sich, einer nach dem anderen, an den Klippen wieder. Sie sprachen kein Wort. Noch nicht. Im tobenden Rauschen des Meeres, standen sie vom Mondlicht erleuchtet und warteten. Als der Wind zu stark wurde, nickte einer der vier und sie begannen den Felsvorsprung zum steinigen Strand hinunter zu klettern. Nach kurzer Wanderung, versteckt zwischen zwei Klippen, eilten sie einen kurzen Gang entlang, um danach durch eine schmale Höhlenöffnung zu verschwinden.
»Verdammt! Jemand hat mir gegen das Schienbein getreten«, beschwerte sich eine männliche Stimme.
»Ron, Klappe halten«, erwiderte eine Frau.
»Ich habe die Kerzen gefunden«, meinte eine zweite Männerstimme und kurze Zeit später badete die Höhle im flackernden Licht zweier Flämmchen.
Die Gestalten ließen die übergestülpten Kapuzen von ihren Köpfen gleiten und zogen sich die unbequemen, schwarzen Masken vom Gesicht
Einer fuhr sich durch das schweißnasse, rote Haar und versuchte wieder zu Atem zu kommen.
»Ich werde noch irgendwann in diesem Zeug ersticken«
»Hat einer so eine Memme gesehen?!«, entgegnete seine Schwester, Ginny. Neben ihr lachte gequält ein junger Mann auf.
»Harry, ist alles in Ordnung?«
Er nickte, unter seinen Fingern quoll Blut hervor. Ginny hob seine Hand von den Rippen und besah sich die Wunde genauer, »Dieser verdammte Bishop! Ich ziehe ihm das nächste Mal garantiert das Fell über die Ohren!
»Kein Grund zur Sorge«, grinste Harry sie an, »Ich schnappe ihn mir persönlich. Wir hatten ihn einmal mit Hermine fest im Schwitzkasten - nicht wahr Hermine?«
Die Frau stand mit wirrem Haar an der Höhlenmündung und nickte nur. Draußen regnete es inzwischen in satten Tropfen. Sie musste sich anstrengen, um etwas in der Dunkelheit zu erkennen.
»Ginny, hast du Fred und George gesehen?«, fragte sie schließlich.
Ginny schüttelte den Kopf, während sie Harry auf einen der vielen Stühle setzte.
»Sie waren lange hinter uns. Als wir aber von Bishop und Darcy eingeholt wurden, verlor ich sie aus den Augen«
»Die Zwei sind Überlebenskünstler«, seufzte Ron gelassen, »Beruhig dich«
»Hm«, erwiderte sie nur und starrte weiterhin aus dem Höhlenmund.
»Das verdammte Adelshaus hat mehr Angst vor Fred und George, als umgekehrt«, lachte Harry, »Komm rein Hermine, und hilf Ron lieber mit dem Sack«
Sie wollte sich widerwillig zu den anderen zurückziehen, als es plötzlich donnerte. Sie verengte die Augen zu Schlitzen. Mit einer flüssigen Bewegung stülpte sie die Kapuze wieder über ihr dickes Haar.
»Wo gehst du denn hin?«, rief ihr Ginny hinterher.
»Fred und George suchen«, antwortete Hermine aus dem Regen. Der grölende Donner, und der Blitz, der nun den Himmel durchzuckte, verhießen nichts Gutes. Sie stapfte durch das rutschige Gestein, während sie die Klippen mit dem Blick absuchte. Der Aufkochende Wind zerrte an ihrem Umhang. Wieder blitzte es, und im Licht erblickte sie endlich Klippenrand zwei Gestalten.
Sie pfiff so laut sie konnte. Dennoch verschwand der Ton im Donner. Sie versuchte es ein zweites Mal.
Die Gestalten antworteten mit einem ähnlichen Pfiff. Er klang melodisch, verspielt.
Hermine lachte unter der Kapuze. Sie stemmte sich gegen den Wind und wartete, bis die zwei Schatten sich ihr angeschlossen hatten.
»Wir haben eine ganze Weile auf euch gewartet!«
»Was?!«
Rief der eine über den Donner hinweg.
»Ihr seid zu spät!«, erwiderte Hermine.
»Keine Bange«
»Alles in Butter«
Fred und George, verzogen ihre identischen Gesichter zu breiten, glücklichen Fratzen.
»Wir haben gute Neuigkeiten«, jauchzten sie und drückten stolz ihre Rücken durch.
»Unbezahlbare Infos!«, schrie der eine.
»Die du uns aber trotzdem gerne bezahlen darfst«, fügte der andere hinzu.
Hermine seufzte: »Wir haben nicht einmal genug um ein Achtel der Stadt zu versorgen«
Ihre Stimme wurde inzwischen heiser und der Regen war bis auf ihre Knochen durchgedrungen.
»Das ist aber traurig«, schrie der eine gegen den Wind. Der andere nickte unter der Kapuze.
»Wir könnten das ganz schnell ändern«
Hermine sah selbst in der Dunkelheit einen Plan in ihren Augen funkeln.
»Wie denn?«
»Morgen Abend«
»Indem wir die Party der Malfoys auseinandernehmen!«

- Englad, 1991 Winter -

Die Dunkelheit verdaute sie. Ein schmaler Spalt vor der Tür könnte ihre Hand retten, für den Rest ihres Körpers war es zu spät. Sie versuchte, an einen anderen Ort zu denken. Felder mit tanzenden Gräsern. Der Garten mit den Rosen, die nicht ihre waren. Sie atmete flacher. Bald würde sie wieder im Zimmer stehen. Kein Schreien, kein Hämmern. Das führte zu blauen Flecken an den Händen.
Sie sah den Staubkörnchen beim Tanzen zu. Was musste sie ihm auch immer seine grässlichen Missetaten heimzalen? Ehre, Prinzip?
Sie versalzte das erste Mal seine Suppe, die er zu essen hatte, weil er davor nicht vom Tisch aufstehen durfte.
Beim zweiten Mal hatte sie ihm seine Tinte geklaut und sie im Schweinestall unter den Dreck gemischt. Alle dachten, er habe es selbst getan um nicht schreiben zu müssen. Es hieß, sein Vater hätte ihn wundgeprügelt - sie glaubte nicht daran. Mr. Malfoy war ein viel zu feiner Mann dafür.
Ihren Meisterstreich, der sie für einen Augenblick vor Stolz fast platzen gelassen hatte, hatte sie vorgestern verübt:
Sie hatte die Rede, die Draco zum Geburtstag seines Vaters sauber, auf hochwertigem Pergament verfasst hatte, mit einem spitzen Stein in kleine Fetzen geschnitten, um sie ihm nach seiner Blamage, in einem Brief servieren zu lassen. Für das Frankieren hatte sie ihr halbes Gespartes ausgegeben.
Er hatte ihr dafür die Haare abgeschnitten. Sie hatte nicht geweint, obwohl sie es gerne getan hätte. Zum Schluss nahm er sich das Recht, sie in den Schrank zu sperren.