PAIRING: LEEKATO... den Rest wollt ihr gar nicht wissen ^^
WARNING: Wiedereinmal stößt man hier auf SHOUNEN-AI, und wem das noch nicht genug ist, den darf ich vor DEATH und ANGST warnen.
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Regentropfen. Zwei von ihnen hatten sich gelöst aus den Wolken ihrer gemeinsamen Träume, fielen wieder zurück auf den Boden der Realität. Zusammen perlten sie von dem Glas einer Fensterscheibe während jener stürmischen Herbstnacht. Für einen kurzen Augenblick verschmolzen sie miteinander, glaubten sich vereinigt für die Ewigkeit. Doch es war aussichtslos vor der Wirklichkeit zu fliehen, genauso wenig hätten sie sich der Schwerkraft entziehen können. War es nicht das Schicksal der Tränen des Himmels, ihr kurzes Leben lang dem Erdboden entgegenzurasen? So folgten sie dem Weg ihrer Bestimmung hinab in die Leere. Längst hatte der Sturm sie eingeholt und wieder auseinander gerissen. Nach einem scheinbar unendlichen Fall stürzten sie in dunkles, tiefblaues Wasser – die Körper zweier Jungen – zwei Regentropfen in einem weiten Ozean.
Die Wellen waren das Erste, was Jenrya Lee hörte. Das leise Rauschen weckte ihn langsam. Es war kein schönes Gefühl, denn es brachte ihm die quälende Gewissheit, was Traum und was Wirklichkeit war, zog eine brennende Linie zwischen Schein und Sein. Er hatte sich so sehr gewünscht, die grausamen Sekunden des Falls – nein, vielmehr die letzten Stunden – wären nur ein Traum gewesen. Doch nun war er hier. Die Kälte des Wassers, der Geschmack von Salz und Sand auf seiner Zunge und der heiße Schmerz in seinem linken Bein erinnerten ihn daran, dass er keinesfalls träumte.
Was war geschehen? Er brauchte einen Moment, bis er seine Erinnerungen in die richtige Reihenfolge gebracht hatte: Takatos Abschiedsbotschaft, das Portal in Gillmons Höhle, ihr gemeinsames Hinabstürzen in die Leere... Das alles schien schon so weit in der Vergangenheit zu liegen. Hatte er denn etwas Wichtiges vergessen? Was war während des Falls passiert, das ihn derartig erschreckt hatte? Das eintönige Murmeln der Brandung beantwortete seine Fragen nicht.
Jenrya stützte sich hoch. Seine rechte Hand schmerzte, noch vor wenigen Minuten hatte er damit etwas krampfhaft festgehalten. Der kühlende Gischt um ihn herum konnte das pochende Gefühl in seinen Fingern nur langsam vertreiben. Er zitterte. Schließlich schaffte er es aufzustehen, humpelte ein paar Schritte aus dem kalten Wasser. Mehrmals ballte er eine Faust und streckte danach seine Finger. Allein der Anblick seiner Hand hatte etwas Quälendes.
Er hatte ihn losgelassen! Er hatte Takatos Hand losgelassen! Jenrya verfluchte seine Angst während des Falls, wiedereinmal hatte er nicht zu seinem Freund gestanden. Eine Flut von Schuldgefühlen erfasste ihn, spülte lange verdrängten Erinnerungen in sein Bewusstsein. Es war ganz allein seine Schuld, dass es so weit gekommen war! Erst seine absurde Verliebtheit hatte ihn den wahren Takato vergessen lassen, seine albernen Träume waren ihm wichtiger gewesen als die wirklichen Sorgen und Probleme seines Freundes. Jenrya wandte den Blick ab von seiner Hand, auch sie war doch nur ein Abbild, eine Illusion erschaffen von dieser Welt. Was waren schon Schmerzen und Kälte? Sie waren nichts im Vergleich zu dem, was Takato durchlitten haben musste.
Zwei graue Augen suchten vergeblich den ebenso grauen Strand ab, an den die Wellen des dunklen Meeres brandeten. Niemals zuvor war Jenrya Lee an diesem Ort gewesen, doch der trostlose Anblick erweckte in ihm nur den Wunsch, diesem Teil der digitalen Welt so schnell wie möglich zu verlassen. So schnell wie möglich... – das war nicht besonders viel, schmerzte sein verletzter Unterschenkel doch bei jedem Schritt. Es dauerte eine Weile, bis er einen Standort erreicht hatte, der ihm eine bessere Aussicht bot. Von einer bleiern schimmernden Klippe aus richtete er erneut seinen Blick auf die grauen Wogen.
Was Jenrya zuerst nur für eine Sinnestäuschung gehalten hatte, stimmte tatsächlich: Das Meer vor ihm war wirklich von einem derartig dunklen Blau, dass es das schwache Tageslicht kaum reflektierte. Als er es zum ersten Mal erblickt hatte, noch Hunderte Meter von seiner Oberfläche entfernt, da hatte er geglaubt erblindet zu sein, sosehr hatten sich seine Augen an das blendende Licht des Portals gewöhnt.
Auf seinem Weg an den Konturen des Strandes entlang blieb sein Blick plötzlich an etwas hängen, das die unheimliche Schwärze des Wassers zu stören schien. Ein winziger heller Punkt wurde von der Brandung auf und ab getragen. Viele – zu viele – Schritte musste Jenrya zurücklegen, bis er sah, was die Wellen dort an den Strand gespült hatten.
Er hatte versucht sich vorzubereiten auf das, was er nun erblickte, und dennoch zweifelte er mit einem Mal an der Wirklichkeit, wollte nicht glauben was er vor sich sah. Es war ein Junge im selben Alter wie er selbst, Strähnen aus braunem Haar klebten in seinem regungslosen Gesicht. Jenrya stockte der Atem. Beim Anblick des Körpers, der dort im Gischt trieb, spürte er dasselbe wie beim Entgegenrasen auf die dunkle Wasseroberfläche: Die Angst vor dem Tod.
Mit viel Mühe zog Jenrya den Jungen aus dem Wasser, drehte ihn auf die Seite. Salziges Wasser quoll aus seinem Mundwinkel und tropfte auf den grauen Sand, vermischte sich dort mit den Tränen seines Retters.
„Takato?" Eigentlich hatte er schreien wollen, doch er flüsterte nur.
„Takato, wach auf!" Dann wurde das Flüstern zu einem Schluchzen.
Etwas stimmte nicht mit der Art, wie sein Freund dort vor ihm lag. Es konnte nicht real, nur eine unheilvolle Täuschung sein. Es war einfach nicht richtig!
Takato atmete nicht.
Vorsichtig hob er den Kopf mit den haselnussbraunen Haaren an, zog das schmutzigweiße Hemd über ihn hinweg. Die Haut darunter fühlte sich kalt an, ihre Farbe unterschied sich nur in ihrer Blässe von dem Grau des Sandes. Finger tasteten über die Brust des Jungen, spürten keine Bewegung, keinen Puls, kein Leben. Jenrya hatte nie zuvor versucht, einen Menschen zu reanimieren, doch ohne nachzudenken presste er nun seine Hände auf Takatos bloßen Oberkörper und begann das Herz seines Freundes mit gleichmäßigen Stößen zu massieren. Er hatte es in Filmen gesehen, es hatte auf ihn immer so irreal gewirkt – einem Menschen das Leben wiederzuschenken, war der Gedanke allein nicht schon phantastisch? Doch hier in diesem Moment war es sein bester Freund, um dessen Leben es ging.
„Du musst leben, Takato-chan", schaffte er noch zu sagen, dann umschloss er Takatos Mund mit seinen Lippen, füllte die Lungen des Freundes mit Luft. Zum ersten Mal war es kein Traum, dass er Takatos Lippen spürte. Doch anders als in seinen Träumen waren sie leblos und nicht glühend, schmeckten sie salzig, nicht süß. Warum nur durfte es kein Traum sein? Wieso mussten ihn diese beiden braunen Augen so still und leer anstarren? Früher hatte er von ihrem Anblick nicht genug bekommen können. Sie waren immer so klar und lebendig gewesen, hatten ihn stets mit Leben angesteckt, wenn er sich allein gefühlt hatte. Auch jetzt spürte er jene Einsamkeit wie einen eisigen Windstoß in seinem Nacken. Jenrya wusste, dass er dieses schreckliche Gefühl ohne Takato nie wieder abstreifen könnte. Er musste Luft holen, löste sich für einen Augenblick von den Lippen seines Freundes. Die Stille wurde unerträglich.
„Du kannst gar nicht tot sein. Es geht nicht, verstehst du?" Es tat gut etwas sagen zu können, es nahm ihm das Gefühl der Hilflosigkeit.
„Du weißt doch noch, wie wir das erste Mal in dieser Welt erwachten? Jeder von uns lag damals in einem riesigen Krater und ich hatte keine Ahnung, wie wir einen solchen Sturz überleben konnten." Er unterbrach den Monolog um seine Lippen erneut auf die seines Freundes zu pressen.
„Dabei ist es so einfach, Takato! Wir schliefen, wir wussten nicht, dass wir fielen, also geschah uns auch nichts. Hörst du mich, Takato? Das hier ist nicht die reale Welt. Du kannst nicht tot sein, du schläfst nur." Wieder machte er eine Pause um seinen Freund zu beatmen.
„Wie in der Unterwasserhöhle, Takato! Du hast bis 300 gezählt, während ich im Wasser war. Ich konnte atmen, nicht einmal meine Haare wurden nass, weil ich begriff, dass es kein Wasser war." Er rang nach Luft, spürte wie Tränen und Schweißperlen an seinem Gesicht herunterliefen.
„Wie kannst du also jetzt einfach so ertrinken? Du schläfst doch nur!"
Mit all seiner Kraft schlug er nun auf das geliebte Herz seines Freundes ein, sein eigenes schien ihm aus der Brust springen zu wollen.
„Das ist nicht fair, Takato! Du kannst mich doch hier nicht allein lassen. Ich liebe dich doch so sehr..."
Er liebte ihn. Wofür sonst hatte er das alles durchlitten? Die Schuldgefühle, nachdem er Takatos Abschiedsnachricht gefunden hatte, die Schmerzen in seinem Bein, als er auf der vorletzten Stufe vor Gillmons Versteck ausgerutscht war und schließlich die Angst, während das dunkle Meer immer schneller auf ihn zuraste – ja, all das hatte er nur durchgestanden, weil er Takato wirklich liebte. Es konnte keine andere Erklärung geben.
Ein letztes Mal holte Jenrya tief Luft und senkte seinen Mund auf Takatos Lippen, ein letzter Kuss. Er strich sanft mit der Hand durch die haselnussbraunen Haare des Jungen, dann schloss er seine tränengeschwängerten Augen vor der Grausamkeit dieser Welt, die ihm alles was er liebte genommen hatte, und... zögerte. Überrascht öffnete er sie wieder, hatte er doch die Wange und nicht den Mund seines Freundes berührt. War da nicht eben eine Erschütterung gewesen, hatte sich Takatos Kopf nicht ein kleines Stück bewegt? Seine Pupillen weiteten sich, als er einen warmen Lufthauch in seinem Gesicht spürte.
Ruckartig hob sich der Brustkorb des braunhaarigen Jungen. Seine Glieder spannten sich, Krämpfe schüttelten den jungen Körper, während er das letzte Wasser aushustete. Lee konnte mitansehen, wie das Leben in den unterkühlten Jungen zurückkehrte, ihn behutsam in die Arme nehmen und streicheln. Seine rotbraunen Augen – nun wieder klar und glänzend – starrten in den Himmel, schienen ihn gar nicht wahrzunehmen. Wieder streichelte er seinen Freund, wieder und wieder, es war so selbstverständlich in diesem Augenblick. Es brauchte eine Weile, bis die Leere in Jenryas Kopf zu schwinden begann, bis er wirklich begriff, was soeben passiert war. Zögernd ließen seine Hände ab von Takato, betteten seinen Kopf auf dem kalten Sand. Längst hatte Takato seine Augen geschlossen, schien nun ruhig und tief zu schlafen. Noch immer war Jenrya dicht über das Gesicht seines Freundes gebeugt, spürte wie er nun sanft ein- und ausatmete. Wie zerbrechlich er doch wirkte, wenn er schlief! Bei diesem Anblick schossen Jenrya Freudentränen in die Augen. Takato schlummerte wie ein kleines Kind – er war am Leben!
Takato lebte – ein Gedanke so einfach und klar, doch gleichzeitig so unglaublich und überwältigend für Jen, dass er ihn umzuwerfen schien. So überrascht über das plötzliche Glück war er, dass seine erschöpften Glieder schlicht nachgaben, er einfach über dem Körper seines Freundes zusammenbrach. Für einen Moment schloss er seine Augen, fühlte den Herzschlag in der ausgekühlten Brust seines Freundes. Er genoss es, einmal nicht den ihm sonst aufgezwungenen Abstand einhalten zu müssen. Wie aufregend war doch das Gefühl, diesem Jungen so nahe zu sein, ihn berühren zu dürfen!
Takato lebte – jetzt erst merkte Jenrya, dass ihm eigentlich nichts auf dieser Welt mehr bedeutete, als diese Gewissheit. Was sollte sie trennen, solange er das wusste? Was spielte es für eine Rolle, wo sie waren, wenn es Takato gut ging? Wer wollte sich ihm in den Weg stellen, während Takato an seiner Seite war? Unwillkürlich suchten seine Lippen nach Takatos Mund. Nichts trennte sie nunmehr, gar nichts! Er wollte Eins mit dem Jungen sein, ihn bei sich wissen, ihn bei sich spüren.
Ein alles betäubendes Verlangen hatte sich über seine Sinne gelegt, ließ ihn all seine Vorsätze vergessen. Wie aus großer Ferne nahm er wahr, dass er seinen hilflosen Freund liebkoste, den salzigen Geschmack seiner Lippen aufnahm. Es schien, als ob jede Zelle seines Körpers nur auf diesen Moment der Schwäche gewartet hätte. Ungeahnte Phantasien erschienen in seinem Kopf, Stimmen waren zu hören, fremd und gebieterisch. Auch seine Hände standen nun nicht mehr unter seiner Kontrolle. Hastig entweihten sie Takatos baren Oberkörper, streichelten den schlafenden Jungen, bis alle Kälte aus ihm vertrieben war.
Wiederum fragte sich Jenrya, ob er noch träumte. Es musste ein wunderschöner Traum sein, wie jener, aus dem er am letzten Morgen mit einem Lächeln erwacht war. Bald würde es vorbei sein, bald würde er erneut erwachen, würde leicht erröten, während die meisten Eindrücke aus diesem Traum bereits langsam verblassten. Dann wäre alles wie immer: Takato und er wären zusammen in der realen Welt – als Freunde, nicht mehr. Es bestand keine Gefahr, hier durfte er alles tun, keine seiner Phantasien musste er in diesem Moment verstecken. Wieder küsste er den braunhaarigen Jungen. Er würde ihn auch lieben, würde seinen Kuss erwidern – in diesem Traum.
„Juri, wo bist du?", hauchte Takato, drehte seinen Kopf im Schlaf.
Ein Alptraum. Wenn es doch wenigstens ein Alptraum wäre! Alles, nur nicht die Wirklichkeit, denn aus der Wirklichkeit kann man nicht erwachen – und nichts mehr als das wollte er. Ein jedes Mal, wenn er diese verbotenen Empfindungen verspürt hatte, war er anschließend schweißgebadet erwacht, hatte sich geschworen, ‚so etwas' niemals in Wirklichkeit zu tun. Aber hatte er nicht soeben die Grenze überschritten? Waren seine Träume nicht gerade auf furchtbare Weise Realität geworden? Diese Lippen waren schöner als jeder Traum, alles war so real und doch so falsch. Nein, diesmal würde er nicht erwachen. Er musste sich lösen von der Wirklichkeit in Takatos Mund, er musste damit aufhören!
„Halt!", schrie er, seine Stimme nur ein heiserer Widerhall ihrer selbst. Ruckartig sprang er auf, taumelte rückwärts von Takato weg, seine Hände krallten sich in den Sand. Gerade noch hatte er damit beginnen wollen, sich selbst zu berühren. Er ließ es nicht zu. Sein erhitzter Körper zitterte, wollte nur langsam zur Ruhe kommen.
Jenrya holte tief Luft und versuchte für einen Moment wieder klar zu denken. Richtig, er hatte sich das nicht eingebildet, es war eben wirklich geschehen! Niemals zuvor hatte er eine solch starke Erregung verspürt, schon gar nicht zu einem so denkbar unpassenden Zeitpunkt. Diesmal war es kein Traum. In diesem Moment waren sie beide zusammen in der Digiwelt. Was in seinen Träumen so wundervoll gewesen war, konnte hier seine beste Freundschaft zerstören. Was hatte er nur aufs Spiel gesetzt! Es war mehr als nur ein dummer Ausrutscher, es würde alles zwischen ihnen ändern, nie wieder würde er dem Jungen nahe sein können ohne an seine Schwäche erinnert zu werden.
Und was wäre, wenn Takato das alles mitbekommen hätte? Seine Panik nahm wieder zu. Er würde sich diesen Ausrutscher niemals verzeihen, aber würde es Takato können? Zögernd sah er hinüber zu seinem Freund. Zwei große, braune Augen erwiderten seinen Blick.
„Jen, ich habe von dir geträumt"
